S 27 AS 1387/08 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
27
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 27 AS 1387/08 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Bei Ausschluss eines Teilnehmers aus einer Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit muss erst eine Abmahnung erfolgen, bevor das Arbeitslosengeld gekürzt wird.
Eine solche Abmahnung ist nur entbehrlich, wenn der Teilnehmer z. B. schwere Beleidigungen ausgesprochen hat. Dies ist dann aber zu dokumentieren.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2008 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin wird in Aufhebung des Vollzugs des Bescheides vom 24.10.2008 verpflichtet, an den Antragsteller das für den Zeitraum vom 01.11.2008 bis 31.12.2008 vorenthaltene Arbeitslosengeld II in Höhe von 105,00 EUR monatlich wieder auszuzahlen.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten im notwendigen Umfange zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1954 geborene Antragsteller bezieht laufende Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) und wendet sich gegen die Absenkung der Regelleistung. In einer am 11.06.2008 erstellten Eingliederungsvereinbarung verpflichtete er sich an einer ganzheitlichen Integrationsmaßnahme für Arbeitslose mit Aktivierungs- und Unterstützungsbedarf sowie multiplen Vermittlungshemmnissen und geringen Integrationschancen (GanzIL) bei dem Bildungszentrum B. in F. für die Dauer von sechs Monaten mit individuell zu vereinbarenden Terminen teilzunehmen. Der Beginn war für den 01.07.2008 vorgesehen. Die Eingliederungsvereinbarung war mit einer Rechtsfolgenbelehrung versehen, die u.a. zum Inhalt hatte, dass das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert abgesenkt werde, wenn der Antragsteller eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abbreche oder Anlass für den Abbruch gebe.

Ausweislich eines Vermerks der Mitarbeiterin T. der Antragsgegnerin vom 07.10.2008 gab der Antragsteller anlässlich einer Einladung dort am 06.10.2008 an, er habe noch nie so viel Inkompetenz gesehen, wie bei den Mitarbeitern des Bildungszentrums B. Es habe wohl auch unschöne Wortwechsel gegeben. Er bitte darum, dass die Maßnahme abgebrochen werde. In einem weiteren Vermerk über ein Gespräch mit Frau G. vom Bildungszentrum B. hat Frau T. am 23.10.2008 festgehalten, der Antragsteller habe wohl gestern wieder Mal einen seiner Auftritte gehabt und u.a. Dinge verbreitet, die überhaupt nicht stimmten. Dass er Frau T. gegenüber beleidigend geworden sei, müsse man nicht extra erwähnen. Insgesamt werde das Bildungszentrum die Maßnahme wohl abbrechen, weil mit dem Antragsteller keine Zusammenarbeit erzielt werden könne. Er arbeite überhaupt nicht mir. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf diesen Vermerk Bezug genommen.

Ohne den Antragsteller anzuhören, erließ die Antragsgegnerin unter dem 24.10.2008 einen Bescheid, mit dem sie für die Zeit vom 01.11.2008 bis 31.01.2009 die Regelleistung um monatlich 30 % senkte. Sie begründet dies unter Bezugnahme auf § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 6 SGB II damit, die Maßnahme beim Bildungszentrum Bauer sei am 23.10.2008 aufgrund von anmaßendem und unhöflichem Verhalten des Antragstellers durch den Träger beendet worden. Für dieses Verhalten habe der Antragsteller keinen wichtigen Grund gehabt.

Gegen den Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist.

Am 28.10.2008 hat der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und geltend gemacht, der Sanktionsbescheid sei rechtswidrig. Frau T. habe ihm in einer Unterredung am 06.10.2008 mitgeteilt, die Maßnahme werde gekippt. Er habe einen seitens des Bildungszentrums B. neu anberaumten Termin am 22.10.2008 um 13.00 Uhr wahrgenommen und sich dabei nach dem tatsächlichen Sachstand hinsichtlich der Maßnahme erkundet sowie Frau G. von seinem Gespräch mit Frau T. unterrichtet. Diese habe keinerlei Kenntnisse von irgendwelchen Unterredungen oder Schriftverkehr gehabt. Als er erwähnt habe, dass er mit der Antragsgegnerin gleicher Meinung hinsichtlich Inkompetenz und Konzeptionslosigkeit auf Seiten des Bildungszentrums B. sei, habe Frau G. dort komplett die Beherrschung verloren und ihn als einen "unverschämten und überheblichen Macker" bezeichnet. Er habe dann erklärt, er sei keinesfalls gewillt, sich als "Macker" titulieren zu lassen und habe das Gebäude ruhig und ohne jegliches Aufsehen oder weitere Äußerung verlassen. Die Unterredung habe etwa 10 Minuten gedauert. Er sei frei von jeglicher Schuld am Scheitern der Maßnahme und habe sich lediglich weiteren Beschimpfungen durch Verlassen des Gebäudes entzogen. Er habe insbesondere auch niemanden beleidigt.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24.102008 anzuordnen sowie die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm ungekürzte Leistungen nach dem SGB II zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag abzuweisen.

