L 4 KR 83/98

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 KR 94/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 83/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Kosten eines Hubschraubertransports von einem zur Versorgung nicht
geeigneten Krankenhaus in ein geeignetes sind zu erstatten.
2. In Notfällen sind geringere Anforderungen an die Formalien ärztlicher
Verordnung sowie an die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit zu stellen.
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 31. März 1998 und unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 29. Juni 1994 und 8. September 1994 sowie unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 6. Oktober 1995 verurteilt, die Kosten des Hubschraubertransports am 30. März 1994 in Höhe von DM 20.240,- zuzüglich der Zinsen sowie unter Berücksichtigung der Eigenbeteiligung zu erstatten.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung von Fahrkosten für einen Hubschraubertransport.

Der am ...1920 geborene Kläger, der zuletzt bis 1972 als Prüfarzt für die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns tätig war, ist bei der Beklagten freiwillig versichert.

Er erlitt am 30.03.1994 während eines Aufenthalts in Bad Kissingen nach zwei früheren Schlaganfällen einen weiteren ischämischen Hirninfarkt sowie einen Herzinfarkt. Er wurde um 10.3o Uhr dieses Tages im St.-Elisabeth-Krankenhaus in Bad Kissingen in der Inneren Abteilung stationär aufgenommen. Das Krankenhaus ist nach dem Schreiben des Chefarztes Dr ... vom 03.06.1994 ein Haus der Grundversorgung ohne Spezialabteilungen. Gegen 13.oo Uhr wurde der Kläger von einem Oberarzt des Krankenhauses zur Visite gesehen; hierbei wurde eine sensomotorische linksseitige Hemiparese festgestellt. Der Arzt hatte vorgesehen, den Kläger später am Aufnahmetag mittels eines Computertomographen in einer radiologischen Praxis in Bad Kissingen untersuchen und am nächsten Tage entweder in die Neurologische Abteilung des Leopoldina-Krankenhauses Schweinfurt oder in die Neurologische Universitäts-Klinik Würzburg verlegen zu lassen. Gegen 13.3o Uhr teilte der in Ingolstadt als Vertragsarzt niedergelassene Dr ... dem zuständigen Krankenhausarzt (Dr ...) mit, daß der Kläger in die Neurologische Abteilung des Krankenhauses München-Harlaching, in eine sogenannte "Stroke Unit", mit dem Hubschrauber verlegt werden solle. Der Kläger wurde gegen 15.3o Uhr mit dem Hubschrauber abgeholt und nach München geflogen. Der Krankenhausarzt Dr ... hatte auf dem am 30.03.1994 ausgestellten Formular "Intensivtransport" unter der Rubrik "Begründung für Notwendigkeit" angegeben: Sensomotorische Hemiparese ...V.a. intracerebrale Blutung". Die Kosten für den Flug betrugen laut Rechnung der Firma ... vom 31.03.1994 20.240,- DM.

Die Beklagte lehnte mit dem ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 29.06.1994 eine Kostenübernahme vorbehaltlich eines anderen Ergebnisses der Überprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) ab. Dr ... (MDK Rheinland-Pfalz) stellte im sozialmedizinischen Gutachten vom 08.08.1994 unter anderem fest, ein akuter Schlaganfall bedürfe nach neueren Erkenntnissen der Medizin einer schnellen neurologischen Behandlung in einer Intensivstation; die Verlegung eines Schlaganfallpatienten mit Hubschrauber sei jedoch ungewöhnlich.

Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 18.08.1994 an und lehnte mit Bescheid vom 08.09.1994 Kostenerstattung mit der Begründung ab, eine sofortige Verlegung unmittelbar nach der Aufnahme in das Krankenhaus sei medizinisch nicht erforderlich gewesen bzw. die Behandlung hätte im Leopoldina-Krankenhaus in Schweinfurt sichergestellt und der Transport mit einem Rettungswagen durchgeführt werden können.

