L 8 AS 215/09 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 AS 314/09 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 215/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs erfasst bei zwischenzeitlich ergangenem Widerspruchsbescheid zugleich jenen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der später erhobenen Klage.
2. Bei der Abwägung in Anfechtungssachen sind wegen der verfassungsrechtlich fundierten Sicherungs- und Rechtsschutzfunktion des Eilverfahrens grundsätzlich die Abwägungselemente des prospektiven Hauptsacheerfolgs und der ohne Eilrechtsschutz drohenden Rechtsverletzungen zu beachten.
3. Die Gewichtung der Abwägungselemente hängt unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BVerfG vom Rechtsschutzziel ab. Je schwerer die drohende Rechtsverletzung ist, umso höher sind die Anforderungen an die Genauigkeit der Prognose des Hauptsacheerfolgs zu stellen, um auf diesen Abwägungsbelang eine Ablehnung des Eilantrags zu stützen. Je schwerer umgekehrt die drohende Rechtsverletzung ist, um so geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Hauptsacheerfolgs und der drohenden Rechtsverletzungen zu stellen (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03 juris Rn14 und vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 juris Rn 23 ff; vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06; vom 25.02.2009, 1 BvR 120/09 juris Rn 11).
4. Ist die Absenkung der Regelleistung auf Null mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtswidrig, wiegen die sonstigen Abwägungsbelange nicht schwer genug, um dem Eilantrag zum Erfolg zu verhelfen, und führt auch die Folgenabwägung im Sinne der Doppelhypotheseprüfung (dazu BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02 juris Rn 7) zu keinem anderen Ergebnis, hat der Eilantrag trotz der mit der verhängten Sanktion verbundenen schweren Beeinträchtigungen des Antragstellers keinen Erfolg.
5. Bei der im Rahmen einer offenen Eilentscheidung vorzunehmenden Abwägung ist weder von einer gesetzlich vorgegebenen Vermutung für oder gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im konkreten Einzelfall noch von einem materiellen, sich in der Einzelfallbewertung niederschlagenden materiellen Verteilungsprinzip des Gesetzes auszugehen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 19.03.2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Im vorliegenden Eilverfahren geht es um die Frage, ob die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen eine Sanktionsentscheidung der Antragsgegnerin (Absenkung einer bewilligten Leistung für den Zeitraum vom 01.04.2009 bis 30.06.2009) anzuordnen ist.

Des Weiteren ist inzwischen ein Klageverfahren unter dem Az.: S 1 AS 507/09 beim Sozialgericht Augsburg (SG) anhängig.

Der 1978 geborene Antragsteller bezieht seit 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - SGB - II. Die Leistungen waren bereits mit Bescheiden vom 24.01.2008, 20.02.2008, 22.10.2008, 20.11.2008 und 12.12.2008 wegen Fehlverhaltens des Antragstellers im Sinne von § 31 SGB II abgesenkt worden (vgl. dazu Widerspruchsbescheid vom 31.03.2009). Ferner sind wegen des Verhaltens des Antragstellers für Bewerbungen seit Januar 2008 höhere Nachweisanforderungen geregelt. Die Festlegung der Pflichten des Antragstellers erfolgt gemäß § 15 Abs.1 S. 6 SGB II durch Verwaltungsakt. Auch die mit Bescheid vom 28.10.2008 für den Zeitraum vom 28.10.2008 bis 27.04.2009 getroffene Eingliederungsregelung erfolgte durch Verwaltungsakt mit Rechtsfolgenbelehrung unter Hinweis auf die Folgen einer Sanktion gemäß § 31 SGB II. Die Antragsgegnerin bot in diesem Bescheid eine Qualifizierungsmaßnahme "Handwerk aktiv" für die Zeit vom 03.11.2008 bis 02.07.2009 bei der K. e.V. A. für Eigenversorgung in A-Stadt an und regelte für den Fall der Nichtteilnahme, dass mindestens monatlich acht Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse jeweils zum 5. des Folgemonats vorzulegen seien mit Kopie des Bewerbungsschreibens und des Antwortschreibens des Arbeitgebers. Die bloße Vorlage einer Liste über Eigenbemühungen sei nicht ausreichend. Die genannte Maßnahme trat der Antragsteller nicht an. Er legte für Januar 2009 nur eine Liste über angegebene Eigenbemühungen vor.

