L 7 SO 3246/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SO 2755/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3246/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Mehrbedarf bei Erwerbsminderung und Merkzeichen G; Schwerbehindertenausweis; rückwirkende Zuerkennung
Der Mehrbedarf bei voller Erwerbsminderung und Zuerkennung des Merkzeichens G kann sowohl nach § 3 Abs. 1 des bis 31. Dezember 2004 geltenden Grundsicherungsgesetzes als auch nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zumindest in der bis zum 6. Dezember 2006 geltenden Fassung frühestens ab dem Besitz des entsprechenden Schwerbehindertenausweises gewährt werden; dies gilt auch im Falle einer rückwirkenden Zuerkennung des Merkzeichens G.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Mai 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes einen Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung in der Zeit vom 6. Juli 2004 bis 30. September 2005 unter Abänderung bestandskräftiger Bewilligungsbescheide hat.

Der am 1945 geborene, geschiedene Kläger ist dauerhaft voll erwerbsgemindert i.S.d. § 43 Abs. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI). Aus einer Beschäftigung als Aushilfsfahrer bezog er in der Zeit vom 2. Januar 2004 bis 31. Oktober 2004 ein monatliches Entgelt i.H.v. EUR 400.- brutto gleich netto, ab 1. November 2004 i.H.v. EUR 150.-. Die Kosten der Unterkunft und Heizung lagen bei monatlich EUR 203,60. Der Kläger bezog bis einschließlich 31. August 2004 Sozialhilfe als laufende Hilfe zum Lebensunterhalt monatlich i.H.v. EUR 428,72 zzgl. des besonderen Mietzuschusses i.H.v. EUR 85.-.

Am 6. Juli 2004 beantragte der Kläger beim Versorgungsamt die Feststellung des Vorliegens einer Schwerbehinderung.

Auf seinen bereits am 12. Januar 2003 gestellten Antrag bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 10. August 2004 dem Kläger Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz (GSiG) i.H.v. EUR 536,15 für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 2004. Für die Zeit vom 1. April bis 31. August 2004 wurden die Leistungen i.H.v. EUR 451,15 monatlich bewilligt, wobei der besondere Mietzuschuss bereits in Abzug gebracht worden war. Die Leistungen für diesen Zeitraum erhalte der Sozialhilfeträger als Kostenersatz für die bereits erbrachte Sozialhilfe. Für die Zeit vor dem 1. April 2004 wurden Grundsicherungsleistungen abgelehnt, da die Erwerbsminderung nach der Feststellung des Rentenversicherungsträgers erst ab April 2004 vorgelegen habe. Das dem Beklagten zu dieser Zeit noch nicht bekannte Nebeneinkommen des Klägers war hierbei nicht berücksichtigt.

Nachdem der Beklagte durch einen Datenabgleich von der Nebentätigkeit des Klägers erfahren hatte, hob er den Bewilligungsbescheid vom 10. August 2004 mit Wirkung ab 1. April 2004 hinsichtlich der Bewilligungshöhe auf und forderte die Erstattung bis einschließlich Oktober 2004 erbrachter Leistungen in Gesamthöhe von EUR 1.938,23 (Bescheid vom 27. Oktober 2004). Mit Bescheid vom 28. Oktober 2004, der wie der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid am 9. November 2004 zur Post gegeben worden war, bewilligte der Beklagte Grundsicherungsleistungen für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 2004 i.H.v. monatlich EUR 259,26. Dabei rechnete er ein monatliches Einkommen des Klägers i.H.v. EUR 400.- abzüglich eines Freibetrages bei Erwerbstätigkeit i.H.v. EUR 123,11 an. Unter dem 10. Dezember 2004 änderte der Beklagte die Leistungshöhe für November 2004 auf EUR 471,76 ab; dabei wurde nur noch das Einkommen i.H.v. EUR 150.- abzüglich eines Freibetrages i.H.v. EUR 85,61 angerechnet. Hinsichtlich der Leistungshöhe für Dezember 2004 verfuhr der Beklagte unter dem 28. Dezember 2004 gleichermaßen.

Mit Bescheid vom 16. November 2004 wurde dem Kläger Wohngeld i.H.v. EUR 97.- monatlich für die Zeit vom 1. September bis 31. Dezember 2004 bewilligt, das vollständig im Dezember 2004 zur Auszahlung kam.

