S 12 AS 3516/09 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 12 AS 3516/09 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
Die Anrechnung der Umweltprämie als Einkommen des SGB II-Beziehers setzt im allgemeinen voraus, dass die Prämie ab dem Anrechnungszeitraum tatsächlich bewilligt und zugeflossen ist, sei es auch auf Veranlassung des Beziehers von Leistungen hin in Form ein
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig bis zum Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache, dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts für die Zeit ab 22.07.2009 bis zum 30.09.2009 ohne Anrechnung der Umweltprämie als Einkommen i. S. v. § 11 Abs. 1 SGB II zu gewähren.

II. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der Einstweiligen Anordnung die vorläufige Gewährung von höheren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) für die streitgegenständliche Zeit vom 22.07.2009 bis zum 30.09.2009.

Der Antragsteller bezieht bei der Antragsgegnerin laufende Leistungen nach dem SGB II.

Gemäß Kaufvertrag vom 9.2.2009 und Abrechnung vom 17.4.2009 erwarb der Antragsteller bei dem Autohaus D einen Pkw für brutto 7.500 Euro (GA 14). Für den Kauf beantragte er bei dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle die sog. Umweltprämie (Abwrackprämie) i. H. v. 2.500 Euro. Den hierfür bestehenden Auszahlungsanspruch trat er an das Autohaus erfüllungshalber ab. Der Pkw wurde dem Antragsteller am 17.4.2009 gegen bare Zahlung von 5.000 Euro übergeben. Die Umweltprämie ist bislang weder bewilligt noch ausgezahlt.

Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller mit angegriffenem Bescheid vom 11.5.2009 i. d. F. des Änderungsbescheides vom 7.6.2009 vorläufige Leistungen für die Zeit vom 1.4.2009 bis zum 30.9.2009 bewilligt. Dabei wurde die Umweltprämie mit monatlich 208,33 Euro anspruchsmindernd als Einkommen angerechnet.

Hiergegen richtet sich der Widerspruch des Antragstellers vom 10.7.2009, der mit Widerspruchsbescheid vom 17.7.2009 zurückgewiesen worden ist.

Am 22.7.2009 hat der Antragsteller vorliegenden Verfügungsantrag erhoben.

Er macht geltend, die Umweltprämie sei zu Unrecht als Einkommen angerechnet worden. Ihm sei bislang nichts zugeflossen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Antragsgegnerin einstweilen zu verpflichten, ihm ab Antragseingang Arbeitslosengeld II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin erachtet den Antrag als unbegründet. Die Anrechnung der Umweltprämie sei zu Recht erfolgt. Sie nimmt Bezug auf den Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorliegende Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat in der Sache Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund, die besondere Eilbedürftigkeit) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2, § 294 Zivilpro-zessordnung (ZPO)).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

Der Antragsteller hat einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht.

Nach Aktenlage kann davon ausgegangen werden, was zwischen den Parteien auch nicht im Streit steht, dass der Antragsteller grundsätzlich anspruchsberechtigt nach dem SGB II ist, d. h. erwerbsfähig und hilfebedürftig ist, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 SGB II) - Ausschlussgründe für Leistungen nach dem SGB II sind nicht ersichtlich – und seinen Lebensunterhalt auch nicht durch sonstiges Einkommen oder Vermögen oder Hilfe Dritter bestreiten kann (§ 9 Abs. 1 SGB II). Nachdem die Antragsgegnerin an sonstigem Einkommen unwidersprochen bereinigt lediglich 8,00 Euro für April 2009 und 20,00 Euro ab Mai 2009 angerechnet hat, bestehen insoweit auch keine Bedenken.

Die Hilfebedürftigkeit des Antragstellers ist nicht durch den Kauf des Pkw im Februar 2009, die Übergabe desselben im April 2009 oder die für den Erwerbsvorgang beantragte Umweltprämie herabgesetzt. Die Antragsgegnerin war nicht berechtigt, die Umweltprämie als Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II ab dem – hier streitgegenständlichen – 22.7.2009 anzurechnen. Dabei bedarf es keiner abschließenden Entscheidung zu der streitigen Frage, ob die Umweltprämie grundsätzlich (nicht) privilegiertes Einkommen i. S. v. § 11 Abs. 1 SGB II darstellt, das (nicht) als zweckbestimmte Einnahme privilegiert ist nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 lit. a) SGB II (für Privilegierung: SG Magdeburg, B. v. 15.4.2009, S 16 AS 907/09 ER; gegen Privilegierung: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, B. v. 3.7.2009, L 20 B 59/09 AS ER, L 20 B 66/09 AS, jeweils m. w. N.). Denn in jedem Fall setzt die Anrechnung als Einkommen nach § 11 Abs. 1 SGB II voraus, dass dem Antragsteller die Prämie tatsächlich im Bedarfszeitraum in Form bereiter Geldmittel zur Verfügung steht. Das hätte im vorliegenden Fall angenommen werden können, wenn die Prämie bewilligt und an den Antragsteller ausgezahlt, wenn sie auf dessen Abtretung hin an das Autohaus zum Zwecke der Erfüllung (§ 362 Abs. 2 BGB) ausgezahlt oder wenn die Abtretung des Auszahlungsanspruches für die Umweltprämie durch das Autohaus an Erfüllungs statt – mit der Wirkung der Erfüllung der anteiligen Erfüllung des Kaufpreisanspruches, § 364 Abs. 1 BGB – vorgenommen worden wäre. An all dem fehlt es hier. Nach dem nicht bestrittenen und mittels eidesstattlicher Versicherung untermauerten Vortrag des Antragstellers besteht der Kaufpreisanspruch in Höhe von 2.500 Euro auch nach Barzahlung über 5.000 Euro und Abtretung des Auszahlungsanspruches für die Umweltprämie zugunsten des Autohauses fort, weil die Abtretung nur erfüllungshalber erfolgt ist. Dazu wurde auch im Rahmen der Erörterung vom 25.8.2009 kein Einwand erhoben. Dieser Vortrag ist im Übrigen auch glaubhaft gemacht. Es entspricht ohne Weiteres der tatsächlichen Lebenserfahrung – und der gesetzlichen Vermutung des § 364 Abs. 2 BGB -, den Käufer erst dann aus seiner Zahlungsverpflichtung endgültig zu entlassen, wenn die Erfüllung des Kaufpreisanspruchs für den Verkäufer vollständig gesichert ist. Das gilt auch hier, zumal zum Zeitpunkt des Kaufvertrages noch gar keine Erfahrung über die (künftige) Bewilligungspraxis für die neu geschaffene Umweltprämie vorhanden sein konnte, so dass auch insoweit Unsicherheiten bestanden. Im vorliegenden Fall wurde der verbleibende Kaufpreisanspruch daher gegenüber dem Antragsteller letztlich nur teilweise gestundet, was für die Annahme eines geldwerten Mittelzuflusses i. S. v. § 11 Abs. 1 SGB II nicht genügt. In diesem Zusammenhang kann auch nicht angenommen werden, dass sich die Anrechnung als Einkommen im Hinblick auf die vorzeitige - d. h. vor vollständiger Bezahlung, vgl. §§ 320, 322 BGB, erfolgte - Übergabe des Pkw rechtfertigen könnte. Dem steht entgegen, dass mit dem Kauf des Pkw der Antragsteller eine gleichwertige schuldrechtliche Verpflichtung nach § 433 BGB eingegangen ist, die sich insgesamt einkommensneutral als Vermögenstausch darstellt und daher allein nach § 12 SGB II zu beurteilen ist (vgl. dazu: Mecke in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 11 Rn. 25 m. w. N.). Daran ändert die Übergabe des Pkw vor vollständiger Bezahlung nichts, denn es besteht nach dem Gesagten die verbliebene Zahlungsverpflichtung in Höhe von 2.500,00 Euro fort. Nachdem der gekaufte Pkw geschütztes Vermögen nach § 12 Abs. 3 Nr. 2 BGB darstellt, ist auch insoweit die Bedürftigkeit nicht in Frage gestellt.

Der Antragsteller beruft sich mit Erfolg auf das Vorliegen eines Verfügungsgrundes. Er hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung vom 10.7.2009 und von Kontoauszügen für die Zeit bis zum 7.8.2009 ohne weiteres plausibel und glaubhaft dargetan, dringend auf vollständige und seine Existenz sichernde Leistungsgewährung angewiesen zu sein, weil insbesondere die Mieten für Juni und Juli 2009 rückständig sind. Auf die Dringlichkeit wurde von ihm auch im Termin vom 25.8.2009 nochmals glaubhaft hingewiesen. Ihm kann hierbei nicht entgegen gehalten werden, dass er im Juli 2009 insgesamt 1.500,00 Euro zur Schuldentilgung verwendet hat, anstatt diese für die allgemeine Lebenshaltung bereit zu halten. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, muss bei der Frage des Vorliegens eines Anordnungsgrundes grundsätzlich nach § 11 Abs. 2 SGB II materiell-rechtlich geschütztes (Schon-) Vermögen außer Betracht bleiben (vgl. Berlit, info also 2005, S. 1ff., 10 m. w. N.; LSG Niedersachsen-Bremen, B. v. 15.6.2009, L 13 AS 106/09 B ER; anders beurteilt: LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 16.7.2009, L 25 AS 769/09 B ER). Davon ist jedenfalls vorliegend auszugehen. Nach Aktenlage stellt das einzige erhebliche Aktivvermögen des Antragstellers der im Februar 2009 gekaufte Pkw dar, der allerdings zumindest teilweise fremdfinanziert wurde und keiner Verwertungspflicht unterliegt (§ 12 Abs. 3 Nr. 2 SGB II). Dasselbe gilt aber auch für das im Juli 2009 zunächst noch vorhandene Guthaben auf dem Girokonto des Antragstellers von knapp unter 2.000,00 Euro (§ 12 Abs. 2 Nr. 1, 4 SGB II). Besondere Umstände, die es im Einzelfall als angezeigt hätten erscheinen lassen können, den Antragsteller auch insoweit auf die tatsächliche Möglichkeit der Verwertung zu verweisen, fehlen. Der Antragsteller hat glaubhaft vorgetragen und mittels eidesstattlicher Versicherung vom 12.8.2009 (GA 52) glaubhaft gemacht, im Wege der Überbrückungsfinanzierung bei seiner Mutter 6.000,00 Euro darlehensweise erhalten zu haben, die bis Juli 2009 zurückzuzahlen waren, wobei 4.500 Euro aus der Kündigung eines Sparbuches resultierten und 1.500 Euro aus auf dem Girokonto angesparten weiteren Eigenmitteln. Daran wurde auch am 25.8.2009 glaubhaft festgehalten. Unter diesen Umständen kann nicht angenommen werden, dass er sich ohne Not und unter Verletzung des Eigenverantwortlich-keitsgrundsatzes erheblicher liquider Mittel begeben hat.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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