S 35 AS 12/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
35
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 35 AS 12/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 30.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2006 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außer- gerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - um einen Rückforderungsbescheid.

In dem Klageverfahren S 25 (32) AL 17/04 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Düsseldorf gegen die Bundesagentur für Arbeit für den Zeitraum vom 09. Mai 2003 bis zum 12. April 2004 Leistungen der Arbeitslosenhilfe in Höhe von insgesamt 9.230,95 Euro erstritten. Unter dem 14.09.2005 wurden der Klägerin deswegen von der Bundesagentur für Arbeit 6.273,39 Euro, unter dem 16.09.2005 2.789,24 Euro, unter dem 19.12.2005 16,64 Euro und unter dem 20.12.2005 151,68 Euro überwiesen. Abgesehen von einer Ausgabe in Höhe von ca. 1400 Euro für eine Zahnarztrechnung hat die Klägerin die verbleibenden Beträge auf ihrem Konto im hier streitigen Bewilligungszeitraum (s. u.) belassen.

Mit Bewilligungsbescheid vom 20.07.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin für die Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.12.2005 monatliche Leistungen in Höhe von 922,18 Euro. Mit weiterem Bewilligungsbescheid vom 16.08.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin für den Zeitraum vom 01.07.2005 bis zum 31.10.2005 Leistungen in Höhe von 947,05 Euro und für die Zeit vom 01.11.2005 bis zum 31.11.2005 Leistungen in Höhe von 943,20 Euro sowie für die Zeit vom 01.12.2005 bis zum 31.12.2005 Leistungen in Höhe von 947,05 Euro.

Unter dem 09.12.2005 teilte die Klägerin - unter Beifügung von entsprechenden Bescheiden - der Beklagten mit, dass sie eine Nachzahlung von der Bundesagentur erhalten habe.

Unter dem 25.01.2006 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer Überzahlung für die Zeit vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 in Höhe von 2.000,00 Euro an. Sie vertrat darin die Auffassung, von den 9.230,95 Euro, die die Klägerin von der Bundesagentur erhalten habe, seien 8.042,16 Euro auf die Leistungen nach dem SGB II anrechenbar. Darüber hinaus verfüge die Klägerin über ein Girokonto mit einem Kontostand von 2.196,98 Euro über ein Konto in G mit einem Kontostand von 715,95 Euro über eine Lebensversicherung in G mit einem Wert von 5.189,25 Euro sowie über Grundbesitz in G im Wert von 3.400,- Euro. Dies ergebe ein Vermögen von 11.502,18 Euro. Die Klägerin habe einen Grundfreibetrag für Vermögen in Höhe von 10.800,- Euro zusätzlich eines weiteren Freibetrages von 750,- Euro monatlich. Der gesamte Freibetrag betrage also 11.550,- Euro. Durch den Zufluss der Nachzahlung aus dem gerichtlichen Verfahren gegen die Bundesagentur sei der Vermögensfreibetrag im September um 7.826,02 Euro überschritten worden. Es werde jedoch monatlich nur ein Teilbetrag in Höhe von 500,- Euro angerechnet. Für die vier Monate von September bis einschließlich Dezember 2005 seien daher 2.000,- Euro überzahlt worden. Diese Überzahlung habe die Klägerin zu vertreten.

Unter dem 13.02.2006 erteilte die Beklagte einen auf § 48 SGB X gestützten Bescheid, mit dem die Entscheidung über die Bewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 teilweise in Höhe von insgesamt 2.000,- Euro aufgehoben wurde.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

Unter dem 30. November 2006 erteilte die Beklagte einen weiteren Bescheid, mit dem sie den Aufhebungs- und Rücknahmebescheid vom 13.02.2006 aufhob. Gleichzeitig hob sie den Bescheid vom 20.07.2005 wiederum auf und nahm die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld II für die Zeit ab dem 01.09.2005 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Vermögensfreigrenze sei durch die Nachzahlung von Arbeitslosenhilfe um 7.994,34 Euro ab September 2005 überschritten gewesen. Daher habe im Zeitraum vom 01.09.2005 bis zum 31.12.2005 kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestanden. Den Bescheid stütze die Beklagte auf die Vorschrift des § 45 Abs. 1 des 10 Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -. Sie warf der Klägerin in dem Bescheid vor, falsche oder unvollständige Angaben gemacht zu haben.

Unter dem 08.12.2006 legte die Klägerin gegen den Bescheid vom 30. November 2006 vorsorglich Widerspruch ein und vertrat die Auffassung, dass der Bescheid vom 30. November 2006 Gegenstand des anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden sei.

Mit Bescheid vom 19.12.2006 wies die Beklagte den Widerspruch vom 08.12. gegen den Bescheid vom 30.11.2006 als sachlich unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass von der Bundesagentur für Arbeit zugeflossene Geld stelle Vermögen dar. Die Verwertung dieses Vermögens sei keine besondere Härte, da die Klägerin die nachträglich gewährten Sozialleistungen nicht vorab durch eine Kreditaufnahme verbraucht habe. Im Übrigen änderte die Beklagte in dem Widerspruchsbescheid die Rechtsgrundlage für die Rückforderung der Leistung auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 3 SGB X ab.

Hiergegen richtet sich die am 18. Januar 2007 bei Gericht eingegangene Klage.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 30.11.2006 in der Fassung des Wider- spruchsbescheides vom 19.12.2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen. Ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die Bescheide erweisen sich als rechtswidrig.

Als Ermächtigungsgrundlage für die Abänderung der Bewilligungsbescheide kommt vorliegend nur § 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X - in Betracht. Die Beklagte beruft sich darauf, die Klägerin habe nach Erteilung der entsprechenden Bewilligungsbescheide Einkommen bzw. Vermögen erzielt, das zur Abänderung des Anspruchs führe. Die Voraussetzungen des § 48 liegen jedoch nicht vor, weil berücksichtigungsfähiges Einkommen oder Vermögen im fraglichen Zeitraum von der Klägerin nicht erzielt worden ist.

Die Handlungsfrist der §§ 48 Abs. 4 in Verbindung mit 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X ist von der Beklagten gewahrt worden. Die Beklagte hat unter dem 09.12.2005 von der Klägerin die Mitteilung erhalten, dass diese von der Bundesagentur eine Nachzahlung in entsprechender Höhe erhalten hat. Ausgehend von diesem Datum, ist der angefochtene Bescheid innerhalb eines Jahres erlassen worden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten geht die Kammer zunächst einmal davon aus, dass die Nachzahlung der Arbeitslosenhilfe aufgrund des beim Sozialgericht Düsseldorf durchgeführten Klageverfahrens gegen die Bundesagentur für Arbeit Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II darstellt.

Nach der Rechtsprechung ist Einkommen im Sinne der Vorschrift alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende (erst) in der Bedarfszeit erhält, sind als Zufluss in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die der Hilfesuchende früher, wenn auch erst in der vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der aktuellen Bedarfszeit noch vorhanden sind, Vermögen. Zur Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, soweit nicht rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird (vgl schon BVerwGE 108, 296 ff und BVerwG, NJW 1999, 3137 f; dem folgend BSG Urteile vom 30.07.2008 Az.: B 14/7b 12/07 R; B 14 AS 43/07 R; B 14/11b AS 17/07 R und B 14 AS 26/07 R). Mit der Nachzahlung hat die Klägerin demgemäß eine Einnahme in Geld erzielt. Diese Einnahme ist ihr im fraglichen Zeitraum zugeflossen.

Dieses Einkommen ist im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II zunächst einmal berücksichtigungsfähig, weil es sich nicht um "Leistungen nach diesem Buch" im Sinne der vorgenannten Vorschrift handelt. Die Außerachtlassung von "Leistungen nach diesem Buch" als Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II soll sicherstellen, dass vor Gericht erstrittene Nachzahlungen nach dem SGB II nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind (vgl. Eicher/Spellbrink a.a.O., § 11 Anm. 30 mit Verweis auf LSG Hamburg, Beschluss vom 17.07.2006, Az.: L 5 B 71/06 ER AS). Allerdings bezieht sich der Wortlaut dieser Vorschrift ausdrücklich nur auf Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, während die Klägerin Leistungen nach dem SGB III nachgezahlt bekommen hat. Die Kammer hält eine ausdehnende Auslegung der vorgenannten Vorschrift - über ihren Wortlaut hinaus - vorliegend für nicht angezeigt, weil die Leistungen nach anderen Sozialgesetzbüchern einem vom SGB II zumindest teilweise abweichenden Zweck dienen. So hatte die Arbeitslosenhilfe nach dem früheren SGB III - neben der Bedarfsdeckung - auch Lohnersatzfunktion, denn sie war der Höhe nach nicht vom Bedarf sondern vom zuletzt erzielten Einkommen abhängig.

Allerdings handelt es sich - nach Auffassung der Kammer - vorliegend gleichwohl um eine "zweckbestimmte Einnahme" im Sinne von § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II, mithin um eine Einnahme, die als Einkommen nicht zu berücksichtigen ist. Der Zweck der Zahlung besteht nämlich vorliegend ausschließlich darin, den von der Bundesagentur für Arbeit in dem Verfahren nach dem SGB III rechtswidrig herbeigeführten Einnahmeausfall der Klägerin in Form von Leistungen der Arbeitslosenhilfe auszugleichen (vgl. hierzu auch Thüringer Landessozialgericht, Beschluss vom 31.01.2006, Az.: L 7 AS 770/05 ER und Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.09.2006, Az.: L 7 AS 41/06 m.w.N.) und damit den rechtmäßigen Zustand wiederherzustellen. Dementsprechend hat die Klägerin - jedenfalls im Zuflussmonat der entsprechenden Leistung - Einnahmen im Sinne des § 11 SGB II nicht erzielt, so dass eine Abänderung des entsprechenden Bewilligungsbescheides nach § 48 SGB X vorliegend nicht in Betracht kommt.

Der weitere Besitz der Geldmittel im auf den Zuflussmonat folgenden Monat führt jedoch dazu, dass die Klägerin dann über einen entsprechenden Vermögenswert verfügte, denn Einkommen wird grundsätzlich, wenn es nicht ausgegeben wird, in der Folge zu Vermögen im Sinne des § 12 SGB II. Da die Klägerin mit ihrem bisherigen Vermögen ihren Vermögensfreibetrag nahezu ausgeschöpft hatte, führt die entsprechende Ausweitung ihres Vermögens zu einem deutlichen Überschreiten des Vermögensfreibetrages, so dass grundsätzlich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse ab dem Folgemonat des Geldzuflusses wegen Überschreiten des Vermögensfreibetrages in Betracht kommt. Allerdings greift hier - nach Auffassung der Kammer - die Vorschrift des § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II ein. Der von der Bundesagentur für Arbeit an die Klägerin überwiesene Betrag stellt nämlich zunächst einmal nicht zu berücksichtigendes Vermögen dar, weil seine Verwertung für die Klägerin eine besondere Härte bedeuten würde. Diese besondere Härte liegt vorliegend darin, dass die Verpflichtung zur Verwertung des Vermögens zu Zwecken der Bedarfsdeckung für die Klägerin im Ergebnis wiederum bedeuten würde, dass ihr die Leistungen der Bundesagentur faktisch nicht zugute kommen würden. Die im gerichtlichen Verfahren erstrittenen Leistungen dienten ursprünglich auch dem Zweck, den Lebensunterhalt der Klägerin sicherzustellen. Sie sind nur deswegen der Klägerin erst im zweiten Halbjahr 2005 zugeflossen, weil sich die Bundesagentur für Arbeit zunächst rechtswidrig geweigert hatte, die Leistungen auszuzahlen. In den gerichtlichen Verfahren Sozialgericht Düsseldorf, Az.: S 25 (32) AL 17/04 ist dann der rechtmäßige Zustand wiederhergestellt worden. Nur wegen der Dauer dieses gerichtlichen Verfahrens, hat sich die Herstellung dieses rechtmäßigen Zustandes in das Jahr 2005 hinein verzögert. Allein diese Tatsache, die die Klägerin nicht beeinflussen konnte, darf nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht dazu führen, dass faktisch vorliegend wieder ein rechtswidriger Zustand, nämlich die Vorenthaltung des Geldes, herbeigeführt wird. Dies gebietet auch der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes, der im Grundgesetz verankert ist.

Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob ein derartig erworbenes Vermögen dauerhaft unangetastet bleiben darf. Insoweit lässt sich mit guten Argumenten die Auffassung vertreten, dass Vermögen welches wegen einer solchen Nachzahlung erworben wird, nach einem längeren Zeitablauf zu verwertbarem Vermögen wird, denn die besondere Zweckbestimmung der Geldleistung und die besondere Härte der Verwertung des Geldbetrages, treten natürlich mit zunehmender Zeitdauer, mit der das Geld auf einem Konto vorgehalten wird, immer mehr in den Hintergrund. Vorliegend ist allerdings ein solcher Zeitablauf jedenfalls - nach Auffassung der Kammer - noch nicht erreicht, denn ausgehend vom frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem hier Vermögen anzunehmen wäre, also vom 01.10.2005 an (Monat der auf den Zufluss folgt), liegen bis zum Ende des hier streitigen Bewilligungszeitraums (Ende Dezember 2005) nur drei Monate. Mindestens so lange muss die Klägerin Gelegenheit haben, dass ihr zugeflossene Geld sinnvoll auszugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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