S 8 U 26/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 U 26/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 U 126/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Unfall des Klägers vom 02.10.2008 ein Arbeitsunfall war.

Der am 00.00.00 geborene Kläger erlitt am 02.10.2008 bei einem Verkehrsunfall einen Bruch des linken Oberschenkels. Der Unfall ereignete sich ausweislich der Unfallmeldung des Klägers an seine Krankenversicherung auf dem Weg zur Filiale der Firma N, wo - ebenfalls ausweislich der Unfallmeldung - ein "Probearbeitstag" im Rahmen eines "Schülerjobs" stattfinden sollte. Auch gegenüber der Beklagten teilte der Kläger mit, der Unfall habe sich auf "erstmaligen Fahrt" anlässlich eines "Probearbeitstags" ereignet. Die Firma N teilte auf Nachfrage der Beklagten mit, der Kläger sei auf seine Bewerbung hin zu einem einmaligen "Schnuppertag" eingeladen worden, den er am Unfalltag von 7:00 Uhr bis 17:00 Uhr hätte absolvieren sollen. Als Aufgaben seien Mithilfe bei der Wareneingangskontrolle, beim Verräumen und der Präsentation der Waren sowie das Kennenlernen weiterer verkaufstypischer Tätigkeiten vorgesehen gewesen. Eine Entlohnung sei nicht vorgesehen gewesen.

Gestützt auf diese Auskunft und die Angaben des Klägers lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18.03.2009 eine Entschädigung des Unfalls mit der Begründung ab, es habe sich mangels Versicherungsschutz nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Bei einem Probearbeitstag fehle es an der für eine Beschäftigung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) erforderlichen Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers. Unfallversicherungsschutz wie ein Versicherter nach § 2 Abs. 2 SGB VII scheide aus, da die beabsichtigte Tätigkeit bei der Firma N wesentlich von dem eigenen Interesse des Klägers an der Erlangung eines Arbeitsplatzes geprägt gewesen sei. Eine hypothetische Entlastung der Firma N durch die Mithilfe falle daneben nicht ins Gewicht. Den am 24.04.2009 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 28.04.2009 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 28.05.2009 erhobene Klage.

Der Kläger führt aus, es habe sich um eine Probezeit und nicht um ein Probearbeitsverhältnis gehandelt, für das es ohnehin keine Rechtsgrundlage gebe. Hilfsweise sei von einem auf einen Tag befristeten Beschäftigungsverhältnis auszugehen. Auch wenn es wegen des Unfalls nicht tatsächlich zu einer Arbeitsaufnahme gekommen sei, habe doch ein einheitliches Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Insbesondere sei nicht vorab vereinbart gewesen, dass die Tätigkeit am 02.10.2008 unentgeltlich erfolgen sollte. Hätte er dies vorab gewusst, so hätte er sich eher nach einer Alternative umgesehen, zumal er noch andere Angebote gehabt hätte. Hätte die Firma N ihm nach Ankunft am 02.10.2008 eröffnet, dass für diesen Tag keine Entlohnung erfolgen sollte, so hätte er zwar die Arbeit aufgenommen, nicht aber über die geforderten zehn Stunden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.03.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2009 zu verurteilen, festzustellen, dass er am 02.10.2008 einen Arbeitsunfall erlitten hat, und entsprechend Entschädigung zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bleibt bei ihrer Auffassung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger ist durch die verweigerte Anerkennung des Unfalls vom 02.10.2008 als Arbeitsunfall nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Bei dem Unfall hat es sich nicht um einen Arbeitsunfall i.S.d. § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII gehandelt. Nach dieser Vorschrift sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Hierzu gehört auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit, § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII.

Es bestehen bereits erhebliche Zweifel daran, ob die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht schon deswegen ausscheidet, weil der Kläger, der bereits auf dem Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme verunglückt ist, die Tätigkeit bei der Firma N überhaupt nicht aufgenommen hat. Für eine solche Sichtweise spricht insbesondere, dass Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII nur dann besteht, wenn ein durch Antritt der Arbeit wirksam gewordenes Beschäftigungsverhältnis vorliegt (ausführlich LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.03.2001, L 17 U 234/99). Auch aus der Rechtsprechung des BSG zum Krankenversicherungsschutz des auf dem Weg zur Aufnahme einer Beschäftigung verunglückten Arbeitnehmers (grundlegend BSG, Urteil vom 28.02.1967, 3 RK 17/65, SozR Nr. 3 zu § 306 RVO; obiter dictum auch bei BSG, Urteil vom 21.05.1996, 12 RK 67/94, juris, Rn. 17 und LSG Niedersachsen, Urteil vom 19.12.2000, L 4 KR 29/99) ergibt sich angesichts der Verschiedenheit der Rechtsmaterien nichts anderes.

Diese Frage kann jedoch dahinstehen, denn bei der Tätigkeit, derentwegen sich der Kläger auf den Weg nach S gemacht hatte, handelte es sich weder um eine Beschäftigung i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII noch wäre der Kläger hierbei wie ein Versicherter i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII tätig geworden.

Wann eine Beschäftigung i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII vorliegt, richtet sich grundsätzlich nach § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Dies wiederum setzt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist (hierzu und zum folgenden LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.10.2008, L 17 U 43/08), d.h. der Beschäftigte muss in den Betrieb eingegliedert sein und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegen. Bei Hospitations- oder Probearbeitstagen im Rahmen eines laufenden Bewerbungsverfahrens zur Erlangung eines Arbeitsplatzes mangelt es regelmäßig an einer Eingliederung in den Betrieb des (potentiellen) Arbeitgebers (LSG Nordrhein-Westfalen, a.a.O., weiterhin auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.02.2000, L 17 U 290/99; vgl. auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 25.01.2007, Az. L 14 U 70/05). Auf dem Weg zu einem Probearbeitstag besteht daher ebensowenig Unfallversicherungsschutz wie auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch oder zu Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages (hierzu BSG, Urteil vom 26.09.1996, 2 RU 12/96, juris, Rn. 23 m.w.N.).

Dem Kläger ist darin recht zu geben, dass ein Probearbeitsverhältnis im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nicht geregelt ist und darüber hinaus eine nicht unerhebliche begriffliche Verwirrung herrscht, in der die Begriffe einer vertraglich vereinbarten Probezeit (die sich vom herkömmlichen Arbeitsverhältnis im Wesentlichen in der leichteren Kündbarkeit unterscheidet) und einem (bisweilen auch als Einfühlungsverhältnis, Hospitation oder Probearbeitstag bezeichneten) Probearbeitsverhältnis im engeren Sinne oft nicht voneinander getrennt werden. Es kommt hinzu, dass sich auch dieses Probearbeitsverhältnis i.e.S. gerade in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich darstellt.

Grundsätzlich ist die Rechtsfigur des Probearbeitsverhältnisses i.e.S. jedoch in der Rechtsprechung sowohl der Arbeitsgerichte (unter Bezugnahme auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit, vgl. aus neuerer Zeit ArbG Weiden, Urteil vom 07.05.2008, 1 Ca 64/08 C mit zahlreichen Nachweisen; aus der obergerichtlichen Rechtsprechung etwa LAG Köln, Urteil vom 18.03.1998, 8 Sa 1662/97) als auch der Sozialgerichte anerkannt. Sozialversicherungsrechtlich lässt sich das "Probebeschäftigungsverhältnis" dadurch charakterisieren, dass im Gegensatz zum eigentlichen Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 SGB IV nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund steht, sondern erst die Anbahnung eines späteren potentiellen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.02.2000, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.), in deren Rahmen Unfallversicherungsschutz grundsätzlich nur in den Fällen des - hier offensichtlich nicht erfüllten - § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII besteht (BSG, Urteil vom 30.01.1986, 2 RU 1/85).

Zwar gehört auch zu einem Probearbeitsverhältnis, dass der potentielle Arbeitnehmer eine gewisse Form der Arbeitsleistung erbringt, denn nur so können beide Seiten ermessen, ob Ihnen die Begründung eines regulären Arbeitsverhältnisses (und somit eines Beschäftigungsverhältnisses) sinnvoll erscheint. Jedoch unterliegt der Arbeitnehmer der Verpflichtung zur Arbeitsleistung und insbesondere dem arbeitgeberlichen Direktionsrecht deswegen nur eingeschränkt, weil der Arbeitgeber ihm weder über eine - häufig ohnehin nicht geschuldete - Vergütung noch über etwaige Schadensersatzansprüche quantitativ oder qualitativ eine bestimmte Arbeitsleistung abverlangen kann.

Die in Aussicht genommene Tätigkeit bei der Firma N - von Kläger als "Probearbeitstag" und von der Firma als "Schnuppertag" bezeichnet - stellt sich bei Abwägung aller Umstände als Probearbeit in diesem Sinne dar. Neben den eigenen Angaben des Klägers legt die Kammer insoweit die im Verwaltungsverfahren erteilte Auskunft der Firma zugrunde, an deren Richtigkeit zu zweifeln die Kammer keinen Anlass sieht. Die Tätigkeit kam auf eine Bewerbung des Klägers um einen "Schülerjob" zustande und diente - wie schon die Bezeichnung als "Schnuppertag" zeigt - offenbar der Abklärung, ob der Kläger für einen solchen "Job" geeignet war. Sie war auf einen denkbar kurzen Zeitraum angelegt (zehn Stunden im Laufe des 02.10.2008), ohne dass eine Weiter"beschäftigung" in Aussicht gestellt worden war. Inhaltlich sollte sie sich auf Mithilfe bzw. Mitarbeit bei der Wareneingangskontrolle, dem Verräumen und der Präsentation der Waren sowie auf ein "Kennenlernen" anderer Verkaufstätigkeiten erstrecken. Bereits der Einsatz des Betriebsneulings in diesen verschiedenen Bereichen, insbesondere aber die Formulierung, er solle bestimmte Tätigkeiten "kennenlernen", spricht dafür, dass nicht die Arbeitsleistung, sondern die Feststellung der Eignung im Vordergrund stand, zumal eine Entlastung der regulär Beschäftigten nicht schon zur Annahme einer Beschäftigung auch des zur Probe Arbeitenden führt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.02.2000, a.a.O.). Eine Entlohnung sollte vertraglich ausgeschlossen werden. Soweit der Kläger in der Klageschrift vorgetragen hat, die Tätigkeit wäre entlohnt worden, wenn er sie angetreten hätte, sieht die Kammer diese reine Vermutung als durch die Erklärung der Firma N widerlegt an. Auch die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung stützen diesen Befund. Insbesondere hat der Kläger erklärt, er hätte - konfrontiert mit der Aussicht, die Tätigkeit am Unfalltag nicht entlohnt zu bekommen - nicht die volle von der Firma vorgesehene Stundenzahl gearbeitet. Gerade dies spricht deutlich gegen die Annahme einer Eingliederung in den Betrieb und eines arbeitgeberlichen Direktionsrechts.

Auch ein Unfallversicherungsschutz als sog. Wie-Versicherter nach § 2 Abs. 2 SGB VII scheidet aus, da der Kläger, wie bereits dargelegt, die Tätigkeit vorwiegend im eigenen Interesse (nämlich dem an der Erlangung des "Schülerjobs") verrichtet hätte (zu diesem Ausschlusskritierum Ricke, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 2 SGB VII, Rn. 111 m.w.N.). Dass seine Tätigkeit möglicherweise auch den dortigen Beschäftigten zugute gekommen wäre, ist ohne Bedeutung (vgl. allgemein LSG Niedersachsen, a.a.O.).

Weitere Versicherungstatbestände i.S.d. § 2 SGB VII kommen nicht in Betracht. Insbesondere war der Kläger nicht als Lernender (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII) oder als Schüler (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 Buchstaben b und c SGB VII) versichert. Die Tätigkeit bei der Firma N stand in keinem Zusammenhang zur schulischen oder betrieblichen Ausbildung des Klägers. Das Gericht entnimmt dies einem Schreiben der Mutter des Klägers an die Beklagte vom 26.01.2009 und geht davon aus, dass die Mutter des Klägers - Fachanwältin für Familienrecht - insoweit weder einem tatsächlichen noch einem Rechtsirrtum unterlegen ist. Daher konnte eine Beiladung des insoweit zuständigen Unfallversicherungsträgers unterbleiben. Da keinerlei Anhaltspunkt für eine Veranlassung der Agentur für Arbeit ersichtlich ist, scheidet - wie bereits erwähnt - auch Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB VII aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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