L 12 AS 2069/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1412/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2069/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Bereich der Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II sind die Vorschriften der §§ 323 ff. SGB III nicht anwendbar, da das SGB II in § 37 abweichende Regelungen i.S.v. § 16 Abs. 1a SGB II enthält. Eine Fahrkostenbeihilfe kann daher noch nach Arbeitsbeginn beantragt, allerdings erst ab Antragstellung bewilligt werden.
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Februar 2008 abgeändert und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2007 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Fahrkostenbeihilfe für den Zeitraum vom 24. August bis 21. September 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

2. Die Beklagte erstattet ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen, im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe.

Der 1956 geborene Kläger sowie die mit ihm zusammen lebende Ehefrau und vier Kinder bezogen seit Januar 2005 Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Am 21. August 2006 nahm der Kläger eine Beschäftigung bei der Firma O. KG auf. Eingesetzt war er in der Zeit vom 21. August bis 21. September 2006 bei der Firma f. GmbH in V. (Entfernung zur Wohnung des Klägers 20,5 km) und vom 22. September 2006 bis 21. Februar 2007 bei der Firma J. D. in M. (Entfernung zur Wohnung des Klägers 11,5 km).

Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 24. August 2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe. Mit Bescheid vom 11. September 2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da der Antrag auf Mobilitätshilfen bei Aufnahme einer Beschäftigung grundsätzlich vor Arbeitsaufnahme zu stellen sei. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, § 16 SGB II enthalte keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Antrag vor Arbeitsaufnahme gestellt sein müsse. Darüber hinaus lege er Wert auf die Feststellung, dass er den Antrag auf Gewährung von Fahrkostenbeihilfe vor der Arbeitsaufnahme am 21. August 2006 gestellt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende erfasse auch die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe als Mobilitätshilfe. Nach § 37 Abs. 1 SGB II würden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur auf Antrag erbracht. Über den Verweis von § 16 Abs. 1a SGB II auf die Geltung der Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) gelte unter anderem § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III, wonach Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht würden, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden seien. Leistungsbegründendes Ereignis sei hier die Aufnahme der Beschäftigung des Klägers. Die Antragstellung sei nach der Aufnahme der Beschäftigung erfolgt, so dass keine Fahrkostenbeihilfe gewährt werden könne. Die Ausnahmeregelungen in § 323 Abs. 1 Satz 3 und § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III fänden wegen § 16 Abs. 1 a SGB II keine Anwendung, da § 37 SGB II weder eine Leistungserbringung von Amts wegen, noch eine verspätete Antragstellung bei unbilliger Härte vorsehe. Die behauptete Antragsstellung vor Arbeitsaufnahme sei nicht substantiiert dargelegt.

Mit seiner am 19. April 2007 zum Sozialgericht (SG) Mannheim erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe am Vormittag des 21. August 2006 von dem Leiter der Zeitarbeitsfirma O. P. KG das Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrags als Produktionshelfer erhalten. Der Abschluss des Arbeitsvertrags sei an die Bedingung geknüpft gewesen, das Arbeitsverhältnis sofort anzutreten. Entsprechend habe der Kläger noch am Vormittag des 21. August 2006 seine Arbeit aufgenommen. Am 22. und 23. August 2006 habe er erfolglos wiederholt versucht, die Beklagte telefonisch zu erreichen. Am 24. August 2006 habe er bei der Entleihfirma in V. um eine Freistellung von der Arbeit gebeten, um Einstiegsgeld und Fahrkostenbeihilfe beantragen zu können. Entsprechend § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III sei der Antrag zwar grundsätzlich vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses zu stellen, nach Satz 2 könne jedoch eine verspätete Antragstellung zur Vermeidung unbilliger Härten zugelassen werden. Von dem ihr eingeräumten Ermessen habe die Beklagte keinen Gebrauch gemacht, weil sie die Möglichkeit einer unbilligen Härte während des Verwaltungsverfahrens in keiner Weise in Betracht gezogen habe. Der Kläger habe mit dem sofortigen Arbeitsantritt alles getan, um seine Arbeitslosigkeit zu beenden. Es sei widersinnig, von ihm die Ausschlagung dieser Möglichkeit zu verlangen, um Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen. Angesichts des gerade überwundenen Alg-II-Bezugs und der nachfolgenden kargen Vergütung durch eine Zeitarbeitsfirma stelle eine monatliche Belastung von 75 EUR allein für die Fahrkosten eine solche Belastung dar, dass man eine Reduzierung des eingeräumten Ermessens auf Null bejahen könne. Habe die Verwaltung von dem ihr eingeräumten Ermessen - wie hier - überhaupt keinen Gebrauch gemacht, sei der Betroffene in seinem Recht auf seine ermessensfehlerfreie Entscheidung verletzt. Die unterbliebene Ermessenausübung könne nach Klageerhebung nicht mehr nachgeholt werden.

