L 3 B 349/08 AS-ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 17 AS 930/08 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 349/08 AS-ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 26. März 2008 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsgegnerin hat ein Drittel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist der Anspruch auf höhere Leistungen der Grundsicherung an die Antragsteller ab dem 28.01.2008 (bzw. ab Antragstellung mit dem 05.02.2008) bis zum 15.04.2008.

Der am.1976 geborene Antragsteller zu 1 verbüßte seit dem 17.06.2007 eine Freiheitsstrafe in der JVA L ... Seit dem 18.01.2008 war er Freigänger und nahm vom 28.01.2008 bis zu seiner Entlassung am 15.04.2008 an einer beruflichen "modularen Weiterbildung" für Strafgefangene des offenen Vollzugs im Berufsfeld Metall teil. Hierbei erzielte er ein geringfügiges Arbeitsentgelt in Höhe von 5 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV.

Die Teilnehmer der Maßnahme – so auch der Antragsteller zu 1 – hätten diese jederzeit beenden können, um ein freies Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Die Arbeitszeit hätte 15 Wochenstunden überschreiten dürfen. Der Kläger hat sich während der Zeit der Teilnahme an der Weiterbildung intensiv um Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt bemüht. Hierbei wurde er durch Sozialarbeiter und Fachdienste der Justizvollzugsanstalt L. unterstützt.

Am 15.04.2008 wurde der Antragsteller zu 1 aus der JVA entlassen. Am 05.02.2008 beantragte er Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 13.02.2008 lehnte die Antragsgegnerin diesen Antrag unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 4 SGB II ab.

Hiergegen legte der Antragsteller zu 1 am 26.02.2008 Widerspruch ein. Zur Begründung führte er aus, dass er sich nunmehr außerhalb des geschlossenen Vollzugs befinde und beim BfW an einer Weiterbildungsmaßnahme teilnehme. Ihm stünde daher ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zu. Von freitags bis sonntags halte er sich zudem in der Wohnung der Antragstellerin zu 2 auf. Mithin seien auch den übrigen Antragstellern – insgesamt – höhere Leistungen der Grundsicherung zu gewähren. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.03.2008 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II lägen nicht vor. Nach § 7 Abs. 4 SGB II sei der Antragsteller zu 1 vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Daran ändere auch sein Status als Freigänger nichts, denn er gehe tatsächlich keiner Erwerbstätigkeit nach. Die Weiterbildungsmaßnahme könne nicht als Erwerbstätigkeit in diesem Sinne angesehen werden. Höhere Kosten der Unterkunft seien ebenfalls nicht zu leisten, da der Antragsteller zu 1 derzeit nicht in einer Bedarfsgemeinschaft lebe. Hiergegen haben die Antragsteller am 14.03.2008 Klage zum Sozialgericht Leipzig erhoben.

Zudem haben sie – gleichfalls am 14.03.2008 – einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

Das Sozialgericht Leipzig hat mit Beschluss vom 26.03.2008 diesen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgewiesen. Denn es bestehe kein Anordnungsanspruch. Der Antragsteller zu 1 gehöre gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II nicht zu dem Kreis der Leistungsberechtigten. Der Leistungsausschluss gelte grundsätzlich auch für Freigänger. Die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 4 Satz 3 Ziff. 2 SGB II greife nicht ein. Denn der Antragsteller zu 1 sei nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mehr als 15 Stunden erwerbstätig gewesen.

Am 29.04.2008 haben die Antragsteller gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung Beschwerde eingelegt. Es sei zwar zutreffend, dass der Gesetzgeber den Aufenthalt in einer Einrichtung richterlich angeordneter Freiheitsentziehung dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung gleichgestellt habe. Hieraus folge jedoch nicht, dass Freigänger von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien. Denn Freigänger fielen nicht unter § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II. Dem könne auch § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II nicht entgegengehalten werden, da sich diese Norm auf Satz 1 (stationäre Einrichtung) und nicht auf Satz 2 (JVA) beziehe. Im Übrigen unterschieden sich Freigänger wesentlich von normalen Strafgefangenen. Eine Gleichbehandlung verstieße gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz. Die Regelung des § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II sei daher in verfassungskonformer Auslegung dahingehend einzuschränken, dass Freigänger anders als normale Strafgefangene vom Leistungsausschluss nicht erfasst seien. Weiter verweisen die Antragsteller auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 06.09.2007 (B 14/7b AS 60/06 R). Darin habe das Gericht klargestellt, dass der Begriff der Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II unter dem Gesichtspunkt des Gesetzeszwecks funktional auszulegen sei. Maßgebend sei damit allein, ob der in der Einrichtung Untergebrachte auf Grund der objektiven Struktur der Einrichtung in der Lage sei, wöchentlich 15 Stunden (bzw. täglich drei Stunden) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Mit dieser Entscheidung für einen so genannten funktionalen bzw. bereichsspezifischen Einrichtungsbegriff im Sinne des SGB II dürfte geklärt sein, dass etwa eine JVA im Regelfall eine Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II darstelle, weil im "Normalvollzug" eben eine Teilnahme am "allgemeinen Arbeitsmarkt" objektiv nicht möglich sei. Dies habe der Gesetzgeber des Fortentwicklungsgesetzes mit Wirkung zum 01.08.2006 in § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II nunmehr ausdrücklich klargestellt. Anderes gelte demgegenüber für so genannte "Freigänger". Nach diesen Ausführungen sei davon auszugehen, dass das BSG zu der Auffassung tendiere, bereits der Grundausschluss greife für Freigänger nicht ein, weil diese mit dem Normalvollzug nicht gleichgesetzt werden könnten.

