S 37 AS 3502/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 3502/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt K beigeordnet. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab 1.5.2005 für die Dauer der Beschäftigung bei der GmbH als vorläufige Bewilligung nach § 328 SGB III Alg II und Sozialgeld unter Anrechnung eines prospektiv geschätzten Durchschnittseinkommens von 450 EUR monatlich zu gewähren. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Der Antragsteller (Ast.) lebt mit seiner Ehefrau und drei Kleinkindern zusammen. Mitte Februar zeigte er dem Antragsgegner (Ag.) die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bei der GmbH (einer PSA) an, wo er, bedingt durch die jeweiligen Arbeitseinsätze, ein unterschied-lich hohes Einkommen erzielt. Nach Aufforderung, den laufenden Monatsverdienst jeweils nachzuweisen (Schreiben vom 21.3.2006), reichte der Ast. am 27.3.2006 die Lohnbescheini-gung für den Monat März (901,60 EUR brutto/702,39 EUR netto) ein.

Der Ag. nahm dies zum Anlass, mit Änderungsbescheid vom 31.3.2006 für die Monate April und Mai 2005 ein fiktives Einkommen von 1200 EUR brutto/ 720 EUR netto anzurechnen; dies sei wegen des schwankenden Einkommens erforderlich.

Hiergegen hat der Ast. nach Widerspruch das Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz ersucht. Wegen deutlich geringerer Einkünfte im Monat April (670 EUR netto) könne er den Lebensunterhalt der Familie nicht sicherstellen.

Im Eilverfahren hat der Ag. unter erneuter Änderung für April den tatsächlich zustehenden Leistungsanspruch ermittelt (839,49 EUR statt der ursprünglich zuerkannten 553,32 EUR) und für Mai das im März 2006 erzielte Einkommen einbehalten (Auszahlungsanspruch 817,59 EUR).

Die Eilbedürftigkeit sei damit entfallen und habe auch nie bestanden, da der Ast. die Verdienst- Abrechnung für April zunächst nicht übersandt habe.

II.

Der nach § 86b Abs. 2 SGG zulässige Antrag ist begründet. Die rechtswidrige Verfahrens-weise der Einbehaltung fiktiver Einkommensbeträge erfordert eine Hilfe durch das Gericht. Der Antragsteller (Ast.) hat für sich und seine Familienangehörigen Anspruch auf weitere Leistungen in dem tenorierten Umfang.

Aus dem der Einkommensanrechnung im SGB II zugrunde liegenden Zuflussprinzip bei vorschüssiger Leistungserbringung ist zu folgern, dass die Anrechnung von Einkommen jeweils erst nach erfolgtem Leistungsbezug und nach der im Anrechnungsmonat durchge-führten Tätigkeit möglich ist. Ist das erzielte Einkommen gleich bleibend, schließt das eine endgültige Bewilligung mit Einbehalt des konstanten Anrechnungsbetrages nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 2.6.2004 – B 7 AL 58/03 R ). Wird dagegen ein monatlich schwankendes Einkommen erzielt, wie hier, ist eine endgültige Bewilligung mit Abzug eines prospektiv geschätzten Einkommenbetrages unzulässig (vgl. BSG, Urteil vom 25.6.1998 -B 7 AL 2/98 R).

In solchen Fällen gibt § 328 SGB III dem Antragsgegner (Ag.) aber eine rechtstechnische Möglichkeit an die Hand, wie mit der Unsicherheit über die zukünftige Höhe des Erwerbs-einkommens umgegangen werden kann.

In den angefochtenen Änderungsbescheiden hat der Ag. demgegenüber die jeweiligen –willkürlich bestimmten - Einkommensanrechnungen unter keinen Vorläufigkeitsvorbehalt gestellt, sondern vielmehr nach Kenntniserlangung von den tatsächlich erzielten, früheren Einkünften Abrechnungen für künftige Monate des laufenden Bewilligungsabschnitts vorgenommen; genau genommen handelt es sich bei den Änderungsbescheiden somit um fiktive Aufrechnungen, für die es im SGB II oder SGB I keine Rechtsgrundlage gibt.

Außerdem setzt die Aufrechnung einen durchsetzbaren Erstattungsanspruch voraus, der auf grob fahrlässigen Falschangaben beruht; die bloße Unterlassung einer Mitteilung fällt nicht unter § 43 SGB II (LPK-SGB II, § 43 Rdnr. 9), zumal ein grob fahrlässiges Verschulden hier eindeutig fehlt.

Die Verfahrensweise des Ag. unterläuft den auch für SGB II-Bezieher bestehenden Schutz nach § 51 Abs. 2 SGB I, weil die Betroffenen durch Ansatz offensichtlich überzogener Anrechnungsbeträge hilfebedürftig werden, wie es hier im Monat April zunächst der Fall war. Aus der Akte geht hervor, dass der Ast. zu keinem Zeitpunkt die von ihm geforderte Mitwirkung versäumt oder verzögert hat.

Die vom Ag. offenbar gewollte "Bestrafung" ist von keinem erkennbaren Sachgrund getragen.

Mit den zuerkannten Beschlussleistungen sichert das Gericht den Anspruch des Ast. auf kontinuierliche Gewährleistung des Existenzminimums, was die Notwendigkeit einschließt, bei Festsetzung des prospektiv geschätzten Abzugsbetrages restriktiv zu verfahren. Bei redlichen Leistungsbeziehern, wie hier, gibt es kein schützenswertes Interesse des Ag., über Sicherheits-zuschläge einer Überzahlung vorzubeugen; sollte in einem "günstigen" Arbeitsmonat eine Überzahlung eingetreten sein, hat der Ag. die Möglichkeit, den sich aus der endgültigen Einkommensanrechnung ergebenden Erstattungsbetrag über eine Ratenzahlungsvereinbarung einzufordern, die die Befugnis einschließen kann, Nachzahlungsbeträge für die Monate, in denen der Ast. wegen ausgebliebener Verleihungen nur unterdurchschnittlich verdient hat, mit den Erstattungsforderungen zu verrechnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.
Rechtskraft
Aus
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