Mit Bescheid vom 06.03.2009 senkte die Antragsgegnerin die Leistungen für die Zeit vom 01.04.2009 bis 30.06.2009 wegen Nichterfüllung der Pflichten aus der Eingliederungsregelung vom 28.10.2008 auf Null ab. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31.03.2009). Die dagegen erhobene Klage ist beim SG unter dem Az. S 1 AS 507/09 anhängig.

Am 13.03.2009 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Augsburg - SG - beantragt, die Absenkung aus dem Bescheid vom 06.03.2009 auszusetzen.

Mit Beschluss vom 19.03.2009 hat das SG den Antrag abgewiesen und ausgeführt, der Eingriff durch eine Absenkung sei mit den privaten Interessen des Betroffenen an einer Aussetzung der Absenkung abzuwägen. Dabei seien die Schwere des Eingriffs und die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels in die Abwägung mit einzubeziehen. Für Januar 2009 seien nach Aktenlage eindeutig die Eigenbemühungen nicht in ausreichendem Umfang nachgewiesen. Bezüglich berechtigter und nachgewiesener Bewerbungskosten könnte Kostenerstattung erbracht werden, so dass Bewerbungsbemühungen auch bei längeren Absenkungen nicht tangiert seien. Die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers für den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung bei Leistungsherabsetzungen nach dem SGB II sei zu berücksichtigen. Auch eine vollständige Absenkung sei bei nachhaltiger Nichterfüllung der gesetzlichen Pflichten nach § 2 SGB II als grundsätzlich zumutbarer Einschnitt vom Gesetzgeber entschieden worden. Die Existenzsicherung erfolge über die Ausstellung von Lebensmittelgutscheinen. In der Darstellung des Sachverhalts hat das SG darüber hinaus ausgeführt, der Antragsteller verweigere nachhaltig die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten. Der Nichterfüllung der Pflichten aus der Eingliederungsregelung vom 28.10.2008 sei ein mehrfaches Fehlverhalten im Sinne von § 31 SGB II vorangegangen.

Dagegen hat der Antragsteller Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht - LSG - eingelegt. Ihm sei es finanziell nicht mehr möglich, die Anforderungen der ARGE zu erfüllen. Somit bekomme er nun jeden Monat eine Sanktion und seine Obdachlosigkeit sei nur eine Frage der Zeit. Mittlerweile habe er eine eidesstattliche Versicherung abgeben müssen. Seine Miete für März 2009 habe er nicht mehr bezahlen können. Die Anschreiben schicke er immer, wie von der ARGE verlangt, bei seinem Antrag auf Erstattung von Bewerbungskosten mit. Dort habe die ARGE dann die Möglichkeit, seine Anschreiben zu prüfen. Seine Bewerbungen schreibe er nach bestmöglichem Wissen. Um Bewerbungen schreiben zu können, müsse er immer nach A-Stadt fahren und die Bewerbungen bei einem Freund ausdrucken lassen. Er habe keinen PC und kein Internet in O ... Er bekomme nur noch einen Teil der Bewerbungskosten erstattet. Er habe mal 5,00 EUR pro Bewerbung erhalten. Dies habe seine Sachbearbeiterin dann ohne Begründung geändert. Durch diesen Wegfall sei es nicht mehr möglich, den Anforderungen der ARGE gerecht zu werden. Wenn er einen Antrag auf Übernahme der Bewerbungskosten stelle, könne er bis zu sechs Wochen warten, bis die ARGE dieser Aufforderung nachkomme. Auf das Schreiben von der ARGE am 24.03.2009 habe er alle geforderten Unterlagen am 31.03.2009 abgeschickt. Über das zinslose Darlehen sei noch nicht entschieden worden. Durch die ständigen Sanktionen werde er von der Antragsgegnerin genötigt, als Mietnomade zu wohnen.

Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 19.03.2009 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung seines Rechtsbehelfs gegen den Bescheid vom 06.03.2009 anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist hinsichtlich der vom Antragsteller vorgebrachten drohenden Obdachlosigkeit darauf, dass ein Antrag auf darlehensweise Gewährung von Mieten gestellt worden sei. Zu diesem Antrag sei der Antragsteller mit Schreiben vom 24.03.2009 angehört und gefragt worden, wer die Mietkosten für den Zeitraum vom 01.11.2008 bis zum 28.02.2009 für seine Wohnung übernommen habe. Weiterhin sei der Antragsteller aufgefordert worden, einen Nachweis über die tatsächlich angefallenen Mietschulden zu erbringen. Eine Antwort sei noch nicht erfolgt (Schreiben der Antragsgegnerin vom 07.04.2009). Der Antragsteller habe vor seinem Zuzug von A-Stadt nach O. bei seinen Eltern in A-Stadt gelebt. Es sei anzunehmen, dass der Antragsteller bei Verlust seiner Wohnung (nach Angaben des Antragstellers ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft), wenn dieser überhaupt tatsächlich drohe, Hilfe hinsichtlich einer Unterkunft und Verpflegung von seinen Eltern erhalte. Obdachlosigkeit drohe demnach nicht.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Eilantrag zu Recht abgewiesen.

Statthaft ist ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -. Dass zwischenzeitlich ein Widerspruchsbescheid ergangen ist, steht der Statthaftigkeit des Eilantrags nicht entgegen. Denn dem Interesse an einem effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -) entspricht es, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zugleich jenen auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der später erhobenen Klage erfasst (LSG Berlin-Brandenburg vom 17.01.2006, L 29 B 1104/05 AS ER juris Rn 22; LSG Nordrhein-Westfalen vom 17.01.2005, L 2 B 9/03 KR ER, Breithaupt 2005, 437). Während des Bewilligungszeitraums besteht bei einer Absenkung der Leistungen die Anfechtungssituation. Dem Antragsteller war per Verwaltungsakt (Bescheid vom 18.12.2008, Leistungsbewilligung bis 30.06.2009) eine Rechtsposition eingeräumt worden, er stand im Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Der vom Antragsteller eingelegte Widerspruch gegen die Sanktionsentscheidung hat in solchen Fällen gemäß § 39 Nr.1 SGB II i.V.m. § 86 a Abs. 2 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG - in der hier maßgeblichen, ab 01.01.2009 geltenden Fassung (Art. 2 Nr. 14 des Gesetzes vom 21.12.2008, BGBl. I 2917) keine aufschiebende Wirkung. Bei der Absenkung handelt es sich um eine Herabsetzung der Leistung im Sinne dieser Vorschrift.

Die vom Ast beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs.1 Satz 1 Nr.2 SGG hat das SG zu Recht abgelehnt.

In Anfechtungssachen ist nach dieser Vorschrift eine Abwägung des Interesses des Antragstellers am Nichtvollzug und des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung durchzuführen. Dabei sind wegen der verfassungsrechtlich fundierten Sicherungs- und Rechtsschutzfunktion des Eilverfahrens grundsätzlich die Abwägungselemente des prospektiven Hauptsacheerfolgs und der ohne Eilrechtsschutz drohenden Rechtsverletzungen zu beachten (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2 Aufl. 2008, Rn 191 ff, 196 ff). Die Gewichtung der einzelnen Abwägungselemente hängt unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Ausgestaltung des fachgerichtlichen Eilverfahrens vom Rechtsschutzziel ab. Je schwerer die drohende Rechtsverletzung ist, umso höher sind die Anforderungen an die Genauigkeit der Prognose des Hauptsacheerfolgs zu stellen, um auf diesen Abwägungsbelang eine Ablehnung des Eilantrags zu stützen; gegebenenfalls muss bereits im Eilverfahren sogar eine abschließende Prüfung durchgeführt werden, um den Eilantrag wegen fehlender Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens ablehnen zu können. Je schwerer umgekehrt die drohende Rechtsverletzung ist, um so geringere Anforderungen sind an die Wahrscheinlichkeit des Hauptsacheerfolgs und der drohenden Rechtsverletzungen zu stellen; um dem Eilantrag stattzugeben, kann bei drohenden schweren Grundrechtsverletzungen sogar die Möglichkeit des Hauptsacheerfolgs und des Eintritts von Rechtsverletzungen ausreichen (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 29.07.2003, 2 BvR 311/03 juris Rn14 und vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 juris Rn 23 ff; vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06; vom 25.02.2009, 1 BvR 120/09 juris Rn 11; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, Rn 12c ff. ).