Am 2. Dezember 2004 beantragte der Kläger die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Dabei gab er auf die Frage nach einem Schwerbehindertenausweis zu dessen Gültigkeit "b.a.w." an; bei der Frage nach den Merkzeichen G oder aG trug er ein Fragezeichen ein und gab weiter an, einen Antrag gestellt zu haben; der Widerspruch laufe.

Mit Bescheid vom 18. Februar 2005 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Januar bis 30. November 2005 i.H.v. EUR 434,60 monatlich. Dabei berücksichtigte er ein Einkommen i.H.v. EUR 150.- abzüglich eines Freibetrages i.H.v. EUR 45.-.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2005 stellte das Versorgungsamt Rhein-Neckar-Kreis in Umsetzung eines sozialgerichtlichen Vergleichs einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 seit 6. Juli 2004 sowie das Merkzeichen G fest.

Auf seine Weiterbewilligungsanträge vom 26. Oktober 2005 und 23. September 2006, in denen der Kläger die Zuerkennung des Merkzeichens G nicht angab, wurden ihm Leistungen der Grundsicherung auch ab 1. November 2005 ohne die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gewährt.

Mit Schreiben vom 23. April 2007, ergänzt durch das Schreiben vom 30. April 2007, beantragte der Kläger die Gewährung eines Mehrbedarfes wegen Zuerkennung des Merkzeichens G rückwirkend ab 6. Juli 2004. Ab diesem Datum sei ihm vom Versorgungsamt das Merkzeichen zuerkannt worden. Er verwies auf sein Antragsschreiben vom 27. Dezember 2006 bezüglich der Gewährung von Hilfe zur Pflege, in dem er die Höhe des GdB und die Feststellung des Merkzeichens bereits mitgeteilt hatte. Er sei vom Beklagten entgegen § 13 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht hinsichtlich des Mehrbedarfes beraten worden. Das Versorgungsamt sei dem Landratsamt und damit dem Beklagten eingegliedert. Dort sei sein Antrag auf Zuerkennung des Merkzeichens seit 6. Juli 2004 bekannt. Ab diesem Datum werde der Mehrbedarf beantragt.

Mit Bescheid vom 14. Mai 2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger ab 1. Dezember 2006 bis längstens 30. November 2007 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes i.H.v. EUR 58,65 monatlich. Eine frühere Berücksichtigung käme mangels Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Schwerbehindertenausweis nicht in Betracht.

Mit Widerspruch vom 21. Mai 2007 begehrte der Kläger die Berücksichtigung des Mehrbedarfs auch für die Zeit vom 6. Juli 2004 bis 30. November 2006. Seit 1. September 2005 sei dem Versorgungsamt das Merkzeichen G bekannt und damit auch dem Beklagten, da das Versorgungsamt nur Teil desselben sei. Er rügte eine fehlende Aufklärung nach § 13 SGB I anlässlich des Antrages auf Grundsicherung vom 28. Juni 2004. Nach § 40 SGB I entstünden Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre Voraussetzungen erfüllt seien, hier mithin ab dem Datum, zu dem das Merkzeichen zuerkannt worden sei, also ab 6. Juli 2004.

Nach Vorlage des Feststellungsbescheides vom 18. Oktober 2005 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 19. Juni 2007 Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung des begehrten Mehrbedarfs bereits ab 1. Oktober 2005. Eine weitergehende Berücksichtigung auch für den davor liegenden Zeitraum lehnte er unter Berufung auf oberverwaltungsgerichtliche Entscheidungen ab. Es bestehe kein Anspruch auf rückwirkende Bewilligung des Mehrbedarfs bei rückwirkender Zuerkennung des Merkzeichens G, da der Besitz des entsprechenden Schwerbehindertenausweises gesetzliche Voraussetzung für den Mehrbedarf sei. Mit weiterem Bescheid vom 19. Juni 2007 nahm der Beklagte den Bescheid vom 14. Mai 2007 zurück.