Mit Urteil vom 11. Februar 2008 hat das SG Mannheim die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nachdem der Kläger nunmehr eingeräumt habe, den Antrag auf Fahrkostenbeihilfe erst drei Tage nach Arbeitsaufnahme gestellt zu haben, seien die Voraussetzungen einer Gewährung von Fahrkostenbeihilfe nicht gegeben. Ob die Beklagte gemäß § 16 Abs. 1a SGB II in Verbindung mit § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch im Bereich des SGB II zur Vermeidung unbilliger Härten eine verspätete Antragstellung zulassen dürfe, könne letztlich offen bleiben. Selbst wenn man hiervon ausgehe, führe dies nicht zum Erfolg der Klage, da die Beklagte entsprechende Ermessenserwägungen im Klageverfahren nachgeholt habe. Die Beklagte sei nach § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) berechtigt gewesen, Ermessenserwägungen im Klageverfahren nachzuschieben. Ermessen sei auszuüben hinsichtlich der Frage, ob überhaupt eine verspätete Antragsstellung wegen besonderer Härte zugelassen werde und darüber hinaus, ob die Leistung auch ausgehend von rechtzeitiger Antragstellung bewilligt werden solle, da die entsprechenden Leistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II Ermessensleistungen seien. Vorliegend sei nach dem geschilderten Ablauf verständlich, dass der Antrag verspätet gestellt worden sei, so dass die Zulassung einer verspäteten Antragstellung geboten sein möge. Jedoch seien die Erwägungen der Beklagten, warum keine Fahrkostenbeihilfe zu gewähren sei, in der Sache nicht zu beanstanden. Zweck der Fahrkostenbeihilfe sei die Ermöglichung einer Arbeitsaufnahme, die ansonsten an den zu hohen Kosten für den Weg zur Arbeit scheiterte. Die Entfernung von M.-S. zur ersten Arbeitsstelle in V. mit ca. 18 km halte sich absolut im Rahmen des Üblichen. Es sei auch ermessengerecht, zu berücksichtigen, dass der Abzug von Fahrkosten als Werbungskosten bei der Einkommensanrechnung die Belastung abfedere und im Falle des Klägers jedenfalls für den Weg nach Viernheim die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel möglich gewesen sei. Zu weiter entfernt gelegenen Einsatzorten habe der Kläger vom Arbeitgeber die Fahrkosten erstattet bekommen, soweit sie 30 km Entfernung überschritten. Die Beklagte habe ihr Ermessen sowohl hinsichtlich der Zulassung einer verspäteten Antragstellung als auch in der Sache entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und sich an die gesetzlichen Grenzen des Ermessens gehalten.

Gegen das seinem Bevollmächtigten am 15. April 2008 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. April 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Zur Begründung bezieht er sich auf sein Vorbringen in erster Instanz und macht geltend, zu Recht gehe das SG von der Zulassung einer verspäteten Antragstellung wegen besonderer Härte aus. Allerdings habe die Beklagte weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid Ermessenserwägungen getätigt. Es liege ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor, so dass die Versagung nur rechtmäßig wäre, wenn eine Ermessensreduzierung auf nur eine mögliche Entscheidung vorläge, was hier jedoch nicht der Fall sei. Die unterbliebene Ermessensausübung könne nicht nachträglich durch Ermessenserwägungen in einem Schriftsatz im laufenden Gerichtsverfahren geheilt werden (unter Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2008 - L 2 U 221/06 - (juris)). Darüber hinaus habe die wirtschaftliche Lage des Klägers zum Zeitpunkt der Antragstellung berücksichtigt werden müssen. Der Kläger habe am Rande des Existenzminimums gelebt und von seinem Arbeitgeber nur Fahrkosten erstattet bekommen, wenn der Einsatzort mehr als 30 km von M. aus entfernt gelegen habe.

