L 12 SO 33/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 20/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 SO 33/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten hin wird der Tenor des Urteils des SG Detmold vom 27.09.2007 neu gefasst:

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.12.2005 und des Bescheides vom 25.09.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 unter Einbeziehung der Bescheide vom 19.12.2006 und 25.06.2007 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung eines ungekürzten Mehrbedarfszuschlags nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Klageverfahren und das Berufungsverfahren je zu 2/3.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht die Kürzung eines Mehrbedarfszuschlags für Erwerbsgeminderte nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 Zwölftes Sozialgesetzbuch (SGB XII) wegen des gleichzeitigen Bezuges von Pflegegeld nach § 37 Elftes Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Die am 00.00.1975 geborene Klägerin ist schwerbehindert (GdB 100, Merkzeichen B, G, H, RF) und dauerhaft voll erwerbsgemindert. Sie lebt mit ihren Eltern in Haushaltsgemeinschaft und ist in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt. Von der zuständigen Pflegeversicherung erhält die Klägerin Pflegegeld aufgrund der Pflegestufe 1 in Höhe von monatlich 205,00 EUR. Von der Beklagten bezieht sie Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Diese Leistungen der Beklagten beinhalteten zunächst auch einen ungekürzten Mehrbedarfszuschlag wegen Schwerbehinderung, der aufgrund des Bestehens einer Erwerbsminderung bei Vorliegen des Merkzeichens "G" gewährt wurde.

Mit Bescheid vom 19.12.2005 gewährte die Beklagte der Klägerin für Januar 2006 Leistungen nach dem SGB XII in Höhe von 150,38 EUR. Bei der Bedarfsberechnung berücksichtigte sie eine monatliche Bedarfsdeckung durch das in der Werkstatt für Behinderte kostenfrei gewährte Mittagessen in Höhe von monatlich 45 EUR. Hinsichtlich der Einkünfte aus dem Werkstatteinkommen setzte sie einen Freibetrag von 90,26 EUR nach § 82 SGB XII an. Den Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII kürzte die Beklagte um ein Drittel (von 46,92 EUR auf 31,28 EUR). Zur Begründung führte sie aus, nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 20.03.1991 - 8 A 2093/88 - sei zur Vermeidung von Doppelleistungen für denselben Bedarf der Mehrbedarf zu kürzen, wenn daneben Leistungen nach dem SGB XI gewährt würden. Der Bescheid regelte nach seinem Wortlaut zunächst nur den Januar 2006. Er enthielt den Hinweis, dass die Sozialleistung danach für jeweils einen weiteren Monat gewährt werde, solange die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen.

Mit ihrem dagegen am 16.01.2006 eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, das zitierte Urteil des OVG NRW behandele einen Einzelfall. Dort sei eine Kürzung möglich gewesen, weil der altersbedingte Mehrbedarf bereits durch die Gewährung von Leistungen für eine Haushaltshilfe befriedigt gewesen sei. Bei ihr sehe die Bedarfskonstellation anders aus, da weder ein altersbedingter Mehrbedarf im Raum stehe noch Leistungen in Gestalt einer Haushaltshilfe bezogen würden. Im Übrigen habe das OVG seine Entscheidung erkennbar mit Urteil vom 14.10.1991 - 24 A 2230/89 - revidiert. Jedenfalls sei die von der Beklagten zitierte Entscheidung keinesfalls so zu verstehen, dass beim Bezug von Pflegegeld regelmäßig ein Mehrbedarfsabschlag vorzunehmen sei. Vielmehr müsse eine Einzelfallprüfung vorgenommen werden, die vorliegend nicht erkennbar sei. Auch sei das SGB XI erst zum 01.01.1995 und damit vier Jahre nach der zitierten Entscheidung in Kraft getreten. Eine Doppelleistung für einen Mehrbedarf sei nicht zu erkennen. Nach der Intention des Gesetzgebers umfasse der Mehrbedarf einen zusätzlichen Bedarf an laufendem Lebensunterhalt, der bei berechtigten Personen infolge besonderer Lebensumstände regelmäßig vorhanden sei, während die gesetzliche Pflegeversicherung als Versicherungsleistung dazu beitragen solle, die aus der Pflegebedürftigkeit entstehenden Belastungen zu mildem. Während das SGB XII auf die Sicherung des Lebensunterhaltes abstelle, gehe es im Rahmen des SGB XI um die Sicherung der Pflege des Versicherten.

