L 10 B 2154/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 30528/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 B 2154/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. Oktober 2008 wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, mit der sich die Antragsgegnerin gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss wendet, mit dem das Sozialgericht (SG) Berlin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 24. September 2008 der 19 geborenen Antragstellerin gegen den (Sanktions-)Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. August 2008 angeordnet hat.

Da das Rechtsschutzziel der alleinstehenden und allein wohnenden Antragstellerin darin besteht, auch für die Zeit vom 01. Oktober 2008 bis zum 31. Dezember 2008 Arbeitslosengeld (Alg) II in der ihr ursprünglich mit Bescheid 23. Juli 2008 bewilligten Höhe von 617,13 EUR monatlich (Regelleistung 351,00 EUR; Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) von 266,13 EUR) zu beziehen, hat das SG ihr Begehren zu Recht gemäß § 86b Abs 1 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs vom 24. September 2008 (Schreiben vom 20. September 2008) gegen den Bescheid vom 28. August 2008 gewürdigt, weil ihm nicht schon kraft Gesetzes diese Wirkung zukommt (§ 39 Nr 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) iVm § 86a Abs 2 Nr 4 SGG) und die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutz über den Erlass einer Anordnung iS von § 86b Abs 2 Satz 2 SGG zu suchen, gegenüber der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nachrangig ist (§ 86b Abs 2 Satz 1 SGG). Denn mit dem Bescheid vom 28. August 2008 hat die Antragsgegnerin den der Antragstellerin zuvor zuerkannten Anspruch "auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung" für den bezeichneten streitigen Zeitraum beschränkt und den Bewilligungsbescheid vom 23. Juli 2008 "insoweit" ab dem 01. Oktober 2008 unter Berufung auf § 48 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) iVm § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II aufgehoben, weil die Antragstellerin den mit der B T GmbH (im Folgenden GmbH) geschlossenen Arbeitsvertrag wegen des Vorwurfs des Diebstahls fristlos zum 26. Juni 2008 gekündigt habe.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr 2 SGG) gegen den (Sanktions-)Bescheid vom 28. August 2008 ist begründet. Die aufschiebende Wirkung dauert bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Bescheides fort (Schoch in Schoch/Schmidt-Assmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2004, RdNr 363 zu § 80 unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht (BVerwG)E 78, 198, 210). Voraussetzung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ist, dass das private Interesse des Anfechtenden, den Vollzug des angefochtenen Bescheides bis zur Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen (privates Aussetzungsinteresse), gegenüber dem öffentlichen Interesse an dessen Sofortvollzug (öffentliches Vollzugsinteresse) überwiegt. Dies ist der Fall, da hier der in Rede stehende Bescheid rechtswidrig ist und am Vollzug eines rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse besteht.

Für die im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs ist wie in der Hauptsache grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses (genauer: der Bekanntgabe) der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt SGG): Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22. August 2000 – B 2 U 33/99 R, juris RdNr 15 mwN = SozR 3-2200 § 712 Nr 1 und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, RdNr 32a ff zu § 54 mwN), hier also – da der Widerspruch der Antragstellerin noch nicht beschieden ist – auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des angefochtenen Bescheids vom 28. August 2008. Die Bekanntgabe ist – unter Zugrundelegung der zuletzt von der Antragstellerin gegenüber dem Senat telefonisch gemachten Angaben, wonach sie den Bescheid Anfang September 2008 erhalten hat – Anfang September 2008 erfolgt (§ 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm §§ 37 Abs 1, 39 Abs 1 Satz 1 SGB X).

Als Ermächtigungsgrundlage für die von der Antragsgegnerin verfügte Leistungsbeschränkung kommt allein § 31 Abs 5 Satz 1 1. HS SGB II iVm § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II iVm § 144 Abs 1 Satz 1 und 2 Nr 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Betracht; diese Bestimmungen tragen die Entscheidung im Ergebnis nicht, weil es an einer gleichzeitigen Bewilligung von Sachleistungen oder geldwerten Leistungen nach § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II fehlt.