Sie hält den Sanktionsbescheid für rechtmäßig und bezieht sich insoweit auf Stellungnahmen der Fallmanagerin K. vom 06.11. und 02.12.2008.

Darin führt diese aus, am 22.10.2008 sei der Antragsteller aufgrund einer erneuten Einladung des Bildungszentrums B. bei Frau G. erschienen. Lt. Aussage von Frau G. sei er sofort auf Konfrontationskurs gewesen, habe seine unwahren Behauptungen in Bezug auf Frau T. wiederholt und ein sachliches Gespräch nicht zugelassen. Seine Behauptung, Frau G. hätte ihn als "unverschämten und überheblichen Macker" bezeichnet, bestreite Frau G. als unwahr, schon gar nicht hätte sie ihm gegenüber die Beherrschung verloren. Das Angebot eines gemeinsamen Gesprächs mit Frau T. gleich einigen Minuten später, um die Angelegenheit unkonventionell zu klären, habe er abgelehnt. Das Gebäude habe er zu Ende des Gesprächs entgegen seiner Aussage nicht ruhig und ohne jegliches Aufsehen, sondern wütend und aufgebracht verlassen. Frau G. habe ihr am selben Tag telefonisch mitgeteilt, dass sie in Bezug auf den Antragsteller sogar über ein Hausverbot nachdenke aufgrund seines Verhaltens ihr und den anderen Mitarbeiten gegenüber. Angesichts dieses Verhaltens und seiner fortwährenden fehlenden Mitwirkung sei daher an diesem Tag von ihr der Maßnahmeabbruch beschlossen worden. Eine vorherige Anhörung gemäß § 24 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) sei nicht möglich gewesen, da die Sanktion zum November 2008 habe erfolgen sollen. Die Anhörung könne gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X auch noch nachträglich erfolgen. Dem Antragsteller sei Gelegenheit hierzu zum 06.11.2008 gegeben worden. Hiervon habe er jedoch keinen Gebrauch gemacht.

In einem Erörterungstermin am 10.12.2008 hat der Antragsteller nochmals bestritten, irgendwelche Beleidigungen ausgesprochen zu haben. In diesem Termin hat der Vertreter der Antragsgegnerin den Abschluss eines Vergleichs wegen einer Weisung seines Teamleiters abgelehnt

Die Fallmanager- und Leistungsakte der Antragsgegnerin lagen dem Gericht vor.

II.

Der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auszulegende Antrag ist zulässig. Der Widerspruch des Antragstellers gegen den Absenkungsbescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2008 hat gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Da der Sanktionszeitraum bereits teilweise abgelaufen ist, hat das Gericht in Ausübung des ihm zustehenden Ermessens zudem den auf Zahlung gerichteten Antrag so verstanden, dass die Vollzugsfolgen rückgängig gemacht werden sollen. Dies geschieht dadurch, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, den bisher einbehaltenen Kürzungsbetrag wieder an den Antragsteller auszuzahlen.

Der Antrag ist begründet.

Nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes durchzuführenden summarischen Prüfung ergibt sich, dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 24.10.2008 rechtswidrig sein dürfte. Damit liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG vor. Für eine solche Anordnung kommt es nicht darauf an, ob der Antragsteller glaubhaft machen kann, das Abwarten eines Hauptsacheverfahrens sei unzumutbar und ob eine besondere Notlage vorliegt. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob ohne gerichtliche Regelung schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Denn diese Erwägungen gelten für die einstweilige Anordnung nach § 86 b Abs. 2 SGG. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist hingegen in aller Regel bereits dann anzuordnen, wenn sich der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtswidrig erweist, was hier der Fall ist. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen ernstliche Zweifel.

Die Antragsgegnerin stützt ihre Entscheidung auf die Vorschrift des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Danach wird das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Die Antragsgegnerin hat ihre Entscheidung damit begründet, der Antragsteller habe Anlass für den Abbruch der Maßnahme bei dem Bildungszentrum Bauer gegeben. Dies lässt sich aber so nicht aufrechterhalten.

Anlass für den Abbruch gibt, wer durch sein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger dem Leistungs- bzw. Maßnahmeträger Grund gibt, die Eingliederungsmaßnahme zu beenden (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage, Randnummer 23 zu § 31). Es kann hier zunächst dahinstehen, ob es sich bei der Maßnahme "ganzheitlichen Integrationsleistung" um eine für den Antragsteller zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit gehandelt hat. Der Antragsteller hat offensichtlich ausweislich der gefertigten Aktenvermerke erhebliche Kritik an dieser Maßnahme geäußert. Eine derartige Kritik, wenn sie nicht mit beleidigenden Inhalten erfolgt, ist erlaubt und muss auch im Interesse der Antragsgegnerin liegen, die ja sicherlich wissen will, wie wirksam die von ihr angebotenen Maßnahmen sind. Zweifel an der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ergeben sich hier schon deshalb, weil der Vertreter der Antragsgegnerin in dem Erörterungstermin nicht angeben konnte, ob die Maßnahme auch in Zukunft fortgeführt wird und welche Erfahrungen die Antragsgegnerin mit dieser Maßnahme gemacht hat. Dass die von dem Antragsteller geübte Kritik mit Beleidigungen einhergegangen sein soll, wie die Antragsgegnerin behauptet, ist zum einen in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht ausreichend dokumentiert und erfordert zum anderen eine umfangreiche Beweisaufnahme , die im Rahmen eines Eilverfahrens nicht geleistet werden kann. Es kann letztlich aber auch dahinstehen, ob ein maßnahmewidriges Verhalten des Antragstellers vorlag. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, erfüllt dies nicht ohne Weiteres den Tatbestand "Anlass für den Abbruch" einer Maßnahme nach § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II. Hinzukommen muss bei diesem Tatbestand vielmehr ein subjektiv vorwerfbares Verhalten an der Vorhersehbarkeit des sich daraus ergebenden Ausschlusses aus der Maßnahme (vgl. insoweit Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 13.06.2001, Aktenzeichen L 6 AL 1151/00 zu der vergleichbaren Regelung in § 144 SGB III unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.12.1999, Aktenzeichen B 7 AL 31/98 R). Der Ausschluss aus der Maßnahme ist für einen Teilnehmer nur vorhersehbar, wenn der Maßnahmeträger zuvor eindeutig darauf hingewiesen hat, dass ein bestimmtes Verhalten den Maßnahmeausschluss zur Folge hat. Eine solche Abmahnung ist hier aber weder in der Leistungsakte noch in der Fallmanagerakte dokumentiert. Das Gericht geht daher davon aus, dass eine solche Abmahnung auch nicht erfolgt ist. Im Wesentlichen beruht der Ausschluss des Antragstellers von der Maßnahme wohl auf dem Gespräch im Bildungszentrum B. am 22.10.2008. Hinsichtlich des Ablaufs dieses Gesprächs bestehen zwischen den Beteiligten unterschiedliche Darstellungen. Der Antragsteller bestreitet insoweit, irgendwelche Beleidigungen ausgesprochen zu haben, vielmehr sei er selbst beleidigt worden. Sollten bei diesem Gespräch schwere Beleidigungen vorgekommen sein, wäre zwar ausnahmsweise eine Abmahnung entbehrlich. Das Vorbringen der Antragsgegnerin ist hier aber viel zu unsubstantiiert, um hieraus den Schluss zu ziehen, eine vorherige Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen. Zwar können auch ein bekundetes Desinteresse des Arbeitslosen an einer Maßnahme und auch Nachlässigkeiten im Fachlichen oder Sozialverhalten, die einen Nutzen der Maßnahme für andere Teilnehmer gefährden, durchaus eine Sanktion auslösen. Ob ein solcher Fall vorliegt oder möglicherweise nur eine punktuelle Verstimmtheit bzw. eine fachliche Unterforderung, die eine evtl. gegebene Minderqualifikation der Eingliederungsmaßnahme widerspiegelt, lässt sich jedoch nur im jeweiligen Einzelfall rekonstruieren. Angesichts der naheliegenden Abgrenzungsschwierigkeiten sollte der zuständige Leistungsträger die Anwendung des Sanktionstatbestandes in einem solchen Fall daher auf äußerst dichte Ermittlungsergebnisse stützen können (vgl. hierzu auch Eicher/Spellbrink, a.a.O.). "Dichte Ermittlungsergebnisse" in diesem Sinn sind hier aber nicht vorhanden. Aus den von Frau K. gefertigten Vermerken lässt sich nicht erkennen, welche Beleidigungen der Antragsteller angeblich ausgesprochen haben soll. Es liegt hierzu auch keine Stellungnahme der Mitarbeiterin T. des Bildungszentrums B. vor.

Bei einer derartigen unsicheren Faktenlage ist eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich. Es muss daher letztlich auch im Wege einer Folgenabwägung entschieden werden, welchem Interesse bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Vorrang einzuräumen ist (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005, Aktenzeichen 1 BvR 569/05). Die Abwägung geht hier zu Gunsten des Antragstellers aus. Mit der Absenkung der Regelleistung um 30 % sind erhebliche Nachteile ihn verbunden. Es bestehen, wie ausgeführt, erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides. Diesen Zweifeln kann nur durch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung und Beseitigung der Vollzugsfolgen Rechnung getragen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf eine entsprechend Anwendung des § 193 SGG.

Die Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, weil in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre.
Rechtskraft
Aus
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