Auf den Widerspruch des Klägers holte die Beklagte ein Gutachten der "MD ... - Ärztliche Dienste weltweit" vom 21.06.1995 ein, das zu dem Ergebnis gelangte, in Anbetracht der Diagnose des Klägers stelle ein Hubschrauberverlegungstransport zur Neurologischen Abteilung im Städtischen Krankenhaus München Harlaching keinen lebensrettenden Notfalltransport dar. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 06.10. 1995 die Kostenübernahme für den Transport mit dem Rettungshubschrauber in Höhe von 20.240,-DM ein weiteres Mal ab, übernahm aber die durch die Verlegung in das Städtische Krankenhaus München-Harlaching entstandenen Mehrkosten in Höhe von 4.967,12 DM.

Der Kläger hat mit der Klage vom 25.10.1995 beim Sozialgericht Regensburg (SG) geltend gemacht, der Chefarzt der Abteilung für Neurologie am Städtischen Krankenhaus München-Harlaching, Prof.Dr ..., habe die Verlegung befürwortet und der Krankenhausarzt Dr ... (St.-Elisabeth-Krankenhaus, Bad Kissingen) habe den Krankentransport verordnet. Überdies liege eine ärztliche Verordnung von Dr ... vor, der den Kläger jahrelang behandelt habe. Das St.-Elisabeth-Krankenhaus Bad Kissingen sei mit der Behandlung eines Schlaganfalls überfordert gewesen. Demgegenüber hat die Beklagte die Ansicht vertreten, der Krankenhausarzt habe lediglich den Hubschraubertransport bestätigt, aber nicht angordnet. Der Transport sei für den Kläger auch gesundheitlich belastend gewesen.

Das SG hat mit Urteil vom 31.03.1998 die Klage mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für den Hubschraubertransport bestehe nicht. Es fehle an der Verordnung des behandelnden Arztes. Auch ein Notfall liege nicht vor, da der Kläger im St.-Elisabeth-Krankenhaus in Bad Kissingen in ärztlicher Behandlung gewesen sei. Vielmehr handele es sich im vorliegenden Fall um eine Selbstbeschaffung einer Kassenleistung, ohne daß der Kläger der Beklagten Gelegenheit gegeben hätte, über die Leistung zu entscheiden. Damit fehle es schon am ursächlichen Zusammenhang zwischen dem zu Unrecht Ablehnen und dem Selbstbeschaffen der Leistung.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 25.05.1998, mit der er unter Bezugnahme auf den bisherigen Schriftverkehr und ärztliche Stellungnahmen bzw. Atteste von Prof.Dr ... (Chefarzt der Neurologischen Klinik am Klinikum Ingolstadt), Dr ... (Chefarzt des Neurologischen Krankenhauses München) und des Neurologen Dr ... geltend macht, die Verlegung in ein Krankenhaus mit einer "Stroke unit" sei dringend geboten gewesen. Der Hubschraubertransport sei auch vertragsärztlich verordnet worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Regensburg vom 31.03.1998 und der Bescheide vom 29.06.1994 und 08.09.1994 sowie unter Abänderung des Widerspruchsbescheides vom 06.10.1995 zu verurteilen, die Kosten des Hubschraubertransports am 30.03.1994 in Höhe von 20.240,- DM zu erstatten sowie Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 1.000,- DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).

Die Berufung ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Kosten des Hubschraubertransports zu erstatten, da der Einsatz des Rettungshubschraubers medizinisch erforderlich und unaufschiebbar gewesen ist (§§ 13 Abs.3, 60 Abs.1, Abs.2 Nr.2 Sozialgesetzbuch V - SGB V -).