Nach § 31 Abs 5 Satz 1 1. HS SGB II wird bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die - wie die Antragstellerin im maßgeblichen Zeitraum - das 15. Lebensjahr, jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, das Alg II unter den in den Absätzen 1 und 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II beschränkt. Nach § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, der die in dem Dritten Buch genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen. Nach § 31 Abs 6 1. HS SGB II treten Absenkung und Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt. Absenkung und Wegfall dauern drei Monate (§ 31 Abs 6 Satz 2 SGB II). Bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15. Lebensjahr jedoch noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben, kann der Träger die Absenkung und den Wegfall der Regelleistung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen (§ 31 Abs 6 Satz 3 SGB II). Während der Absenkung oder des Wegfalls der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Vorschriften des Zwölften Buches (§ 31 Abs 6 Satz 4 SGB II).

Entgegen der Auffassung des SG, das sich insoweit auf Stimmen in der Literatur und der Rechtssprechung beruft, wird die Anwendbarkeit des § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II hier nicht durch die vermeintlich speziellere Regelung des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II gesperrt. Denn § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II unterfällt nur ein Teil der von § 31 Abs 4 Nr 3 b SGB II erfassten Sachverhalte, d.h. ein echtes Konkurrenzverhältnis, das zu Gunsten von § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II zu lösen ist, um dem Erfordernis der Rechtsfolgenbelehrung Rechnung zu tragen, besteht nur teilweise. Es ist nicht gegeben, wenn – wie vorliegend – zum Einen das Arbeitsverhältnis nicht auf Initiative der Antragsgegnerin zustande gekommen ist, weil dann ein Weigern iS des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr 1c SGB II nicht vorliegt (zum Begriff sogleich) und zum Anderen erfasst § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II nicht den Fall, dass während des Leistungsbezuges eine Beschäftigung (die Antragstellerin hatte während des vom 15. Juni 2008 bis zum 26. Juni 2008 andauernden Beschäftigungsverhältnisses Alg II aufgrund des Bescheids der Antragsgegnerin vom 01. April 2008 bezogen) unter Bedingungen aufgegeben wird, die eine verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung (hierzu sogleich) rechtfertigen. Davon ausgehend sind die Bedenken, dass bei Anwendbarkeit des § 31 Abs 4 Nr 3b SGB II kaum noch ein eigenständiger Anwendungsbereich für § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II verbleibt (andere Sanktionstatbestände scheiden nach Lage der Dinge hier aus), unbegründet. § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II findet (einschließlich des Erfordernisses der Rechtsfolgenbelehrung) in allen Fällen der vorsätzlichen Nichtaufnahme einer angebotenen Arbeit etc bzw deren Abbruch nach zunächst erfolgter Aufnahme (Beginn der zur Arbeit etc gehörenden Tätigkeit) Anwendung, weil nur dann ein Weigern iS des § 31 Abs 1 Satz 1 Nr 1c SGB II zu bejahen ist (Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, RdNr 17 und 14 zu § 31 mwN). Ein systematisches Argument, den nur in § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III erfassten Fall arbeitsvertragswidrigen, eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigenden Verhaltens allgemein für die Bezieher von Alg II sanktionslos zu stellen, besteht, ausgehend von einem Verhältnis der Vorschriften zueinander, wie es soeben dargelegt wurde, nicht.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat und er dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Falls der Vorwurf des Diebstahls zu Recht erhoben worden ist, wofür nach Aktenlage alles spricht, wenngleich sich die notwendige Gewissheit wohl erst im Rahmen einer Beweisaufnahme wird gewinnen lassen, ist für die Belange des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens davon auszugehen, dass die Antragsstellerin die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit und damit auch den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II erfüllt hat. Die Antragstellerin, die keine Aussicht auf einen konkreten Anschlussarbeitsplatz hatte, hat nämlich durch Kündigung ihr Beschäftigungsverhältnis mit der GmbH gelöst und hierdurch zumindest grob fahrlässig ihre Arbeitslosigkeit herbeigeführt. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass ihre Kündigung einer Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung durch die GmbH gedient hat, die Arbeitslosigkeit also ansonsten durch eine Kündigung der GmbH eingetreten wäre. Denn für die Beurteilung der Frage, ob eine Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zum Eintritt der Arbeitslosigkeit geführt hat, kommt es allein auf den tatsächlichen Geschehensablauf an. Keine Beachtung findet demgegenüber ein hypothetischer Geschehensablauf (st Rspr. des BSG: vgl. u.a. Urteil vom 12. Juli 2006 – B 11a AL 47/05 R, juris RdNr 12 = SozR 4-4300 § 144 Nr 13). Der Antragstellerin stand für ihr Verhalten auch kein wichtiger Grund zur Seite. Zwar können Nachteile für das berufliche Fortkommen unter Umständen zur Unzumutbarkeit des Abwartens der arbeitgeberseitigen Kündigung führen. Ein - die Sperrzeit wegen Arbeitaufgabe ausschließender – wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses kommt aber nur in Betracht, wenn dem Arbeitnehmer ansonsten eine rechtmäßige Arbeitgeberkündigung aus nicht verhaltensbedingten Gründen zum gleichen Zeitpunkt droht (BSG, aaO, Leitsatz), was hier aber gerade nicht der Fall war.