Der Kläger beantragt:

Das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 11. Februar 2008 wird aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 11. September 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Fahrkostenbeihilfe für die Zeit vom 21. August 2006 bis 21. Februar 2007 in Höhe von 1.056 EUR zu zahlen, hilfsweise

über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Fahrkostenbeihilfe vom 24. August 2006 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Hinsichtlich des Zeitraumes vom 22. September 2006 bis 21. Februar 2007 seien bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 53 Abs. 2 Nr. 3 SGB III nicht erfüllt, da es sich nicht um eine auswärtige Arbeitsaufnahme gehandelt habe. Die Tätigkeit bei den J.-D. Werken habe sich ebenso wie die Wohnung des Klägers in M. befunden. Bei einer Entfernung von 11,32 km liege auch keine innerörtlich erhebliche Entfernung vor. Eine Ermessensentscheidung sei für diese Zeit daher gar nicht vorzunehmen. Selbst wenn die Zulassung der verspäteten Antragstellung geboten gewesen sein mochte, seien ansonsten die Erwägungen der Beklagten - wie das SG Mannheim festgestellt habe - nicht zu beanstanden. Nach der Vorgehensweise des Klägervertreters erhalte jeder, der im Leistungsbezug stehe, eine Fahrkostenbeihilfe, denn die wirtschaftliche Lage der Arbeitslosengeld II-Empfänger sei stets - im Rahmen des geschützten Vermögens - unter dem soziokulturellen Existenzminimum, welches erst durch den Leistungsbezug sicher gestellt sei. In Bezug auf den Zeitraum vom 21. August bis 21. September 2006, die Tätigkeit in V., seien Mobilitätshilfen zur Aufnahme der Beschäftigung nicht notwendig. Bei einer Entfernung von ca. 20 km und einem Monatskartenpreis von 75 EUR hätte es die Beklagte für sehr wahrscheinlich gehalten, dass der Kläger die Arbeit auch ohne Fahrkostenbeihilfe annehmen werde, wie er es tatsächlich getan habe. Darüber hinaus ergäben die beantragten Fahrkosten von 1.056 EUR einen Monatspreis von 176 EUR. Dieser stehe in auffälligem Missverhältnis zum Preis für eine Monatskarte für öffentliche Verkehrsmittel, so dass die Fahrkosten mit dem eigenen Pkw doch keine derart große Belastung darzustellen schienen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten, die Klageakte des SG und die Berufungsakte des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die der Senat nach erteiltem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat teilweise Erfolg.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden sowie statthaft (§ 143 SGG), Berufungsausschließungsgründe im Sinne von § 144 Abs. 1 SGG liegen nicht vor. Die Berufung ist jedoch nur zu einem geringen Teil begründet. Der angefochtene Bescheid vom 11. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2007 ist lediglich insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als die Beklagte hinsichtlich des Zeitraumes vom 24. August bis 21. September 2006 zur Neubescheidung über den gestellten Antrag zu verpflichten war. Im übrigen ist die unbegründete Berufung zurückzuweisen.