Eine abschließende Prüfung ist vorliegend im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzung des wichtigen Grundes (§ 31 Abs. 1 S. 2 SGB II) nicht möglich (dazu sogleich unten). Bei der daher durchzuführenden Abwägungsentscheidung (vgl. z.B. BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05 juris Rn 25 f) überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das Interesse des Antragstellers am Nichtvollzug, denn der Bescheid vom 06.03.2009 mit der Absenkung der Regelleistung auf Null für die Monate April bis Juni 2009 ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht rechtswidrig, die sonstigen Abwägungsbelange wiegen nicht schwer genug, um dem Eilantrag zum Erfolg zu verhelfen.

Zum Abwägungselement des prospektiven Hauptsacheerfolgs ist das Folgende auszuführen. Die Ag stützt ihre Sanktionsentscheidung auf § 31 Abs. 1 S. 1 Nr 1 b, S. 2, Abs. 3, 6 SGB II. Gemäß § 31 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, in der Eingliederungsvereinbarung festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemühungen nachzuweisen, ohne einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachzuweisen. Der Antragsteller hat mit hoher Wahrscheinlichkeit Pflichtverletzungen begangen, insbesondere dadurch, dass er die in der Eingliederungsvereinbarung vom 28.10.2008 festgelegten Pflichten nicht erfüllt hat. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der verhängten Sanktion liegen daher mit hoher Wahrscheinlichkeit vor. Ein solches Verhalten des Antragstellers, das hier nur in einem Unterlassen liegen kann (Nichterfüllung der festgelegten Pflichten, insbesondere Nichtnachweis ausreichender Eigenbemühungen), steht hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Sanktion aufgrund der im Widerspruchsbescheid vom 31.03.2009 aufgezählten Fehlverhaltensweisen, die bereits zu Sanktionsentscheidungen geführt haben (Bescheide vom 17.12.2007, 24.01.2008, 20.02.2008, 22.10.2008, 20.11.2008 und 12.12.2008), sogar mit der für eine Hauptsacheentscheidung ausreichenden Gewissheit fest. Die dem Antragsteller seitens der Antragsgegnerin auferlegten Pflichten waren auch hinreichend bestimmt. Insofern wird auf den Inhalt des Bescheides vom 28.10.2008 Bezug genommen. Da ein dem Antragsteller nach § 31 Abs. 1 Nr. 1b SGB II vorwerfbares Verhalten vorliegt, ist der Sanktionsbescheid unter diesem Aspekt rechtmäßig. Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.

Auch die sonstigen Voraussetzungen der Sanktionierung liegen zur vollen Überzeugung des Senats vor. Hierzu stellt der Senat fest, dass der Antragsteller im Zeitpunkt des Fehlverhaltens erwerbsfähig hilfebedürftig (§§ 8, 9 Abs 1, Abs 4 SGB II) gewesen ist und - was Voraussetzung für einen Alg II-Anspruch (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 u 3 SGB II) und demgemäß grundsätzlich auch für die einzelnen Tatbestandsvarianten des § 31 SGB II ist - dass der Antragsteller als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger gehandelt hat (vgl. dazu den Wortlaut von § 31 Abs 1 S 1 Nr 1 u 2, Abs 2, Abs 4 SGB II). Der Ast erhielt im Bescheid vom 28.10.2008 auch Belehrungen über die Rechtsfolgen, die den gesetzlichen Anforderungen (vgl. dazu Fortentwicklungsgesetz vom 20.07.2006, BGBl. I 1706) entsprechen. Es handelt sich auch um eine wiederholte Pflichtverletzung im Sinne des § 31 Abs. 3 S. 4 SGB II, da der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums nicht länger als ein Jahr zurückliegt. Die Ag erbringt auch in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen im Sinne des § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II (fernmündliche Auskunft der Antragsgegnerin vom 14.05.2009; Telefax der Antragsgegnerin vom 14.05.2009).