Streitig sei hier der Anspruch mit Beginn des offenen Vollzugs am 28.01.2008 bis zur vorzeitigen Haftentlassung am 15.04.2008.

Das Beschwerdeverfahren werde fortgeführt, da die Eilbedürftigkeit nicht entfallen sei. Der Antragsteller zu 1 sei dringend auf die Nachzahlung für den streitigen Zeitraum angewiesen, da er offene Forderungen zu begleichen habe. Würde er auf das Hauptsacheverfahren verwiesen, so würde nach der üblichen Verfahrensdauer erst in einem bis eineinhalb Jahren eine Entscheidung ergehen. Hinzu komme, dass das Sozialgericht Leipzig derzeit über die Freigängerproblematik keine Entscheidung treffe, da ein Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht anhängig sei. Dieses sei noch jüngeren Datums, sodass mit einer erheblichen Verzögerung des Hauptsacheverfahrens zu rechnen sei. Eine solche lange Verfahrensdauer sei für den Antragsteller zu 1 nicht hinnehmbar, weil dann offene Forderungen nicht getilgt werden könnten und weitere Zinsen, Inkassokosten und Vollstreckungskosten anfielen. Der Antragsteller zu 1 könne seinen Kindern nicht nur keinen Unterhalt zahlen; es komme auch eine Sperrung der Energieversorgung in Betracht.

Danach beantragen die Antragsteller sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 26.03.2008 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, im Wege der einstweiligen Anordnung – vorläufig – den Antragstellern für die Zeit vom 28.01.2008 bis zum 15.04.2008 höheres Arbeitslosengeld II – auch unter Berücksichtigung des Antragstellers zu 1 – zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Das Gericht konnte durch die Einzelrichterin entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihre Zustimmung erklärt haben (vgl. § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die gemäß § 172 SGG statthafte sowie gemäß § 173 SGG form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber – im Ergebnis – nicht begründet.

1. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 SGG letztlich zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen.

Ein Anordnungsanspruch ist glaubhaft gemacht, wenn das Gericht auf Grund einer vorläufigen, summarischen Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass dem Antragsteller ein Rechtsanspruch auf die begehrte Leistung zusteht und deshalb der Antragsteller in einem Hauptsacheverfahren mit dem gleichen Begehren voraussichtlich Erfolg haben würde. Dabei wird der Sachverhalt gemäß § 103 SGG von Amts wegen unter Heranziehung der Beteiligten ermittelt, soweit dies unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit des Rechtsschutzbegehrens geboten ist (Krodel, NZS 2002, 234 ff.; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren [4. Auflage, 1998], Rdnr. 152, 338; jeweils m. w. N.).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Beschwerdegericht die Rechtssache im gleichen Umfang wie die erste Instanz prüft und nicht auf eine bloße Kontrolle der Rechtmäßigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung beschränkt ist. Vielmehr trifft das Beschwerdegericht eine eigenständige Entscheidung, bei der gemäß § 202 SGG i. V. m. § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO neue Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen sind (u. a. Finkelnburg/Jank, a. a. O., Rdnr. 477; Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG [8. Auflage, 2005], § 176 Rdnr. 4).

Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs ist insoweit außerdem geklärt, dass dieser grundsätzlich nach den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung zu beurteilen ist, es sei denn aus dem materiellen Recht (ausdrückliche gesetzliche Regelung, Zweckrichtung bzw. zeitliche Beschränkung des materiellen Anspruchs in der Hauptsache) oder aus Gründen prozessualen Bestandsschutzes ergibt sich ein anderer Beurteilungszeitpunkt oder -zeitraum (Finkelnburg/Jank, a. a. O., Rdnr. 479).