Mit Rücksicht auf die im September 2008 erfolgte Bekanntgabe des Bescheids vom 28. August 2008 ist auch zumindest der Beginn des Sanktionszeitraum (01. Oktober 2008) zutreffend bestimmt worden. Ob die Antragsgegnerin allerdings dessen Ende (31. Dezember 2008) vor dem Hintergrund der nach § 31 Abs. 6 Satz 3 SGB II zu treffenden Ermessensentscheidung über eine Verkürzung des Sanktionszeitraums auf sechs Wochen in rechtmäßiger Weise verfügt hat, ist angesichts der von ihr im Bescheid vom 28. August 2008 gewählten Formulierung " Eine Verkürzung der Absenkung auf 6 Wochen ist nach Abwägung der in Ihrem Fall vorliegenden Umstände mit den Interessen der Allgemeinheit nicht gerechtfertigt " und der Anforderungen, die § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X an die Begründung von Ermessensentscheidungen stellt, zweifelhaft. Denn nach der zuletzt genannten Norm muss die Begründung einer Ermessensentscheidung auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. hierzu auch Engelmann in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl 2008, RdNr 6 zu § 35 mwN), so dass es nahe liegt, die von der Antragsgegnerin als Begründung gewählte Formulierung als formelhaft und damit als nicht ausreichende Begründung anzusehen. Diese Frage kann der Senat jedoch im Ergebnis offen lassen.

Denn der (Sanktions-)Bescheid ist jedenfalls im vollen Umfange rechtswidrig, weil die Antragsgegnerin es unterlassen hat, der Antragstellerin Sachleistungen oder geldwerte Leistungen für den Sanktionszeitraum zu bewilligen. Nach § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II kann die Antragsgegnerin bei einer Minderung des Alg II um mehr als 30 vom Hundert der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen erbringen. Dem Wort "kann" ist zu entnehmen, dass die Bewilligung dieser Leistungen bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen (hier: Minderung des Alg II um mehr als 30 vom Hundert der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung) im pflichtgemäßen Ermessen steht (§ 39 Abs 1 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil). Der auf der Rechtsfolgenseite des § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II der Antragsgegnerin eingeräumte Ermessensspielraum verdichtet sich jedoch in Fällen der vorliegenden Art, in denen die Regelleistung auf Null gekürzt wird, regelhaft derart, dass sie nur dann rechtmäßig handelt, wenn sie die anstelle der Geldleistung vorgesehene(n) Leistung(en) bewilligt und diese Entscheidung mit der Sanktionsentscheidung verbindet.

