S 26 AS 352/10 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 26 AS 352/10 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 22 Abs. 2 a SGB II bezieht sich nicht auf einen weiteren Umzug nach dem ersten Auszug aus dem Elternhaus. Dies gilt jedenfalls dann, wenn beim Auszug aus dem Elternhaus keine Hilfebedürftigkeit vorlag.
2. Auf einen Umzug von Hilfebedürftigen, die keine Kosten für Unterkunft und Heizung erhalten, ist § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II nicht anwendbar.
3. Werden mit einem Bewilligungsbescheid ohne Begründung die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht bewilligt, so ist nach § 41 Abs. 3 S. 1 SGB X i. V. m. § 27 SGB X Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist zu bewilligen.
4. Angesichts der langen Verfahrenslaufzeiten im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren kommt bei einer vorläufigen Bewilligung im Rahmen einer einstweiligen Anordnung auch eine Befristung von 12 Monaten in Betracht.
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern ab dem 15. März 2010 vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, jedoch längstens für zwölf Monate, Kosten der Unterkunft und Heizung zu zahlen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

I.

Die Antragsteller zu 1 und 2 zogen zum Mai 2007 in eine Wohnung in XY. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der Antragsteller zu 1 und verdient dabei ca. 900 bis 1.000 EUR im Monat. Leistungen von dem für XY. zuständigen Träger der SGB II-Leistungen beantragten und erhielten sie nicht.

Zum 1. Februar 2008 zogen die Antragsteller in eine Wohnung nach A-Stadt, die sie zunächst mit Herrn H. gemeinsam bewohnten. Herr H. zog zum Ende April 2008 aus. Zum 1. Dezember 2009 zogen die Antragsteller in eine neue Wohnung in A-Stadt, die 373 EUR warm kostet. Davon entfallen 100 EUR auf die Heizkosten und 80 EUR auf die Nebenkosten.

Seit 2008 erhalten die Antragsteller nur den Regelsatz von der Antragsgegnerin. Eine schriftliche Begründung dafür enthielten die Bewilligungsbescheide nicht.

Mit Bescheid vom 26. Januar 2010 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern erneut ohne schriftliche Begründung nur die jeweiligen Regelsätze für Februar bis April 2010.

Mit Bescheid vom 12. März 2010 änderte die Antragsgegnerin die Leistungen der Antragsteller ab.

Im Erörterungstermin vom 26. April 2010 legte der Antragstellervertreter für die Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. Januar 2010 ein und beantragte unter Berufung auf § 41 Abs. 3 S. 1 SGB X die Widereinsetzung in die Widerspruchsfrist.

Die Antragsteller behaupten, jetzt erst durch Dritte darauf aufmerksam gemacht worden zu sein, dass ihnen Kosten für Unterkunft und Heizung zustehen könnten. Die Arbeit in A Stadt habe der Antragsteller zu 1 aufgrund eines Arbeitsunfalls aufgeben müssen.

Die Antragsteller beantragen,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern Kosten der Unterkunft und Heizung auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Antrag abzulehnen.

Den Antragstellern stehe aufgrund der Regelungen des § 22 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2a SGB II kein Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung zu. Im Übrigen sei für Februar bis April 2010 über den Anspruch auf Arbeitslosengeld II mit bestandskräftigem Bescheid vom 26. Januar 2010 entschieden worden. Der Änderungsbescheid vom 12. März 2010 habe nicht über Kosten für Unterkunft und Heizung entschieden.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

II.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, NVwZ 2005, 927 ff).

Ein Anordnungsanspruch liegt vor. Die Antragsteller haben einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II.

Die Antragsteller zu 1 und 2 sind, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, im streitigen Zeitraum erwerbsfähige Hilfebedürftige im Sinne des § 19 SGB II. Sie haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II), sie überschreiten das Alter von 15 Jahren und unterschreiten die Altersgrenze des § 7a SGB II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II) und sie sind erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), d.h. es ist mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon auszugehen, dass die Antragsteller nicht wegen Krankheit oder Behinderung außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II).

Die Antragsteller sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II hilfebedürftig. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II unter anderem derjenige, der seinen eigenen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die nötige Hilfe auch nicht von anderen erhält. Dies ist bei den Antragstellern der Fall, da sie ihren Bedarf an Mitteln zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht selbst decken können und hierzu auch keine Leistungen von Dritten erhalten.

Ihr Bedarf zum Lebensunterhalt bemisst sich nur nach § 19 S. 1 Nr. 1 SGB II (Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung). Ein zusätzlicher Bedarf im Sinne des Zuschlags gemäß § 24 SGB II besteht nicht. Anhaltspunkte für einen Mehrbedarf gemäß § 21 SGB II fehlen ebenfalls.

Der Anspruch der Antragsteller auf Leistungen nach § 22 SGB II ist auch nicht nach § 22 Abs. 2a SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift werden Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und umziehen, Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Dem Wortlaut nach liegen die Voraussetzungen dieser Norm vor. Die Antragsteller sind in die gemeinsame Wohnung nach XY. und danach in die Wohnungen nach A-Stadt gezogen, ohne die Zusicherung der Antragsgegnerin bzw. des zuständigen Trägers für XY. einzuholen. Allerdings ist § 22 Abs. 2a SGB II einschränkend auszulegen. Wie der vierte Satz des Absatz 2a verdeutlicht, bezieht sich die Vorschrift nur auf Hilfebedürftige, die während des Bezugs oder nach der Beantragung von Leistungen umziehen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 2. Juli 2009, L 3 AS 128/08, Juris-Rn. 36 m.w.N.). Zusätzlich ist die Vorschrift auch auf den erstmaligen Bezug einer neuen Wohnung begrenzt (SG Dresden, Beschluss vom 3. November 2009, S 10 AS 5249/09 ER, Juris-Rn. 19; Münder-Berlit, SGB II, 3. Auflage 2009, § 22, Rn. 87). Dem Gesetzgeber ging es darum, den kostenträchtigen Erstbezug einer eigenen Wohnung durch Personen zu begrenzen, die bisher wegen Unterstützung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft keinen eigenen Anspruch hatten oder als Teil einer Bedarfsgemeinschaft niedrigere Leistungen bezogen haben (BT-Drs. 16/688 S. 14). In den Fällen, in denen – wie hier – die Personen ihren Lebensunterhalt beim ersten Auszug aus dem Elternhaus zunächst selbst bestreiten, kann dieser Zweck nicht mehr erreicht werden. Wer bereits auf eigenen Füssen stand, kann nicht auf die Möglichkeit der Rückkehr ins Elternhaus verwiesen werden. Ob etwas anderes gilt, wenn der erste Auszug ersichtlich zur Umgehung der Regelung des § 22 Abs. 2a SGB II erfolgt, kann dahinstehen bleiben. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte. Auf die Umzüge von XY. nach A-Stadt und innerhalb von A-Stadt kommt es nach diesem Verständnis der Vorschrift nicht mehr an.

Ein Ausschluss ergibt sich auch nicht aus § 22 Abs. 2a S. 4 SGB II. Danach werden Leistungen für Unterkunft und Heizung Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht erbracht, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen. Für eine solche Absicht liegen keine Anhaltspunkte vor. Schon der Zeitraum von fast einem Jahr vom Auszug aus dem Elternhaus bis zur Beantragung von Leistungen schließt eine solche Annahme aus.

Der Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung ist auch nicht nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II beschränkt. Nach dieser Norm werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden angemessenen Aufwendungen erbracht, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen. Umzug im Sinne dieser Vorschrift ist nur ein Umzug innerhalb des örtlichen Bereichs. Dazu hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Urteil vom 17. Juli 2010, L 7 AS 1300/08, Juris-Rn. 28 f) wie folgt ausgeführt: Diese Begrenzung ist zwar, wie die Beklagte zutreffend einwendet, dem gesetzlichen Wortlaut nicht unmittelbar zu entnehmen; sie ergibt sich jedoch aus dem mit der Regelung verfolgten Zweck [ ]. In der amtlichen Begründung zur Neuregelung (BT-Drucks. 16/1410 S. 23 zu Nummer 21) wird ausgeführt: "Mit der Regelung werden die Kosten der Unterkunft und Heizung in den Fällen, auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt, in denen Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen." Motiv der Neuregelung war es mithin, Kostensteigerungen zu Lasten des kommunalen Trägers entgegenzuwirken, die dadurch entstehen, dass Hilfebedürftige durch Umzug die maßgebliche Angemessenheitsgrenze "ohne Not" voll ausschöpfen, obwohl sie bereits in einer angemessenen – aber preiswerteren - Wohnung leben. Die Regelung bezieht sich auf die örtlich angemessenen Unterkunftskosten, zu deren Ermittlung in der Regel auf den Wohnortbereich abzustellen ist [ ]. Jeder Leistungsträger hat demnach die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung für seinen jeweiligen Zuständigkeitsbereich selbst zu ermitteln [ ]. Auch die Gesetzesbegründung bezieht sich nur auf die durch "den" kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen. Damit kann im Zusammenhang nur der für den bisherigen Wohnort zuständige Träger gemeint sein. Maßgeblich ist also, dass die Angemessenheitsgrenze ausgeschöpft werden sollte, die durch diesen Träger festgelegt ist. Zieht der Hilfebedürftige jedoch in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers, bzw. in einen Wohnortbereich, für den eine abweichende Angemessenheitsgrenze gilt, kann die ursprünglich geltende gerade nicht mehr "ausgeschöpft" werden. Der vom Gesetzgeber in den Blick genommene "Missbrauchsfall" kann also nicht entstehen.

Gegen die von der Beklagten zugrunde gelegte Auslegung des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II sprechen auch verfassungsrechtliche Erwägungen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob die Regelung mit der von der Beklagten vorgenommenen Auslegung verfassungswidrig wäre. Maßgeblich ist vielmehr, dass die Gesetzesbegründung keinerlei Ausführungen zu verfassungsrechtlichen Bezügen, Grundrechtseingriffen und deren Rechtfertigung enthält. Dies wäre jedoch wegen der verfassungsrechtlichen Bedeutung einer Regelung mit dem von der Beklagten angenommenen Inhalt zu erwarten gewesen. Gälte § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II auch bei einem Umzug in einen anderen Wohnortbereich i.S.d. § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II, insbesondere in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Trägers, beeinträchtigte die Regelung das Grundrecht des Hilfebedürftigen auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Dieses umfasst das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnung zu nehmen; hierzu gehört auch die Freizügigkeit zwischen Ländern, Gemeinden und innerhalb einer Gemeinde (Bundesverfassungsgericht (BVerfG) BVerfGE 2, 266; BVerfGE 110, 177). Zwar hinderte eine solche Regelung einen Hilfebedürftigen nicht unmittelbar an der freien Wahl des Wohnortes. Sie knüpfte aber an eine Wahl, die höhere Kosten der Unterkunft und Heizung zur Folge hätte, eine sozialrechtlich nachteilige Rechtsfolge. Grundrechte können jedoch auch durch mittelbare Maßnahmen beeinträchtigt werden. Das Grundgesetz bindet den Schutz vor Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht an den Begriff des Eingriffs oder gibt diesen inhaltlich vor. Auch staatliche Maßnahmen, die eine mittelbare oder faktische Wirkung entfalten, können Grundrechte beeinträchtigen und müssen daher von Verfassungs wegen hinreichend gerechtfertigt sein. Solche Maßnahmen können in ihrer Zielsetzung und Wirkung einem normativen und direkten Eingriff gleichkommen und müssen dann wie ein solcher behandelt werden. Auch das Vorenthalten einer Sozialhilfeleistung, die an die Wahl des Wohnortes anknüpft, kann daher einen Eingriff in das Freizügigkeitsgrundrecht darstellten (BVerfGE 110, 177; Hess. VGH FEVS 35, 417). Dem schließt sich das Gericht nach eigener Prüfung vollumfänglich an. Der Umzug der Antragsteller von XY. nach A-Stadt ist daher nicht an § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II messbar.

Der Umzug innerhalb von A-Stadt könnte hingegen grundsätzlich an diesem Maßstab gemessen werden. Allerdings greifen auch hier erhebliche Einwände. Die Aufwendungen der Antragsteller selbst haben sich nach dem Umzug tatsächlich erhöht. Allerdings sind diese bisher nicht von der Antragsgegnerin übernommen worden, so dass sich die Aufwendungen der Antragsgegnerin durch den Umzug im Dezember 2009 nicht verändert haben. Die Rechtsfolge des § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II sieht aber die Beschränkung auf die vor dem Umzug geleisteten Aufwendungen vor. Dies würde bedeuten, dass nach dem Umzug keine Kosten zu übernehmen wären, weil zuvor auch keine Kosten gewährt wurden. Eine solche Rechtsfolge ist in dieser Vorschrift aber ersichtlich nicht angelegt. Auch hier ist eine einschränkende Auslegung erforderlich. Wem keine Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt werden, dem kann ein nicht erforderlicher Umzug auch nicht entgegen gehalten werden. Letztlich sind die Antragsteller hinsichtlich § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II so zu stellen, als wären sie vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II umgezogen. Dies liegt auch nahe, da sie den selbständigen, hier relevanten Teil des Arbeitslosengeldes II, nämlich die Kosten für Unterkunft und Heizung, nicht erhalten haben. Im Übrigen wäre auch noch zu prüfen, ob der Umzug vielleicht ohnehin erforderlich gewesen ist.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer Bindungswirkung des Bewilligungsbescheids vom 26. Januar 2010. Der Bescheid wäre für die Beteiligten bindend, wenn er nicht rechtzeitig mit dem Widerspruch angegriffen worden wäre, § 77 SGG. Der Widerspruch erfolgte erst im Erörterungstermin vom 26. April 2010, also nach Ablauf der Monatsfrist des § 84 Abs. S. 1 SGG. Allerdings ist der Widerspruch nicht verfristet, da den Antragstellern nach § 27 SGB X i.V.m. § 41 Abs. 3 S. 1 SGB X Wiedereinsetzung zu gewähren ist. Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, gilt nach § 41 Abs. 3 Satz 1 SGB X die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet, so dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X erfolgt. Die Antragsteller weisen zutreffend darauf hin, dass es für sie nicht erkennbar war, dass die Bewilligung von Kosten für Unterkunft und Heizung abgelehnt wurde. Es liegt nahe, dass sie aufgrund der fehlenden Begründung des Bescheids keinen Widerspruch eingelegt haben. Die durch die Antragsgegnerin vorlegten Vermerke deuten zwar darauf hin, dass mit den Antragstellern auch über Kosten für Unterkunft und Heizung gesprochen wurde, doch ist nicht ersichtlich, dass den Antragstellern erkennbar sein musste, dass sie einen solchen Anspruch haben könnten. Die versäumte Rechtshandlung ist auch rechtzeitig, nämlich nach einem entsprechenden Hinweis des Gerichts, nachgeholt worden.

Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor. Bei Grundsicherungsleistungen ist bei Vorliegen eines Anspruchs der Anordnungsanspruch in der Regel indiziert. Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II dienen nämlich der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens, also der Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutz der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt. Wenn das Existenzminimum über Monate ungedeckt bliebe, wäre dies eine erhebliche Beeinträchtigung, die auch nachträglich bei einem erfolgreichen Abschluss des Widerspruchs- oder Klageverfahrens nicht mehr beziehungsweise nur mit längerer Verzögerung ausgeglichen werden könnte. Der elementare Lebensbedarf eines Menschen kann grundsätzlich nur in dem Augenblick befriedigt werden, in dem er entsteht (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19.11.2007, L 7 AS 282/07 ER, Juris-Rn. 28). Eine abweichende Betrachtung ist daher auch nicht deswegen berechtigt, weil die Antragsteller über einen längeren Zeitraum ohne die Kosten für Unterkunft und Heizung ausgekommen sind.

Das Gericht geht von einer Verpflichtung der Antragsgegnerin für längstens zwölf Monate aus (so im Ergebnis auch Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13. März 2010, L 6 AS 516/09 B ER, Juris-Rn. 16). Damit berücksichtigt das Gericht die derzeit langen Verfahrenslaufzeiten von Widersprüchen bei den Trägern der Grundsicherung und von Hauptsacheklagen bei den Sozialgerichten. Es ist den Antragstellern nicht zuzumuten, nach Ablauf der üblichen Frist von sechs Monaten ein erneutes Eilverfahren anzustrengen, obwohl sich an der hier entschiedenen Rechtsfrage keine Änderung ergeben hat. Eine Vorwegnahme der Hauptsache droht durch die Verlängerung der Frist nicht, da die Antragsgegnerin nur zu einer vorläufigen Bewilligung verpflichtet ist. Allerdings kann auf eine Haltbarkeitsfrist neben der Begrenzung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht generell verzichtet werden, da aufgrund der Eilsituation und der deswegen eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten ein Beschluss im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nicht immer die notwendige Sicherheit für zu langfristige Regelungen bieten kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Beschwerde ist nach den §§ 172 Abs. 3 Nr. 1, 143, 144 SGG für die Antragsgegnerin zulässig, da in der Hauptsache der Wert der Beschwer von 750 EUR in einer Hauptsache überschritten würde.
Rechtskraft
Aus
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