L 3 AS 668/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 6 AS 51/08
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 668/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Auch die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB ist eine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung nach § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie die Gewährung von Leistungen für Juni 2007 streitig.

Der 1944 geborene Kläger bezog ab dem 01.01.2005 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende (Arbeitslosengeld II) von der Beklagten.

1.) Mit Bescheid vom 24.11.2006 bewilligte ihm die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2006 bis 31.05.2007 in Höhe von monatlich 641,56 EUR (Regelleistung 345 EUR, Mehrbedarfe für kostenaufwändige Ernährung 25,56 EUR, Kosten für Unterkunft und Heizung 271 EUR).

a) Nachdem der Kläger in der Zeit vom 02.01.2006 bis 06.03.2006 in einer Beschäftigung gestanden und Einkommen erzielt hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2006 die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Monat Februar 2006 teilweise in Höhe von 339,20 EUR auf und setzte die Erstattung dieses Betrages gem. § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) fest. Weiter verfügte sie die Aufrechnung des Rückforderungsbetrages mit den laufenden Leistungen in Höhe von 50 EUR monatlich. Den hiergegen eingelegten Widerspruch nahm der Kläger zurück. Für die Zeit vom Februar bis April 2007 erfolgte die Aufrechnung in Höhe von monatlich 50 EUR, von Juni bis November 2007 in Höhe von monatlich 30 EUR und im Dezember 2007 in Höhe von 9,20 EUR.

b) Am 30.04.2007 teilte die Justizvollzugsanstalt Mannheim der Beklagten mit, der Kläger sei vom 21.04.2007 bis 23.08.2007 inhaftiert. Ab dem 04.05.2007 war er Freigänger. Mit Bescheid 15.05.2007 hob die Beklagte den Bescheid vom 24.11.2006 für die Zeit ab dem 21.04.2007 gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf. Weiter teilte sie mit, es sei beabsichtigt, die zu Unrecht gewährten Leistungen mit Ausnahme der Kosten der Unterkunft gemäß § 50 SGB X zurückzufordern. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.

c) Nachdem der Beklagten über einen Datenabgleich bekannt geworden war, dass der Kläger bei der Firma N. Service mit System GmbH beschäftigt war und nachdem diese dessen Einkommen mitgeteilt hatte (27. bis 30. November 2006: 48,75 EUR, Dezember 2006: 199,88 EUR, Januar 2007: 178,75 EUR, Februar 2007: 221 EUR, 1. bis 19. März 2007: 144,63 EUR), hob sie nach Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 08.08.2007 den Bewilligungsbescheid vom 24.11.2006 für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.04.2007 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X teilweise in Höhe von 424,90 EUR auf, und zwar für Dezember 2006 in Höhe von 161,40 EUR, für Januar 2007 in Höhe von 79,90 EUR, für Februar 2007 in Höhe von 63 EUR, für März 2007 in Höhe von 96,80 EUR und für April 2007 in Höhe von 23,80 EUR. Für die Zeit ab 21.04.2007 hob sie die Bewilligung ganz in Höhe von 494,08 EUR auf mit der Begründung, in der Zeit der Inhaftierung des Klägers habe gem. § 7 Abs. 4 SGB II kein Leistungsanspruch bestanden. Unter Berücksichtigung einer Nachzahlung setzte sie den Erstattungsbetrag gem. § 50 SGB X mit insgesamt 718,12 EUR fest.

Hiergegen erhob der Kläger am 30.08.2007 Widerspruch.

Auf den Widerspruch des Klägers änderte die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 den Bescheid vom 08.08.2007 dahingehend ab, dass der Kläger für die Zeit vom 21.04.2007 bis 31.05.2007 anstatt 494,08 EUR lediglich 444,08 EUR zu erstatten habe. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück.

