S 4 KR 81/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 81/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 33/07
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten werden der Klägerin auferlegt. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, den stationären Aufenthalt eines gesunden Neugeborenen über den sechsten Tag hinaus in Höhe von 128,98 EUR zu erstatten, weil sich auch die Mutter noch für diesen Zeitraum im Krankenhaus befand.

Der bei der Beklagten versicherte Säugling B. L. wurde am 00.00.00 im Krankenhaus der Klägerin geboren. Für den stationären Aufenthalt in der Zeit vom 00.00.00 bis zum 00.00.00 berechnete die Klägerin der Beklagten insgesamt 905,41 EUR mit Rechnung vom 00.00.00. Diese Rechnung wurde von der Beklagten nur in Höhe von 767,61 EUR bezahlt. Die Beklagte beruft sich darauf, dass lediglich für den Entbindungstag sowie maximal sechs weitere Kalendertage für die Mutter sowie das Neugeborene ein Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung gem. § 197 Reichsversicherungsordnung (RVO) bestehe. Darüber hinaus seien Zuschläge bei Überschreitung der oberen Grenzverweildauer für Neugeborene nur zu berechnen, wenn die Verweildauer des Kindes aufgrund eigener Behandlungsbedürftigkeit bestehe. Gesunde Neugeborene, wie der Säugling B. L. erfüllten diese Anforderungen nicht. Aus diesem Grund wurde der von der Kläger berechnete Zuschlag wegen Überschreitung der oberen Grenzverweildauer gekürzt.

Die Klägerin meint, soweit soweit bei einer notwendigen längeren stationären Behandlung der Mutter Zuschläge bei Überschreitung der oberen Grenzverweildauer anfielen, seien diese von den Krankenkassen zu bezahlen. Derartige Zuschläge seien danach auch bei gesunden Neugeborenen zu vergüten. Auch habe die Beklagte nicht mitgeteilt, wie mit den Neugeborenen in derartigen Fällen zu verfahren sei. Unbeachtlich sei, dass das Neugeborene nicht notwendigerweise über die Mutter bei der Beklagten versichert sei. Ausweislich der Fallpauschalenverordnung 2006 sei die Fallpauschale für gesunde Neugeborene mit dem Kostenträger der Mutter abzurechnen (§ 1 Abs. 5 S. 3 Fallpauschalenverordnung 2006). § 197 RVO begründe im Falle einer Entbindung den Leistungsanspruch für Mutter und Neugeborenes gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse. § 197 RVO korrespondiere aber nicht deckungsgleich mit dem neuen Vergütungsrecht für Krankenhäuser, wonach für Entbindungsaufenthalte sowohl für die Mutter als auch für das Neugeborene jeweils Fallpauschalen abzurechnen seien. Bei der Kalkulation dieser Fallpauschalen sei die 6-Tages-Frist nach § 197 RVO in keiner Weise berücksichtigt. Eine eigene Behandlungsbedürftigkeit des Neugeborenen müsste insoweit nicht vorliegen. Auch müsse sich die Beklagte die Konsequenzen ihrer Zahlungsverweigerung vergegenwärtigen: Der Säugling müsste unabhängig von seiner Mutter spätestens nach Ablauf der 6-Tages-Frist nach § 197 RVO aus dem Krankenhaus entlassen werden. Die Mutter hätte bei vorzeitiger Entlassung des Neugeborenen grundsätzlich einen Anspruch auf Haushaltshilfe nach § 199 RVO. Hierauf müsste die Klägerin die Angehörigen hinweisen. Eine von der Krankenkasse erzwungene vorzeitige Entlassung eines Neugeborenen wäre auch gegenüber der Öffentlichkeit kaum vermittelbar. Nach dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU und SPD zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung soll die 6-Tages-Frist in § 197 RVO gestrichen werden. In der Begründung dieses Änderungsantrages wird ausdrücklich auf die Schwierigkeiten in den Fällen, in denen gesunde Neugeborene noch im Krankenhaus verbleiben mussten, weil die Mutter nach der Entbindung noch behandlungsbedürftig war, Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, 128,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 00.00.00 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie wendet ein, dass sich ein möglicher Anspruch der Klägerin aus der Krankenversicherung der Mutter herleiten müsste, da das Neugeborene nicht unbedingt über die Mutter bei der Beklagten versichert ist. Für die Abrechnung des Zuschlages wegen der Überschreitung der oberen Grenzverweildauer sei kein Rechtsgrund vorhanden. § 197 Abs. 1 RVO gelte lediglich für den Entbindungstag sowie für maximal sechs weitere Tage. Nach dem Ablauf dieser gesetzlich abschließend und verbindlich geregelten Anspruchsdauer, käme ausschließlich eine stationäre Krankenhausbehandlung gem. § 39 Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) gesetzliche Krankenversicherung in Betracht. Im vorliegenden Fall hätten die Voraussetzungen des § 39 SGB V nicht vorgelegen, da das gesunde neugeborene Kind nicht krankenhausbehandlungsbedürftig gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Vergütung von Unterkunft, Pflege und Verpflegung des Neugeborenen in Höhe von 128,98 EUR über den Entbindungstag sowie sechs weitere Tage hinaus. Für die Abrechnung eines derartigen Zuschlages wegen Überschreitung der oberen Grenzverweildauer besteht keine Anspruchsgrundlage. Einzig denkbare Anspruchsgrundlage ist § 197 S. 1 RVO. Dieser beschränkt jedoch die Dauer der stationären Versorgung nach der Entbindung in Form der stationären Entbindung auf längstens sechs Tage. Die Leistungen zur stationären Entbindung, die aufgrund spezieller Regelungen für eine Gesamtleistung ambulanten Einzelleistungen vorgehen, sind von der Krankenbehandlung nach den §§ 27 ff. SGB V zu unterscheiden. Die stationäre Entbindung ist in § 197 RVO geregelt. Danach hat die Versicherte, die zur Entbindung in ein Krankenhaus oder eine andere Einrichtung aufgenommen wird, für sich und das Neugeborene einen Anspruch auf Unterkunft, Pflege und Verpflegung für die Zeit nach der Entbindung, jedoch für längstens sechs Tage. Für diese Zeit besteht kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung, wobei § 39 Abs. 2 SGB V entsprechend gilt. Dieser Sachleistungsanspruch umfasst die notwendige Pflege des gesunden Neugeborenen (BSG Soz R 2200 § 199 Nr. 4). Lediglich, wenn bei den Neugeborenen Krankheiten auftreten, sind für deren Behandlungen die Vorschriften der § 27 ff. SGB V einschlägig. Wie zwischen den Beteiligten unstreitig, handelte es sich jedoch bei dem neugeborenen Säugling B. L. um ein gesundes neugeborenes Kind, das nicht krankenhausbehandlungsbedürftig war.

