S 32 AS 284/08 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 32 AS 284/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beklagte wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin und den mit dieser in Bedarfsgemeinschaft lebenden weiteren Personen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung für die ab 01.08.2008 angemietete Wohnung ab Einzug zu zahlen. Diese Verpflichtung gilt bis zu einer endgültigen Entscheidung über den Widerspruch der Antragstellerin vom 25.07.2008, längstens bis zum 31.01.2009.

Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im gerichtlichen Eilverfahren die Übernahme ihrer tatsächlichen Unterkunftskosten im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Die Antragstellerin lebt mit ihren vier Kindern M. P., Ch. A., M. A. und A. Sch. in einem gemeinsamen Haushalt. Bis zum 31.07.2008 lebte die Bedarfsgemeinschaft in einer Dachgeschosswohnung mit vier Zimmern und einer Wohnfläche von 76,75 m² in der Ü. Str. 32. Mit Schreiben vom 11.07.2008 teilte die Antragstellerin der Antragsgegnerin mit, dass sie ab 01.08.2008 eine neue Wohnung im selben Haus beziehen wolle. Auf Grund der in der bisherigen Wohnung auftretenden Feuchtigkeit, der dortigen Wohnraumenge und des Umstandes, dass die Dachgeschosswohnung nicht ausreichend isoliert sei, wolle sie in dieser Wohnung nicht mehr verbleiben. Sie legte einen Mietvertrag über eine Wohnung in der Ü. Str. 32, 2. Etage rechts vor. Diesen Mietvertrag hatte die Klägerin am 10.07.2008 unterschrieben. Sie mietete damit eine Wohnung mit einer Größe von 87,5 m² und vier Zimmern an zu einem Mietzins von 395,00 EUR zzgl. 90,00 EUR Nebenkosten und 64,00 EUR Heizkosten. Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 25.07. 2008 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass eine nachträgliche Zustimmung zum Umzug nicht erteilt werden könne. Außerdem wies die Antragsgegnerin die Antragstellerin auf ihre Mitwirkungspflichten gemäß § 60 SGB II hin. Darüber hinaus händigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin den Bewilligungsbescheid vom 25.07.2008 aus, mit dem für die Zeit ab 01.8.2008 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 340,- EUR berücksichtigt wurden. Dies entsprach den für die Antragstellerin und ihre Bedarfsgemeinschaft anfallenden Kosten für die bis zum 31.07.2008 bewohnte Wohnung. Noch bei gleicher Gelegenheit legte die Antragstellerin gegen die mündliche erteilte Ablehnung der Zusicherung zum Umzug Widerspruch ein. Sie führte aus, dass ihr nicht bewusst gewesen sei, dass sie vor Unterzeichnung des Mietvertrages die Zusicherung beim Job-Center habe einholen müssen.

Am 01.08.2008 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dazu führt sie unter Vorlage eines Schreibens des Jugendamtes der Stadt E. vom 30.07.2008 aus, dass das Jugendamt die Anmietung einer größeren Wohnung ausdrücklich befürworte.

Die Antragstellerin beantragt,

den Bescheid vom 25.07.2008 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Aufwendungen für die neue Unterkunft zu übernehmen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Sie ist der Auffassung, dass der Umzug nicht erforderlich gewesen sei. Ihres Erachtens ist für fünf Personen eine Wohnfläche von mindestens 70 qm als noch angemessen anzusehen. Hinsichtlich der weiteren von der Antragstellerin aufgeführten Umstände (Feuchtigkeit und mangelnde Isolierung) hätte sich die Antragstellerin an ihren Vermieter wenden müssen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag ist auch begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdichte und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (BVerfG v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927ff).

Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordungsgrund glaubhaft gemacht.

Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus § 22 Abs 1 SGB II, wonach Kosten für Unterkunft und Heizung erbracht werden, soweit sie angemessen sind. Die Kosten der für die Zeit ab 01.08.2008 angemieteten Wohnung der Antragstellerin sind mit einer Kaltmiete von 395,- EUR für einen Fünf-Personen-Haushalt angemessen. Die von der Antragsgegnerin für die Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin für angemessen gehaltene Obergrenze liegt bei 478,50 EUR. Dem Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten steht nach unbestrittener Auffassung auch nicht § 22 Abs. 2 Satz 1 SGB II entgegen. Danach soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Zwar hat die Antragstellerin dies nicht getan, denn sie hat erst nach Unterschrift des neuen Mietvertrages am 10.07.08, nämlich am 11.07.08, den Abschluss dieses Vertrages angezeigt. § 22 Abs 2 Satz 1 stellt jedoch keine Tatbestandsvoraussetzung für die Übernahme der in der neuen Wohnung tatsächlich anfallenden Unterkunftskosten dar, sondern beschreibt lediglich eine Obliegenheit des Hilfebedürftigen, um spätere Unstimmigkeiten schon im Vorfeld zu vermeiden (LPK-SGB II, 2. Auflage, § 22 Rn. 70, 71).

Auch § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II steht dem Anspruch auf Zahlung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung nicht entgegen. Danach werden die Leistungen weiterhin nur in Höhe der bis dahin zu tragenden Aufwendungen erbracht, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen. Im vorliegenden Fall haben sich die Aufwendungen für die Unterkunft der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin nach dem Umzug von 238,- EUR Nettokaltmiete auf 395,- Nettokaltmiete erhöht. Dennoch greift § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II hier nicht zu Lasten der Antragstellerin.

Zur Überzeugung des Gerichts war der Umzug in die ab 01.08.2008 angemietete Wohnung nämlich erforderlich. Dabei stellt das Gericht allein auf die Größe und den Zuschnitt der von der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin bis 31.07.2008 bewohnten Wohnung ab. Hinsichtlich der vom Vermieter der Antragstellerin mitgeteilten Wohnungsgröße von 76,75 qm ist das Gericht der Auffassung, dass dies für einen Haushalt mit fünf Personen, bestehend aus vier Kindern und der alleinerziehenden Mutter, unangemessen klein ist. Bei der Frage, welche Wohnungsgröße im Rahmen des SGB II für einen Hilfebedürftigen als angemessen anzusehen ist, sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die landesrechtlichen Wohnraumförderbestimmungen heranzuziehen (BSG, Urteil vom 18.06.08, B 14/7b AS 44/06 R). Diese weisen für das Land NRW für eine Dreizimmerwohnung eine Größe von 77 qm aus, für eine Vierzimmerwohnung gilt eine Grenze von 92 qm und für eine Fünfzimmerwohnung eine Grenze von 107 qm (RdErl. d. Ministeriums f. Bauen und Verkehr v. 26.01.2006, IV A 2 - 2010 – 02/06 – zuletzt geändert durch RdErl. v. 17.01.2008 - IV A 2-2010-2/08 –). Nach allgemeiner Ansicht stellt die zuletzt genannte Wohnungsgröße für einen Haushalt mit fünf Personen, die Höchstgrenze dessen dar, was als angemessene Wohnungsgsröße angesehen werden kann. Einen Anspruch auf ein vollständiges Ausschöpfen dieser Höchstgrenze besteht für Hilfebedürftige dabei nicht. Wo hinsichtlich der Größe und der Anzahl der Räume die Untergrenze dessen, was angemessen ist, liegt, ist in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht im Einzelnen festgelegt worden. Nach Auffassung des Gerichts wird jedoch durch die festgelegten Höchstgrenzen ein Rahmen vorgegeben, der den Korridor dessen, was als angemessen angesehen werden kann, vorgibt. Wird die Höchstgrenze dessen, was für einen Haushalt mit einer Person weniger als angemessen angesehen wird, erheblich unterschritten, so ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass eine Wohnung für eine Bedarfsgemeinschaft unangemessen klein ist. Im vorliegenden Fall entsprach die von der Bedarfsgemeinschaft bewohnte Wohnung hinsichtlich der Größe nach den Maßstäben der Wohnraumförderbestimmungen des Landes NRW einer Dreizimmerwohnung, also einer Wohnung, die für einen Drei-Personen-Haushalt angemessen wäre. Für das Gericht ist nicht nachvollziehbar, dass eine Wohnung, die für einen Drei-Personen-Haushalt angemessen groß ist, auch ausreichend Platz bieten soll für einen Fünf-Personen-Haushalt. Erschwerend kommt im vorliegenden Fall noch hinzu, dass der Haushalt der Antragstellerin nicht aus zwei Partnern, die sich gewöhnlich ein Schlafzimmer teilen, und drei Kindern, sondern aus vier Kindern und einer alleinerziehenden Mutter besteht. Welche praktischen Schwierigkeiten sich aus der geringen Gesamtgröße der Wohnung ergeben, wird bei einem Blick auf die Größe der einzelnen Zimmer deutlich. So wies die Küche in der bisherigen Wohnung der Bedarfsgemeinschaft lediglich eine Größe von 12,37 m² auf. Dies ist zur Überzeugung der Kammer nicht ausreichend um neben der Unterbringung der üblichen Küchenutensilien Raum für einen angemessenen Essplatz für fünf Personen zu bieten. Ein Esszimmer stand nicht zur Verfügung und auch das Wohnzimmer bot nicht ausreichend Platz zum Aufstellen eines Esstisches, da auch dieses lediglich 14,76 m² umfasste. Ähnlich verhält es sich mit allen weiteren Räumen, angefangen bei der Diele mit einer Größe von 2,01 m², über das Bad von 3,86 m² bis hin zu den Schlafzimmern, die teils zwei Familienmitglieder nutzen mussten und nur zwischen 13,6 und 15,8 m² groß waren.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass in der ehemaligen Wohnung der Bedarfsgemeinschaft eines der Kinderzimmer nur durch ein anderes der Kinderzimmer zu erreichen war. Hierdurch fehlt es allen im Haushalt lebenden Kindern an der für Heranwachsende dringend notwendigen Rückzugsmöglichkeit und Privatsphäre. Dabei ist im konkreten Fall zu beachten, dass es mit dem ältesten Sohn der Antragstellerin, M. P., offensichtlich bereits derartige familiäre Schwierigkeiten gegeben hat, dass dieser, ohne eine andere Wohnung zu haben, ausgezogen ist. Erst nach mehreren Monaten ohne festen Wohnsitz kehrte er in die Wohnung seiner Mutter zurück. In Anbetracht dieser familiären Situation und der Größe der von der Bedarfsgemeinschaft ehemals bewohnten Wohnung ist es für das Gericht ohne Weiteres nachvollziehbar, dass der Verbleib in dieser Wohnung eine für die Bedarfsgemeinschaft unzumutbare Wohnsituation darstellen würde.

