L 7 AS 918/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 27 (5) AS 9/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 918/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.03.2010 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, mit dem die Beklagte die Bewilligungen für den Zeitraum vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 teilweise aufgehoben und vom Kläger die Erstattung der Leistungen für Unterkunft und Heizung gefordert hat.

Der 1981 geborene Kläger stand bei der Beklagten bis 31.03.2007 im Leistungsbezug. Er wohnte bis 31.01.2007 in I und ab Februar 2007 in N. Zum 01.04.2007 erzielte der Kläger die Hilfebedürftigkeit ausschließendes Einkommen, so dass die Beklagte den Bewilligungsbescheid für die Zukunft aufhob.

Zunächst bezog der Kläger vom 24.06.2004 bis 19.05.2005 Arbeitslosengeld. Er wohnte mit seinen Eltern, dann allein mit seiner Mutter in der K-straße 00 in I. Am 31.03.2005 beantragte er die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Zusatzblatt zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gab er an, dass Vermieter der Mietwohnung Herr T sei, die Wohnung fünf Zimmer, Küche, Bad umfasse, 800,- EUR monatlich koste und seine Mutter C T zum 15.04.2005 ausziehen werde. Er legte den Mietvertrag, geschlossen zwischen dem Vermieter und dem Vater des Klägers vor über das Haus in der K-strasse mit fünf Zimmern, Garten, einem Ladenraum und einer Garage zu einem Mietzins von 1600,- DM (1100,- DM Wohnräume, 500,- DM Geschäftsräume, BK/NK 400,- DM). Der Kläger überreichte eine Bestätigung der Gesellschaft für Vermögensplanung und Verwaltung X GmbH vom 05.04.2005. Danach belief sich die Kaltmiete auf 818,07 EUR und die Warmmiete auf 1.023,74 EUR monatlich. An Betriebskosten fielen insgesamt 205,67 EUR monatlich an, wobei auf die Heizung monatliche Vorauszahlungen in Höhe von 28,76 EUR entfielen.

Die Beklagte schickte dem Kläger am 26.04.2005 eine Kostensenkungsaufforderung, wonach ab 01.11.2005 nur noch angemessene Grundmiete gezahlt werde.

Am 11.05.2006 legte der Kläger der Beklagten einen zwischen ihm und Herrn T geschlossenen Mietvertrag vor, wonach das Mietverhältnis am 01.11.2005 begonnen hat für die (im EG gelegene) Wohnung - zwei Zimmer, Küche, Bad mit einer Wohnfläche von 56 qm für eine Grundmiete von 239,58 EUR incl. Betriebs- und Heizkosten von 336,30 EUR. Der Kläger teilte - wie auch bei allen Folgeanträgen - nicht mit, dass er an den Vermieter keine Zahlungen leistete.

Mit Bescheiden vom 09.09.2005, 15.09.2005, 06.12.2005, 24.03.2006, 29.05.2006, 02.11.2006 und 15.11.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger Kosten für Unterkunft für die Zeit vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 in folgender Höhe:

März 2005:15,94 EUR
April 2005: 751,26 EUR
Mai 2005 - Oktober 2005 (6 x 1023,74 EUR): 6142,44 EUR
November 2005 - Januar 2006 (3 x 445,25 EUR): 1335,75 EUR
Februar 2006: 286,20 EUR
März 2006 - Januar 2007 (11 x 336,20 EUR): 3698.20 EUR
Insgesamt: 12229,79 EUR

Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte mit Bescheid vom 24.03.2006 die Bescheide vom 09.09.2005 und 15.09.2005 nach § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf, forderte 684,31 EUR zurück und verfügte die teilweise Aufrechnung ab Februar 2006 mit monatlich 50,- EUR. Der Kläger legte keinen Widerspruch gegen diesen Bescheid ein. Mit Schreiben vom 24.05.2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es sei zum einen zu einer Überzahlung für November 2005 bis Januar 2006 in Höhe von 104,- EUR gekommen und er habe zum anderen zu wenig Miete für Februar bis Mai 2006 erhalten (insgesamt 806,88 EUR) und schlug daher eine Verrechnung vor mit der Gesamtschuld von 638,31 EUR vor. Der Kläger erklärte sich mit diesem Vorgehen nicht einverstanden, sondern beantragte die Tilgung der Restschuld mit einer Anrechnung auf die monatlichen Leistungen in Höhe von 100,- EUR.