Gemäß § 13 Abs.3 SGB V hat die Krankenkasse die Kosten der selbstbeschafften Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, falls sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Ob der Anspruch nach der zweiten Alternative dieser Vorschrift gegeben ist, kann offen bleiben. Gegen diese Variante der Anspruchsnorm spricht, daß die Leistung bereits erbracht war, bevor die Beklagte entschieden hat, so daß der ursächliche Zusammenhang zwischen der Ablehnung und dem Beschaffen der Leistung fehlt (vgl. Bundessozialgericht - BSG - vom 10.02.1993 SozR 3-2200 § 182 RVO Nr.15; BSG vom 16.12.1993 SozR 3-2500 § 12 Nr.4; BSG vom 24.09.1996, BSGE 79, 125; BSG vom 15.04.1997 SozR 3-2500 § 13 Nr.14).

Zu den unaufschiebbaren Leistungen (1. Alternative) gehören nicht nur Notfälle im Sinne des § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V, sondern auch andere dringliche Bedarfslagen, Systemstörungen oder Versorgungslücken (KassKomm-Höfler, § 13 SGB V, Rdnr.8). Es kann dahinstehen, ob ein Notfall in diesem Sinne vorliegt, da im vorliegenden Fall von einer Systemstörung bzw. Versorgungslücke auszugehen ist. Denn das St.-Elisabeth-Krankenhaus in Bad Kissingen ist nach den Angaben des Chefarztes ein Krankenhaus der Grundversorgung ohne Spezialabteilungen. Für den Kläger, der einer sofortigen neurologischen Behandlung bedurfte, bestand somit keine bedarfsgerechte und dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung (§ 70 Abs.1 SGB V). Es fehlte daher an den erforderlichen, besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnissen der Krankenhausärzte. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Chefarztes der Klinik vom 26.04.1994, wonach erst am Tag nach der Aufnahme in das Krankenhaus eine Verlegung in eine neurologische Klinik vorgesehen war. Die Versorgungslücke wird mitbestimmt durch die Dringlichkeit des ärztlichen Eingreifens im vorliegenden Falle. Das Auftreten des dritten Schlaganfalls war für den Kläger eine lebensbedrohliche Erkrankung, die, wie aus dem Gutachten des MDK hervorgeht, einer sofortigen Diagnostik und Therapie bedurfte. Dies wird auch von den ärztlichen Stellungnahmen bzw. Attesten von Prof.Dr ..., Dr ... und Dr ... bestätigt. Danach muß ein Patient mit Schlaganfall innerhalb eines "Zeitfensters" von drei bis vier, höchstens sechs Stunden, einer neurologischen Untersuchung und Behandlung, bevorzugt in einer "Stroke unit", zugeführt werden. Anderenfalls erhöht sich das Risiko schwerster Behinderungen oder des Todes signifikant. Diesen medizinischen Vorgaben entsprach die Behandlung des Klägers im St.-Elisabeth-Krankenhaus Bad Kissingen nicht.

Der Anspruch auf Kostenerstattung erfordert nach der ständigen Rechtsprechung des BSG außerdem, daß ein Anspruch auf die Grundleistung, hier der Fahrkosten (§ 60 SGB V), bestanden hat (BSG vom 21.11.1991 SozR 3-2500 § 13 Nr.2; BSG vom 16.12.1993 SozR 3-2500 § 13 Nr.4; BSG vom 10.05.1995 SozR 3-2500 § 13 Nr.7; BSG vom 24.09.1996 SozR 3-2500 § 13 Nr.11; BSG vom 19.11.1996 SozR 3-2500 § 13 Nr.13).

Der Einsatz des Rettungshubschraubers ist eine unter § 60 SGB V fallende, erstattungsfähige Leistung. Gemäß § 60 Abs.1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs.2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 SGB V (Fahrkosten), wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann, richtet sich nach der medizischen Notwendigkeit im Einzelfall. Es handelt sich hierbei um eine unselbständige Nebenleistung zu einer von den Krankenkassen geschuldeten Hauptleistung, hier der in § 39 SGB V geregelten Krankenhausbehandlung (BSG vom 10.10.1978, SozR 2200 § 194 Nr.3; BSG vom 22.10.1980, SozR 2200 § 194 Nr.5). Maßgebliche Gesichtspunkte für den Inhalt und den Umfang der Leistungen sind also die medizinische Notwendigkeit und die weiteren Teilgebote des Wirtschaftlichkeitsprinzips.