Hiergegen legte der Kläger wiederum Widerspruch ein. In Ergänzung zu seinem bisherigen Vorbringen führte er aus, er habe die Zuerkennung des Merkzeichens gerichtlich erstritten. Die hierfür erforderliche Verfahrensdauer könne nicht zu seinen Lasten gehen. Die im Vergleich unter Hinwirken des Sozialgerichts (SG) getroffene Entscheidung sei für alle bindend. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII biete im Wortlaut keinen Anhaltspunkt, dass es auf den Besitz des Schwerbehindertenausweises ankäme.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2007 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung knüpfe die Gewährung des Mehrbedarfs ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 23 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) an den Besitz eines das Merkzeichen G beinhaltenden Schwerbehindertenausweises. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens genüge nicht, auch nicht die Antragstellung. Für die Zeit vor der Erteilung des Feststellungsbescheides vom 18. Oktober 2005 sei daher eine Berücksichtigung des Mehrbedarfs nicht möglich.

Hiergegen hat der Kläger am 7. August 2007 Klage beim SG Mannheim erhoben. Dieses hat den Beklagten mit Urteil vom 21. Mai 2008 unter Abänderung des Bescheides vom 14. Mai 2007 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 19. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2007 verurteilt, dem Kläger vom 6. Juli 2004 bis 30. September 2005 einen Mehrbedarf i.H.v. 17% des maßgebenden Regelsatzes nach § 30 Abs. 1 SGB XII zu gewähren. Entscheidend sei, dass der Bescheid, der Grundlage für den Schwerbehindertenausweis sei, die Voraussetzungen des Merkzeichens bereits ab 6. Juli 2004 feststelle. Die in einem gerichtlichen Verfahren erstrittene nachträgliche Feststellung sei nicht genauso zu behandeln, als würden die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage erstmals zum Zeitpunkt der Streitbeendigung vorliegen. Anderes käme einem praktischen Rechtsverlust des Klagenden gleich. § 30 Abs. 1 SGB XII gehe davon aus, dass die dort genannten Personen einen tatsächlichen Mehrbedarf hätten. Durch die rückwirkende Feststellung des Merkzeichens G stehe somit fest, dass der Kläger bereits ab dem 6. Juli 2004 diesen Mehrbedarf gehabt habe. Die vom Beklagten vertretene Auffassung liefe der Regelung des § 40 Abs. 1 SGB I zuwider, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen entstünden, sobald ihre gesetzlich bestimmten Voraussetzungen vorlägen. § 30 Abs. 1 SGB XII regle keinen mit dem Besitz des Schwerbehindertenausweises verbundenen zwingenden Anspruchsbeginn. Die rückwirkende Berücksichtigung des Mehrbedarfs entspreche dem hinter der Regelung des § 30 Abs. 1 SGB XII stehenden Rechtsgedanken, dass die Vorlage des entsprechenden Schwerbehindertenausweises ein ausreichender Nachweis für die Anerkennung des Mehrbedarfs sei. Der Mehrbedarf sei in diesem Fall ohne weitere Prüfung anzuerkennen. Diese Verwaltungsvereinfachung könne aber nicht zu Lasten des Leistungsberechtigten gehen. Wenn sich der Träger der Grundsicherung auf die Feststellung bzw. den Besitz des Schwerbehindertenausweises verlasse, so müsse auch eine rückwirkende Feststellung Bindungswirkung für den Leistungsträger entfalten.