Als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Fahrkostenbeihilfe kommt allein § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 53 Abs. 1, 2 Nr. 3 b SGB III in Betracht. Danach kann die Agentur für Arbeit zur Eingliederung in Arbeit u.a. die im Dritten Abschnitt des Vierten Kapitels des Dritten Buches geregelten Leistungen erbringen, wozu die Mobilitätshilfen gehören. Dabei ist unstreitig, dass der Kläger dem Grunde nach berechtigt ist, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, welche Leistungen zur Eingliederung in Arbeit umfassen (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 SGB II), in Anspruch zu nehmen. Der Kläger hat das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet, er ist erwerbsfähig, hilfebedürftig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist damit ein erwerbsfähiger Hilfebedürftiger im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Die Hilfebedürftigkeit ergibt sich schon daraus, dass der Kläger und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Familienmitglieder seit Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehen, da die jeweils erzielten Einkommen - auch im hier streitigen Zeitraum vom 21. August 2006 bis 21. Februar 2007 - nicht ausreichten, den Unterhalt der Familie sicherzustellen. Als italienischer Staatsangehöriger ist der Kläger auch leistungsberechtigt im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 SGB II, da ihm die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist (§ 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz) i.V.m. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) in der bis 27. August 2007 geltenden Fassung (BGBl. I 2004, 1950, 1986)).

Die Leistung muss gesondert beantragt werden, da ein Antrag auf Alg II nicht automatisch einen Antrag auf Eingliederungsleistungen nach § 16 SGB II umfasst (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 16 Rdnr. 21b). Dabei ist zu beachten, dass nach § 16 Abs. 1a SGB II die Vorschriften des SGB III entsprechend anzuwenden sind, soweit das SGB II keine abweichenden Regelungen enthält. Diese, mit Wirkung zum 01. August 2006 eingefügte Vorschrift (Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006, BGBl. I S. 1706) entspricht der früheren Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 3 SGB II und sollte zur Klarstellung der bisherigen Rechtslage dienen (vgl. BT-Drucks. 16/1696 S. 26). Insoweit bedeutet diese Regelung, dass für die Eingliederungsleistungen nach § 16 Abs. 1 SGB II sowohl die Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen des SGB III gelten, soweit das SGB II keine abweichenden Voraussetzungen regelt. Es handelt sich insoweit um eine dynamische Rechtsgrundverweisung (vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, a.a.O. , § 16 Rdnr. 56; Zahn in Mergler/Zink, SGB II, § 16 Rdnr. 83; Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 16 Rdnr. 313; Niewald in LPK-SGB II, 2. Aufl., § 16 Rdnr. 11).

Die Antragstellung nach Arbeitsaufnahme erst am 24. August 2006 steht dem geltend gemachten Anspruch nicht schon dem Grunde nach entgegen. Hinsichtlich der Antragstellung enthält § 37 SGB II Regelungen, die von dem Antragserfordernis nach §§ 323 ff. SGB III abweichen. So werden anders als gemäß § 323 Abs. 1 Satz 3 SGB III Leistungen nicht von Amts wegen erbracht (§ 37 Abs. 1 SGB II; vgl. auch Link in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 37 Rdnr. 9). Nach § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III werden Leistungen der Arbeitsförderung nur erbracht, wenn sie vor Eintritt des leistungsbegründenden Ereignisses beantragt worden sind. Für einen im Bereich des SGB III gestellten Antrag auf Fahrkostenbeihilfe bedeutet dies, dass er vor der Arbeitsaufnahme als leistungsbegründendes Ereignis - in dem Sinne, dass die Arbeitsaufnahme den unmittelbaren Leistungsbedarf auslöst - gestellt werden muss. Zur Vermeidung unbilliger Härten ist insoweit § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III zu berücksichtigen, wonach eine verspätete Antragstellung zugelassen werden kann. Bei Zulassung einer verspäteten Antragstellung wirkt der Antrag zurück, so dass der Antragsteller vergleichbar einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand so zu stellen ist, als habe er den Antrag rechtzeitig gestellt (vgl. Niesel in Niesel, SGB III, 4. Aufl., § 324 Rdnr. 9). Eine derartige Rückwirkung kommt im Rahmen des SGB II nicht in Betracht, § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II regelt insoweit ausdrücklich, dass Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor Antragstellung erbracht werden, abgesehen von der in Satz 2 geregelten Ausnahme für das Eintreten der Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag, an dem der zuständige Leistungsträger nicht geöffnet hat. Dies spricht eindeutig gegen die Anwendung des § 324 Abs. 1 Satz 2 SGB III im Bereich der Eingliederungsleistungen nach dem SGB II (vgl. Eicher in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 16 Rdnr. 58; offen gelassen Voelzke in Hauck/Noftz, a.a.O., § 16 Rdnr. 320). Da die Systematik im Bereich der §§ 323 ff. SGB III und des § 37 SGB II wie oben dargestellt völlig unterschiedlich ist, sieht der Senat die Regelung des § 37 SGB II für den Bereich der Eingliederungsleistungen als abschließende anderweitige Regelung an, die gemäß § 16 Abs. 1a SGB II einer entsprechenden Anwendung der §§ 323 ff. SGB III insgesamt entgegen steht (vgl. Zahn in Mergler/Zink, a.a.O., § 16 Rdnr. 86; Link in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 37 Rdnr. 21b; wohl auch Eicher in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 16 Rdnr. 58). Dass insoweit eine unterschiedliche Behandlung von Antragstellern erfolgt, je nachdem ob sie als SGB II-Berechtigte Eingliederungsleistungen beantragen oder originär Leistungsansprüche nach dem SGB III geltend machen, steht unter Gleichheitsgesichtspunkten einer derartigen Auslegung im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der Leistungssysteme nach dem SGB II und dem SGB III nicht entgegen.