Das Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 12, 70 Abs.1 SGB V) bestimmt, daß die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen. Daraus ergibt sich, daß das Wirtschaftlichkeitsgebot nicht nur die Aufgabe hat, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung zu begrenzen, sondern zunächst auch gewährleisten soll, daß die Versicherten eine ausreichende ärztliche Versorgung erhalten, die hinsichtlich Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und den medizinischen Fortschritt berücksichtigt (§ 2 Abs.1 SGB V). Der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen hat in diesem Zusammenhang die Richtlinien über die Verordnung von Krankenfahrten und Krankentransportleistungen (Krankentransport-Richtlinien) in der Fassung vom 17.06.1992 erlassen (§ 92 Abs.1 SGB V), die eine Interpretationshilfe bei der Auslegung und Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgebots in Bezug auf die Fahrkosten (§ 60 SGB V) geben.

In Satz 2 stellen diese Richtlinien fest, daß die Entscheidung des Kassenarztes über das Beförderungsmittel sich ausschließlich nach der medizinischen Indikation richtet. Hauptleistung im vorliegenden Fall ist die Krankenhausbehandlung in einem Neurologischen Krankenhaus oder einer neurologischen Abteilung eines Krankenhauses. Die Notwendigkeit dieser Leistung hat den Transport verursacht, da in dem St.-Elisabeth-Krankenhaus Bad Kissingen die nach dem sozialmedizinischen Gutachten des MDK und den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen bzw. Attesten medizinisch erforderliche Behandlung nicht möglich war. Dieses Krankenhaus hatte keine neurologische Intensivstation.

Ein Rettungshubschrauber ist ein in den Krankentransport-Richtlinien vorgesehenes Beförderungsmittel, wobei hier unerheblich ist, ob die in Ziffer 4.2.4 genannten Auswahlkriterien für den Einsatz des Rettungshubschraubers erfüllt sind. Diese Regelung sieht lediglich vor, daß Rettungshubschrauber anzufordern sind, wenn die Notwendigkeit einer schnellen Heranführung des Notarztes an den Unfallort ... besteht. Auch wenn im vorliegenden Fall der Schlaganfall des Klägers kein Unfall im Sinne dieser Vorschrift ist, wurde dadurch die Verwendung des Hubschraubers nicht ausgeschlossen. Denn zum einen ergibt sich schon aus Satz 2 der Krankentransport-Richtlinien, daß für die Auswahl des Beförderungsmittels ausschließlich die medizinische Notwendigkeit maßgebend ist. Zum anderen können die Richtlinien aufgrund ihrer Bedeutung im Recht der Leistungserbringung und wegen des Vorrangs des Gesetzes gesetzliche Vorschriften nicht verändern, insbesondere Rechte der Versicherten nicht auschließen oder verkürzen (§§ 82, 83, 92 Abs.8 SGB V; Art. 20 Abs.3 Grundgesetz; vgl. hierzu KassKomm-Hess, § 92 SGB V, Rdnrn.4, 5 m.w.N. auf die Rechtsprechung).

Entgegen der Ansicht der Beklagten fehlt es hier nicht an einer ärztlichen Verordnung. Der Hubschraubertransport wurde von dem Krankenhausarzt Dr ..., der für die Klinik handelte, zum Zweck einer Verlegung für erforderlich gehalten. Denn er hat auf dem mit einem Stempel der Klinik versehenen Formular "Intensivtransport" unter der Rubrik "Begründung für Notwendigkeit" zwei Diagnosen angegeben. Es handelt sich hierbei nicht um eine bloße Bestätigung der Anwesenheit eines Hubschraubers, sondern um eine ärztliche Notwendigkeitsbescheinigung. Eine andere Interpretation des Formulars im Nachhinein durch die Beklagte oder den Arzt würde der Bedeutung dieser Urkunde im Verhältnis zwischen Leistungserbringer und Krankenkassen nicht gerecht bzw. wäre als geheimer Vorbehalt unbeachtlich (§ 116 Satz 1 BGB). Unerheblich ist entgegen der Ansicht der Beklagten, daß das verwendete Formular keinen Hinweis auf einen Hubschraubertransport enthält. Denn der Anspruch nach § 60 SGB V hängt, zumal in einem dringenden Fall, nicht von diesen formalen Kriterien ab.

