S 3 SO 1122/07

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Konstanz (BWB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 1122/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für Autoreifen und Stoßdämpfer im Rahmen der Sozialhilfe.

Der xxxxx geborene Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie den zuerkannten Nachteilsausgleichen "G" und "aG". Mit Schreiben vom 2. August 2006 stellte er beim Job-Center xxxxx einen Antrag auf Übernahme von Kosten für Autoreifen und Stoßdämpfer in Höhe von 427 EUR (Verwaltungsakte Bl. 55). Am 25. Oktober 2006 ging dieser Antrag dem Beklagten zu, welcher ihn mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 ablehnte. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigegeben, wonach der Kläger innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Landratsamt xxxxx schriftlich oder mündlich zur Niederschrift Widerspruch einlegen könne (vgl. Verwaltungsakten Bl. 74/75). Am 29. Dezember 2006 legte der Kläger per E-Mail unter Übermittlung einer Reifenrechnung über 228,01 EUR Widerspruch ein (Verwaltungsakten Bl. 119/121).

Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2007 (Verwaltungsakten Bl. 225 ff.) wies das Landratsamt xxxxx den Widerspruch mangels Schriftform als unzulässig, jedenfalls aber inhaltlich als unbegründet zurück.

Zur Begründung der hiergegen am 23. April 2007 beim Sozialgericht Konstanz erhobenen Klage wird vorgetragen, es sei verbreitet, auch behördliche Korrespondenz per E-Mail vorzunehmen. Als Schwerbehinderter sei der Kläger darauf angewiesen, viele Dinge per Computer zu erledigen. Jedenfalls habe der Beklagten aber einen Beratungsfehler begangen, indem sie den Kläger nicht nochmals auf die fehlende Schriftform hingewiesen habe.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Landratsamts xxxxx vom 12. Dezember 2006 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 17. April 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Sozialhilfe zur Beschaffung von Autoreifen in Höhe von 228,01 EUR sowie von Stoßdämpfern zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und verweist auf die angegriffenen Bescheide.

Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass der Kläger am 28. Juli 2005 in der Rechtssache S 2 KN 2051/03 vor dem Sozialgericht xxxxx ausweislich der dortigen Niederschrift erklärt hat, dass er nicht mehr in der Lage ist, einen PKW zu führen.

Dem Gericht liegen die Leistungsakten des Landratsamts xxxxx vor, auf welche ebenso wie auf die Gerichtsakten wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.

Keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage ist nämlich die Einhaltung der Widerspruchsfrist. Über die Frage, ob der Beklagte die Unzulässigkeit des Widerspruchs zu Recht angenommen hat, ergeht ein Sachurteil, weil insoweit über eine Rechtsfrage sachlich entschieden wird. Die Frage der Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs kann nicht entgegen prozessrechtlicher Systematik innerhalb eines als unzulässig angesehenen Verfahrens geprüft und durch Prozessurteil beschieden werden (BFH, Urteil vom 11. Oktober 1977 - VII R 73/74 -, BFHE 124, 1; BSG, Urteil vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 19/78 -, BSGE 49, 85 [87] mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerwG). Diese Problematik kann daher allenfalls im Rahmen der Begründetheit eine Rolle spielen.

2. Die Klage ist jedoch nicht begründet.

a) Das Gericht kann dabei offen lassen, ob dies bereits daraus folgt, dass der Beklagte wegen Unzulässigkeit des Widerspruchs das materielle Begehren des Klägers nicht mehr zu prüfen brauchte.

Zwar ist ein per E-Mail eingelegter Widerspruch unzulässig (SG Konstanz, Gerichtsbescheid vom 30. August 2005 – S 3 AL 2421/03 -, bestätigt durch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Dezember 2005 - L 12 AL 4086/05 -; so auch VG Sigmaringen, Beschluss vom 27. Dezember 2004 - 5 K 1313/04 -; VBlBW 2005, 154), doch spricht hier manches dafür, dass dem Kläger Wiedereinsetzung in die Widerspruchsfrist zu gewähren ist.

Nach § 67 Abs. 1 SGG ist demjenigen, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Als Maßstab für die Verschuldensfrage ist dabei diejenige Sorgfalt heranzuziehen, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen des Einzelfalles nach allgemeiner Verkehrsanschauung zuzumuten ist, wobei keine überspitzten Anforderungen daran gestellt werden, welche Vorkehrungen der Betroffene gegen drohende Fristversäumung treffen muss (vgl. Meyer-Ladewig / Keller, SGG. 8. Aufl. 2005, § 67 Rdnr. 3 b m. w. N.).

In Anwendung dieser Grundsätze dürfte der Kläger "unverschuldet" gehandelt haben. Wiedereinsetzung kann auch dann zu gewähren sein, wenn durch das Verhalten eines Bediensteten, insbesondere, wenn dieser eine unrichtige Auskunft erteilt, ein Irrtum über den Fristlauf oder wie hier die erforderliche Form des Widerspruchs hervorgerufen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. März 1983 - 1 C 34.80 -, NJW 1983, 1923). Nachdem der Kläger häufig mit dem Beklagten elektronisch korrespondiert hat, wäre es wohl Sache des Beklagten gewesen, ihn nach Eingang des "Widerspruchs" per E-Mail darauf hinzuweisen, dass diese Form dem Schriftformerfordernis nicht genügt, zumal sich dies weder aus der Rechtsmittelbelehrung ergibt noch aus dortigen dem Hinweis auf die Schriftform aufdrängen muss. Der Beklagte hätte wohl ganz konkret darauf hinweisen müssen, dass er ein E-Mail nicht als Schriftform akzeptiert.

b) Die Klage ist aber jedenfalls unbegründet, weil dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht.

Das Gericht vermag keine tragfähige Rechtsgrundlage dafür zu erkennen, die Aufwendungen des Klägers zur Beschaffung von Autoreifen in Höhe von 228,01 EUR sowie von Stoßdämpfern im Rahmen der Sozialhilfe zu übernehmen.

Insoweit kann zunächst auf die zutreffenden Ausführung des Beklagten auf Blatt 2 des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2007 verwiesen werden.

Das Gericht hat vertiefend noch geprüft, ob ein Anspruch des Klägers im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen in Betracht käme.

Der Kläger gehört zwar wohl zum Personenkreis des § 53 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII), denn ist durch seine Behinderung wesentlich in seiner Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt. Er hat dennoch keinen Anspruch auf Gewährung von Eingliederungshilfe nach §§ 54 Abs. 1 SGB XII in Verbindung mit §§ 33 und 55 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) und § 8 Eingliederungshilfeverordnung in Form der Übernahme von Reparaturkosten für sein Kraftfahrzeug. Nach § 8 Abs. 1 Eingliederungshilfeverordnung wird Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges in angemessenem Umfang gewährt, wenn der behinderte Mensch wegen Art oder Schwere seiner Behinderung insbesondere zur Teilhabe am Arbeitsleben auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen ist.

Dieser Vorschrift ist zu entnehmen, dass der Schwerpunkt des Eingliederungszwecks vor allem in der Eingliederung in das Arbeitsleben liegt (BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2000 – 5 C 43.99 -, BVerwGE 111, 328). Andere Gründe sind damit zwar nicht von vorne herein ausgeschlossen, sie müssen jedoch mindestens vergleichbar gewichtig sein. Letzteres ist nur dann zu bejahen, wenn die geltend gemachten Gründe eine ständige, d. h. tägliche oder fast tägliche Benutzung des Fahrzeuges erfordern und insgesamt einer strengen Beurteilung standhalten. Gleichzusetzen mit einer Eingliederung in das Arbeitsleben ist zum Beispiel der Besuch einer Ausbildungsstätte (vgl. Niedersächsisches OVG, Urteil vom 11. Juni 1981 - 4 A 152/80 -, FEVS 31, 454; VG des Saarlandes, Urteil vom 21. September 2000 – 4 K 155/99 –). Zur Beurteilung der Notwendigkeit, ständig ein Fahrzeug zu benutzen, ist auf die gesamten Lebensverhältnisse des Behinderten abzustellen. Ist die erforderliche Mobilität des Behinderten auf andere Weise sichergestellt, zum Beispiel durch die Benutzung von Behindertenfahrdiensten oder die Übernahme der Kosten eines Taxis oder Mietautos, ist der Behinderte nicht notwendig auf die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeuges ständig angewiesen. Für lediglich gelegentliche Fahrten kann die Notwendigkeit der Beschaffung nicht bejaht werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Juli 2000, a. a. O.)

Die vom Kläger vorgetragenen Gründe, aus denen er ein eigenes Kraftfahrzeug benötigt und deshalb die Übernahme der Reparaturkosten begehrt, sind nach der strengen ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, denen sich auch das erkennende Sozialgericht anschließt, nicht als gleichwertig mit der Eingliederung in das Arbeitsleben anzusehen. Der Kläger benötigt das Auto nach seinem eigenen Vortrag für notwendige und wiederkehrende Verrichtungen zur Bewältigung des Alltages einschließlich der Inanspruchnahme regelmäßig notwendiger Arztbesuche in xxxxx. Unabhängig von der Frage, inwieweit der durch die freie Wahl eines Arztes an einem anderen Ort als dem Wohnort entstandene Bedarf sozialhilferechtlich überhaupt berücksichtigt werden kann, muss hier festsgestellt werden, dass diese Fahrten auch durch die Inanspruchnahme eines Taxis oder Krankentransportes sichergestellt werden können. Die Notwendigkeit der Gewährung der Eingliederungshilfe setzt erst dann ein, wenn der Hilfesuchende gemessen an seiner nichtbehinderten Umwelt in seiner Lebensführung so weit absinkt, dass seine Menschenwürde Schaden nimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1970 - V C 32.70 -, BVerwGE 36, 256). Anhaltspunkte für eine so schwere Einschränkung liegen hier jedoch nicht vor.

Bei diesem Ergebnis kann das Gericht des weiteren offen lassen, ob die Gewährung von Hilfe zur Beschaffung bzw. Unterhaltung eines Kraftfahrzeuges nicht auch an § 8 Abs. 3 Eingliederungshilfeverordnung scheitert, wonach diese Hilfe in der Regel davon abhängig ist, dass der Behinderte das Kraftfahrzeug selbst bedienen kann. Das Gericht verhehlt nicht, dass es nach wie vor gewisse Zweifel an der diesbezüglichen Fähigkeit des Klägers hegt, nachdem er dies am 28. Juli 2005 vor dem Sozialgericht xxxxx ausdrücklich verneint hatte (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung in der Rechtssache S 2 KN 2051/03).

Nach alldem besteht auch kein Anspruch auf Eingliederungshilfe in Form der Übernahme von Reparaturkosten für ein Kraftfahrzeug, so dass die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Nachdem der Kläger selbst seine Beschwer mit ca. 427 EUR angegeben hat (vgl. Verwaltungsakte Bl. 55), ist die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht zulässig; Gründe, sie nach § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen. liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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