Mit Schreiben vom 03.11.2006 wandte sich die X GmbH - Hausverwaltung - an die Beklagte und wies darauf hin, dass der Kläger zusammen mit seiner Lebensgefährtin die Räume in der K-straße 00 in I ohne Rechtsgrundlage nutze. Miete, Betriebskosten und Heizkosten würde der Kläger hierfür nicht zahlen. Die Hausverwaltung kam nach einer sich anschließenden Prüfung des vom Kläger bei der Beklagten eingereichten Vertrages zu der Einschätzung, dass dieser gefälscht sei. Am 21.12.2006 teilte die X GmbH ergänzend mit: Zwischen dem Vermieter T und dem Kläger sei kein Mietvertrag unterzeichnet worden. Seit dem Jahr 2000 würden Mietverträge für den Vermieter nur von der X GmbH abgeschlossen werden. Zwar existiere ein Mietvertrag vom 12.08.1995. Vertragspartnerin sei aber nur Frau C T gewesen. Dieses Mietverhältnis sei wegen Zahlungsrückständen in Höhe von insgesamt 12.658,01 EUR fristlos gekündigt worden. Die Mutter des Klägers sei dann im September 2005 ausgezogen. Der Kläger habe die von ihm bewohnten Räume im Erdgeschoss nicht herausgegeben. In der Verhandlung vor dem Amtsgericht (AG) Recklinghausen (Az.: 52 C 392/06) am 13.12.2006 sei ein Räumungsvergleich mit dem Kläger vereinbart worden, wonach dieser die Wohnung zum 31.01.2007 räumt und Zug um Zug 3000,- EUR erhält. Mietzahlungen des Klägers seien auf dem Mieterkonto nie eingegangen.

Mit Schreiben vom 19.02.2007 hörte die Beklagte den Kläger hinsichtlich der beabsichtigten Aufhebung und Rückforderung an. Der Kläger habe in der Zeit vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 zu Unrecht Arbeitslosengeld II in Höhe von 12229,79 EUR bezogen. Die in dieser Höhe gewährten Leistungen für Unterkunft und Heizung seien nicht an den Vermieter weitergeleitet worden.

Mit Bescheid vom 15.03.2007 hob die Beklagte die Bescheide vom 09.09.2005, 15.09.2005, 06.12.2005, 24.03.2006, 29.05.2006, 02.11.2006 und 15.11.2006 für die Zeit vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 teilweise in Höhe von 12.229,79 EUR auf. Der Kläger habe einen gefälschten Mietvertrag eingereicht und daher die Kosten für Unterkunft und Heizung zu Unrecht erhalten. Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, da der Kläger die Beklagte arglistig getäuscht habe nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 SGB X. Daher seien Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 in Höhe von 12229,79 EUR zu Unrecht gezahlt worden. Der Betrag sei zu erstatten (§ 50 SGB X).

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 29.03.2007 Widerspruch ein. Er sei zur Mietzahlung verpflichtet gewesen. Er habe, da er die Wohnung im Rahmen eines zahlungsverpflichtenden Mietverhältnisses bewohnt habe, einen Anspruch auf die geleisteten Zahlungen. Die pauschalen Behauptungen der Beklagten seien nicht geeignet, einen Rückforderungsanspruch zu begründen.

Der Kläger hat am 10.01.2008 eine Untätigkeitsklage bei dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen erhoben. Es sei bisher kein Widerspruchsbescheid erlassen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.02.2008 hat die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Nach Gesamtwürdigung der Umstände stehe fest, dass der Kläger nicht dazu berechtigt gewesen sei, die angegebene Wohnung zu nutzen, da er keinen gültigen Mietvertrag gehabt habe. Bereits bei der erstmaligen Antragstellung habe der Kläger angegeben, in der K-straße zu wohnen, obwohl er hierzu nicht berechtigt gewesen sei. Zu bedenken sei auch, dass der Kläger überhaupt keine Miete, und zwar nicht nur seit Antragstellung gezahlt habe, sondern nach den vorliegenden Kontoauszügen die letzte Miete am 06.05.2004 gezahlt worden sei. Die Bescheide seien daher nach § 45 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB X, § 40 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III zurückzunehmen. Auf Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, da er vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht habe. Die Einlassung, es habe ein zahlungspflichtiges Mietverhältnis bestanden, überzeuge nicht. Ermessen sei nicht auszuüben. Die überzahlten Beträge in Höhe von 12229,79 EUR setzten sich aus den mit den jeweiligen Bewilligungsbescheiden gewährten Kosten für Unterkunft und Heizung zusammen. Die erbrachten Leistungen seien vom Kläger zu erstatten.