Gegenteiliges ist auch nicht der Fallpauschalenverordnung 2006 zu entnehmen. Danach ist gem. § 1 Abs. 5 S. 3 der Fallpauschalenverordnung die Fallpauschale für gesunde Neugeborene mit dem Kostenträger der Mutter abzurechnen. Lediglich die Zusatzentgelte dürfen neben der Fallpauschale abgerechnet werden. Diese Regelung begründet jedoch keine eigene Anspruchsgrundlage auf Kostenerstattung für die hier streitige Krankenhausverweildauer des gesunden Neugeborenen.

Auch der Gesetzgeber hat erkannt, dass die gesetzliche Regelung und die 6-Tages-Frist in § 197 RVO teilweise zu Schwierigkeiten in Fällen führen kann, in denen gesunde Neugeborene noch im Krankenhaus verbleiben mussten, weil die Mutter nach der Entbindung noch behandlungsbedürftig war und noch nicht entlassen werden konnte. Allerdings kann erst durch die Streichung der Frist im Gesetz durch den Gesetzgeber eine entsprechende Vergütung entsprechend der Systematik des DRG Fallpauschalensystems erfolgen. Nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung ist ein derartiges Verfahren nicht möglich. Aus diesem Grund müssen die bislang von der Klägerin in der Klagebegründung geschilderten nachvollziehbaren Schwierigkeiten hingenommen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Berufung war gemäß § 144 SGG zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Die vorliegende Streitfrage ist bislang nicht geklärt. Die Klärung liegt allerdings im allgemeinen Interesse, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern.
Rechtskraft
Aus
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