Gleichfalls hat Dr ... als behandelnder Arzt eine vertragsärztliche Verordnung über den Transport ausgestellt (vgl. Ziffer 3.4. Krankentransport-Richtlinie), die mit der Begründung lebensrettender Notfalltransport versehen war. Zwar ist diese Verordnung bei der Beklagten nach dem Krankentransport eingegangen. Dieser Umstand ist aber, wie sich aus dieser Ziffer der Krankentransport-Richtlinien ergibt, unschädlich, wenn, wie im vorliegenden Falle, eine sofortige Behandlung in einer geeigneten Klinik erforderlich ist, d.h. zumindest schwere Gesundheitsschäden zu befürchten sind, sofern nicht unverzügliche medizinische Hilfe erfolgt. Überdies hat Dr ... als behandelnder Arzt den Hubschraubertransport vorab telefonisch verordnet. Die Angaben des Klägers sind glaubwürdig, daß Dr ... der behandelnde Arzt gewesen ist. Denn an dieses in Ziffer 3.4. Krankentransport-Richtlinien genannte Merkmal sind keine hohen Anforderungen zu stellen. Eine Behandlung ist schon mit einem einmaligen Arzt-Patientenkontakt gegeben und es genügt auch eine Mitbehandlung. Der Einheitliche Bewertungsmaßstab Ärzte (§ 88 Asb.2 SGB V) läßt für die Begründung eines derartigen Kontakts schon eine telefonische Beratung genügen (vgl. Nrn.1, 2, 3 EBM).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es für die Leistung nach § 60 Abs.2 Nr.2 SGB V nicht erforderlich, daß ein Vertragsarzt den Versicherten unmittelbar vor der Verordnung behandelt hat. Denn nach § 76 Abs.1 Satz 2 SGB V kann in dringenden Fällen auch ein an der vertragsärztlichen Versorgung nicht teilnahmeberechtigter Arzt zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen behandeln. Die Notwendigkeit sofortigen ärztlichen Eingreifens setzt im Falle einer dringenden Behandlungsbedürftigkeit zudem keine vorherigen Kontakte mit dem Patienten voraus. In diesem Zusammenhang sind gleichfalls die familiären Beziehungen des Klägers zu Dr ... ohne rechtlichen Belang.

Ebenso unerheblich ist der Einwand der Beklagten gegen die Kostenerstattung, daß der Hubschraubertransport eine Gefährdung der Gesundheit des Klägers dargestellt habe. Denn über die Inkaufnahme derartiger mit einem Hubschraubertransport möglicherweise verbundenen Risiken haben der Kläger, der von den Ärzten des Krankenhauses als bewußtseinsklar beschrieben worden ist, und insbesondere der Arzt an Bord des Hubschraubers entschieden. Dieser hatte offensichtlich keine medizinischen Bedenken gegen den Transport des Klägers gehabt. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß der Hubschrauber in geringer Höhe fliegen durfte (§ 6 Luftverkehrs-VO).