Das auch die neu angemietete Wohnung mit einer Größe von 87,5 m² und ebenfalls vier Zimmern erheblich unter der Wohnungsgröße liegt, die für einen Fünf-Personen-Haushalt höchstens als angemessen anzusehen ist, steht dem Anspruch der Bedarfsgmeinschaft auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten nicht entgegen. Insoweit muss es der Entscheidung der Antragstellerin als Familienoberhaupt obliegen, ob die nunmehr angemietete Wohnung den Bedürfnissen der Bedarfsgemeinschaft ausreichend gerecht wird.

Eine auch für das Gericht nachvollziehbare Verbesserung der Wohnsituation ist jedenfalls durch die großzügigere Bemessung der einzelnen Zimmer und die Lage der einzelnen Zimmer (keine Durchgangszimmer mehr) zu erkennen.

Nach Auffassung des Gerichts hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Das Gericht versteht den Vortrag der Antragstellerin so, dass der Umzug in die größere Wohnung bisher nicht erfolgt ist, weil die Bedarfsgemeinschaft zuerst sicherstellen möchte, dass die tatsächlichen Mietkosten der neuen Wohnung auch von der Antragsgegnerin übernommen werden. Da nicht damit zu rechnen ist, dass die der Antragstellerin angebotene Wohnung bis zum Abschluss eines Hauptsacheverfahrens vom Vermieter freigehalten wird, ist die einstweilige Anordnung hier erforderlich, um der Antragstellerin die Möglichkeit zu geben, das Angebot ihres Vermieters zur Anmietung der neuen Wohnung anzunehmen. Das Gericht geht trotz des bereits unterschriebenen Mietvertrages davon aus, dass die Antragstellerin von ihrem Vermieter nicht auf die neue Miete in Anspruch genommen wird, so lange sie mit der Antragsgegnerin noch nicht geklärt hat, ob die tatsächlichen Kosten dieser Wohnung übernommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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