2.) Am 29.06.2007 stellte der Kläger, der am 19.06.2007 aus der Haft entlassen worden war, bei der Beklagten den Antrag auf Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 05.07.2007 bewilligte ihm die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 20.06.2007 bis 30.11.2007, und zwar für die Zeit vom 20.06. bis 30.06.2007 in Höhe von 237,90 EUR und vom 01.07.2007 bis 30.11.2007 in Höhe von monatlich 650,82 EUR.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte gleichfalls mit dem bereits genannten Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 zurück mit der Begründung, während der Zeit der Inhaftierung vom 21.04.2007 bis einschließlich 19.06.2007 habe kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestanden.

3.) Hiergegen hat der Kläger am 07.01.2008 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, der Bescheid vom 24.11.2006 sei für die Zeit vom 01.12.2006 bis 30.04.2007 nicht teilweise in Höhe von 424,90 EUR aufzuheben. Er habe in dieser Zeit zwar bei der Firma Call now und bei der Firma N. GmbH gearbeitet. Hieraus sei ihm folgendes Einkommen zugeflossen:

In 12/06 bei Firma Call now 103 EUR und Firma N. 48,75 EUR, davon frei 110,35 EUR, zuviel 41,40 EUR In 01/07 bei Firma N. 199,88 EUR, davon frei 119,98 EUR, zuviel 79,90 EUR In 02/07 bei Firma N. 178,75 EUR, davon frei 115,75 EUR, zuviel 63,00 EUR In 03/07 bei Firma N. 221,00 EUR, davon frei 124,20 EUR, zuviel 96,80 EUR In 04/07 bei Firma N. 144,63 EUR, davon frei 108,93 EUR, zuviel 35,70 EUR.

Der Erstattungsbetrag betrage danach lediglich 356,80 EUR. Zudem habe er die Leistungen in der Zeit seiner Inhaftierung nicht zu Unrecht bezogen.

Auf telefonische Anfrage des SG hat die JVA Mannheim mitgeteilt, der Kläger habe im Freigängerheim gewohnt. Ausgang habe er sehr begrenzt und nur für bestimmte Erledigungen wie Behördengänge, Bankgeschäfte oder Erledigungen in der eigenen Wohnung gehabt. Er habe in der JVA Reinigungsarbeiten durchgeführt. Hätte er außerhalb der JVA eine Beschäftigung gehabt, hätte er diese ausüben können und hätte von morgens bis Arbeitsende Ausgang gehabt.

Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts vom 06.11.2008 haben sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt, dass das Gericht im Wege des Gerichtsbescheides entscheidet.

Mit Urteil vom 26.11.2008, das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 08.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2007 insoweit aufgehoben, als für den Monat Dezember 2006 der Berechnung des Arbeitslosengeldes II ein Einkommen des Klägers von mehr als 151,75 EUR zugrunde gelegt worden ist, sowie insoweit, als für die Zeit vom 04.05. bis 31.05.2007 die Leistungsbewilligung aufgehoben und die Erstattung überzahlter Leistungen festgesetzt worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, der Entscheidung stehe zunächst nicht der in Bestandskraft erwachsene Bescheid vom 15.05.2007 entgegen. Denn zum einen habe die Beklagte in Kenntnis dieses Bescheides durch die streitigen Bescheide und den Widerspruchsbescheid neu entschieden, zum anderen sei insoweit bereits der Widerspruch vom 31.07.2007, spätestens der Widerspruch vom 30.08.2007 als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu werten.

Der Bewilligungsbescheid vom 05.07.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.12.2007 sei zwar rechtswidrig, da er dem Kläger zu hohe Leistungen bewillige. Dieser werde hierdurch jedoch nicht in seinen Rechten verletzt, denn ein Anspruch des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II habe erst ab dem Tag der Antragstellung, somit dem 29.06.2007, bestanden. Die Beklagte habe ihm jedoch bereits Leistungen ab dem 20.06.2007 und damit rückwirkend bewilligt.

Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 24.11.2006 sei insoweit rechtswidrig, als für den Monat Dezember 2006 ein zu hohes Einkommen des Klägers zugrunde gelegt worden sei. Im Dezember 2006 sei lediglich ein Einkommen in Höhe von 41,40 EUR zu berücksichtigen, nämlich das in diesem Monat dem Kläger zugeflossene Einkommen in Höhe von 103 EUR seitens der Firma Call now und 48,75 EUR seitens der Firma N.er GmbH. Der bereits im November 2006 ausgezahlte Vorschuss der Firma Call now in Höhe von 150 EUR sei im Monat November 2006 zu berücksichtigen; insoweit sei bisher noch kein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ergangen.

Die Aufhebung und Rückforderung der Regelleistung für die Zeit vom 21.04.2007 bis 03.05.2007 sei rechtmäßig erfolgt, da sich der Kläger in dieser Zeit im Regelvollzug der JVA Mannheim befunden habe und deshalb der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II zum Tragen komme, wonach Leistungen ausgeschlossen seien, wenn jemand in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Eine stationäre Einrichtung liege vor, wenn die objektive Struktureinrichtung es nicht zulasse, dass der Hilfebedürftige drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachgehe. Im Regelvollzug sei es einem Häftling nicht möglich, drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Vom 04.05.2007 bis zum 31.05.2007 sei der Kläger Freigänger gewesen, so dass die Leistungsbewilligung für diesen Zeitraum nicht habe aufgehoben werden dürfen. Dem stehe auch nicht § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II entgegen, wonach dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt werde. Denn es habe keine richterlich angeordnete Freiheitsentziehung vorgelegen, sondern eine durch die Staatsanwaltschaft bzw. die Vollstreckungsbehörde angeordnete Ersatzzwangshaft nach § 43 Strafgesetzbuch (StGB). Anzurechnen sei deshalb lediglich das in der JVA erzielte Einkommen. Das SG hat die Berufung nicht zugelassen.

Gegen das der Beklagten am 27.11.2008 zugestellte Urteil hat diese am 28.12.2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Kläger, dem das Urteil am 03.12.2008 zugestellt worden ist, hat am 30.12.2008 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 16.02.2009 hat der Senat die Berufung wegen Vorliegens eines Verfahrensmangels zugelassen und das Beschwerdeverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt.

Der Kläger trägt vor, ihm stünden für die gesamte Haftzeit die bewilligten Leistungen nach dem SGB II zu. § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II seien nicht einschlägig, da er keine richterlich angeordnete Freiheitsstrafe, sondern eine von der Staatsanwaltschaft angeordnete Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB verbüßt habe. Die Justizvollzugsanstalt sei keine "stationäre Einrichtung". Darüber hinaus sei er im vollzuglichen Arbeitswesen erwerbstätig gewesen. Nach § 8 Abs. 1 SGB II komme es lediglich darauf an, ob unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ein Leistungsvermögen von mindestens drei Stunden täglich bestehe. Dies sei der Fall gewesen, da aus medizinischer Sicht keine Einschränkung seiner Arbeitsfähigkeit bestanden und er tatsächlich mehr als 15 Stunden wöchentlich gearbeitet habe.

Der Kläger trägt weiter vor, ihm stünden auch für die Zeit vom 01.06. bis 19.06.2007 Leistungen zu. Wäre er nicht falsch beraten worden, hätte er den Fortzahlungsantrag bereits ab dem 01.06.2007 gestellt. Er sei jedoch von einer rechtzeitigen Antragstellung durch eine falsche telefonische Auskunft des Beklagten abgehalten worden, in welcher ihm mitgeteilt worden sei, während der Zeit der Inhaftierung stünden ihm keine Leistungen zu. Die Stadt Mannheim als Trägerin der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) habe lediglich die Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 01.06. bis 19.06.2007 getragen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. November 2008 abzuändern, den Bescheid vom 8. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 aufzuheben, den Bescheid vom 5. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Juni bis 19. Juni 2007 die Regelleistung nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. November 2008 aufzuheben, soweit der Bescheid vom 8. August 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2007 hinsichtlich der Zeit vom 4. Mai 2007 bis 31. Mai 2007 aufgehoben worden ist und die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie trägt vor, auch eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB führe zum Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II. Der Gesetzesbegründung könne entnommen werden, dass vom Leistungsausschluss auch Konstellationen erfasst seien, die dem Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt seien. Dies gelte auch für die Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB, die letztlich auch auf einer Entscheidung des Strafrichters beruhe. An der Anwendbarkeit von § 7 Abs. 4 Satz 2 SGB II ändere auch der Umstand nichts, dass der Kläger im Rahmen seiner Ersatzfreiheitsstrafe ab dem 04.05.2007 Freigänger gewesen sei. Aus dem Wortlaut der Norm sowie aus den Gesetzesmaterialien lasse sich nicht entnehmen, dass die Norm bei Freigängern keine Anwendung finden solle. Außerdem wäre die in § 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II vorgesehene Ausnahme vom Leistungsausschluss überflüssig. Etwas anderes ergebe sich schließlich nicht daraus, dass der Kläger im Zeitraum vom 04.05.2007 bis 31.05.2007 mehr als 15 Stunden wöchentlich in der JVA gearbeitet haben solle. Vom Leistungsausschluss ausgenommen gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II seien nur diejenigen, die in einer stationären Einrichtung untergebracht und tatsächlich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig seien. Die Tätigkeit des Klägers im vollzuglichen Arbeitswesen habe keine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes dargestellt.

Der Kläger habe auch keinen Leistungsanspruch für die Zeit vom 01. bis 20.06.2007. Gemäß § 37 SGB II würden Leistungen nach dem SGB II erst auf Antrag erbracht. Eine Bewilligung sei mit Bewilligungsbescheid vom 24.11.2007 nur bis zum 31.05.2007 erfolgt. Den Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen habe der Kläger erst am 29.06.2007 gestellt. Er könne sich auch nicht darauf berufen, dass ihm eine rechtzeitige Beantragung der Leistungsfortzahlung unmöglich gewesen sei. Er sei mit Schreiben vom 30.03.2007 auf den Ablauf des Bewilligungszeitraumes zum 31.05.2007 aufmerksam gemacht worden und habe die Unterlagen zur Beantragung der Fortzahlung über den 31.05.2007 hinaus erhalten. Bis zum Haftantritt am 21.04.2007 hätte der Kläger noch mehr als 14 Tage Zeit zur Beantragung der Leistungen gehabt. Er sei auch nicht telefonisch falsch beraten worden. Er habe seine Sachbearbeiterin aus dem Haftaufenthalt heraus nicht angerufen und deshalb auch keine diesbezügliche telefonische Auskunft erhalten.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und der Beklagten sind zulässig, nachdem der Senat die Berufung zugelassen hat.

Die Berufung sowohl der Beklagten als auch des Klägers ist unbegründet.

1.) Nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Höhe der Leistungen für die Zeit vom 01.12.2006 bis zum 20.04.2007. Das SG hat im angefochtenen Urteil die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Anrechnung von Nebeneinkommen insoweit aufgehoben, als für den Monat Dezember 2006 ein zu hohes Einkommen des Klägers zugrunde gelegt worden war. Die Beklagte hat insoweit keine Berufung eingelegt. Eine darüber hinausgehende Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide macht der Kläger nicht mehr geltend und wendet sich nicht gegen den im erstinstanzlichen Urteil für rechtmäßig erachteten Erstattungsbetrag in Höhe von 356,80 EUR.

2.) Der Bescheid vom 08.08.2007 stellt einen Zweitbescheid dar. Die Beklagte hat zwar mit Bescheid vom 15.05.2007, den der Kläger nicht angefochten hat, die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 21.04. bis 31.05.2007 ganz aufgehoben. Sie hat über diese Zeit jedoch mit Bescheid vom 08.08.2007 erneut entschieden. Dieser ist als Zweitbescheid zu qualifizieren, da der Bescheid selbst auf die frühere Entscheidung nicht Bezug nimmt und die Beklagte damit nicht einen früheren Bescheid überprüft, sondern eine hiervon unabhängige Entscheidung getroffen und damit den Rechtsweg neu eröffnet hat (BSG Urteil vom 12.12.1991 - 7 RAr 26/90 - SozR 3-4100 § 94 Nr. 1; KassKomm-Steinwedel, § 44 SGB X Rn. 13ff.).

a) Der Bescheid ist auch rechtmäßig, soweit darin die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 21.04. bis zum 03.05.2007 aufgehoben wird. Rechtsgrundlage für eine rückwirkende Aufhebung der Bewilligung ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X. Danach soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Gem. § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III hat die Beklagte hierbei eine gebundene Entscheidung zu treffen.

Eine wesentliche Änderung ist durch den Haftantritt des Klägers am 21.04.2007 eingetreten. Einem Anspruch des Klägers in dieser Zeit steht § 7 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGB II in der ab dem 01.08.2006 geltenden Fassung des Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) entgegen. Danach erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt.

Der Kläger hat in der Zeit ab dem 21.04.2007 eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB verbüßt. Bei der Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB handelt es sich zwar nicht direkt um eine richterlich angeordnete Freiheitsstrafe, da für deren Anordnung die Vollstreckungsbehörde/Staatsanwaltschaft zuständig ist (vgl. Gmünder/Geiger, Stationäre Einrichtungen im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II (SGB I/07 S. 7)). Diese Anordnung wiederum beruht jedoch auf einer richterlichen Entscheidung, denn nach Art. 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG) bedarf jede Freiheitsentziehung einer richterlichen Anordnung, die vorliegend in der Verhängung der Geldstrafe zu sehen ist. Nach § 40 Abs. 1 StGB wird die Geldstrafe in Tagessätzen verhängt, nach Abs. 4 dieser Vorschrift werden in der Entscheidung Zahl und Höhe der Tagessätze angegeben. An Stelle einer danach uneinbringlichen Geldstrafe tritt gem. § 43 StGB Freiheitsstrafe, wobei ein Tag Freiheitsstrafe einem Tagessatz entspricht. Mit der Verhängung der Geldstrafe nach Tagessätzen ist damit zugleich die Ersatzfreiheitsstrafe richterlich verfügt.

Dahingestellt bleiben kann deshalb, ob es sich bei der Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt unabhängig hiervon nicht grundsätzlich um die Unterbringung in einer stationären Einrichtung handelt. Hierfür spricht eine funktionale Auslegung des Begriffs der stationären Einrichtung. Diese Auslegung hat das BSG zur früheren Fassung von § 7 Abs. 4 SGB II vertreten (BSG Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7 b AS 60/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr. 5; Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 9/08 R - SGB 2009, 93). Danach ist darauf abzustellen, ob der in einer Einrichtung Untergebrachte aufgrund der objektiven Struktur der Einrichtung in der Lage ist, wöchentlich 15 bzw. täglich 3 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Scheidet eine solche Erwerbstätigkeit aufgrund der Struktur der Einrichtung aus, liegt funktional betrachtet eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II (a.F.) vor (vgl. Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. § 7 Rn. 62; ebenso die Dienstanweisungen der Bundesagentur zu § 7 Abs. 4 SGB II Ziffer 7.35 a: Eine stationäre Einrichtung im Sinne des SGB II liegt vor, wenn diese so strukturiert und gestaltet ist, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus der Einrichtung heraus mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein).