Die Höhe der Kosten wird im vorliegenden Fall durch die Wahl des Transportmittels und die Entfernung zu dem Krankenhaus bestimmt. Die Krankenkasse darf lediglich die notwendigen Fahrkosten übernehmen, d.h. die zwingend und unvermeidlich entstehenden Aufwendungen (BSG vom 23.03.1983, BSGE 55, 37 ff. m.w.N. auf die Rechtsprechung). Damit kommen grundsätzlich nur die Fahrkosten vom jeweiligen Aufenthaltsort zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit in Frage, sofern nicht ein zwingender Grund für eine andere Fahrstrecke vorliegt (Höfler, a.a.O., Rdnr.11). Bei der Prüfung der Frage, welches Krankenhaus das nächst erreichbare ist, muß grundsätzlich die eingeschränkte Wahlfreiheit der Versicherten berücksichtigt werden (§ 39 Abs.2, 3 i.V.m. § 73 Abs.4 Satz 3, 4 SGB V). Ob ein Krankenhaus nächst erreichbar ist, bestimmt sich in der Regel nach der räumlichen Entfernung. Ein zwingender Grund für die Wahl eines anderen Krankenhauses ist gegeben, wenn das vom Arzt genannte dem Versicherten nicht zuzumuten ist. (Höfler a.a.O., § 39 SGB V, Rdnr.31, 32). Gründe der Zumutbarkeit sind im vorliegenden Fall für die Entscheidung des die Rettungsfahrt anordnenden Arztes bestimmend gewesen, wobei die Dringlichkeit einer sofortigen, geeigneten Behandlung ausschlaggebend war. Da der Kläger den dritten Hirninfarkt und zugleich einen Myocardinfarkt erlitten hatte, war ein sofortiges Handeln geboten, d.h. die Verlegung in ein Krankenhaus, das aufgrund seiner personellen und apparativen Ausstattung für die Behandlung von Patienten mit Schlaganfällen geeignet war. Zudem ist zu berücksichtigen, daß bis zum Eingreifen von Dr ... bereits mehrere Stunden vergangen waren, ohne daß eine sachgerechte Untersuchung des Krankheitsgeschehnes erfolgte. In einer derartigen lebensbedrohlichen Situation stehen dem Arzt unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebotes mehr Möglichkeiten zur Verfügung hinsichtlich der Wahl des Krankenhauses und des Tranportmittels, als wenn für diese Überlegungen ausreichend Zeit bleibt. Je dringlicher ein sofortiges ärztliches Handeln geboten ist, desto weniger bestehen Gelegenheit und Zeit, nach kostengünstigeren Behandlungs- und Transportmöglichkeiten zu suchen, freie Kapazitäten der Krankenhäuser mit einer "Stroke unit" abzuklären und anschließend das nächst erreichbare auszuwählen. Damit kann die Auswahl des Krankenhauses in München und des Hubschraubers als Transportmittel auch unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht beanstandet werden, da dem Kläger nicht zuzumuten war, daß die noch verbleibende kurze Zeit für eine geeignete Behandlung mit der Suche nach näher gelegenen Behandlungsmöglichkeiten mit freier Kapazität verbraucht wird.

Schließlich bestehen auch gegen die Abrechnung der geltend gemachten Kosten keine Bedenken. § 13 Abs.3 SGB V regelt hier, daß die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten sind. Einwendungen gegen die Höhe der Kosten hat die Beklagte auch nicht erhoben.

Ob neben dem Anspruch nach § 13 Abs.3 SGB V ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs.2 SGB V besteht, dessen Höhe bei der Leistung Fahrkosten von § 133 SGB V mitbestimmt wird, kann somit dahingestellt bleiben.

Gemäß § 60 Abs.2 SGB V übernimmt die Krankenkasse die Fahrkosten in Höhe des eine Eigenbeteiligung übersteigenden Betrages (20,- DM) bei Rettungsfahrten zum Krankenhaus. Bei diesen privilegierten Fahrten hat der Versicherte einen Eigenanteil zu zahlen.

Der Anspruch auf Verzinsung bestimmt sich nach § 44 Sozialgesetzbuch I (SGB I), wonach Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eingang ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen sind. Gemäß § 44 Abs.2 SGB I beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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