S 10 AS 748/07

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 10 AS 748/07
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 26/09
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auch in einem Eigenheim mit einer unangemessen großen Wohnfläche müssen die tatsächlichen Heizkosten in voller Höhe gewährt werden, soweit kein individuell verschwenderisches Verhalten vorliegt. Eine anteilige Kürzung auf die Wohnfläche, die angemessen wä
I. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen im Zeitraum April bis Juni 2006 monatlich insgesamt Heizkosten in Höhe von 233,45 EUR zu gewähren.

II. Der Bescheid vom 19.01.2006 in der Fassung der Bescheide vom 27.02.2006 und vom 28.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2007 wird aufgehoben, soweit sie dem entgegensteht.

III. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen.

IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerinnen begehren vom Beklagten höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum April bis Juni 2006. Der am 1960 geborene Klägerin zu 1 beantragte am 03.11.2004 erstmals für sich und ihre am 1993 geborene Tochter, die Klägerin zu 2, bei dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II. Sie bewohnen ein Eigenheim, das mit Gas beheizt wird. Der Beklagte gewährte den Klägerinnen ab 01.01.2005 laufend Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 28.09.2005 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen für den Zeitraum Juli bis Dezember 2005 monatlich 632,78 EUR und forderte die Klägerin zu 1 auf, die Heizkosten zu senken. Auf den am 12.01.2006 eingegangenen Fortzahlungsantrag vom 08.12.2005 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 19.01.2006 für Januar 2006 504.01 EUR und für den Zeitraum 01.02.2006 bis 30.06.2006 monatlich 650,69 EUR. Die Klägerin zu 1 erhob am 20.02.2006 Widerspruch. Nach Erlass des Änderungsbescheides vom 27.02.2006 bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 28.03.2006 für Januar 2006 533,76 EUR, für Februar 2006 344,55 EUR und für März bis Juni 2006 monatlich 742,27 EUR. Auf den Fortzahlungsantrag vom 16.05.2006 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 22.06.2006 für den Zeitraum Juli bis Dezember 2006 monatlich 645,79 EUR. Die Klägerinnen erhoben am 20.07.2006 Widerspruch. Ausweislich der Gasrechnung vom 12.12.2005 betrug der monatliche Abschlag für die Gaslieferung ab 01.01.2006 243 EUR. Der Abschlag wurde mit Gasrechnung vom 14.11.2006 ab Dezember 2006 auf 250 EUR pro Monat erhöht. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2007 setzte der Beklagte den Leistungsanspruch für Januar 2006 auf 563,60 EUR, für Februar 2006 auf 365,76 EUR und für März bis Juni 2006 auf monatlich 784,69 EUR fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2007 setzte der Beklagte den Leistungsanspruch für Juli bis Dezember 2006 auf monatlich 680,73 EUR fest und wies den Widerspruch im Übrigen zurück. Die Klägerin zu 1 hat am 19.03.2007 Klagen gegen beide Widerspruchsbescheide erhoben. Die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.02.2007 wird unter dem Az. S 10 AS 749/07 geführt. Das von den Klägerinnen bewohnte Eigenheim sei 1798 gebaut worden und lediglich teilsaniert. Es seien noch alte Fenster eingebaut, eine Decken- und Fußbodendämmung sei nicht vorhanden. Die Kosten würden dadurch gesenkt, dass nur Küche, Wohnzimmer, Kinderzimmer und Bad beheizt würden. Eine weitere Senkung der Heizkosten sei nicht möglich. Die Heizkosten hätten 243 EUR monatlich zuzüglich einer Nachzahlung von 30 EUR monatlich betragen. Die Klägerinnen beantragen zuletzt: Unter Abänderung der Bescheide des Beklagten vom 19.01.2006, 27.02.2006 und 28.03.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.02.2007 wird der Beklagte verpflichtet, die Heizkosten in der tatsächlich entstandenen Höhe für den Leistungszeitraum April bis Juni 2006 anzuerkennen und zu übernehmen. Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Heizkosten könnten nur übernommen werden, wenn sie angemessen seien. Die Begrenzung der übernommenen Heizkosten auf die für zwei Personen angemessene Wohnfläche von 60 m² sei nicht zu beanstanden. In der mündlichen Verhandlung am 10.11.2008 hat der Beklagte im Wege des von den Klägerinnen angenommenen Teilanerkenntnisses für den Zeitraum Januar bis März 2006 monatliche Heizkosten in Höhe von 233,45 EUR übernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Akte S 10 AS 749/07 und der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist, soweit sie nicht durch das Teilanerkenntnis erledigt ist, begründet. Die Klägerinnen haben im Zeitraum April bis Juni 2006 einen Anspruch auf Bewilligung von Heizkosten in Höhe von monatlich insgesamt 233,45 EUR. Der Bescheid vom 19.01.2006 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 27.02.2006 und vom 28.03.2006 in der Gestalt Widerspruchsbescheides vom 16.02.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerinnen in ihren Rechten, soweit er ihnen diesen Anspruch versagt. Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Dabei gehören zur Bedarfsgemeinschaft die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen dessen nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte sowie deren dem Haushalt angehörende minderjährige unverheiratete Kinder (§ 7 Abs. 3 SGB II). Streitig ist hier ausschließlich die Höhe des Anspruches im Zeitraum 01.04.2006 – 30.06.2006. Die Klägerin zu 1 hat als grundsätzlich erwerbsfähige Person nur Anspruch auf Leistungen, soweit sie hilfebedürftig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II). Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Die Höhe des Anspruches auf Arbeitslosengeld II bemisst sich nach § 19 SGB II. Der Bedarf der Klägerinnen ergibt sich zum einen aus der der Klägerin zu 1 gemäß § 20 Abs. 2 SGB II zustehenden Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 331 EUR und dem der Klägerin zu 2 gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II zustehenden Sozialgeld in Höhe von 199 EUR, weil die Klägerinnen ihren Wohnsitz in den neuen Bundesländern hatten. Weiterhin steht der Klägerin zu 1 gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung in Höhe von monatlich 40 EUR zu. Schließlich gehören zum Bedarf die ihnen gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehenden Leistungen für Unterkunft und Heizung. Zwischen den Parteien unstreitig sind im streitgegenständlichen Zeitraum die erstattungsfähigen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 253,51 EUR. Daneben besteht auf Grundlage des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ein Anspruch auf Leistungen für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, soweit diese angemessen sind. Tatsächlich sind im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich Kosten für die Gasheizung in Höhe von 243 EUR angefallen. Da nicht ersichtlich ist, dass die Klägerinnen in Anbetracht der von ihnen nicht zu beeinflussenden äußeren Umstände individuell unwirtschaftlich geheizt hätten, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Übernahme dieser Kosten in voller Höhe, vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 – B 7b AS 40/06 R –. Für die Angemessenheit der Heizkosten im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II kann kein abstrakter Maßstab angesetzt werden und für alle Haushalte eine allgemeine Pauschale für die Angemessenheit im genannten Sinne angenommen werden. Denn die Höhe der tatsächlich anfallenden Heizkosten hängt von zahlreichen Faktoren ab, die großenteils nicht von den Leistungsempfängern beeinflusst werden können, wie Lage und Bauzustand der Wohnung, Heizungsanlage aber auch den aktuellen klimatischen Bedingungen (vgl. Münder, SGB II, 2. Aufl. 2007, § 22 Rn. 67 m.w.N.). Der Beklagte durfte die Heizkosten auch nicht auf einen Betrag herunterkürzen, der der im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angemessenen Wohnfläche entspräche. Denn selbst wenn die Klägerinnen noch so sparsam heizen würden, würde eine derartige Quotelung stets dazu führen, dass sie einen Teil der Heizkosten selbst tragen müssten. In einem solchen Fall hat der Beklagte daher stets die vollen Heizkosten zu übernehmen, es sei denn, es liegt individuell unwirtschaftliches Heizverhalten vor (SächsLSG, Beschluss vom 24.10.2006 – L 3 B 158/06 AS-ER; anderer Auffassung: SächsLSG, Urteil vom 29.05.2008 – L 2 AS 175/07; BayLSG, Urteil vom 25.01.2008 – L 7 AS 93/07; LSG RhPf, Urteil vom 10.06.2008 – L 3 AS 41/06). Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 27.02.2008 – B 14/11b AS 15/07 R –) waren von den tatsächlich angefallenen Heizkosten lediglich die Kosten für die Warmwasserpauschale abzuziehen, da die Klägerinnen mit dem verbrauchten Gas nicht nur ihre Wohnung beheizt haben, sondern auch ihr Warmwasser bereitet haben. Die Warmwasserpauschale betrug bis 30.06.2006 vorliegend 9,55 EUR und ab 01.07.2006 9,95 EUR. Folglich hat der Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich Heizkosten in Höhe von 233,45 EUR zu übernehmen. Der monatliche Bedarf der Klägerinnen belief sich damit auf 1.056,96 EUR. Davon war das Kindergeld in Höhe von 154 EUR gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II abzuziehen, so dass ein monatlicher Leistungsanspruch in Höhe von 902,96 EUR verbleibt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Angemessenheit der Heizkosten bei Besitzern von Eigenheimen mit übergroßen Wohnflächen steht in zahlreichen Verfahren im Streit. Hierzu liegt bislang noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor, allerdings sind bereits Revisionen beim Bundessozialgericht anhängig (B 14 AS 36/08 R, B 14 AS 41/08 R, B 14 AS 65/08 R).
Rechtskraft
Aus
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