Für Oktober 2006 berechnete die Beklagte mit Bescheid vom 25.09.2006 die Leistungen der Klägerin neu. Bei gleich bleibendem Bedarf setzte sie nunmehr den Freibetrag für Werkstatteinkommen mit 83,76 EUR sowie einen zusätzlichen Freibetrag für Arbeitsförderungsgeld in Höhe von 26,00 EUR an. Hieraus ergab sich ein Zahlbetrag von 169,88 EUR. Wiederum erfolgte der Hinweis auf die monatlich neu erfolgende Gewährung von Leistungen.

Mit Schreiben vom 30.10.2006 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Leistungsberechtigung regelmäßig alle 12 Monate überprüft werde. Sie möge daher bis zum 15.12.2006 einen neuen Antrag stellen, da ansonsten die Leistungen zum 31.12.2006 eingestellt würden. Die Klägerin stellte daraufhin am 27.11.2006 einen erneuten Leistungsantrag. Auf diesen Antrag hin wurden der Klägerin mit Bescheid vom 19.12.2006 für Januar 2007 Leistungen wiederum unter Berücksichtigung eines um 30 % gekürzten Mehrbedarfs bewilligt. Hierbei berücksichtigte die Beklagte nunmehr abweichend Kosten der Unterkunft in Höhe von 60,00 EUR, einen Freibetrag für Werkstatteinkommen in Höhe von 84,84 EUR und einen Freibetrag für Arbeitsförderungsgeld in Höhe von 21,67 EUR.

Für Juli 2007 erging zur Anpassung an die Erhöhung des Regelsatzes ein entsprechender Bewilligungsbescheid vom 25.06.2007.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2007 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Das Pflegegeld sei nicht unmittelbar zur Abdeckung des Pflegebedarfs bestimmt, sondern in erster Linie zur Förderung bzw. Erhaltung der Pflegebereitschaft der Person, die die Pflege ausübe. Außerdem solle der mittelbar mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängende Aufwand damit abgedeckt werden können. Aus § 37 SGB XI ergebe sich, dass das Pflegegeld dazu diene, die erforderliche Grundpflege (Körperpflege, Ernährung, Mobilität) und die hauswirtschaftliche Versorgung (u.a. Einkaufen, Waschen der Kleidung) in geeigneter Weise selbst sicherzustellen. Es solle dem Pflegebedürftigen nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere ermöglicht werden, Angehörigen für die im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege eine materielle Anerkennung zukommen zu lassen und damit einen Anreiz für den Erhalt der Pflegebereitschaft zu bieten. Ein Teil der vom Mehrbedarf umfassten Leistungen sei somit auch im Pflegegeld erhalten. Der Mehrbedarf stelle im Verhältnis zum Pflegegeld eine nachrangige Leistung dar. Um eine Doppelleistung zu vermeiden, werde der Mehrbedarf deshalb entsprechend abweichend festgesetzt. Das OGV NRW habe seine Entscheidung vom 20.03.1991 auch nicht durch diejenige vom 14.10.1991 revidiert. In beiden Entscheidungen habe das Gericht eine Kürzung des Mehrbedarfs im Einzelfall dann für möglich gehalten, wenn die altersbedingten Erschwernisse in der Lebensführung des Leistungsberechtigten teilweise durch die Beihilfe für eine Haushaltskraft ausgeglichen worden seien. Gleiches müsse auch gelten, wenn, wie bei der Klägerin, die behinderungsbedingten Erschwernisse in der Lebensführung teilweise durch Leistungen aus der Pflegeversicherung ausgeglichen würden. Die Prüfung der Kürzung des Mehrbedarfs werde für jeden Einzelfall vorgenommen. Die Klägerin lebe im Haushalt der Eltern, die sie betreuen und auch ihre Pflege sicherstellen würden. Daher seien die Voraussetzungen für eine abweichende Festsetzung des Mehrbedarfs zur Vermeidung von Doppelleistungen gegeben.

Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 19.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 am 22.02.2007 Klage vor dem Sozialgericht Detmold erhoben.

Sie hat sich unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags darauf gestützt, dass eine Abweichung vom gesetzlichen Mehrbedarf nach unten bereits wegen der Garantie des sozialen Existenzminimums weitgehend ausgeschlossen sei. Allenfalls aufgrund besonderer Umstände im konkreten Einzelfall sei ausnahmsweise dann eine Kürzung möglich, wenn die Kürzungsumstände evident seien und vom Leistungsträger im Einzelfall konkret nachgewiesen werden könnten. Ein pauschaler Hinweis auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB XI reiche dazu nicht aus. Der Mehrbedarf umfasse inhaltlich zum Beispiel einen zusätzlichen Aufwand für die Reinigung von Kleidung oder Mehraufwendungen wegen gesundheitlicher Beschränkungen der Einkaufsmöglichkeiten. Die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung zielten in eine andere Richtung, insbesondere dann, wenn die pflegebedürftige Person die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung als Geldleistung in Anspruch nehmen würde, um die Pflege in geeigneter Weise selbst sicherzustellen. Dadurch werde deutlich, dass das Pflegegeld nicht der Sicherung des Lebensunterhalts, sondern der Erhaltung der Pflegebereitschaft der Pflegepersonen diene. Sie werde erst durch das Pflegegeld in die Lage versetzt, den Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die mit großem Einsatz im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen. Hiervon unabhängig sei der besondere Bedarf an laufendem Lebensunterhalt zu sehen, der durch den Mehrbedarfszuschlag zumindest abgemildert werden solle.

In der mündlichen Verhandlung vom 27.09.2007 hat die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 zu verurteilen, ihr ab Januar 2006 einen ungekürzten Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat zur Begründung im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid vom 08.02.2007 verwiesen.

Mit Urteil vom 27.09.2007 hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.12.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2007 dazu verurteilt, der Klägerin ab Januar 2006 einen ungekürzten Mehrbedarfszuschlag nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu gewähren. Es hat sich der Begründung der Klägerin im Wesentlichen angeschlossen.

Nach Zustellung des Urteils am 29.10.2007 hat die Beklagte am 22.11.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung stützt sie sich darauf, dass der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nach den Empfehlungen zum Sozialhilferecht, herausgegeben vom Arbeitsausschuss der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe, unter anderem mit einem Anteil von 30 % "Aufmerksamkeiten bei gelegentlichen Hilfeleistungen durch Dritte (Nachbarn oder andere Bekannte)" beinhalte. Auch das Pflegegeld habe - dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 04.06.1992 - 5 C 82/88 -) folgend - unter anderem die Zielsetzung, den Pflegebedürftigen in den Stand zu versetzen, mit kleinen gelegentlichen Geld- oder sonstigen Geschenken Dank für geleistete und Erwartung künftiger Hilfeleistung auszudrücken. Insoweit komme es zu einer doppelten Deckung der Bedarfslage und nur diese 30 % würden der Klägerin entgegengehalten.

Nach Hinweis des Senats darauf, dass die Berufungssumme nicht erreicht sein dürfte, hat die Beklagte zunächst darauf verwiesen, dass nach Einschätzung des Sozialgerichts in der mündlichen Verhandlung ein Leistungszeitraum von mehr als einem Jahr streitig und deshalb die Berufung zulässig sei.

Nach Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.10.2007 - 8/9b SO 2/06 R - hat die Beklagte am 10.03.2008 die Berufung zurückgenommen und stattdessen Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

Mit Beschluss vom 09.05.2008 hat der Senat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 27.09.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts unter Verweis auf ihr bisheriges Vorbringen für zutreffend.

