L 19 AS 1140/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 39 (33) AS 59/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1140/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 169/10 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 10.02.2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 21 Abs. 5 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Seit dem 01.01.2005 bezieht der am 00.00.1960 geborene Kläger Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II).

Mit Schreiben vom 14.12.2008 übersandte er der Beklagten den Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2009. Im Antragsformular gab er an, dass er seit 2005 aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfe. Durch Bescheid vom 23.12.2008 bewilligte die Beklagten dem Kläger Arbeitslosengeld II in Höhe von 351,00 EUR mtl. für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2009.

Hiergegen legte der Kläger Widerspruch mit der Begründung ein, dass ihm nicht alle von ihm beantragten Leistungen bewilligt worden seien. Durch Widerspruchsbescheid vom 10.03.2009 wies der Kreis L den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit Schreiben vom 30.01.2009 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen nach § 21 Abs. 5 SGB II ab dem 01.01.2009 und führte aus, dass er den Antrag auf Leistungen nach § 21 Abs. 5 SGB II vom 14.12.2008 aufrecht erhalte. Er legte eine ärztliche Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin E vom 30.01.2009 vor, wonach beim ihm wegen Hyperlipidämie, Hyperurikämie und Hypertonie/kardialen/renalen Ödemen eine lipidsenkende, purinreduzierte und natriumdefinierte Kost erforderlich sei. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 09.04.2009 ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies der Kreis L nach Einholung einer Stellungnahme des Amtsarztes T durch Widerspruchsbescheid vom 08.06.2009 als unbegründet zurück.

Mit Bescheid vom 22.06.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger Regelleistung in Höhe von 359,00 EUR mtl. für die Zeit vom 01.07. bis 31.12.2009. Gegen die Nichtgewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II legte der Kläger Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28.09.2009 als unzulässig verwarf.

Am 30.03.2009 hat der Kläger Klage gegen Bescheid vom 23.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2009 erhoben.

Er hat vorgetragen, dass er erhöhte Aufwendungen für kostenaufwändige Ernährung habe. Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2009 zu verurteilen, ihm Leistungen in gesetzlicher Höhe zu erbringen.

Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, dass der Kläger bereits in den vorherigen Bewilligungszeiträumen stets erhöhte Aufwendungen für eine kostenaufwändige Ernährung geltend gemacht habe, die sie ihm bislang versagt habe. Auf der Grundlage des Begutachtungsleitfadens für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung nach § 23 Abs. 4 Bundsozialhilfegesetzes (BSHG) des Arbeitsausschusses der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe und der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe von 2008 seien die vom Arzt des Klägers bescheinigten Krankheitsbilder nicht mit einer kostenaufwändigen Ernährung verbunden. Auch habe der Kläger zu keiner Zeit dargelegt, ob und welche Mehrkosten er tatsächlich für den von ihm angenommenen Mehrbedarf aufbringe oder aufbringen müsse. Es sei keine tatsächliche Belastung und Einschränkung im täglichen Lebensunterhalt nachvollziehbar dargelegt.

Durch Gerichtsbescheid vom 10.02.2010 hat das Sozialgericht Duisburg die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen. Der Gerichtsbescheid wurde am 01.03.2010 abgesandt.

Am 06.04.2010 hat der Kläger Berufung eingelegt.

Er verfolgt sein Begehren weiter. Sein behandelnder Arzt habe ihm drei Kostformen verordnet. Er müsse Lebensmittel zu sich nehmen, die während eines Tages weniger als 170 mg Purin enthielten, um ein Ansteigen der Harnsäurewerte mit der Gefahr der Erkrankung an einer Gicht zu vermeiden. Aufgrund der Hyperlipidämie sei ihm eine Kost mit wenig Cholesterin und gesättigten Fettsäuren verordnet worden. Er dürfe nur Lebensmittel mit weniger als 300mg Cholesterin täglich verwenden. Wegen seiner Hypertonie und seinen grenzwertigen Kreatininwerten dürfe er nur Lebensmittel, die weniger als 5g Natriumchlorid enthielten, verwenden. Durch diese Diäten entstünden ihm erhebliche zusätzliche Mehrkosten. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger keinen Antrag gestellt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Bezugnahme auf die "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., Stand 2008, sowie des diesen Mehrbedarfsempfehlungen zugrundeliegenden "Rationalisierungsschemas 2004" des Bundesverbandes deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände und der wissenschaftlichen Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu den Lebensmittelkosten bei einer vollwertigen Ernährung aus April 2008 abgelehnt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig (I) und unbegründet (II).

I. Richtige Beklagte ist die Stadt H. Sie ist Rechtsträgerin der Leistungen nach dem SGB II. Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 SGB II i.V.m. § 5 Abs. 2 u. 3 des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für das Land Nordrhein-Westfalen (AG-SGB II NRW i.d.F. vom 16.12.2004, GVBl NRW 821) und § 5 Kreisordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (KrO NW i.d.F. vom 14.07.1994, GVBl NRW 646) hat der Kreis L durch § 1 der Satzung über die Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II im Kreis L vom 20.06.2008 (Durchführungssatzung SGB II) der kreisangehörigen Stadt H die Durchführung der ihm als Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende obliegenden Aufgaben im eigenen Namen übertragen. Bei der Durchführung der Aufgaben nach § 1 der Durchführungssatzung SGB II wird die Stadt H mithin für den Kreis L tätig und ist im Außenverhältnis materiell verpflichtet (vgl. BSG Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 56/06 R). Die Übertragung der Aufgaben nach § 1, 2 der Durchführungssatzung SGB II umfasst u. a. die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen nach § 19 ff SGB II an einen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der im Gebiet der Stadt H seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Da die Stadt H dabei im eigenen Namen tätig wird, ist die Klage gegen die Stadt H und nicht gegen den Kreis L zu richten, auch wenn dieser Widerspruchsbehörde ist (§ 6 Abs. 2 S. 1 SGB II, § 3 Nr. 2 Durchführungssatzung SGB II) und eine Regelung entsprechend § 78 Abs. 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), wonach die Klage gegen denjenigen zu richten ist, der den beantragten Verwaltungsakt erlassen hat, im Sozialgerichtsgesetz (SGG) fehlt. Andernfalls bestünde die Gefahr einer Zuständigkeitsdivergenz, weil die kreisangehörige Gemeinde aufgrund ihrer Rechtsstellung auch während des laufenden Klageverfahrens berechtigt bliebe, über die streitbefangenen Zeiträume jederzeit abweichende Bescheide zu erlassen (vgl. LSG NW Urteil vom 11.08.2008 - L 19 AS 7/07).

Passiv legitimiert ist die Stadt H. Der Bürgermeister der Stadt H ist nicht der richtige Beklagte. Er ist als Behörde nicht prozessführungsbefugt für seine Rechtsträgerin, die Stadt H, die in sozialgerichtlichen Verfahren betreffend die Ansprüche nach dem SGB II zumindest passiv legitimiert ist (vgl. hierzu LSG NW Urteil vom 11.08.2008 - L 19 AS 7/07 -, und vom 08.02.2010 - L 19 (20) AS 45/09 - mit Darstellung des Meinungsstands).

Die Berufungsfrist nach § 151 Abs. 1 SGG ist gewahrt, da die Berufungsschrift des Klägers am Dienstag, den 06.04.2010, dem ersten Werktag nach den Osterfeiertagen bzw. dem Wochenende bei Gericht eingegangen ist.

II. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II für die Zeit vom 01.01 bis 31.12.2009. Der Kläger hat sich im erstinstanzlichen Verfahren gegen den Bescheid vom 23.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2009, in dem die Beklagte ihm eine Regelleistung als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 351,00 EUR mtl. für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2009 gewährt hat, gewandt und hat die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Leistungen in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGG begehrt. Nach § 96 Sozialgerichtsgesetz ist der Bescheid vom 22.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.09.2009, in dem die Beklagte die Regelleistung ab dem 01.07.2009 bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraums am 31.12.2009 auf 359,00 EUR mtl erhöht hat, Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden, da durch diesen Bescheid der Bescheid vom 23.12.2008 für die Zeit ab dem 01.07.2009 abgeändert worden ist. Ebenfalls ist der Bescheid vom 09.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2009 Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens nach § 96 SGG geworden, da er die im Bescheid vom 23.12.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.03.2009 konkludent enthaltene Ablehnung der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II bestätigt, mithin die Regelungsgegenstände der beiden Bescheide (teil)identisch sind (siehe zur Einbeziehung von Verwaltungsakten mit identischen Streitgegenstand in das Verfahren nach § 96 SGG: Leitherer in Meyer-ladewig/Leitherer/Keller, SGG, 9 Aufl., § 96 Rn 4b).

Der Streitgegenstand des Verfahrens ist im Berufungsverfahren weder zeitlich noch inhaltlich begrenzt worden. Die Weigerung des Klägers, im Berufungsverfahren einen konkreten Berufungsantrag zu Protokoll zu erklären, wertet der Senat unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes dahingehend, dass der Kläger im Berufungsverfahren sein erstinstanzliches Begehren vollumfänglich, d. h. seinen Anspruch auf Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II für die Zeit vom 01.01 bis 31.12.2009, weiterverfolgt.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Der Kläger ist nicht beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2009 zu.

Der Kläger hat zwar im Bewilligungszeitraum vom 01.01. bis 31.12.2009 die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II insofern dem Grunde nach erfüllt, als er in diesem Zeitraum das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet sowie seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik gehabt hat und ist erwerbsfähig i.S.v. § 8 SGB II gewesen. Dahinstehen kann, ob er im streitigen Bewilligungszeitraum hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II gewesen ist. Jedenfalls steht ihm im streitigen Bewilligungszeitraum kein Anspruch auf höhere Leistungen als bewilligt zu.

Die Beklagte hat dem Kläger für Januar bis Dezember 2009 die in § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II vorgesehene Regelleistung für Alleinstehende in voller Höhe gewährt. Die Höhe der für den Kläger anzusetzende Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich aus den Bestimmungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, wonach die Regelleistung für Alleinstehende ab dem 01.01.2009 351,00 EUR mtl. bzw. ab dem 01.07.2009 359,00 EUR mtl. beträgt. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die Vorschriften über die Höhe der Regelleistung, u. a. die des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II, mit dem Grundgesetz für unvereinbar erklärt. Daraus folgt aber nicht, dass einem Hilfebedürftigen ein höherer Anspruch auf Leistungen für einen zurückliegenden Zeitraum - wie im vorliegenden Fall - zusteht, vielmehr gilt die Vorschrift des § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II in der jeweils anzuwendenden Fassung bis zum 31.12.2010 fort. Der Gesetzgeber ist nur verpflichtet die Regelleistung für die Zukunft neu festzusetzen (BVerfG Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 = nach juris Rn 210 ff; Beschluss vom 18.02.2010 - 1 BvR 1523/08 -, Beschluss vom 24.03.2010 - 1 BvR 395/09; BSG Urteil vom 17.16.2010 - B 14 AS 17/10 R = nach juris Rn 16).

Die monatlichen Leistungen sind nicht um einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II zu erhöhen. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen zur Konkretisierung der Angemessenheit des Mehrbedarfs die hierzu vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen (im Folgenden: Mehrbedarfsempfehlungen) herangezogen werden (BT-Drucks. 15/1516 S 57). Dies entspricht der generellen Anknüpfung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an das Referenzsystem der Sozialhilfe (vgl. BT-Drucks. 15/1516 S 46,56). Bei der Erstellung dieser Mehrbedarfsempfehlungen, die schon im früheren Recht der Sozialhilfe nach § 23 Abs. 4 BSHG Anwendung fanden (vgl. BSG Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - Rn 25 = SozR 4-4200 § 21 Nr. 2 Rn 25), haben Wissenschaftler aus medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Fachbereichen zusammengearbeitet, die medizinisch notwendigen Ernährungsformen bei verschiedenen Krankheiten festgestellt und die Kostenunterschiede zur "Normalernährung" ermittelt. Die Pauschalbeträge für die krankheitsbedingten Mehrbedarfe wurden mit Hilfe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung auf der Basis eines Schemas der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin entwickelt. Die Mehrbedarfsempfehlungen wurden erstmals 1974 und 1997 in überarbeiteter Form ausgegeben und liegen nunmehr in dritter, völlig neu bearbeiteter Auflage 2008 vor.

Ob die Mehrbedarfsempfehlungen, die keine Rechtsnormen sind (BSG Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - Rn 26), in ihrer nunmehr vorliegenden Form die Bedeutung eines antizipierten Sachverständigengutachtens haben, kann dahinstehen. Für die 1997 in überarbeiteter Form herausgegebenen Mehrbedarfsempfehlungen hat die Rechtsprechung dies abgelehnt, weil seit 1996 erfolgte Entwicklungen nicht berücksichtigt und abweichende Auffassungen, die ebenfalls von Ärzten begründet worden waren und daher auf medizinischer Sachkunde beruhten, nicht berücksichtigt worden seien (BSG Urteile vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - Rn 26; vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 32/06 R - und vom 15.04.2008 - B 14/11 AS 3/07 R). Für die nunmehr vorliegende dritte, völlig neu bearbeitete Fassung der Mehrbedarfsempfehlungen gelten diese Vorbehalte nicht mehr, weil sie in Zusammenarbeit mit den Ärzten der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen, die den Begutachtungsleitfaden (Herausgeber Landschaftsverband Westfalen Lippe, Stand Januar 2002) erstellt haben, und unter Zugrundelegung des "Rationalisierungsschemas 2004" des Bundesverbandes deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände (www.daem.de/docs/rationalisierungsschema2004.pdf) sowie einer wissenschaftlichen Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu den Lebensmittelkosten bei einer vollwertigen Ernährung vom April 2008 (www.dge.de/pdf/ws/lebensmittelkosten-vollwertige-ernaehrung.pdf) entwickelt worden sind (vgl. Mehrbedarfsempfehlungen unter II. 1. und 2.). Für die nunmehr geltenden Empfehlungen wird daher die Annahme eines antizipierten Sachverständigengutachtens befürwortet (vgl. LSG Sachsen Urteile vom 27.08.2009 - L 3 AS 245/08 - und vom 22.06.2009 - L 7 AS 250/08 -; LSG Bayern Urteil vom 23.04.2009 - L 11 AS 124/08 -; LSG Mecklenburg-Vorpommern Urteil vom 09.03.2009 - L 8 AS 68/08).

Auch für die früheren Mehrbedarfsempfehlungen ist anerkannt gewesen, dass sie als Orientierungshilfe dienen können und weitere Ermittlungen im Einzelfall nur dann erforderlich sind, sofern Besonderheiten, insbesondere von den Mehrbedarfsempfehlungen abweichende Bedarfe, geltend gemacht werden (BSG Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - Rn 28). Letzteres muss für die nunmehr vorliegende Fassung erst recht gelten, weil diese die einheitliche Auffassung der medizinischen Wissenschaft in diesen Fragen wiedergibt und die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigt (vgl. LSG NW Urteil vom 15.03.2010 - L 19 (20) AS 50/09 - m.w.N.).

Nach dieser Fassung der Mehrbedarfsempfehlungen erfordern die beim Kläger von dem behandelnden Arzt bescheinigten drei Erkrankungen - Hyperlipidämie, Hypertonie und Hyperurikämie - in der Regel eine Vollkost, deren Beschaffung keine erhöhten Kosten verursacht. Da die drei Erkrankungen dieselbe Ernährungsart - Vollkost - erforderlich machen, kann auch aus der Kumulierung dieser Krankheiten nicht die Notwendigkeit einer Krankenkostzulage resultieren. Der Senat konnte nicht feststellen, dass beim Kläger ein Ausnahmefall vorliegt, der eine von der Vollkost entsprechend der Definition des Rationalisierungsschemas 2004 abweichende Ernährung verbunden mit höherem Kostenaufwand erfordert. Aus der Bescheinigung des behandelnden Arztes E vom 30.01.2009 folgt das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls nicht. Zwar hat dieser beim Kläger die Erforderlichkeit einer lipidsenkenden, purinreduzierten und natriumdefinierten Kost bestätigt. Er verwendete dabei aber ein Formular, dessen Aufbau auf den Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe Stand 1997 basiert. Bei der danach erforderlichen Kostform handelt es sich um spezielle Ausformungen der Vollkost nach den Vorgaben des Rationalisierungsschemas aus 1994 (vgl. Seite 9 der Mehrbedarfsempfehlungen), das 2004 überarbeitet worden ist. Nach dem von den medizinischen Fachverbänden ausgearbeiteten Rationalisierungsschema aus 2004, das als Orientierungshilfe für die Anwendung der Vollkost und wichtiger und häufig gebrauchter Kostformen dienen soll und den Mehrbedarfsempfehlungen von 2008 zugrunde liegt, unterscheidet sich die Basiskost, d.h. die Vollkost, in ihrer Zusammensetzung aber nicht von der im Rahmen der Primärprävention zur Gesunderhaltung empfohlenen Ernährungsweise; sie erfüllt die Bedingungen der Ernährungstherapie bei Dyslipoproteinämien, bei Hyperurikämie/Gicht sowie bei arterieller Hypertonie und Ödemen. Aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung ergeben sich keine konkrete Anhaltspunkte, dass eine Vollkost, entsprechend der Definition im Rationalisierungsschema 2004, nicht die beim Kläger erforderlichen Bedingungen der Ernährungstherapie erfüllt.

Soweit der Kläger geltend macht, dass er wegen seiner Erkrankungen auf eine tägliche Ernährung angewiesen sei, die weniger als 300mg Cholesterin, weniger als 170 mg Purin sowie weniger als 5g Natriumchlorid enthalte, ergibt sich hieraus kein von den Mehrbedarfsempfehlungen abweichender Bedarf. In dem Rationalisierungsschema des Bundesverbandes deutscher Ernährungsmediziner und anderer Fachverbände aus 2004 (www.daem.de/docs/rationalisierungsschema2004.pdf) ist Vollkost als eine Kost definiert, die den Bedarf an essenziellen Nährstoffen deckt (Nr. 1), in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf berücksichtigt (Nr. 2), Erkenntnisse der Ernährungsmedizin zur Prävention und zur Therapie berücksichtigt (Nr. 3) und in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist, soweit Punkt 1 - 3 nicht tangiert werden (Nr. 4), vgl. auch Bl. 16 der Mehrbedarfsempfehlungen. Sie soll sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. orientieren, wonach maximal 2 bis 3 mal pro Woche eine Fleisch- oder Wurstmahlzeit, 1 bis 2 mal pro Woche eine Seefischmahlzeit zur Erhöhung der n-3-Fettsäurenzufuhr erfolgen kann und ansonsten eine vegetarische Ernährung zu bevorzugen ist, wobei die Regel "5-am-Tag" (fünf Portionen Obst und Gemüse am Tag) gewährleistet, dass die Cholesterinzufuhr von 300mg/Tag nicht überschritten und die Natriumzufuhr auf höchstens 2,4g/Tag (entspricht weniger als 6g Kochsalz/Tag) begrenzt sein soll. Die vom Kläger geltend gemachten Anforderungen an seine Ernährung - eine Cholesterinzufuhr von weniger 300mg/Tag und Natriumchloridzufuhr von nicht mehr als 5g/Tag - werden somit durch eine Vollkost nach diesen Vorgaben gewahrt. Der Aufwand für eine solche Vollkost kann nach den Ermittlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. durch den in der Regelleistung enthaltenen Anteil für Lebensmittelkosten gedeckt werden. Des weiteren erfüllt die Vollkost auch nach den Festlegungen in dem Rationalisierungsschema 2004 die Bedingungen der Ernährungstherapie bei Hyperurikämie und Gicht. Soweit in dem Rationalisierungsschema 2004 die Verwendung von purinarmen bzw. -freien Eiweißquellen - wie Milch, magere Milchprodukte und Ei sowie maßvolle Portionsgrößen von Fleisch, Fleischwaren oder Fisch (ca. 150 g) - empfohlen wird, sind diese in den Mengevorschlägen, die den Ermittlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. hinsichtlich der Höhe des Aufwands für eine vollwertige Ernährung zugrundegelegen haben, in ausreichendem Maße berücksichtigt.

Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts vom Amts wegen ist nicht möglich, da der Kläger trotz des Hinweises auf seine Mitwirkungspflicht und den Erkenntnisstand des Senats ohne weitere Ermittlungen seinen behandelnden Arzt im Berufungsverfahren nicht von der Schweigepflicht entbunden hat. Der Kläger trägt die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II.

Auch haben die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB II oder eines Sonderbedarfs nach § 23 Abs. 3 SGB II im Bewilligungszeitraum vom 01.01. bis 31.12.2009 nicht vorgelegen. Es sind nach Aktenlage keine Anhaltspunkte für das Bestehen eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB II oder eines Sonderbedarfs nach § 23 Abs. 3 SGB II ersichtlich. Das Vorliegen solcher Bedarfe ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag des Klägers. Ebenso hat beim Kläger im Bewilligungszeitraum keine atypische Bedarfslage bestanden (vgl. zu Ansprüchen bei atypischen Bedarfslagen: BSG Urteil vom 19.08.2010 - B 14 AS 13/10 R). Weder nach Aktenlage noch aus dem Vortrag des Klägers ergeben sich Hinweise auf eine atypische Bedarfslage.

Desweiteren besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Übernahme von Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II. Der Anfall von tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung i.S.v. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ergibt sich weder aus der Verwaltungsakte der Beklagten noch sind solche Kosten vom Kläger im Gerichtsverfahren geltend gemacht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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