Gegen dieses ihm am 19. Juni 2008 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 9. Juli 2008 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Zu deren Begründung hat er ausgeführt, § 30 Abs. 1 SGB XII enthalte eine Modifizierung des Kenntnisgrundsatzes des § 18 Abs. 1 SGB XII, der eine rückwirkende Leistungserbringung zumindest ab Kenntnis des Sozialhilfeträgers von der Hilfebedürftigkeit erlaube. § 30 Abs. 1 SGB XII sehe hingegen eine Leistungserbringung erst ab Nachweis durch den Schwerbehindertenausweis oder in der ab 1. Januar 2007 geltenden Fassung auch durch den Feststellungsbescheid vor. Hätte der Gesetzgeber eine rückwirkende Leistungsgewährung ermöglichen wollen, hätte er dies durch eine entsprechende gesetzliche Formulierung zum Ausdruck bringen müssen. Selbst wenn man mit dem SG von der Möglichkeit einer rückwirkenden Berücksichtigung ausgehe, könne eine Leistungsgewährung nach § 18 Abs. 1 SGB XII nicht vor der Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom fraglichen Bedarf einsetzen. Kenntnis vom Merkzeichen G habe der Beklagte jedoch erst am 15. Januar 2007 mit Eingang des Antrages auf Hilfe zur Pflege gehabt, dem das Schreiben vom 27. Dezember 2006 mit Hinweisen auf den GdB und das Merkzeichen beigelegen habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. Mai 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen führt er aus, er habe bereits in seinem Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung vom 28. Juni 2004 beim damals noch zuständigen Versorgungsamt Heidelberg auf seinen Grundsicherungsantrag hingewiesen. Am 21. September 2004 sei ein GdB von 50 zuerkannt worden. Zusammen mit dem entsprechenden Bescheid habe er ein Merkblatt über Vergünstigungen aufgrund der Schwerbehinderteneigenschaft erhalten, in dem der Mehrbedarf im Rahmen der Grundsicherung nicht erwähnt sei. Eine ausreichende Aufklärung nach § 13 SGB I sei nicht erfolgt. Des Weiteren dürfe es nicht zu seinen Lasten gehen, wenn sich die ursprüngliche Ablehnung des Merkzeichens als rechtswidrig erweise und er dies erst durch ein längere Zeit dauerndes sozialgerichtliches Verfahren erstreiten müsse.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten, der Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 i.V.m. § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)). Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist auch in der Sache begründet. Das SG hat den Beklagten zu Unrecht verurteilt, rückwirkend höhere Grundsicherungsleistungen zu erbringen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist nicht die Höhe des Anspruches auf Grundsicherung insgesamt. Der Kläger begehrt höhere Leistungen nur unter dem Gesichtspunkt eines Mehrbedarfes. Hiervon sind die Kosten der Unterkunft und Heizung als abtrennbarer und einer selbständigen Regelung zugänglicher Anspruch nicht betroffen; Abweichendes wird auch vom Kläger nicht geltend gemacht. Diese sind somit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. In zeitlicher Hinsicht ist streitbefangen nur der Zeitraum vom 6. Juli 2004 bis 30. September 2005.

Für die Zeit bis 31. Dezember 2004 waren dem Kläger Grundsicherungsleistungen durch den Bescheid vom 10. August 2004 und die hierzu ergangenen Aufhebungs- und Änderungsbescheide vom 27. und 28. Oktober, 10. und 28. Dezember 2004 bewilligt worden. Die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2005 erfolgte mit Bescheid vom 18. Februar 2005. Diese Bescheide wurden vom Kläger sämtlich nicht mit Widerspruch angefochten und sind somit bestandskräftig geworden. Die Zuerkennung eines höheren Leistungsanspruches setzt daher die Abänderung dieser Bescheide voraus. Als Rechtsgrundlage hierfür kommt § 48 Abs. 1 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Betracht, bzw. für die auf das bis zum 31. Dezember 2004 geltende GSiG gestützten Bewilligungsbescheide (vgl. hierzu nunmehr Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. August 2008 - B 8 SO 26/07 R - (juris)) die entsprechende landesrechtliche Vorschrift des § 48 Landesverwaltungsverfahrensgesetz. Denn mit der Zuerkennung des Merkzeichens G ab 6. Juli 2004 wäre - die Rechtsansicht des Klägers zugrunde gelegt - die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide durch eine rückwirkende Änderung der Sachlage eingetreten. Eine solche ist nicht nach § 44 SGB X, sondern nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X zu beurteilen (BSG SozR 3-2600 § 93 Nr. 3; Steinwedel in KassKomm, SGB X, § 44 Rdnr. 29 m.w.N.).

Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Satz 2 Nr. 1).

Die Bewilligungsentscheidungen des Beklagten für den streitbefangenen Zeitraum sind jedoch nicht rechtswidrig (geworden), insbesondere war bei der Bedarfsberechnung auch unter Berücksichtigung der rückwirkenden Zuerkennung des Merkzeichens G kein Mehrbedarf wegen Schwerbehinderung und Zuerkennung des Merkzeichens zu berücksichtigen.

