L 5 B 469/07 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 2051/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 469/07 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt und Rechtsanwalt ... beigeordnet. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 25. September 2007 aufgehoben. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab dem 1. Oktober 2007 bis zum 31. März 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen zu gewähren. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren bewilligt und Rechtsanwalt ... beigeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des An-tragstellers.

Gründe:

Die am Montag, den 29. Oktober 2007 durch den Antragsteller gegen den ihm am 27. September 2007 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg (SG) vom 25. September 2007 eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen und die es dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat (§ 174 Sozialgerichtsgesetz - SGG), ist statthaft und zulässig (§§ 172, 173 SGG).

Sie ist auch begründet. Das SG hat es zu Unrecht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller über den 1. Oktober 2007 hinaus darlehensweise Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II zu ge-währen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu dem die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet wer-den soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftig-keit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§§ 294 Abs. 1, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung i. V. m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG).

Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsgrund – er benötigt dringend Leistungen zur Deckung seines notwendigen Bedarfs – als auch einen Anordnungsanspruch glaub-haft gemacht. Insbesondere steht seinem Begehren bei summarischer Prüfung nicht die Regelung des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II entgegen.

Danach haben Auszubildende, deren Ausbildung – wie das Studium der Islamwissen-schaften – im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistun-gen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Jedoch können in besonderen Härtefällen Leis-tungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen geleistet werden (§ 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II). Ein derartiger Härtefall liegt bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum früheren § 26 Satz 2 Bun-dessozialhilfegesetz (BSHG), dem § 7 Abs. 2 Satz 2 SGB II nachgebildet ist, besteht eine besondere Härte nur dann, wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung der Hilfe zum Lebensunterhalt für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist. Ein ´besonderer` Härtefall im Sinne des § 26 Satz 2 BSHG liege erst dann vor, wenn im Ein-zelfall Umstände hinzuträten, die einen Ausschluss von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße unbillig, erscheinen ließen(BVerwG, Urteil v. 14.10.1993, 5 C 16.91, BVerwGE 94, 224, 226-228).

Diese recht unbestimmten Grundsätze hat die Rechtsprechung der Oberverwaltungsge-richte der Länder durch die Bildung von Fallgruppen mit dem Ziel ausgefüllt, den Abbruch sinnvoller Ausbildungen zu vermeiden (vgl. hierzu OVG Lüneburg, Beschluss v. 29.9.1995, 4 M 5332/95, FEVS 46, 422 ff. und zur sozialgerichtlichen Rechtsprechung Brühl/Schoch in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn. 102 m.w.N.). Dazu gehören insbesondere die Unzumutbarkeit der Arbeitsaufnahme wegen Krankheit oder Behinderung, der Wegfall einer bei Ausnahme der Ausbildung gesicherten finanziellen Grundlage und ein bereits weit fortgeschrittenes Studium. Die genannten Fallgruppen stellen nach Auffassung des Senats keinen abschließenden Katalog von Härtefallgründen dar, sondern dienen im Sin-ne einer typisierenden Betrachtungsweise der Vereinfachung und Vereinheitlichung der Entscheidungsfindung. Maßgebend sind letztlich die besonderen Umstände des jeweili-gen Einzelfalles (vgl. Beschluss des Senats v. 14.5.2007, L 5 B 571/06 ER AS; Schuma-cher in Oestreicher, SGB XII/SGB II, § 7 SGB II Rn. 34).

Das Vorliegen derartiger, einen atypischen Ausnahmefall begründender Umstände ist im Rahmen einer Gesamtschau zu bejahen. Dabei ist auf der einen Seite zu berücksichtigen, dass der Ausschlusstatbestand der Regelvorschrift grundsätzlich den Zweck hat, die So-zialhilfe von einer Ausbildungsförderung auf ´zweiter Ebene` zu befreien (vgl. BVerwG a.a.O.). Auf der anderen Seite muss der Zielvorstellung des Gesetzgebers, dass Hilfebe-dürftige ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten können und bei der Auf-nahme der Erwerbstätigkeit unterstützt werden sollen (§ 1 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II), auch bei der Auslegung des Begriffs der besonderen Härte in § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II Rechnung getragen werden (std. Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse v. 5.11.2007, L 5 B 356/07 ER AS und v. 2.2.2006, L 5 B 396/05 ER AS, FEVS 57, 429,431).

Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der Antragsteller das Studium aus einer gesicherten finanziellen Lage heraus begonnen haben dürfte. Er erhielt bis zur Mitte des fünften Se-mesters Sozialhilfe. Grundsätzlich ist auch die Gewährung von Sozialleistungen wie Sozi-alhilfe (vgl. Hess. LSG, Beschl. v. 11.8.2005, L 9 AS 14/05, FEVS 57, 308) oder Arbeitslo-senhilfe (Beschluss des Senats v. 2.2.2006 a.a.O.) als ausreichende finanzielle Grundla-ge anzusehen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Bezieher nicht damit rechnen müssen, dass es in naher Zukunft zur Einstellung der Leistungen kommen wird. Dies dürfte vorlie-gend der Fall sein, da ihm vom seinerzeit zuständigen Sozialhilfeträger, der Sozialabtei-lung des Ortsamtes S., mit Schreiben vom 25. Juni 2002 zugesichert worden war, auch während des Studiums weiterhin Sozialhilfe zu zahlen.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist der Umstand, dass sich der Antragsteller derzeit im sechs-ten Semester des im Wintersemester 2002/2003 begonnenen – zwischenzeitlich aufgrund des im April 2005 geschlossenen Vergleichs unterbrochenen – Studiums der Islamwis-senschaften befindet; bei erstmaliger Antragstellung hatte er das fünfte Hochschulsemes-ter begonnen. Der Senat kann es dahingestellt bleiben lassen, ob schon die Dauer des bereits absolvierten Studiums für sich allein ausreicht, um einen Härtefall zu bejahen. Je-denfalls hat der Antragsteller bereits einen signifikanten Teil seines Studiums erfolgreich absolviert, der bei der Prüfung eines Härtefalles nicht außer Betracht bleiben kann.

Das Studium läßt auch erwarten, dass der Antragsteller nach dessen Abschluss in der Lage sein wird, jedenfalls im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst für seinen Lebensun-terhalt zu sorgen. Sicherlich sind Zweifel angebracht, ob er zukünftig vollschichtig auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig sein wird. Dieser Maßstab kann jedoch vorliegend nicht zugrunde gelegt werden, denn nach den vorliegenden Unterlagen, insbesondere dem Schreiben des Amtsarztes Dr. Dirksen-Fischer D. vom 24. Juni 2005, ist die Erwerbsfähigkeit des Antragstellers auf drei Stunden täglich beschränkt. Dass sich in der Zwischenzeit eine Änderung ergeben haben sollte, ist nicht erkennbar. Zu berücksichtigen ist auch, dass das Arbeitsamt Hamburg vor Aufnahme des Studiums eine Umschulung abgelehnt hatte, da sie nicht zu einer dauerhaften Wiedereingliederung führen würde; die Aufnahme einer leidensgerechten Tätigkeit stehe im Vordergrund (vgl. Schreiben vom 2. März 2004). Somit ist es ausreichend, dass ein Abschluss des Studiums die Perspektive eröffnet, jedenfalls drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen; dies ist vor-liegend gut vorstellbar, wenn auch nicht zwingend auf akademischem Niveau.

Schließlich kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Fortführung des Studiums – der Beurteilung von Dr. Dirksen-Fischer D. folgend – auch eine Eingliederungsmaßnahme darstellt. Insoweit war bereits in der Hamburger Verwaltungsrechtsprechung anerkannt, dass ein besonderer Härtefall gegeben ist, wenn ein Hochschulstudium als Wiederein-gliederungsmaßnahme zu bewerten ist (vgl. VG Hamburg, Beschluss v. 18.12.1995, 8 VG 5271/95, Juris Rn. 6 u. 8 unter Hinweis auf OVG Hamburg, Beschluss v. 8.9.1993, OVG Bs IV 35/93).

Dass die Fortführung des Studiums den Antragsteller daran hindern könnte, eine leidens-gerechte Tätigkeit aufzunehmen und auf diese Weise seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, ist nicht erkennbar. Jedenfalls hat es die Antragsgegnerin während der immer-hin gut zwei Jahre dauernden Beurlaubungsphase nicht vermocht, dem Antragsteller die Aufnahme einer derartigen Tätigkeit zu ermöglichen.

Die Antragsgegnerin war dem Grunde nach zur Leistung zu verpflichten, obwohl die Här-tefallregelung ihrem Wortlaut nach als Ermessensregelung ausgestaltet ist (Beschl. des Senats v. 14.5.2007).

Das SG hat ferner zu Unrecht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung nach der im Prozesskostenhilfeverfahren lediglich erforderlichen sum-marischen Prüfung hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne einer zumindest guten Mög-lichkeit, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringt, bot (§ 114 Zivilprozess-ordnung i.V.m. § 73a Abs. 1 SGG). Hierzu kann auf die vorstehenden Ausführungen ver-wiesen werden. Dem entsprechend war auch Prozesskostenhilfe für das Beschwerdever-fahren zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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