L 9 AS 746/08 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 26 AS 2540/06
Datum
-
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 9 AS 746/08 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Eilverfahrens über die Erteilung eines Bildungsgutscheins für eine am 1. September 2008 an der Staatlichen Berufsschule E. aufgenommene Ausbildung zum staatlich geprüften Altenpfleger.

Die Antragstellerin ist 1958 in der ehemaligen UdSSR geboren und erlernte dort den Beruf einer Hebamme, der nach Bundesrecht nicht anerkannt wird. Zuletzt arbeitete sie drei Jahre als Krankenschwester. 1993 reiste sie in die Bundesrepublik ein, ist nach ihrer Heirat auch deutsche Staatsangehörige und steht seit Frühjahr 2005 im laufenden Bezug von Leistungen zur Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 7. Februar 2006 beantragte sie die Einleitung qualifizierter Fördermaßnahmen (Umschulung). Mit Bescheid vom 7. April 2006 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Für eine berufliche Weiterbildung fehle es an der arbeitsmarktpolitischen Notwendigkeit. Diese sei nur gegeben, wenn eine Einstellungszusage eines potentiellen Arbeitgebers bei Beginn der Maßnahme vorliege. Eine solche könne die Antragstellerin nicht nachweisen.

Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juli 2006 zurück.

Auf die Klage hat das Sozialgericht Gotha einen Erörterungstermin anberaumt und diese sodann mit Gerichtsbescheid vom 18. April 2007 abgewiesen. Bei der von der Antragstellerin angestrebten Maßnahme handele es sich nicht um eine solche nach § 77 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III), sondern um eine Erstausbildung im Sinne des § 59 SGB III. Diese sei nach § 16 SGB II durch die Antragsgegnerin nicht förderungsfähig.

Die Antragstellerin hat dagegen unter dem 14. Mai 2007 Berufung eingelegt (Az.: L 9 AS 534/07) und am 21. Juli 2008 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie ist der Auffassung, sie habe Anspruch auf Erteilung des Bildungsgutscheines für die Ausbildung zur Altenpflegerin. Da sie bereits über berufliche Kenntnisse im Pflegebereich verfüge, handele es sich nicht um eine Erstausbildung und sei nach § 16 SGB II grundsätzlich förderungsfähig. Die Maßnahme sei aus arbeitsmarktpolitischer Sicht auch notwendig. Eine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt sei nur mit dem Abschluss zum staatlich geprüften Altenpfleger möglich. Ihre Kenntnisse der deutschen Sprache seien für einen erfolgreichen Abschluss des angestrebten Berufes nicht hinderlich. Anderenfalls sei die vom Thüringer Landesverwaltungsamt genehmigte Verkürzung der Ausbildung um ein Jahr nicht erklärlich. Im Übrigen habe sie nach Ablauf der theoretischen Phase schon die feste Einstellungszusage von Praktikumsbetrieben. Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben. Ohne die vorläufige Erteilung des Bildungsgutscheines könne sie die am 1. September 2008 beginnende Ausbildung nicht antreten.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr einen Bildungsgutschein für die zum 1. September 2008 begonnene Ausbildung zum staatlich anerkannten Altenpfleger an der Staatlichen Berufsschule Erfurt zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antrag sei bereits unzulässig. Für das Eilverfahren sei das Sozialgericht erstinstanzlich zuständig. Er habe aber auch in der Sache keinen Erfolg. Nach dem psychologischen Gutachten, sei ein erfolgreicher Abschluss mangels ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache nicht zu erwarten.

Auf Veranlassung der Antragsgegnerin hat Dr. P. ein psychologisches Gutachten erstattet. Er hält den erfolgreichen Abschluss für die angestrebte Ausbildung zur Altenpflegerin für unwahrscheinlich. Dies folge insbesondere aus der mangelhaften Beherrschung der deutschen Schriftsprache. Die Schrift- und Lesekenntnisse der Antragstellerin seien unzureichend.

Das Thüringer Landesverwaltungsamt hat mit Bescheid vom 5. August 2008 die Verkürzung der Ausbildung zur Altenpflegerin um ein Jahr genehmigt.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und derjenigen der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ergibt sich nach § 86 b Abs. 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die instanzielle Zuständigkeit des Senats, weil in der Hauptsache die Berufung anhängig ist.

Der Antrag ist aber unbegründet. Die Antragstellerin hat im Rahmen des Eilverfahrens keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Bildungsgutscheins.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall von § 86 b Abs. 1 - wie hier - nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn anders die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG gelten die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG).

Der Antrag ist dann begründet, wenn das Gericht auf Grund hinreichender Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und bzw. oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch bejahen kann. Ein solcher Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Darüber hinaus muss in Abwägung der für die Verwirklichung des Rechts bestehenden Gefahr einerseits und der Notwendigkeit einer Regelung andererseits ein Anordnungsgrund zu bejahen sein.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Allerdings folgt dies nicht aus § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Die Ausschlussregelung ist vorliegend nicht einschlägig, denn die Antragstellerin begehrt keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, sondern solche zur Eingliederung in das Erwerbsleben (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 6. September 2007 - Az.: B 14 / 7 b AS 36/06 R, nach juris).