Maßgebend ist danach hier der Zeitraum vom 28.01.2008 bis zum 15.04.2008: Bezüglich dieses streitigen Zeitraumes kann das Bestehen eines Anordnungsanspruchs zunächst dahingestellt bleiben, weil insoweit der Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits am Vorliegen eines glaubhaft gemachten Anordnungsgrundes scheitert. In einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beurteilt sich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung. Die rückwirkende Feststellung einer – einen vergangenen Zeitraum betreffenden – besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, sie kann jedoch in der Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Denn die prozessuale Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im grundsätzlich vorrangigen Verfahren der Hauptsache zu spät käme. Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und entsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, sobald diese Dringlichkeit nur vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt. Das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsuchenden in der Regel zumutbar.

Bei Geldleistungen, die – wie vorliegend – für die Vergangenheit begehrt werden, fehlt demnach in der Regel ein Anordnungsgrund (LSG Hamburg, Beschluss vom 07.12.1989 – V EABs 83/89 – Breithaupt 90, 699). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, d. h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistung in der Vergangenheit auch in der Zeit nach der Antragstellung bei Gericht weiter fortwirkt und noch eine weiterhin gegenwärtige, die einstweilige Anordnung rechtfertigende Notlage begründet (Sächsisches LSG, Beschluss vom 02.02.2007 – L 3 B 224/06 AS-ER sowie Beschluss vom 28.11.2007 – L 3 B 392/06 AS-ER). Einen solchen Nachholbedarf haben die Antragsteller hier aber nicht glaubhaft gemacht. Die bloße Behauptung, es seien offene Forderungen für diesen Zeitraum zu begleichen und hierdurch würden Zinsen, Inkassokosten und Vollstreckungskosten anfallen, genügt in keiner Weise den Anforderungen einer Glaubhaftmachung. Bereits die Darlegungen sind deutlich zu ungenau und entsprechende Nachweise wurden nicht vorgelegt. Weiter ist ausgeführt, der Antragsteller zu 1 könne seinen Kindern keinen Unterhalt zahlen; zudem komme eine Sperrung der Energieversorgung in Betracht. Auch hierzu ist nicht dargelegt, in welcher Höhe Schulden bestehen und weshalb dies speziell auf den Zeitraum vom 20.01.2008 bis zum 15.04.2008 zurückzuführen sei. Die erhobene Behauptung genügt auch hierzu nicht den Anforderungen einer Glaubhaftmachung. Die befürchtete Sperrung der Energieversorgung ist gleichfalls nicht belegt.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Maßstab für die Entscheidung über die Kostenlast ist, ohne dass eine Bindung des Gerichts an die Anträge der Beteiligten besteht, das Ergebnis des Rechtsstreits. Hierbei entspricht es in der Regel der Billigkeit, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt; bei einem teilweisen Obsiegen ist grundsätzlich eine Quotelung angemessen.

Dies zu Grunde gelegt, war hier zumindest ein kleinerer Anteil der Kostenlast der Antragsgegnerin aufzuerlegen. Denn das Gericht hatte im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung bezüglich des Antrags- und Beschwerdeverfahrens zumindest zu berücksichtigen, dass die Antragsteller ab Eingang des Antrags beim SG Leipzig mit dem 14.03.2008 zumindest für die Dauer eines Monats aus materiell-rechtlichen Gründen Aussicht auf ein Obsiegen gehabt hätten. Die Erbringung von Leistungen – insbesondere auch für den Antragsteller zu 1 – wäre nicht auf Grund des § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen gewesen. Danach erhält keine Leistungen, wer länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt (Abs. 4 Satz 2). Nach den Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/1410 S. 20; BT-Drucks. 16/1696 S. 25) ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dieser Änderung eine Klarstellung vorgenommen hat, die auch zur Auslegung der Vorschrift vor dem Wirksamwerden der Änderung herangezogen werden kann (sog. authentische Interpretation).

Auch von der Neufassung wird aber nicht der vorliegende teilstationäre Aufenthalt – wie hier bei dem Kläger ab dem 28.01.2008 – erfasst, welcher die Besonderheit hat, dass eine Integration in den Arbeitsmarkt erfolgen soll und dem Antragsteller eine Teilverantwortung für das Erreichen dieses Zieles übertragen wird. In wesentlichen Zeitabschnitten findet hierbei faktisch keine Freiheitsentziehung mehr statt.

Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II kann daher auch nach der Gesetzesänderung nicht gelten, wenn ein Häftling Freigänger ist oder jedenfalls wesentliche Teile seiner Zeit außerhalb der Vollzugsanstalt verbringt (Peters in: Estelmann, SGB II, Stand 10/06, § 07 Rdnrn. 68 ff. unter Hinweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.02.2006 – L 14 B 1307/05 AS ER; Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 25.01.2008 – L 12 AS 2544/07 –, JURIS, Rdnrn. 20 ff.).

Zu der Gesetzesänderung machen die Materialien folgende Ausführungen (BT-Drucks. 16/14 S. 20; vgl. auch BT-Drucks. 16/1696 S. 25): "Der neu gefasste Satz 2 stellt den Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung einem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung gleich. Personen in Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung sind damit ebenfalls vom Leistungsbezug nach diesem Buch ausgeschlossen. Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung liegt insbesondere vor bei Vollzug von Strafhaft, Untersuchungshaft, Maßregel der Besserung und Sicherung, einstweiliger Unterbringung, ( )

Der neu gefasste Satz 3 regelt, welche Personengruppen von dem grundsätzlichen Leistungsausschluss nach Satz 1 ausgenommen sind und damit Leistungen nach diesem Buch beziehen können. Die erste Gruppe sind Personen, die voraussichtlich weniger als sechs Monate in Krankenhäusern untergebracht sind. ( ) Die zweite Gruppe sind Personen, die in stationären Einrichtungen untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden die Woche erwerbstätig sind. Da bei einer Person, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig ist, zwingend davon auszugehen ist, dass sie erwerbsfähig und damit in der Lage ist, drei Stunden zu arbeiten, jedoch auch Personen erfasst werden sollen, die an einzelnen Tagen der Woche oder teilzeitbeschäftigt sind, lehnt sich die Regelung an § 119 SGB III an. Es muss sich demnach um eine Beschäftigung handeln, die mindestens 15 Stunden wöchentlich ausgeübt wird. Ein genereller Leistungsausschluss erscheint vor diesem Hintergrund für die beschriebene Personengruppe daher nicht gerechtfertigt. Voraussetzung für den Leistungsbezug ist das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 dieses Buches ( )"

Aus diesen Gesetzesmaterialien geht hervor, dass die tatsächliche Ausübung einer Erwerbstätigkeit von wenigstens 15 Stunden Dauer wöchentlich deswegen wieder zur Leistungsberechtigung nach dem SGB II führen soll, weil diese die Erwerbsfähigkeit des Betroffenen hinreichend belegt. Erst recht muss dies in einem Fall, wie dem des Antragstellers, gelten, der außerhalb der Justizvollzugsanstalt an einer vollzeitigen beruflichen Weiterbildung teilgenommen hat, diese Maßnahme jedoch jederzeit hätte beenden können, um ein freies Beschäftigungsverhältnis von über 15 Wochenstunden aufzunehmen. Um ein solches Beschäftigungsverhältnis hatte sich der Antragsteller auch intensiv bemüht. Lediglich weil er kein diesbezügliches Angebot erhalten hat, nahm er die aus den Mitteln des Europäischen Sozialfonds geförderte Bildungsmaßnahme auf. Diese Bildungsmaßnahme erfolgte mit dem Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt. Hierzu wurden Vollzugslockerungen gewährt, bei denen sogar von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ausgegangen wurde.

Zudem wäre es nicht sachgerecht, dem Erwerbsfähigen und gleichzeitig Erwerbstätigen nach § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II eine Grundsicherung zu gewähren, obwohl er Sachleistungen der JVA und zusätzlich ein Arbeitseinkommen erzielt, hingegen dem Erwerbsfähigen und Arbeitsuchenden dies nach derselben Vorschrift zu verweigern. Ersterer erhielte nämlich trotz der bereits vorhandenen Einkommensarten eine zusätzliche "Grundsicherung", wohingegen Letzterer allein auf die Sachleistungen seiner Unterbringungsanstalt angewiesen wäre, ohne dass insoweit eine andere Bedarfslage ersichtlich wäre (so auch Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.07.2006 – L 29 B 408/06 AS ER: Solange der Freigang zur Arbeitsuche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufrechterhalten bleibt, besteht eine so weit gehende Vollzugslockerung, dass die Inhaftierung der Verfügbarkeit nach § 119 SGB III nicht entgegensteht, Rdnr. 34).

Danach wäre vorliegend kein Leistungsausschluss im Falle des Antragstellers anzunehmen gewesen.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 77 SGG).
Rechtskraft
Aus
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