Die Notwendigkeit dieser Lesart der einschlägigen gesetzlichen Regelungen ergibt sich ausgehend vom Umfang der Beschränkung aus der Bedeutung der Positionen, in die die Sanktionsentscheidung eingreift, insbesondere aus der Qualität ihrer verfassungsrechtlichen Gewährleistung aus der Menschenwürde (Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG)) und dem Schutzgebot des Artikel 2 Abs 2 GG. Mit der Gewährung der Regelleistung (neben den Leistungen für KdU sowie der Vermittlung von Krankenversicherungsschutz) löst der Gesetzgeber seinen Anspruch ein, dem Bedürftigen ein soziokulturelles Existenzminimum zu garantieren und eröffnet durch die Gewährung als Geldleistung, die Pauschalen unter Beachtung früherer Sonderbedarfe beinhaltet, im bescheidenen Umfang die Möglichkeit Auswahlentscheidungen zu treffen (BSG, Urteil vom 22. April 2008 – B 1 KR 10/07 R, juris RdNr 29 und 46). Den so bemessenen Anspruch situationsabhängig zu begrenzen, ist dem Gesetzgeber (und folgenden gesetzmäßigen Verwaltungsentscheidungen) verfassungsrechtlich nicht verwehrt; "verfassungsfest" ist dagegen (unbeschadet dessen, dass auch insoweit kein Betrag und kein Leistungsmodus verfassungsrechtlich vorgegeben ist; BSG, aaO, RdNr 28 und 31) das zur physischen Existenz Unerlässliche ("physisches Existenzminimum"). Der deutsche Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich verpflichtet, für im Inland lebende Bedürftige – neben immaterieller Achtung – jedenfalls das zur physischen Existenz Unerlässliche zu gewähren. Zu diesem das "nackte Überleben" sichernden "physischen Existenzminimum" (zu diesem abgesenkten Sicherungsniveau in Abgrenzung zum soziokulturellen Minimum, vgl. Soria, JZ 2005, 644 ff) gehören neben Obdach und ausreichender medizinischer Versorgung, was im vorliegenden Fall durch die Weiterzahlung der Leistung für die KdU gewährleistet wird, da diese Leistungen als Teil des Anspruchs auf Alg II (§ 19 Satz 1 SGB II) für den Leistungsbezieher beitragsfreien Versicherungsschutz in der gesetzlichen Krankenversicherung vermitteln (§§ 5 Abs 1 Nr 2 a, 252 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch), vor allen Dingen auch ausreichende Nahrung und Kleidung (BSG, aaO, RdNr 31).

Daraus folgt, dass für Leistungsansprüche nach dem SGB II begrenzendes staatliches Handeln umso weniger Spielraum besteht, je mehr es sich der "denkbar untersten verfassungsrechtlichen Grenze" nähert (BSG, aaO, RdNr 31), es muss zuverlässig darauf gerichtet sein, ein Unterschreiten dieser Grenze zu vermeiden (BSG, aaO, RdNr 45). Zum rechtlichen Kontext gehört weiter die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eindeutig formulierte Position, dass eine Verletzung grundgesetzlicher Gewährleistungen durch die Vorenthaltung des Existenzminimums auch dann nicht hinnehmbar ist, wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, juris RdNr 26 = NVwZ 2005, 927, 928).

Dem genügt der Bescheid vom 28. August 2008 nicht. Weil die Regelleistung auf Null reduziert wird, ist für die Antragstellerin das physische Existenzminimum nicht länger gewährleistet, da eine Bedarfsdeckung nur noch bezüglich der Kosten der Unterkunft und Heizung und des Krankenversicherungsschutzes erfolgt, bezüglich aller anderen Bedürfnisse, insbesondere bezüglich der (ersichtlich nicht aufschiebbaren) Beschaffung von Lebensmitteln, ausfällt. Dieser Eingriff ist nach dem aufgezeigten Maßstab allenfalls in Verbindung mit einer anderweitigen hinreichenden Gewährleistung der verfassungsrechtlichen Untergrenze des sozialrechtlichen Existenzminimums rechtmäßig möglich. Von der dafür gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, die in der Bewilligung von ergänzenden Sachleistungen oder Geldleistungen in angemessenem Umfang besteht (§ 31 Abs 3 Satz 6 SGB II), hat die Antragsgegnerin keinen Gebrauch gemacht und damit die durch die Kürzung der Regelleistung auf Null geschaffene verfassungsrechtlich prekäre Lage nicht abgewendet. Von der Pflicht, das physische Existenzminimum ersatzweise zu sichern, ist die Antragsgegnerin insbesondere nicht deshalb frei, weil sie die Antragstellerin darauf hingewiesen hat, dass ihr solche Leistungen auf Antrag gewährt werden könnten. Dies ist nach den aufgezeigten verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, die dahin gehen, eine Unterschreitung des physischen Existenzminimums sicher und auch nur vorübergehend zu vermeiden, unzureichend und auch nicht etwa deshalb geboten, weil eine Entscheidung nach § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II nicht ohne Mitwirkung der Antragstellerin getroffen werden könnte. Im Übrigen verkennt die Antragsgegnerin, dass Leistungen nach § 31 Abs 3 Satz 6 SGB II jedenfalls dann keines neuen Leistungsantrags (§ 37 Abs. 1 SGB II) bedürfen, wenn - wie hier - in bereits laufende, auf einem Leistungsantrag beruhende Bewilligungen von Alg II eingegriffen wird. Zwar enthält das SGB II (anders z.B. § 122 Abs. 2 SGB III) keine ausdrücklichen Regelungen zu der Frage, wann ein Antrag erneut gestellt werden muss bzw wann die Wirkungen eines wirksam gestellten Antrags erlöschen. Der somit heranzuziehende allgemeine Grundsatz besagt aber, dass ein verfahrensrechtlicher Antrag (und um einen solchen handelt es sich bei einem Antrag nach § 37 Abs 1 SGB II; vgl hierzu Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, RdNr 17 zu § 37) fortwirkt, solange die hierauf fußende Bewilligungsentscheidung nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X). Demnach führt erst die bestandskräftige und vollständige Aufhebung der Bewilligungsentscheidung zur Notwendigkeit eines neuen Leistungsantrags (Link, aaO, RdNr 19 unter Hinweis u.a. auf BSG SozR 3-4100 § 100 Nr 5), an der es hier fehlt. Diesem Ergebnis kann auch nicht entgegen gehalten werden, bei den Leistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II handele es sich um ein rechtliches "aliud" gegenüber den ursprünglich für den Sanktionszeitraum bewilligten Regelleistungen mit der Folge, dass es eines erneuten Leistungsantrags bedürfe. Denn die zuerst genannten Leistungen stellen gegenüber den zuletzt genannten Leistungen lediglich ein "minus" dar.