Der Senat sieht auch keine Gründe, die gegen die erfolgten Festlegungen der Pflichten des Antragstellers durch Verwaltungsakt nach § 15 Abs.1 Satz 6 SGB II bzw. höherer Nachweisanforderungen für Bewerbungen des Antragstellers sprechen könnten. Denn der Antragsteller hat auch hierfür einen konkreten Anlass geliefert, indem er eine Qualifizierungsmaßnahme am 03.11.2008, die ihm mit rechtmäßigem Verwaltungsakt angeboten worden war, nicht angetreten hat.

Der Ast hat in der im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Zeit bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung auch keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachgewiesen. Jedoch kann der Senat nicht mit der für eine Hauptsacheentscheidung erforderlichen Gewissheit ausschließen, dass sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens mit dessen besseren Aufklärungsmöglichkeiten Umstände ergeben, die einen wichtigen Grund begründen könnten. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und Abwägung seiner berechtigten Interessen mit den Interessen der Gemeinschaft ein anderes Verhalten nicht zugemutet werden kann (LSG Rheinland-Pfalz, NZS 2008, 496). Umstände, die hierauf schließen lassen, werden vom Ast nicht vorgetragen; sie sind aus den dem Senat im Eilverfahren zur Verfügung stehenden Unterlagen auch sonst nicht ersichtlich. Im Hinblick auf die Einlassungen des Ast selbst hält es der Senat jedoch für äußerst unwahrscheinlich, dass vom Antragsteller Tatsachen nachgewiesen werden können, die einen wichtigen Grund darstellen könnten. Auch spricht die Behauptung der Antragsgegnerin, die Kosten des Antragstellers für Bewerbungen würden entsprechend der Regelung im Bescheid vom 28.10.2008 auf vorherige Antragstellung und bei ausreichendem Nachweis bis zu einem Betrag von 260.- Euro jährlich übernommen, gegen die Annahme eines wichtigen Grundes. Eine Gewissheit, wie sie im Hauptsacheverfahren herbeizuführen ist, lässt sich jedoch im Hinblick auf den wichtigen Grund im vorliegenden Eilverfahren nicht herstellen.

Was das Abwägungselement der ohne Eilrechtsschutz drohenden Rechtsverletzungen betrifft, verkennt der Senat nicht, dass die mit der verhängten Sanktion verbundenen Beeinträchtigungen des Antragstellers schwer wiegen. Dem Antragsteller wurde die bewilligte existenzsichernde Grundsicherungsleistung für einen Zeitraum von drei Monaten auf Null abgesenkt. Im Rahmen der Abwägung ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese Sanktion auf dem Verhalten des Antragstellers beruht, der in beharrlicher Weise gegen seine im SGB II geregelten und in den genannten Bescheiden der Antragsgegnerin konkretisierten Pflichten verstößt, dass der Antragsteller sich insbesondere regelmäßig weigert, Eingliederungsvereinbarungen zu unterschreiben, und dass das Verhalten des Antragstellers auch bereits zu mehreren Sanktionsentscheidungen geführt hat. Zum Zeitpunkt der Eilentscheidung des SG und des Senats war keine Obdachlosigkeit des Antragstellers gegeben; sie stand nach dem eigenen schriftsätzlichen Vorbringen des Antragstellers, der angibt, "Mietnomade" zu sein, auch nicht unmittelbar bevor.

Auch die Folgenabwägung im Sinne der Doppelhypotheseprüfung (dazu BVerfG, Beschluss vom 22.11.2002, 1 BvR 1586/02 juris Rn 7) führt zu keinem anderen Ergebnis. Bei Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und deren späterer, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartender Abweisung im Hauptsacheverfahren ist der Antragsteller zur Rückzahlung der ihm durch die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zugesprochenen Leistungen verpflichtet; eine Rückabwicklung der Folgen dürfte aber im Hinblick auf die finanzielle Situation des Antragstellers nicht möglich sein. Im umgekehrten Falle hätte der Antragsteller über einen Zeitraum von drei Monaten gravierende Beeinträchtigungen hinzunehmen. Sein Existenzminimum und damit im Rahmen der gesetzlichen Regelung des § 31 Abs. 3 S. 6 SGB II seine Menschenwürde sind jedoch durch die entsprechenden Leistungen, d.h. die Gewährung von Wertgutscheinen durch die Antragsgegnerin, sichergestellt. Dieser Leistungsumfang erscheint dem Senat im Hinblick auf den fast vollständig geklärten Sachverhalt als zumutbar. Im Hinblick auf die beharrlichen und schweren Pflichtverletzungen des Antragstellers ist es auch hinzunehmen, dass die tatsächliche Beeinträchtigung in dem hier fraglichen Zeitraum sich durch spätere, allerdings äußerst unwahrscheinliche Nachzahlung nicht mehr vollständig ausgleichen lässt.

Im Hinblick zur vom SG vorgenommenen Gewichtung der "grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzgebers für den Ausschluss des aufschiebenden Wirkung bei Leistungsherabsetzungen" weist der Senat darauf hin, dass mit der gerichtlichen Eilentscheidung die Frage beantwortet wird, ob die von der Behörde im Einzelfall auf der Grundlage des § 86 a Abs. 2 Nr. 5 SGG vorgenommene oder vom Gesetzgeber auf der Grundlage des § 86 a Abs. 2 Nr. 1 - 4, IV SGG für bestimmte Fallgruppen pauschaliert vorweggenommene Bewertung von Aufschub- und Vollziehungsinteresse im konkreten Fall zutrifft. Bei der im Rahmen einer offenen Eilentscheidung vorzunehmenden Abwägung ist weder von einer gesetzlich vorgegebenen Vermutung für oder gegen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung im konkreten Einzelfall noch von einem materiellen, sich in der Einzelfallbewertung niederschlagenden materiellen Verteilungsprinzip auszugehen. Das Gesetz unterstellt - wie § 86 b Abs. 1 S. 1 SGG zeigt - den Sofortvollzug keineswegs als stets geboten, es verlagert lediglich die erforderliche konkrete Interessenbewertung in das gerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes und macht dies von einem Antrag des Antragstellers abhängig (LSG Sachsen-Anhalt vom 12.01.2009, L 5 B 94/08 AS ER juris Rn 25 m.w.N. zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts). Geboten ist auch in Anfechtungssachen (BVerfG vom 27.05.1998, 2 BvR 378/98 juris Orientierungssatz 2a = Rn 17; BVerfG, 13.06.1979, 1 BvR 699/77, BVerfGE 51, 268, 280, 286) eine im jeweiligen Einzelfall effektiven Rechtsschutz gewährleistende Abwägung im Rahmen einer offenen Eilentscheidung unter Beachtung, insbesondere richtiger Gewichtung, der aus den verfassungsrechtlich fundierten Funktionen des Eilverfahrens abgeleiteten Abwägungsbelange (BVerfG vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05; BVerfG vom 06.02.2007, 1 BvR 3101/06). Die Qualität der Interessenabwägung kann nicht davon abhängen, ob die Verwaltung aufgrund einer Abwägung der Interessen im konkreten Einzelfall oder ob - wie hier - der Gesetzgeber aufgrund genereller Bewertung der Interessenlage für einen bestimmten Sachbereich den Suspensionseffekt ausgeschlossen hat (zum Ganzen Krodel, aaO, Rn 188 f). Das vom Gesetzgeber in § 39 SGB II, § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG angeordnete vordringliche Vollzugsinteresse hat dementsprechend für das gerichtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor allem die Bedeutung, dass die Antragsgegnerin von der ihr nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG obliegenden Pflicht entbunden wird, das öffentliche Interesse der sofortigen Vollziehbarkeit gesondert zu begründen (LSG Sachsen-Anhalt, aaO).

Unter Berücksichtigung aller Abwägungselemente und -belange ist die Ablehnung des Eilantrags durch das SG im Ergebnis aber nicht zu beanstanden. Die öffentlichen Interessen an einem Sofortvollzug des Bescheides vom 06.03.2009 überwiegen die Interessen des Antragstellers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog; sie trägt dem Umstand Rechnung, dass der Eilantrag in beiden Instanzen erfolglos blieb.

Dieser Bescheid ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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