Nach überschlägiger Prüfung handelt es sich bei der Ausbildung zum Altenpfleger auch nicht um eine berufliche Erstausbildung nach § 59 SGB III, die nach den Vorschriften des SGB II grundsätzlich nicht förderungsfähig ist. Vielmehr dürfte es sich im Hinblick auf die Erwerbsbiographie der Antragstellerin um eine berufliche Weiterbildung im Sinne des § 77 SGB III handeln. Insbesondere folgt dies auch aus dem Bescheid des Landesverwaltungsamtes vom 5. August 2008, mit welchen die Ausbildung zum Altenpflegerin wegen der beruflichen Vorkenntnisse um ein Jahr gekürzt wurde.

Gleichwohl kann die Antragstellerin mit ihrem Begehren im Ergebnis nicht durchdringen.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II können als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit unter anderem alle im Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelten Leistungen erbracht werden. Soweit das SGB II nichts Abweichendes regelt, gelten für diese Leistungen die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des SGB III mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II treten.

Anspruchsgrundlage für die Erteilung des Bildungsgutscheins ist § 77 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 SGB III. Nach § 77 Abs. 1 SGB III in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Gesetzes können Arbeitnehmer bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn (1.) bei ihnen wegen eines fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist, (2.) vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und (3.) die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen ist. Aus dem Wort "können" ist zu entnehmen, dass die Förderung der Maßnahme im Ermessen steht. Insoweit hat das SGB II nichts Abweichendes geregelt, wie sich aus der Verwendung des Wortes "kann" in § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II ergibt.

Nach der Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 3. Juli 2003 - Az.: B 7 AL 66/02 R, nach juris) setzt die Annahme der beruflichen Wiedereingliederung als Fördervoraussetzung unter anderem eine positive Beschäftigungsprognose voraus. Es muss zu erwarten sein, dass die Eingliederungschancen nach Abschluss der Maßnahme erheblich verbessert sind, und es muss die begründete Aussicht bestehen, dass dem Antragsteller infolge der Maßnahme ein angemessener Dauerarbeitsplatz verschafft werden kann. Hinsichtlich dieser Prognoseentscheidung steht dem Leistungsträger ein Beurteilungsspielraum, der seitens der Gerichte nur beschränkt überprüfbar ist. Nur wenn die (tatbestandlichen) Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 SGB III vorliegen, hat die Behörde auf der Rechtsfolgenseite ihr pflichtgemäßes Ermessen auszuüben, ob die Teilnahme an einer Maßnahme und, wenn ja, welche und in welchem Umfang, gefördert wird.

Der Senat vermag nach der hier gebotenen, summarischen Prüfung nicht zu erkennen, dass die bislang vorgenommene Prognoseentscheidung falsch ist. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand - gegebenenfalls notwendige, weitere Ermittlungen müssen der Hauptsache vorbehalten bleiben - ist es wenig wahrscheinlich, dass die Antragstellerin die Maßnahme erfolgreich mit dem Abschluss zum staatlich geprüften Altenpfleger beenden wird. Dies folgt aus dem psychologischen Gutachten des Dr. P. Danach beherrscht die Antragstellerin insbesondere die deutsche Schriftsprache nur mangelhaft. Dieser Umstand lässt darauf schließen, dass sie an dem theoretischen Teil der Ausbildung, die sich immerhin auf Facharbeiterniveau bewegt, scheitern wird. Sofern das Landesverwaltungsamt eine Verkürzung der Ausbildungszeit um ein Jahr verfügt hat, ist dem entgegenzuhalten, dass es offensichtlich (nur) die beruflichen Vorkenntnisse im Auge hatte. Qualifizierte Einschätzung zur persönlichen Eignung der Antragstellerin für die angestrebte Ausbildung, so auch zu ihren Sprachkenntnissen lassen sich nicht finden. Die Antragstellerin schätzt ihre Kenntnisse der deutschen Sprache im Übrigen selbst für ausbaufähig ein. Anderenfalls lässt sich der auf ihren Antrieb geförderte Sprach- und Orientierungskurs vom Herbst 2007 bis Frühjahr 2008 nicht erklären.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auch aus einem anderen Grunde nicht glaubhaft gemacht. Wie mehrfach dargelegt steht die Bewilligung der Maßnahme im Ermessen des Leistungsträgers. Die Bewilligung einer ganz bestimmten Weiterbildungsmaßnahme durch einstweiligen Rechtsschutz - so wie hier - setzt voraus, dass jede andere Entscheidung als die Förderung der vom Antragssteller favorisierten Maßnahme fehlerhaft wäre (vgl. Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 9. Juli 2007 - Az.: L 28 B 1082/07 AS ER und vom 16. März 2007 - Az.: L 28 B 298/07 AS ER, nach juris). Anhaltspunkte für eine solche Ermessensreduktion auf Null sind nach dem Sach- und Streitstand aber nicht ersichtlich. Insbesondere lehnt die Antragstellerin andere Eingliederungsleistungen kategorisch ab und ist ausschließlich auf die Umschulung zur Altenpflegerin fixiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist nach § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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