Keiner Entscheidung bedurfte, welche Gesichtspunkte im Einzelnen dafür in Betracht kommen, Leistungen nach § 31 Abs. 3 Satz 6 SGB II abzulehnen (und die damit auch geeignet wären, eine Sanktionsentscheidung des vorliegenden Umfangs ohne damit verbundene Entscheidung über "Ersatzleistungen" zu rechtfertigen). Nach dem dargestelltem Zusammenhang dürften nur Sachverhalte in Betracht kommen, in denen ein Auskommen desjenigen, der mit einer Sanktion belegt werden soll, erkennbar anderweitig gesichert ist, ohne dass Unterstützungen durch Dritte/Familienangehörige, für die eine entsprechende Rechtspflicht nicht besteht, in den Blick genommen werden müssten. Ferner wäre in diesem Zusammenhang ggf. die Bedeutung von liquidem Schonvermögen zu wägen. Derartige Sachverhalte liegen hier ersichtlich nicht vor.

Der Senat sieht sich mit seinen Erwägungen zur Notwendigkeit, den Leistungsbezieher nicht gänzlich ohne Regelleistung oder eine deren vollständigen Ausfall kompensierende Leistung zu lassen, in Übereinstimmung mit der bereits zum Bundessozialhilfegesetz vertretenen Auffassung, dass auch in Ansehung weitgehender Sanktionen der Leistungsfall "unter Kontrolle" gehalten werden müsse (dazu ausführlich Rothkegel, Sozialhilferecht, Kap 11 RdNr 55 ff mwN), d.h. ein vollständiger Entzug der Geldleistungen nicht isoliert erfolgen kann, sondern immer mit Initiativen zur angemessenen weiteren Bewältigung des Leistungsfalles einhergehen muss.

Dass die Antragsgegnerin der Antragstellerin am 30. Oktober 2008 für wenige Tage (Ende Oktober/Anfang November 2008) Lebensmittelgutscheine tatsächlich ausgestellt hat, ist schon deshalb nicht entscheidungserheblich, weil diese nachträgliche Entscheidung - zumindest in zeitlicher Hinsicht - weit hinter dem zurück bleibt, wozu die Antragsgegnerin aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet war und ist.

Soweit das SG neben der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 28. August 2008 im Tenor des angefochtenen Beschlusses auch noch die Aufhebung der Vollziehung (§ 86b Abs. 1 Satz 3 SGG) für den Fall angeordnet hat, dass dieser Bescheid bereits vollzogen worden ist, hat sich der Beschluss erledigt, nachdem die Antragsgegnerin zwischenzeitlich der Antragstellerin die Regelleistung für die Zeit vom 01. Oktober 2008 bis zum 15. November 2008 erneut, wenn auch nur vorläufig, bewilligt und diese auch ausgezahlt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved