L 7 AS 1385/10 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 39 AS 1159/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1385/10 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 06.07.2010 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Duisburg vom 06.07.2010 ist gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unbegründet.

1. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts (LSG), wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Diese Voraussetzung liegt, bezogen auf einen Bewilligungsabschnitt von fünf oder sechs Monaten, vor.

a. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung auch durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit; vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 144 Rn. 28; § 160 Rn. 6 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG]). Ein Individualinteresse genügt nicht (Leitherer a. a. O., § 144 Rn 28 f. mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein.

Die Frage, ob ein Hilfebedürftiger aufgrund einer Erkrankung einer besonderen kostenintensiven Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II bedarf, ist abhängig von dessen individuellen Verhältnissen und begründet deshalb keine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung i.S.v. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG (vgl. LSG Sachsen - Beschluss vom 15.02.2010 - L 3 AS 780/09 NZB - Rn 29; LSG Berlin-Brandenburg - Beschluss vom 09.12.2009 - L 10 AS 1717/09 NZB - Rn 4). Insoweit ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt, dass zur Bewertung der Erforderlichkeit und des Umfangs eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs auf die "Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. abgestellt werden darf (BSG, Urteile vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 64/06 R - Rn. 26, 28 und - B 14/7b AS 32/06 - Rn. 39), solange keine Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen. Unabhängig von der in der Rechtsprechung (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14/11b AS 3/07 R; LSG NRW, Urteil vom 22.07.2007 - L 19 AS 41/08; LSG NRW, Beschluss vom 14.01.2010 - L 7 B 480/09 AS; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.02.2009 - L 9 B 339/08 AS; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19.12.2008 - L 8 B 386/08 AS) noch ungeklärten Frage der Rechtsqualität dieser Empfehlungen, etwa als antizipiertes Sachverständigengutachten, enthalten diese Empfehlungen vom 01.10.2008 jedenfalls Erfahrungsätze für die dort typisierten Regelfälle. Weitere Ermittlungen sind im Einzelfall nur dann erforderlich, wenn Besonderheiten, insbesondere von den Mehrbedarfsempfehlungen abweichende Bedarfe geltend gemacht werden. Unerheblich ist, dass die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht zu den ab Oktober 2008 gültigen Empfehlungen ergangen ist. Daraus ergibt sich keine Klärungsbedürftigkeit, da die in einem qualitativ gleichwertigen Verfahren erhobenen neuen, den Fortschritt der Wissenschaften berücksichtigenden Mehrbedarfsempfehlungen an die Stelle eines überholten Sachstandes getreten sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.12.2009 - L 10 AS 1717/09 NZB - Rn 4).

b. Der Gerichtsbescheid des SG Duisburg vom 06.07.2010 weicht nicht von einer Entscheidung des LSG (oder des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts) ab gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG.

c. Ein Verfahrensmangel gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG liegt nicht vor.

Ein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht ist nicht gegeben (§ 103 SGG). Das SG musste sich auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung nicht gedrängt fühlen, den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären: Zum einen bescheinigt der behandelnde Arzt Dr. All im März 2010 nur die Notwendigkeit einer "fettarmen Kost" wegen einer "alkoholischen Leberzirrhose". Damit hat die Klägerin keine Tatsachen für einen vom Regelfall abweichenden atypischen Fall vorgetragen. Zum anderen wird der Vortrag, die Empfehlungen vom 01.10.2008 seien nicht mehr Ausdruck der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, nicht substantiiert. Die Notwendigkeit weiterer Ermitlungen folgt auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, dass Datengrundlage für die "Wissenschaftliche Ausarbeitung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e.V. zur Berechnung der Lebensmittelkosten für eine vollwertige Ernährung" aus 2008 (DGE 2008) - wie auch für die Bemessung der Regelsätze - die Einkommens- und Verbraucherstichprobe des Statistischen Bundesamtes 2003 (EVS 2003) ist und somit zwischenzeitlich eingetretene Veränderungen der Regelleistungen und des Preisniveaus keine Berücksichtigung gefunden haben. Die Studie der DGE, die das wissenschaftliche Gerüst der Empfehlungen des Deutschen Vereins darstellt, erbrachte auf der Basis der EVS 2003 den Nachweis, dass bei einem für den Bereich der Grundsicherung notwendigen "preisbewussten Einkaufsverhalten" einerseits die Vollkost mit ca. 4,- EUR täglich zu finanzieren ist, andererseits für einen Haushaltsvorstand für Nahrungsmittel und Getränke - inc. Tabakwaren - täglich 4,52 EUR zur Verfügung stehen. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass diese Ansätze bereits für den hier maßgeblichen Zeitraum von Dezember 2009 bis Mai 2010 als überholt anzusehen sind.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

4. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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