Die Beklagte hat diesen Widerspruchsbescheid mit Schriftsatz vom 04.02.2008, bei Gericht eingegangen am 06.02.2008, übermittelt und sich dem Grunde nach zur Übernahme der notwendigen außergerichtlichen Kosten für die Untätigkeitsklage bereit erklärt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 22.02.2008 den Klageantrag umgestellt und die Aufhebung des Bescheides vom 15.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2008 beantragt. Diesen hat der Kläger vorab per Fax dem Gericht übersandt, welches keine Faxkennung oder Sendedatum beinhaltet. Auch ein Eingangsstempel fehlt. Es ist lediglich mit einem Stempel vermerkt: "Vorgelegt am 29.02.2008".

Der Kläger ist der Ansicht, dass die angegriffenen Bescheide rechtswidrig seien. Die Beklagte würde die Dogmatik zum zivilrechtlichen Vertragsschluss verkennen. Selbst die für die Immobilie zuständige Verwaltung gehe davon aus, dass ein Zahlungsrückstand am 31.12.2006 von 32669,95 EUR bzw. ein Rückstand von 22631,11 EUR (wenn man die Soll-Miete für die Zeit ab November 2005 bis Dezember 2006 auf 336,20 EUR mindern würde) bestünde. Der Vermieter gehe also sehr wohl davon aus, dass eine Zahlungsverpflichtung des Klägers bestehe. Zudem würden Mietzinszahlungen nach den Äußerungen des Vermieters nur noch als Nutzungsentschädigung entgegengenommen. Zu berücksichtigten sei auch, dass zwischen Minderungsrechten und Zurückbehaltungsrechten zu differenzieren sei, da das Zurückbehaltungsrecht den Kläger nicht endgültig von der Leistungspflicht befreie, sondern nur für die Zeit der Ausübung. Die ausgesprochene fristlose Kündigung sei zudem unwirksam gewesen. Zu beachten sei zudem, dass während des Strafverfahrens die Rückforderung auf ca. 5500,00 EUR reduziert worden sei. Es sei zudem irrelevant, dass der Kläger in die Bestrafung eingewilligt habe, da dies nicht mit der Frage verwechselt werden dürfe, ob man das Urteil für richtig oder falsch halte. Die Beklagte verkenne ferner, dass die Wohnung des Klägers mit erheblichen Mängeln behaftet und er daher berechtigt gewesen sei, die Miete zu mindern. Es sei zwar richtig, dass der Kläger für diese Wohnung keine Miete gezahlt habe. Die Zurückbehaltungs- und Minderungsrechte nach dem Zivilrecht habe er aber bereits vor Antragstellung gegenüber dem Vermieter geltend gemacht. Dies sei ihm nicht erst eingefallen, als er den Antrag gestellt habe. Zudem sei auch zu beachten, dass er die Miete zu Anfang - selbst wenn er die Miete nicht gemindert hätte - gar nicht hätte zahlen können, da die Beklagte zunächst nicht geleistet habe.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid vom 15.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2008 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat entgegnet, dass der Kläger die erhaltenen Beträge für die Kosten der Unterkunft und Heizung zu erstatten habe. Er habe zum einen keinen gültigen Mietvertrag abgeschlossen und zum anderen keine Miete oder Nutzungsentschädigung an den Vermieter geleistet.

Das SG hat die Akte der Staatsanwaltschaft C (xxx) beigezogen. Das Amtsgericht Recklinghausen verurteilte den Kläger mit Urteil vom 28.04.2008 wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 25,- EUR.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 30.03.2010 abgewiesen und der Beklagten die bis zum 06.02.2008 für die Untätigkeitsklage entstandenen außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt.

Zur Begründung hat das SG ausgeführt:

Die Untätigkeitsklage sei nach § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig gewesen. Ob sie auch begründet gewesen sei, könne offen bleiben. Die im Wege der gewillkürten Klageänderung abgeänderte Klage sei zulässig, jedoch unbegründet. Der Kläger sei durch den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2008 nicht beschwert.

Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 22.02.2008, der spätestens am 29.02.2008 bei Gericht eingegangen sei, da die Vorlage an diesem Tag erfolgt sei, die Klage in eine Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 erste Alternative SGG umgestellt. Diese Umstellung sei eine gewillkürte Klageänderung im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG und als solche auch sachdienlich.

Die Klage sei auch zulässig. Für die Klageänderung (§ 99 Abs. 1 SGG) müssten sämtliche Sachurteilsvoraussetzungen vorliegen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 10.02.2005 - B 4 RA 48/04 R); hierzu zähle auch die Einhaltung der Monatsfrist des § 87 Abs. 1 und 2 SGG. Dementsprechend sei bei der Umstellung einer Untätigkeitsklage nach § 88 Abs. 2 SGG in eine Anfechtungsklage die Klagefrist zu wahren. Die Monatsfrist zur Klageerhebung gemäß § 87 Abs. 1 und 2 SGG ende frühestens am 04.03.2008, so dass diese mit dem Schriftsatz vom 22.02.2008 gewahrt gewesen sei.

Der Bescheid vom 15.03.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2008 sei rechtmäßig. Die Bescheide seien nach § 33 Abs. 1 SGB X inhaltlich bestimmt. Es würden insbesondere sämtliche für den Zeitraum vom 31.03.200 bis 31.01.2007 ergangenen Bescheide aufgezählt und deutlich gemacht, dass nur eine teilweise Aufhebung der Bewilligungsbescheide und zwar für die Leistungen für Unterkunft und Heizung erfolge. Die Beklagte sei nach § 45 Abs. 1 SGB X zur Aufhebung der Bewilligungsbescheide vom 09.09.2005, 15.09.2005, 06.12.2005, 24.03.2006, 29.05.2006, 02.11.2006 und 15.11.2006 für die Zeit vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 befugt gewesen.

Nach dieser Vorschrift dürfe ein (anfänglich) rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden sei, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Die vorgenannten Bewilligungsbescheide seien im Zeitraum vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II gegenüber der Beklagten für diese Zeit gehabt. Gemäß § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II würden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen seien. Aus dem Tatbestandsmerkmal "tatsächliche Aufwendungen" folge, dass ein Leistungsanspruch nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nur bestehe, soweit bei dem Hilfebedürftigen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung anfallen und die so entstehenden Kosten Berücksichtigung finden könnten. Dies ergebe sich auch aus dem Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Es gehe um die Sicherstellung des existentiell notwendigen Bedarfs - hier: Unterkunft und Heizung -, wobei es sich um einen aktuellen Bedarf handeln müsse. An einem solchen "aktuellen" Bedarf fehle es. Der Kläger habe gegenüber dem Vermieter keine Zahlungen - auf Grund ausgeübter Zurückbehaltungsrechte und Minderungsrechte - erbracht. Dabei könne zur Überzeugung der Kammer vorliegend dahin stehen, ob diese Rechte zivilrechtlich wirksam von dem Kläger ausgeübt worden seien. Dahin stehen könne auch, ob der Vermieter zumindest bezüglich der Zurückbehaltungsrechte weiter einen Anspruch gegenüber dem Kläger auf Auszahlung der zurück behaltenen Beträge geltend gemacht habe oder noch geltend mache. Denn zumindest in dem hier durch den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid betroffenen Bewilligungszeitraum vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 habe der Kläger keine Aufwendungen "aktuell" an Kosten für Unterkunft und Heizung gehabt, da er hierfür unstreitig keine Zahlungen erbracht hat. Fehle es aber an einem solchen aktuellen Bedarf in dem betroffenen Zeitraum, bestehe auch kein Anspruch auf Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II. Es könne offen bleiben, ob es einen rechtsgültigen Mietvertrag zwischen dem Kläger und dem Vermieter gegeben hat, da Zahlungen - ob Miete oder Nutzungsentschädigung - von dem Kläger eben nicht erbracht worden seien. Auch komme es nicht darauf an, ob das Mietverhältnis rechtmäßig oder in rechtswidriger Weise von dem Vermieter gekündigt worden sei. Denn dies hat keinerlei Auswirkungen auf die Frage, ob der Kläger einen "aktuellen" Bedarf bezüglich Leistungen nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II hatte. Auch die Frage der strafrechtlichen Verurteilung sei vorliegend irrelevant, da diese das Gericht nicht bindet. Diese Rechtswidrigkeit habe auch von Anfang an bestanden, da der Kläger nach eigenem Vorbringen vor Antragstellung bereits diese Zurückbehaltungsrechte und Minderungsrechte gegenüber dem Vermieter ausgeübt habe und schon zum Zeitpunkt der Antragstellung keine Leistungen mehr an den Vermieter erbracht habe.

Es liege grobe Fahrlässigkeit vor. Der Kläger habe der Beklagten bei Antragstellung nicht mitgeteilt, dass er gegenüber dem Vermieter Zurückbehaltungs- und Minderungsrechte geltend gemacht habe und an den Vermieter keine Zahlungen leiste. Damit habe er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt. Bei Beantragung der Leistungen und auch bei Erteilung der Bescheide vom 09.09.2005, 15.09.2005, 06.12.2005, 24.03.2006, 29.05.2006, 02.11.2006 und 15.11.2006 habe der Kläger einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet, was vorliegend jedem einleuchten musste. Der Kläger hätte zur Überzeugung der Kammer bei einfachster Überlegung erkennen können, dass im Falle der Nichtleistung von Zahlungen für Unterkunft und Heizung an den Vermieter die Beklagte nicht verpflichtet sei, dem Kläger Leistungen zu erbringen. Die Aufhebung seitens der Beklagten sei rechtzeitig erfolgt. Nach § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 1 und Abs. 2 S. 3 SGB X sei der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Es bestehe kein Ermessensspielraum.

Nach § 50 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 SGB X seien erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit der Verwaltungsakt aufgehoben worden sei. Dabei seien die zu erstattenden Leistungen durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung solle, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsaktes erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden. Dies sei vorliegend geschehen, da die Beklagte bereits mit dem Bescheid vom 15.03.2007 den zu erstattenden Betrag in Höhe von 12299,79 EUR festgesetzt habe.

Eine Reduzierung der vom Kläger zu erstattenden Forderung nach § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II komme nicht in Betracht. Gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II seien abweichend von § 50 SGB X 56 % der bei der Leistung nach § 19 S. 1 und 3 SGB II sowie § 28 SGB II zu berücksichtigtenden Kosten für Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung, nicht zu erstatten. Diese Regelung gelte allerdings nach § 40 Abs. 2 S. 2 SGB II nicht für die Fälle des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X.

Gegen das dem Kläger am 05.05.2010 zugestellte Urteil hat dieser am 02.06.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass das SG nicht ermittelt habe, ob er noch zu Zahlungen aus dem Miet- oder Nutzungsverhältnis mit dem Vermieter verpflichtet gewesen sei. Zudem sei der Begriff der "Aufwendungen" falsch interpretiert. Der Begriff "tatsächliche Aufwendungen" setzte nicht voraus, dass aktuell derartige Zahlungsabflüsse existiert hätten. Tatsächlich bedeute nicht aktuell. Die Wohnung sei zudem mangelhaft gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30.03.2010 zu ändern und den Bescheid vom 15.03.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger habe keine tatsächlichen Aufwendungen gehabt. Soweit der Kläger von seinem Recht auf Mietminderung Gebrauch mache, lägen keine tatsächlich gezahlten Aufwendungen vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den übrigen Akteninhalt, die Verwaltungsakten der Beklagten und der beigezogenen Akten des AG Recklinghausen (Az.: 27 Ds 38 Js 49/07), die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG Gelsenkirchen vom 30.03.2010. Das SG hat die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 15.03.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2008 zu Recht abgewiesen. Der Kläger wird durch die Verwaltungsentscheidungen nicht nach § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung der Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 sowie für die Erstattung liegen vor.

Der Aufhebungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides genügt den Anforderungen des § 33 SGB X. Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochten Entscheidung, die er sich nach Prüfung zu eigen macht.

Rechtsgrundlage für die teilweise Rücknahme der Bewilligung des Arbeitslosengeldes II für den streitgegenständlichen Zeitraum ist § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II und § 330 SGB III.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 - 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

Die Bescheide vom 09.09.2005, 15.09.2005, 06.12.2005, 24.03.2006, 29.05.2006, 02.11.2006 und 15.11.2006 waren für den Bewilligungszeitraum vom 31.03.2005 bis 31.01.2007 von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II.

Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Gemeint sind die Geldaufwendungen, die der Hilfebedürftige in der Bedarfszeit für die Nutzung/Gebrauchsüberlassung einer bestimmten Unterkunft Dritten gegenüber nach dem bürgerlichen Recht aufzubringen hat. Übernahmefähig sind die tatsächlichen Mietkosten, deren Höhe sich i.d.R. aus dem schriftlichen Mietvertrag ergibt. Auf die Rechtmäßigkeit des Mietverhältnisses kommt es für § 22 SGB II nicht an. An die Stelle von Mietzinszahlungen können auch Nutzungsentschädigungen oder sonstige die Unterkunft sichernde Zahlungen treten. Entscheidend ist allein, dass Aufwendungen für Unterkunft und Heizung tatsächlich entstanden und Zahlungen erfolgt sind (BSG, Urteil vom 20.08.2009 - B 14 AS 34/08 R Rn. 16; Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 30.08.3020 - L 12 AS 1098/10 B ER; Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 27.06.2006 - L 11 SO 8/06 Rn. 23; Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 17.09.2009 - S 22 SO 50/09 Rn. 37 f. jeweils juris; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 15c, 16). Eine Rechtspflicht zur Zahlung von Aufwendungen ist notwendig (Berlit in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009 § 22 Rn. 14).

Gemessen daran lagen die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen für die Wohnung in I im Zeitraum von März 2005 bis Januar 2007 nicht vor. Dabei ist vorliegend nicht die zivilrechtliche Konstellation, sondern vielmehr entscheidend, ob dem Kläger tatsächlich laufende Kosten entstanden sind. Dies ist eindeutig zu verneinen. Der Kläger hatte keinen tatsächlichen aktuellen Bedarf. Denn er hat nach seinem eigenem Vortrag keine Leistungen für die Unterkunft an Dritte weitergeleitet. Nicht von Bedeutung ist dabei, dass der Kläger sich auf die Ausübung von Minderungs- oder Zurückbehaltungsrechten beruft. Denn diese verringern auch die Leistungspflicht der Beklagten.

Eine andere Beurteilung folgt nicht aus dem Vortrag des Klägers, der Bezug der Leistungen sei rechtmäßig gewesen, da er zukünftig - nach einem möglichen Zivilrechtsstreit mit dem Vermieter - aus dem Miet- oder Nutzungsverhältnis Zahlungen zu leisten habe. Offen lassen kann der Senat dabei, ob der Vermieter Ansprüche aus einem Mietvertrag, einem Nutzungsverhältnis oder aus ungerechtfertigter Bereicherung vom geltend machen könnte und inwieweit diese zwischenzeitlich verjährt wären. Denn die Hausverwaltung hat auf Nachfrage des Senats namens und in Vollmacht des Eingentümers mit Schreiben vom 20.08.2010 mitgeteilt, dass keine Ansprüche gegenüber dem Kläger aus der Nutzung der Mietsache K-straße 00 in I verfolgt werden. An der Rechtsverbindlichkeit dieser Erklärung hat der Senat keinen Zweifel.

Zu Recht hat das SG die weiteren Voraussetzungen der rückwirkenden teilweisen Aufhebung der Bewilligungsbescheide bejaht. Das Vertrauen des Klägers auf den Bestand der Bewilligungsbescheide ist nicht schutzwürdig. Denn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X liegen vor. Der Kläger hat vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben gemacht. Auch die Voraussetzungen der Nr. 1 SGB X sind gegeben. Danach kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Der Kläger hat eine gefälschte Mietbescheinigung und einen gefälschten Mietvertrag vorgelegt, die ihn als Vertragspartei und Verpflichteten ausweisen. Der Kläger ist auch wegen Betruges und Urkundenfälschung verurteilt worden.

Hinsichtlich der Berechnung des Rückforderungsbetrages wird auf die zutreffenden Feststellungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 04.02.2008 verwiesen.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III waren die Verwaltungsakte mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, da die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X vorliegen. Unter diesen Voraussetzungen bestimmt § 330 Abs. 2 SGB III als lex spezialis, dass kein Ermessen auszuüben ist.

Die übrigen Voraussetzungen für die teilweise Rücknahme sind gegeben, insbesondere sind die erforderlichen Fristen eingehalten. Nach § 40 Abs. 2 S. 1, S. 2 SGB II folgt die Erstattung der zu Unrecht erbrachten Leistungen aus § 50 Abs. 1 SGB X. Eine Reduzierung kommt nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liege nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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