Der Kläger hat die durch § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) vorgeschriebene Verpflichtung, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen, auch zumindest grob fahrlässig verletzt. Zwar enthalten die Verwaltungsakten keinen Hinweis darauf, dass der Kläger das Merkblatt Arbeitslosengeld II/Sozialgeld erhalten hat. Mit der Unterschrift auf den Leistungsanträgen hat der Kläger lediglich anerkannt, künftige Änderungen (insbesondere der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse) unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen. Jedoch enthält der Bewilligungsbescheid vom 24.11.2006 folgenden Hinweis: "Sie müssen immer unter der von Ihnen benannten Adresse erreichbar sein. Sollten Sie eine Ortsabwesenheit planen, sind Sie verpflichtet, den Zeitraum und die Dauer der Ortsabwesenheit mit Ihrem persönlichen Ansprechpartner vorab abzustimmen. Eine unerlaubte Abwesenheit kann zum Wegfall und zur Rückforderung des Arbeitslosengeldes II führen." Der Kläger wusste bzw. hätte aufgrund dieses Hinweises wissen müssen, dass er während der Zeit der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe unter seiner bisherigen Adresse nicht erreichbar war und er dies der Beklagten hätte mitteilen müssen.

b) Etwas anderes gilt jedoch für die Zeit ab 04.05.2007, in welcher der Kläger im Freigängerheim untergebracht war und die JVA verlassen konnte.

Zwar ist § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II nach seinem reinen Wortlaut nicht einschlägig, wonach abweichend von Satz 1 Leistungen nach dem SGB II erhält, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Insbesondere stellt die Tätigkeit des Klägers, die er im vollzuglichen Arbeitswesen ausgeübt hat, keine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes dar. Nach § 37 Abs. 2 StVollzG soll die Vollzugsbehörde dem Gefangenen wirtschaftlich ergiebige Arbeit zuweisen und dabei seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Neigungen berücksichtigen. Dem Gefangenen können danach sowohl innerhalb der Anstalt in Eigenbetrieben (Regiebetrieben) des Justizvollzuges Arbeiten zugewiesen werden als auch in Unternehmerbetrieben, d.h. in von Wirtschaftsunternehmen in den Anstalten eingerichteten Zweigbetrieben, in denen die Unternehmer das wirtschaftliche Risiko tragen, in der Regel die Produktionsmittel stellen und mitunter auch eigenes Personal für die technische und fachliche Leitung einsetzen. Die Beschäftigung im Unternehmerbetrieb bedarf nicht der Zustimmung des Gefangenen. Außerhalb der Anstalt kann Arbeit unter Aufsicht von Vollzugsbediensteten (Außenbeschäftigung gem. § 11 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1) zugewiesen werden, etwa in Aussenkommandos in anstaltseigenen Landwirtschaftsbetrieben, aber auch für sonstige Produktions- und Dienstleistungen. Auch die Zuweisung von Arbeit in Betrieben eines Privatunternehmens außerhalb der Anstalt (sog. unechter Freigang) ist mit Zustimmung des Gefangenen unter verfassungsrechtlich begründeten engen Voraussetzungen zulässig (Lückemann in: Arloth/Lückemann, StVollzG, § 37 Rz 11). Diese Tätigkeit des Klägers hat danach keine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II dargestellt.

Nach Sinn und Zweck der Norm ist § 7 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 SGB II jedoch so auszulegen, dass es nicht auf die tatsächliche Ausübung einer wöchentlich mindestens fünfzehnstündigen Beschäftigung ankommt, sondern darauf, ob eine solche hätte ausgeübt werden können. Systematisch ist die Regelung des § 7 Abs. 4 SGB II bei dem Tatbestandsmerkmal der Erwerbsfähigkeit anzusiedeln, damit bei stationärer Unterbringung der Ausschluss des Sozialhilfeanspruchs gem. § 5 Abs. 2 i.V.m. § 21 SGB XII nicht durchgreift (Spellbrink, a.a.O., § 7 Rn. 60). Ebenso hat das BSG noch zur alten Gesetzesfassung entschieden, der Leistungsausschluss bei stationärer Unterbringung greife nicht durch, wenn es dem Untergebrachten objektiv möglich sei, aus der Anstalt heraus einer Erwerbstätigkeit im Umfang von mindestens 15 Wochenstunden nachzugehen. Es hat weiter ausgeführt, im Kontext der Abgrenzung von SGB II und SGB XII sei der Begriff der Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei. Sei die Einrichtung so strukturiert, dass es dem Untergebrachten nicht möglich sei, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genüge, so sei der Hilfebedürftige dem SGB XII zugewiesen (BSG Urteil vom 07.05.2009 - B 14 AS 16/08 R - in juris). Diese Erwägungen gelten auch nach der Neufassung des § 7 SGB II. Auszugehen ist danach von einem funktionalen Einrichtungsbegriff, wonach ein Leistungsausschluss dann gerechtfertigt ist, wenn dem Hilfebedürftigen aufgrund der objektiven Struktur der Einrichtung eine Erwerbstätigkeit nicht möglich ist (Spellbrink, a.a.O., § 7 Rn. 62 m.w.N.).

Der Kläger war ab seiner Verlegung in die Freigängerabteilung am 04.05.2007 in der Lage, einer wöchentlich mindestens fünfzehnstündigen Erwerbsarbeit nachzugehen. Die JVA Mannheim hat hierzu mitgeteilt, der Kläger hätte eine Beschäftigung außerhalb der JVA ausüben können und hierzu von morgens bis nach Arbeitsende Ausgang erhalten. Unbeachtlich ist, dass der Kläger in der JVA Reinigungsarbeiten verrichtet hat, da er diese jederzeit hätte beenden können.

3.) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Regelleistungen für die Zeit vom 01.06. bis 19.06.2007. Nach § 37 Abs. 1 SGB II werden die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende auf Antrag erbracht. Nach Abs. 2 werden die Leistungen nicht für Zeiten vor der Antragsstellung erbracht. Treten die Anspruchsvoraussetzungen an einem Tag ein, an dem der zuständige Träger von Leistungen nach diesem Buch nicht geöffnet hat, wirkt ein unverzüglich gestellter Antrag auf diesen Tag zurück.

Der Kläger hat erst am 29.06.2007 den Antrag auf Fortzahlung der Leistungen gestellt. Eine von ihm behauptete telefonische Antragstellung am Tag der Haftentlassung ist nicht nachgewiesen. Auch enthält der schriftliche Leistungsantrag den Vermerk, die Antragstellung erfolge rückwirkend auf den Tag der Haftentlassung. Die Beklagte hat zwar bereits ab dem 20.06.2007 Leistungen bewilligt. Aus dieser rückwirkenden Bewilligung kann der Kläger jedoch keine weitergehenden Leistungsansprüche herleiten.

Da § 37 Abs. 2 S. 1 SGB II keine Fristenregelung enthält, kommt auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen unverschuldeter Verhinderung an einer früheren Antragstellung in Betracht (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 37 Rn. 33a). Eine unverschuldete Verhinderung lag zudem nicht vor, da der Kläger ab dem 04.05.2007 in der Lage war, Behördengänge vorzunehmen und damit auch die Weitergewährung der Leistung zu beantragen.

Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte für die Fingierung einer früheren Antragstellung im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor (vgl. Link, a.a.O., § 37 Rn. 22). Für den Vortrag des Klägers, er sei von der Beklagten dahingehend beraten worden, dass eine (rückwirkende) Antragstellung nach Verbüßung der Haft ausreichend sei, liegen keine Anhaltspunkte vor. Auch bestand für die Beklagte aufgrund der in der Mitteilung der JVA Mannheim (Bl. II/ 75 der VerwA) angegebenen Strafzeit vom 21.04.2007 bis 23.08.2007 keine Veranlassung, den Kläger auf eine alsbaldige Antragstellung hinzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved