L 12 B 57/09 SO

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 27 SO 39/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 B 57/09 SO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.08.2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 03.08.2009 ist zulässig, aber unbegründet.

Die Entscheidung des Sozialgerichts Köln, die Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.

Gemäß § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der auf Grund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten für die Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Erfolgsaussichten in diesem Sinn bestehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen zumindest für vertretbar erachtet und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung für möglich hält. Dabei muss die Chance, den Prozess zu gewinnen, mindestens genauso groß sein wie ihn zu verlieren. Dies ist grundsätzlich zu bejahen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bisher ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen gemäß § 103 SGG durchzuführen sind, bevor die streit-erheblichen Fragen abschließend beantwortet werden können (Bundesverfassungsgericht, NJW 1991, 413 ff.; NJW - RR 2002, 665 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.06.2009 - L 20 B 6/09 AS -, Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage 2008, § 73 a Rn. 7 und 7 a).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hat das Sozialgericht die erforderlichen Erfolgsaussichten im Ergebnis zutreffend verneint.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Kläger mit seinem Begehren durchdringt, von der Beklagten einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu erhalten.

Die von dem Kläger vorgetragenen Erkrankungen sind weder einzeln, noch in ihrer Kombination geeignet, einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung zu verursachen.

Insoweit hat das Sozialgericht zunächst zutreffend auf die in 2008 aktualisierten Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (nachfolgend: Empfehlungen 2008) verwiesen.

Diese sehen nunmehr ausdrücklich vor, dass ein Mehrbedarf wegen Erkrankungen, die mit einer diätischen Vollkost zu behandeln sind, nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen regelmäßig nicht anzunehmen ist (Empfehlungen 2008, S. 11 f.). Nach Einschätzung des Deutschen Vereins auf der Grundlage eines umfassenden ernährungswissenschaftlichen Gutachtens ist eine Vollkost aus dem Anteil des Regelsatzes, der für die Ernährung bestimmt ist, finanzierbar (Empfehlungen 2008, S. 17 ff.).

Ob es sich bei den Empfehlungen - nunmehr wieder - um ein antizipiertes Sachverständigengutachten handelt, kann im Ergebnis offen bleiben. Das Bundessozialgericht geht jedenfalls davon aus, dass sie als Orientierungshilfe verwendbar sind, von der nur bei konkreten Anhaltspunkten im Einzelfall abzuweichen ist (Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 64/06 R -).

Solche konkreten Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich.

Dies gilt zunächst hinsichtlich des insulinpflichtigen Zuckerstoffwechselstörung (Diabetes mellitus Typ II), der Fettstoffwechselstörung und der Leberinsuffizienz. Diese Erkrankungen sind ausdrücklich von den Empfehlungen des Deutschen Vereins erfasst und nach diesen ohne ernährungsbedingten Mehraufwand (Deutscher Verein, Empfehlungen 2008, S. 11). Besonderheiten hierzu sind nicht vorgetragen.

Aber auch die Krebserkrankung des Klägers bietet keinen Anhalt für einen Mehraufwand. Zwar ist nach den Empfehlungen dann ein Mehraufwand denkbar, wenn es sich um eine sogenannte "verzehrende" Erkrankung handelt. Die Dünndarmkrebserkrankung fällt aber nicht hierunter. Sie ist nach Aktenlage 2001 aufgetreten. Der aufgetretene Darmverschluss (Bridenileus) wurde operativ behandelt. Ein Rezidiv der Erkrankung ist nicht vorgetragen. Aktuell leidet der Kläger an einem erheblichen Übergewicht (BMI von 36,2), wie sich aus dem Beschwerdevortrag ergibt. Dies spricht erheblich gegen eine gestörte Nährstoffaufnahme bzw. -verwertung oder einen nahrungsbedingten sonstigen körperlichen Verfall.

Diese Einschätzung findet ihre Bestätigung in dem Gutachten des Internisten Dr. P vom 01.03.2009, welches zur Frage des ernährungsbedingten Mehraufwandes in dem Verfahren S 37 SO 39/08 vor dem SG Köln eingeholt wurde. Dieses Gutachten wurde wurde durch das Sozialgericht in das hiesige erstinstanzliche Verfahren durch Beiziehung der Akten und Übersendung an den Kläger einbezogen.

Der Sachverständige hat überzeugend festgestellt, dass die bestehenden Erkrankungen keinen ernährungsbedingten Mehraufwand mit sich bringen, dass der Kläger vielmehr durch eine Reduktion der Nahrungsmittelaufnahme seinen gesundheitlichen Zustand deutlich verbessern könnte.

Das Gutachten des Dr. P ist auch nicht von der Verwertung ausgeschlossen.

Zwar hat der Kläger nach seinem Vortrag, zu dem Beweis angeboten ist, den Sachverständigen darum gebeten, dass sein Sohn als Beistand an der Untersuchung teilnehmen kann. Dies hat der Sachverständige nach dem Vortrag des Klägers verneint.

Auch unter Berücksichtigung der von dem Kläger zitierten Rechtsprechung des Landessozialgerichts Rheinland Pfalz (Beschluss vom 23.02.2006 - L 4 B 33/06 SB -) ist hieraus aber kein Verwertungsverbot oder eine sonstige Beeinträchtigung des Beweiswertes abzuleiten.

Grundsätzlich neigt der Senat der Auffassung zu, dass es die Grundsätze der Beteiligtenöffentlichkeit und des fairen Verfahrens gebieten, einem Versicherten bzw. Leistungsempfänger zu ermöglichen, zu der gerichtlich angeordneten Untersuchung durch einen Sachverständigen einen Beistand hinzu zu ziehen. Dieses Recht besteht ggf aber nicht schrankenlos, sondern ist gegenüber den Erfordernissen der Amtsermittlung abzuwägen. Bestehen triftige Gründe, einen Beistand von der Untersuchung - oder Teilen davon - auszuschließen, so muss der Betroffene dies im Zuge seiner prozessualen Mitwirkungspflicht hinnehmen (siehe zum Vorstehenden ausführlich Roller in: MedSach 2007, 30 (31)).

Ob triftige Gründe im vorgenannten Sinne vorliegen, kann vorliegend offen bleiben. Denn jedenfalls kann sich der Kläger auf eine Rechtsverletzung insoweit nicht berufen.

Nach § 118 Abs. 1 SGG sind die Bestimmungen der ZPO über die Beweiserhebung im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden. § 404 a ZPO eröffnet die Möglichkeit der gerichtlichen Anordnung über die Art und Weise der Beweiserhebung durch den Sachverständigen.

Für den Fall bestehender Meinungsverschiedenheiten über die Begründetheit eines Ausschlusses des Beistandes ist insoweit die prozessleitende Entscheidung des Gerichtes zu suchen. Grundsätzlich unzulässig ist es hingegen, die Untersuchung zunächst ohne den Beistand durchführen zu lassen und sich dann anschließend - ggf erst in Kenntnis eines negativen Gutachtenergebnisses - auf die Verletzung des Beistandsrechts zu berufen. Dies stellt einen Verstoß gegen das prozessuale Verbot des widersprüchlichen Verhaltens dar.

Dahin stehen kann vorliegend, ob hieraus bereits der Ausschluss der Rüge abgeleitet werden kann, oder ob insoweit § 295 Abs. 1 ZPO zur Anwendung kommt, mit der Folge, dass der Kläger die Rüge noch rechtzeitig - nämlich vor der mündlichen Verhandlung - erhoben hat.

Denn wird dem Gericht die Möglichkeit der vorhergehenden Entscheidung über den Ausschluss des Beistandes von der Untersuchung genommen, so kann sich der Kläger jedenfalls nicht mehr darauf beschränken vorzutragen, ihm sei das Recht eines Beistandes genommen worden. Er muss insoweit unverzüglich nach der Begutachtung dartun, welche Fragen der Beistand gestellt und welche weitergehenden Hinweise er erteilt hätte.

Hieran fehlt es vorliegend. Der Kläger hat vielmehr mit Schreiben vom 20.04.2009 ohne nähere Begründung das Gutachten im dortigen Verfahren als unsubstantiiert abgetan. Erst nach Ladung zur mündlichen Verhandlung hat er mit Schriftsatz vom 24.06.2009 die Rüge der Verletzung des Beistandsrechts erhoben, wiederum ohne nähere Darstellung, welche Maßnahmen der Beistand ergriffen hätte.

Dem Kläger werden durch diese Betrachtungsweise nicht die sonstigen Möglichkeiten der prozessualen Einflussnahme genommen. Er kann sich, worauf Roller (a.a.O., 31) zutreffend verweist, mit dem Gutachten kritisch auseinander setzen und ggf nachfolgend sachdienliche Fragen an den Sachverständigen richten. Er kann den Sachverständigen ablehnen oder die Einholung eines vertrauensärztlichen Gutachtens nach § 109 SGG beantragen.

Selbst wenn man in dem Schriftsatz des Klägers vom 24.06.2009 einen Befangenheitsantrag gegenüber dem Sachverständigen Dr. P entnehmen wollte, so wäre dieser seinerseits verfristet.

Ein Sachverständiger kann gemäß § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 406 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Gemäß § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist ein Ablehnungsantrag gegenüber einem Sachverständigen spätestens binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen zu stellen. Ergibt sich der Grund zur Ablehnung erst nach dessen Bestellung, ist der Ablehnungsantrag nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu stellen, d.h. ohne schuldhaftes Zögern nach Kenntniserlangung des Ablehnungsgrundes. Wird ein Sachverständiger wegen der Umstände im Rahmen der ambulanten Untersuchung abgelehnt, so muss er unverzüglich nach dieser wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Der Antragsteller ist dabei nicht an eine kalendermäßige Frist gebunden. Ihm ist vielmehr jeweils eine den Umständen des Einzelfalles angepasste Prüfungs- und Überlegungsfrist zuzubilligen. Dem liegt das Bestreben um eine beschleunigte Durchführung gerichtlicher Verfahren zu Grunde (vgl. nur Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 118 Rdnr. 12 l m.w.N.). Als angemessene Überlegungsfrist ist grundsätzlich eine Zeit von wenigen Tagen ausreichend, da die Geltendmachung des Ablehnungsgrundes regelmäßig einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens gerade nicht bedarf (so zuletzt LSG NRW, Beschluss vom 03.07.2009 - L 17 B 13/09 U -).

Der Kläger hat nach Übermittlung des Gutachtens im März 2009 weder in dem Verfahren S 27 SO 39/08 noch im hiesigen Ausgangsverfahren einen zeitnahen Befangenheitsantrag gestellt, sondern sich inhaltlich auf das Gutachten eingelassen.

Ob von den vorstehenden Erwägungen eine Ausnahme zu machen ist, wenn der Betroffene nicht rechtskundig beraten ist, kann offen bleiben. Der Sohn des Klägers ist nach eigenem Vortrag des Klägers rechtskundig.

Kosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erstattet, § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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