Die Beteiligten gehen nunmehr übereinstimmend davon aus, dass Streitgegenstand der Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 ist und die der Bedarfsberechnung zugrunde gelegten Kosten der Unterkunft der Höhe nach von der Beklagten zutreffend erfasst wurden. Die Beklagte hat sich bereit erklärt, entsprechend der Entscheidung des BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R - die Leistungen neu zu berechnen und hierbei die anrechenbaren Kosten für das Mittagessen taggenau zu bestimmen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist jedenfalls aufgrund der Zulassung durch den Senat zulässig, § 145 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

a) Die Berufung ist auch begründet, soweit das Sozialgericht die Beklagte zeitlich unbegrenzt und damit auch für die Zeit ab 01.01.2008 dazu verurteilt hat, einen ungekürzten Mehrbedarfszuschlag zu gewähren. Denn der Zeitraum ab 01.01.2008 war nicht streitbefangen.

Der Streitgegenstand ist in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2007 begrenzt. Zwar hat die Beklagte im Bescheid vom 19.12.2005 dem Wortlaut des Verfügungssatzes nach nur Leistungen für Januar 2006 bewilligt und für die weiteren Monate jeweils konkludente weitere Bewilligungsbescheide durch bloße Auszahlung in Aussicht gestellt. Die Auslegung des Bescheides ergibt aber, dass tatsächlich eine Regelung für 12 Monate, also vom 01.01. bis 31.12.2006 getroffen wurde.

Eine lediglich monatliche Bewilligung entspricht nicht der Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII, nach dem im Regelfall Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung für 12 Monate zu bewilligen sind. Ausnahmefälle, wie z.B. ein erheblich schwankendes oder demnächst wegfallendes Einkommen, sind nicht ersichtlich. Dass die Beklagte sich hierüber nicht hinweg setzen wollte, ergibt sich aus ihrem Hinweisschreiben vom 30.10.2006. Dort geht sie selbst selbst davon aus, dass Leistungen ohne erneuten Antrag noch bis Dezember 2006 zu erbringen waren. Die Gewährung ohne weiteren Antrag über 12 Monate entsprach auch der bisherigen Handhabung zwischen den Beteiligten. Der die Leistungshöhe für die Zeit ab Oktober 2006 abändernde Bescheid vom 25.09.2006 ist damit nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden.

Unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 17.06.2008 - B 8 AY 11/07 R - werden auch die bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides ergangenen Bescheide über Folgezeiträume analog § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens. Damit ist auch der Bescheid vom 19.12.2006 mit einbezogen. Bei gleicher Auslegung von dessen Reichweite, hier also vom 01.01. bis 31.12.2007, ist schließlich der Bescheid vom 25.06.2007, der die Höhe der Leistungen für die Zeit ab Juli 2007 abändert, mit einzubeziehen.

Soweit sich die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der Klägerin auf die Leistungsbewilligungen ab 01.01.2008 bezog, fehlte es an einem Vorverfahren. Die Klage war insoweit unzulässig. Der Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung war entsprechend neu zu fassen.

b) Im übrigen ist die Berufung der Beklagten unbegründet. Das Sozialgericht hat zurecht die Beklagte sinngemäß dazu verurteilt, der Klägerin nach § 41 Abs. 1 Satz 1, 42 SGB XII Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung eines ungekürzten Mehrbedarfszuschlags nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu gewähren.

Die Klägerin ist durch die angegriffenen Bescheide beschwert. Denn in die Bedarfsberechnung ist der ungekürzte Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII einzustellen.

Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für den Zuschlag nach dieser Vorschrift. Denn sie ist dauerhaft voll erwerbsgemindert und verfügt über das Merkzeichen "G".

Dieser Mehrbedarf ist nicht zu kürzen. § 30 Abs. 1 SGB XII enthält am Ende zwar eine Öffnungsklausel. Danach ist der Mehrbedarf nur dann mit 17 % des maßgeblichen Regelsatzes zu bestimmen, soweit nicht im Einzelfall ein anderer Bedarf besteht. Es besteht damit die Möglichkeit einer abweichenden Festsetzung des Mehrbedarfszuschlags, und zwar sowohl im Sinne einer Erhöhung als auch einer Kürzung.

Ein geringerer Bedarf kann aber nur dann vorliegen, wenn ein Bedarfs(teil) bereits durch eine andere Leistung konkret gedeckt ist. Nur dann ist gerechtfertigt, die nachrangige Leistung der Grundsicherung, die nach der Vorstellung des Gesetzgebers gerade das Existenzminimum abbildet, zu kürzen. Diese Auslegung des Senats findet ihre Bestätigung in dem Urteil des BSG vom 11.12.2007 - B 8/9b SO 21/06 R -. Hierin wird ausgeführt, dass die ersparten Aufwendungen für die Einnahme eines kostenlosen Mittagsessens in einer Werkstatt für Behinderte (WfB) nur dann dem Anspruch auf Regelleistung entgegen gehalten werden können, wenn diese Ersparnisse taggenau nachgehalten werden.

Eine solch konkrete Überschneidung von Bedarfen - Kosten der Ernährung gegenüber kostenlosem Mittagessen - findet sich in der vorliegenden Fallkonstellation nicht.

Schon bei der Schaffung der Vorgängerregelung des § 23 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) hat der Gesetzgeber bei der Bestimmung behinderungsbedingter Mehrbedarfe vor Augen gehabt, dass in der entsprechenden Bedarfsgruppe u.a. höhere Telefonkosten, Porto und Fahrkosten anfallen. Auch in den Bedarfsgruppen Ernährung, Haushaltsenergie und Reinigung wurde von einem erhöhten Aufwand ausgegangen (vgl. Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage, § 30 Rn. 18ff). Diese Erwägungen basierten im Wesentlichen auf einer gutachterlichen Äußerung des Deutschen Vereins (Mehrbedarf nach §§ 23, 24 BSHG und Einkommensgrenzen nach §§ 79, 81 BSHG). Dieser Äußerung kommt aber keine normative Qualität im Sinne der Vorgabe bestimmter Verbrauchsanteile zu. Dies gilt erst recht für die von der Beklagten hieran angelehnte noch konkretere prozentuale Aufschlüsselung in den Empfehlungen zum Sozialhilferecht durch den Arbeitsausschuss der Sozialdezernenten Westfalen-Lippe. Vielmehr steht es dem Leistungsempfänger völlig frei, wie er den Mehrbedarf einsetzt.

Dem Mehrbedarf stehen vorliegend die Leistungen nach dem SGB XI gegenüber. Das der Klägerin nach dem SGB XI gewährte Pflegegeld soll die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung durch eine Pflegeperson in geeigneter Weise sicherstellen (§ 37 SGB XI). Die Geldleistung soll den Pflegebedürftigen in die Lage versetzen, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen. Dies umfasst zwar auch, sich durch "kleine Aufmerksamkeiten" bei anderen Personen zu bedanken, die im täglichen Leben gelegentlich helfen (vergl. BVerwG, Urt. v. 04.06.1992 - Az 5 C 82/88 -). Doch auch hier gilt, dass eine solche Verwendung nicht zwingend ist. Der Einsatz des Pflegegeldes ist frei, soweit nur die Pflege als solche sichergestellt ist. Es ist kein Einzelverwendungsnachweis zu führen (siehe Kesselmann, Die Praxis der Pflegeversicherung, Rd. F 87).

Aus der Gegenüberstellung ergibt sich, dass es keine konkret nachzuhaltenden - zwingenden - Überschneidungen gibt, anders als bei dem Bedarf "Nahrungsmittel" und der Bedarfsdeckung durch ein (kostenlos) gewährtes Mittagessen. Für eine Kürzung des Mehrbedarfs aufgrund anderweitiger Bedarfsdeckung bleibt damit vorliegend kein Raum.

Soweit in den angegriffenen Bescheiden eine taggenaue Berechnung der Bedarfsdeckung durch das Mittagessen in der Werkstatt für Behinderte nicht erfolgt ist, hat die Beklagte eine entsprechende Nachberechnung zugesichert. Insoweit war die Klägerin nicht mehr beschwert.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die hierfür in § 160 Abs. 2 SGG aufgestellten Voraussetzungen unter Berücksichtigung der "Mittagessen"-Entscheidung des BSG nicht mehr erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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