Für die Zeit vom 6. Juli bis 31. Dezember 2004 bestimmt sich der Leistungsanspruch des Klägers noch nach den Regelungen des GSiG in der Fassung vom 26. Juni 2001. Nach § 3 Abs. 1 GSiG umfasst die bedarfsorientierte Grundsicherung u.a. (Nr. 1) den für den Antragsberechtigten maßgebenden Regelsatz zuzüglich 15 vom Hundert des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes nach dem Zweiten Abschnitt des BSHG und (Nr. 4) einen Mehrbedarf von 20 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes nach Nr. 1 bei Besitz eines Ausweises nach § 4 Abs. 5 des Schwerbehindertengesetzes (jetzt § 69 Abs. 5 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)) mit dem Merkzeichen G. Für den Einsatz von Einkommen und Vermögen gelten nach Abs. 2 die §§ 76 bis 88 BSHG und die dazu erlassenen Rechtsvorschriften entsprechend.

Für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2005 bestimmt sich der Anspruch des Klägers auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften der §§ 41 ff SGB XII. Diese umfassen nach § 42 S. 1 Nr. 3 SGB XII u.a. die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII. Danach wird für Personen, die unter 65 Jahren und voll erwerbsgemindert nach dem SGB VI sind und einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G besitzen, ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in der vom 1. Januar 2005 bis 06. Dezember 2006 geltenden Fassung vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022)).

Nach dem Wortlaut beider Regelungen kommt es somit auf den Besitz eines Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen G an. Nicht abgestellt wird auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Schwerbehinderung und des Merkzeichens G oder deren Feststellung. Es genügt nicht, dass ein Hilfesuchender einen solchen Ausweis beantragt hat und dass eine rückwirkende Bewilligung in Betracht kommt oder später tatsächlich erfolgt. Die Unbeachtlichkeit einer nachträglichen Bewilligung des Merkzeichens G für einen bereits abgeschlossenen Zeitraum lässt sich zwar den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen; auch die entsprechende Regelung des § 23 BSHG in der Fassung vom 23. Juli 1996 ist erst auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses und damit ohne Begründung in das Änderungsgesetz aufgenommen worden (BT-Drucks. 13/4687, S. 2). Die Auslegung ergibt sich jedoch aus dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung. Dieser stellt nicht darauf ab, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens G vorliegen und geltend gemacht worden sind. Wäre das Gesetz entsprechend formuliert worden, so müsste, wenn sich die Voraussetzungen des Merkzeichens trotz rechtzeitiger Geltendmachung und Darlegung erst nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums für Hilfe zum Lebensunterhalt abschließend klären lassen, das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G auch noch im Nachhinein berücksichtigt werden. Der Wortlaut der Bestimmung stellt jedoch eindeutig auf den Besitz eines Ausweises mit dem Merkzeichen G, also auf das Innehaben im Bewilligungszeitraum ab (ebenso für die entsprechende Vorschrift des § 23 BSHG Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin, FEVS 55, 271; OVG Lüneburg, FEVS 53, 445 und Beschluss vom 14. Januar 2004 - 12 PA 562/03 - (juris); zu § 30 SGB XII Wenzel in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Auflage, SGB XII § 30 Rdnr. 12; a.A. Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 30 Rdnr. 11, 12).

Daher liegt auch nicht der vom SG gesehene Widerspruch zur Regelung des § 40 Abs 1 SGB I vor. Denn danach entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Auch nach dieser Vorschrift kann somit der Anspruch auf Sozialhilfe unter Einschluss des streitigen Mehrbedarfs nicht entstehen, bevor die Anspruchsvoraussetzung "Besitz eines Ausweises" vorliegt.

Die mit Wirkung zum 7. Dezember 2006 (durch Gesetz vom 2. Dezember 2006 (BGBl. I S. 2670)) erfolgte Änderung des § 30 Abs. 1 SGB XII spricht für dieses Verständnis. Nach der Neufassung wird der Mehrbedarf anerkannt für Personen, die u.a. durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen. Zwar ist dem SG zuzustimmen, dass dieser Wortlaut nicht eindeutig den Zeitpunkt festlegt, ab dem der Mehrbedarf anzuerkennen ist. Auf den "Besitz" eines Ausweises oder Bescheides wird nicht ausdrücklich abgestellt. Andererseits genügt nach wie vor nicht, dass die Voraussetzungen für das Merkzeichen G vorliegen; sie müssen durch Bescheid oder Ausweis nachgewiesen sein. Ein solcher Nachweis ist erst nach Ergehen des Bescheides oder Ausstellung des Ausweises möglich. Dass der Gesetzgeber abweichend von der bisherigen Regelung und der Vorgängerregelung des § 23 Abs. 1 BSHG nunmehr den Nachweis auf vor Erlass des Feststellungsbescheides liegende Zeiträume erstrecken wollte, ergibt sich aus dem Wortlaut der Neuregelung nicht. Eine solche Auslegung widerspricht auch dem gesetzgeberischen Willen, wie er sich aus der amtlichen Begründung ergibt (BT-Drucks. 16/2711). Danach wird anerkannt, dass nach der bis dahin geltenden Rechtslage der Mehrbedarf davon abhängig sei, dass die Leistungsberechtigten tatsächlich einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis besäßen; der Besitz eines entsprechenden Feststellungsbescheides reiche nicht aus. Dies habe - unter Verweis auf die o.g. OVG-Rechtsprechung - zur Folge, dass der Mehrbedarf auch erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises in Anspruch genommen werden könne. Für die bis 6. Dezember 2006 geltende Fassung hat der Gesetzgeber diese Auslegung somit nicht beanstandet, sondern als Grund für eine Rechtsänderung - nicht Klarstellung - genommen. Diese Rechtsänderung beschränkt sich des Weiteren offenbar - was hier aber nicht mehr relevant wird - darauf, den Feststellungsbescheid über das Merkzeichen hinsichtlich der Wirkung für die Anerkennung des Mehrbedarfs dem Schwerbehindertenausweis gleichzustellen. Denn in der Gesetzesbegründung wird ausgeführt, dass die bisherige Rechtslage dazu führe, dass der Mehrbedarf regelmäßig erst mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides, nämlich ab Ausstellung des Schwerbehindertenausweises, in Anspruch genommen werden könne, obgleich Bescheid und Ausweis faktisch denselben Beweiswert hätten. Außerdem könne ein Teil der Leistungsberechtigten bis auf den Mehrbedarf keine Vorteile aus dem Ausweis ziehen; die Mehrzahl der Leistungsberechtigten würde daher voraussichtlich aufgrund der Änderung auf die Ausstellung des Ausweises verzichten. Die Änderung erleichtere somit den Zugang der Leistungsberechtigten zu den ihnen zustehenden Leistungen, indem sie sie von nicht erforderlichen Behördengängen bzw. vermeidbarem Schriftverkehr mit Behörden entlaste. Sie trage auch zum Abbau von Verwaltungsaufwand bei den nach dem SGB IX zuständigen Behörden und den Sozialhilfeträgern bei. Aus dieser Begründung wird deutlich, dass auch der ändernde Gesetzgeber nicht davon ausgeht, dass der Mehrbedarf vor Erteilung des Feststellungsbescheides in Anspruch genommen werden kann. Verzichtet werden soll nun nur auf die Ausstellung eines den Feststellungsbescheid umsetzenden Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX. Die frühere Inanspruchnahme des Mehrbedarfes ist nur insoweit als Folge vorgesehen, als die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises entfällt, die "mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides" dauern könne.

Die Bewilligungsentscheidungen sind im zur Überprüfung gestellten Umfange auch nicht aus anderen Gründen zu Lasten des Klägers rechtswidrig. Der Beklagte hat das Einkommen des Klägers aus der Nebentätigkeit unter Berücksichtigung des maßgebenden Freibetrages zutreffend in zutreffender Höhe angerechnet, was der Kläger im Übrigen auch nicht in Abrede stellt. Die Berücksichtigung einer Energiekostenpauschale betrifft allein die hier nicht streitbefangenen Kosten der Unterkunft und Heizung. Soweit der Beklagte das dem Kläger im Dezember 2004 zufließende Wohngeld i.H.v. EUR 388.- nicht berücksichtigt hat, stellt dies jedenfalls keine den Kläger belastende Entscheidung dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Vorschriften des § 3 GSiG und § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII mit dem hier entscheidend zugrunde gelegten Wortlaut bereits außer Kraft getreten sind.
Rechtskraft
Aus
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