Gegen die von der Beklagten vertretene Auffassung einer Anwendung von § 324 Abs. 1 Satz 1 SGB III, nicht aber von Satz 2 der Vorschrift im Bereich der Eingliederungsleistungen spricht, dass es kaum nachvollziehbar ist, warum zwar eine Modifizierung des § 37 SGB II im Sinne einer Verschärfung (Antragstellung vor Arbeitsaufnahme), nicht aber auch im Sinne einer diese Verschärfung wieder abmildernden Härtefallregelung möglich sein soll - wenn auch insoweit die Grenze des § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen wäre, so dass zwar ggf. eine verspätete Antragstellung zugelassen werden könnte, Leistungen jedoch gleichwohl erst ab Antragstellung gewährt werden könnten. Diese Kontrollüberlegungen zeigen zudem deutlich, dass die Systeme des Antragserfordernisses in §§ 323 ff. SGB III und § 37 SGB II kaum kompatibel sind, so dass insgesamt die besseren Gründe dafür sprechen, die Vorschriften der §§ 323 ff. SGB III im Bereich der Eingliederungsleistungen gemäß § 16 Abs. 1a SGB II überhaupt nicht heranzuziehen.

Nach alledem konnte der Kläger auch am 24. August 2006 noch wirksam den Antrag auf Fahrkostenbeihilfe stellen, auch wenn eine Leistungsgewährung vor Antragstellung für den Zeitraum vom 21. bis 23. August 2006 wegen § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB II nicht in Betracht kommt, so dass die Berufung für diesen Zeitraum schon aus diesem Grund keinen Erfolg haben kann.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 53 Abs. 1 SGB III können Leistungsberechtigte nach dem SGB II, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen, durch Mobilitätshilfen gefördert werden, soweit dies zur Aufnahme der Beschäftigung notwendig ist. Bei der insoweit erforderlichen Prognoseentscheidung ist darauf abzustellen, ob das Beschäftigungsverhältnis ohne die Gewährung der Mobilitätshilfen wahrscheinlich nicht zustande kommen würde (vgl. LSG Thüringen, Urteil vom 06. November 2003 - L 3 AL 755/01 - (juris)). Es handelt sich um eine gerichtlich voll überprüfbare Prognoseentscheidung, der Beklagten steht insoweit kein Beurteilungsspielraum zu (BSG SozR 4 - 4200 § 16 Nr. 1; Voelzke, a.a.O. § 16 Rdnr. 337; a.A. Eicher in Eicher/Spellbrink, a.a.O., § 16 Rdnr. 179). Entscheidend sind die Verhältnisse, die zu der Zeit vorlagen, als die Verwaltung mit dem Antrag des Klägers befasst war (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2007 - L 7 AL 543/06 -). Wie die Beklagte im Rahmen des Berufungsverfahrens deutlich gemacht hat, ist sie der Auffassung, angesichts der nur geringen Entfernung vom Wohnort des Klägers bis zu seinem Arbeitsort in V. werde für sehr wahrscheinlich gehalten, dass der Kläger die Arbeit auch ohne Fahrkostenbeihilfe antreten und das Beschäftigungsverhältnis zustande kommen werde. Aus der Tatsache, dass der Kläger das Beschäftigungsverhältnis ohne entsprechende Beihilfe tatsächlich aufgenommen hat, kann indes nicht im Rückblick geschlossen werden, dass schon aus diesem Grunde die Fahrkostenbeihilfe nicht notwendig war. Nach dem geschilderten zeitlichen Ablauf hatte der Kläger keine andere Wahl, als die Arbeit mit Vertragsschluss entweder sofort anzutreten oder gar keinen Arbeitsvertrag zu erhalten. Dass die begehrte Fahrkostenbeihilfe für den Kläger sehr wohl von erheblicher Bedeutung war, zeigt sich auch daran, dass er bei der Entleihfirma um eine Arbeitsfreistellung nachgesucht hat, um den - nach seiner Vorstellung nur im Rahmen einer persönlichen Vorsprache möglichen - Antrag stellen zu können. Nach Auffassung des Senats dürfen an das Kriterium der Notwendigkeit i.S.v. § 53 Abs. 1 SGB III für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II jedenfalls dann keine zu strengen Anforderungen gestellt werden, wenn der zu erwartende Verdienst gering ist. Die Überlegungen zur Zumutbarkeit, wie sie die Beklagte in ihrem Schreiben vom 17. September 2007 angestellt hat, können durchaus im Rahmen der - bejaht man die Eingangsvoraussetzungen - erforderlichen Ermessensentscheidung berücksichtigt werden.

Nach § 53 Abs. 2 Nr. 3b SGB III umfassen die Mobilitätshilfen bei Aufnahme einer Beschäftigung tägliche Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle (Fahrkostenbeihilfe) allerdings nur bei auswärtiger Arbeitsaufnahme. In der Zeit vom 22. September 2006 bis 31. Februar 2007 hat der Kläger indes bei der Firma J. D. in M. gearbeitet, also an seinem Wohnort. Von einer auswärtigen Arbeitsaufnahme kann insoweit nicht die Rede sein. Angesichts der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 11,5 km (Routenplaner) besteht auch kein Bedürfnis für eine erweiternde Auslegung des § 53 Abs. 2 Nr. 3 SGB III (so für erhebliche innerörtliche Entfernungen Petzold in Hauck/Noftz, SGB III § 54 Rdnr. 10; Hennig in Eicher/Schlegel, SGB III, § 53 Rdnr. 57), da bei einer einfachen Fahrstrecke von lediglich 11,5 km jedenfalls keine derart erhebliche Entfernung in Rede steht (wie hier auch LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 20. Februar 2007 - L 2 AL 84/05 - (juris)). Für diesen Zeitraum kommt daher unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Fahrkostenbeihilfe in Betracht, so dass sich insoweit die Frage einer unterbliebenen bzw. nachgeholten Ermessensausübung durch die Beklagte nicht stellt. Insoweit war die Berufung für den Zeitraum 22. September 2006 bis 31. Februar 2007 daher ebenfalls zurückzuweisen.

Für die Zeit vom 24. August bis 21. September 2006 sind dem gegenüber die Eingangsvoraussetzungen für die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe dem Grunde nach erfüllt. Die Beklagte hat daher Ermessen auszuüben hinsichtlich der Frage, ob überhaupt Mobilitätshilfen gewährt werden, da die Gewährung in ihrem Ermessen steht. Die Beklagte hat weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid Ermessen ausgeübt. Entgegen der Auffassung des SG kann durch die Ausführungen der Beklagten in Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung vor dem SG dieser Fehler nicht geheilt werden. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) besteht auf eine pflichtgemäße Ermessenausübung ein Anspruch. Bei völligem Ausfall des Ermessens ist der Verwaltungsakt nach § 54 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGG rechtswidrig. Die Beklagte hat bei Erlass des angefochtenen Bescheids ihre Pflicht zur Ermessensausübung verkannt, da sie davon ausging, bereits die Antragstellung nach Arbeitsaufnahme stehe dem Anspruch dem Grunde nach entgegen. Für Ermessenentscheidungen schreibt § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X eine erweiterte Begründungspflicht vor, wonach die Begründung diejenigen Gesichtspunkte erkennen lassen muss, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Mängel in der Mitteilung der Ermessensbegründung sind heilbar nach § 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X (vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, § 41 Rdnr. 25; Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage, § 41 Rdnr. 11). Nach der ab 1. Januar 2001 geltenden Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X (BGBl. I 2001 S. 130) kann eine erforderliche Begründung eines Verwaltungsaktes noch bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden und nicht mehr wie zuvor nur bis zur letzten Behördenentscheidung. Indes ermöglicht auch die Neufassung des § 41 Abs. 2 SGB X nicht das erstmalige Anstellen von zuvor unterbliebenen Ermessenserwägungen noch während des gerichtlichen Verfahrens. Die Erwägungen der Beklagten im gerichtlichen Verfahren stellen die erstmalige Ausübung von Ermessen dar, die nur in einem neuen Bescheid, nicht aber durch eine Ergänzung des bisherigen Bescheides erfolgen kann, denn eine Ermessensentscheidung ist gegenüber einer gebundenen Entscheidung, wie sie die Beklagte zunächst getroffen hat, ein aliud (vgl. Schütze in von Wulffen, a.a.O., § 41 Rdnr. 11). Ein Ermessensausfall kann nach alledem nicht durch das Nachschieben einer Begründung im Klageverfahren geheilt werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22. Februar 2007 - L 10 R 5254/05 - ; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19. Dezember 2007 - L 17 U 37/07 - ; LSG Berlin - Brandenburg, Urteil vom 12. Februar 2008 - L 2 U 221/06 - (alle juris)).

Hinsichtlich des Zeitraums vom 24. August bis 21. September 2006 ist somit noch eine Ermessensentscheidung durch die Beklagte zu treffen. Das Gericht kann sein Ermessen nicht an die Stelle der Verwaltung setzen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Juli 2007 - L 7 AS 1703/06 - (juris)). Eine Ermessensreduzierung auf nur eine mögliche Entscheidung - die Gewährung von Fahrkostenbeihilfe - liegt hier nicht vor. Zwar spricht im Hinblick auf den geringen Verdienst des Klägers und den schon längeren Leistungsbezug für die Gewährung, dass so die Motivation des Klägers gefördert und aufrecht erhalten werden kann, auch eine gering entlohnte Beschäftigung aufzunehmen, die weiterhin ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erforderlich macht, anstatt den gesamten Lebensunterhalt der Familie durch den Sozialleistungsbezug zu finanzieren. Auf der anderen Seite ist es der Beklagten nicht verwehrt, die geringe Entfernung zwischen Wohn- und Arbeitsort (20 km) ebenso zu berücksichtigen wie den Umstand, dass der Kläger trotz des Bezugs von SGB II-Leistungen das teurere Verkehrsmittel Auto gewählt hat, obgleich der Arbeitsplatz günstiger auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar gewesen wäre. Im Rahmen der Zumutbarkeit der Belastung mit den Fahrkosten kann die Beklagte auch berücksichtigen, dass die Belastung mit den Fahrkosten durch den andauernden Leistungsbezug insoweit abgemildert wird, als diese im Rahmen des § 11 Abs. 2 Nr. 5 SGB II zumindest anteilig vom Einkommen abgesetzt werden können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Bislang existiert - soweit ersichtlich - keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Frage, ob und in welcher Form die Vorschriften über die Antragstellung bei den Leistungen der aktiven Arbeitsförderung (§ 323 ff. SGB III) im Rahmen der Eingliederungsleistungen über § 16 Abs. 1a SGB II anzuwenden sind.
Rechtskraft
Aus
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