L 7 AS 219/08

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 2704/07
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 219/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die von einem Wohnungseigentümer regelmäßig zu zahlende Instandhaltungsrücklage gehört dem Grunde nach zu den Kosten der Unterkunft i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB 2.
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 14. April 2008 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens und des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagte) dem Kläger und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Kläger) für Dezember 2007 höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu zahlen hat. Streitig ist insbesondere, ob die Instandhaltungsrücklage, die im Hausgeld enthalten ist, das der Kläger für seine Eigentumswohnung an die Wohnungseigentümergemeinschaft, der er angehört, zu zahlen hat, im Rahmen der "angemessenen Kosten der Unterkunft" von der Beklagten zu zahlen sind oder nicht.

Der Kläger bewohnt als Alleineigentümer eine 72,29 m² große, in einer Wohnungseigentumsanlage gelegene Wohnung. Das hierfür von ihm an den Verwalter zu entrichtende Wohngeld betrug im Zeitraum von Juni 2007 bis Mai 2008 monatlich 97,00 EUR zuzüglich des auf die Wohnung entfallenden Anteiles an der Instandhaltungsrücklage i. H. v. 18,00 EUR monatlich.

Mit Bescheid vom 18.06.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger unter Berücksichtigung von Zinseinnahmen Leistungen nach dem SGB II für Dezember 2007 i. H. v. 145,20 EUR. Die Kosten der Unterkunft wurden mit 98,20 EUR angesetzt.

Hiergegen hat der Kläger am 27.07.2007 Klage erhoben, in erster Linie, weil die Beklagte im Dezember 2007 voraussichtliche Zinseinkünfte berücksichtigt hatte.

Im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens setzte die Beklagte die Leistungen für Dezember 2007 mit Änderungsbescheid vom 15.01.2008 auf 227,95 EUR herauf; die angesetzten Kosten der Unterkunft blieben unverändert.

Der Kläger hat bemängelt, dass nicht alle Kosten der Unterkunft übernommen worden seien, jedenfalls nicht Kosten für Warmwasserbereitung i. H. v. monatlich 6,53 EUR und nicht die Instandhaltungsrücklage i. H. v. monatlich 18,00 EUR. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Instandhaltungsrücklage stelle keine angemessene tatsächliche Aufwendung im Sinne des § 22 SGB II dar, denn hieraus könnten auch wertsteigernde Erneuerungsmaßnahmen finanziert werden, die nicht mehr Bedarfsdeckung, sondern – von der Beklagten nicht zu finanzierende – Vermögensbildung darstellten. Es seien von ihr lediglich Leistungen für erforderliche Erhaltungsmaßnahmen zu erbringen. Bei der Zahlung von abstrakten Kosten wie der Instandhaltungsrücklage handele es sich um keinen konkreten Bedarf. Wenn man diese Rücklage als Bedarf von Wohnungseigentümern anerkenne, so führe dies zu einer Ungleichbehandlung im Verhältnis zu Hauseigentümern, bei denen nur bei konkretem Bedarf die Kosten für Erhaltungsaufwand zu übernehmen seien.

Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 14.04.2008 verurteilt, dem Kläger für Dezember 2007 weitere 10,24 EUR zu zahlen und hat die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es – soweit es die noch streitige Frage betrifft – ausgeführt, der Kläger könne sich der Zahlung der Instandhaltungsrücklage, die auf für ihn bindenden Beschlüssen der Wohnungseigentumsgemeinschaft beruhe, nicht entziehen, so dass diese Rücklagen zu den Kosten der Unterkunft zählten. Eine Ungleichbehandlung zwischen Hauseigentümern einerseits und Wohnungseigentümern andererseits sei nicht gegeben. Würde die Rücklage im Fall des Klägers nicht berücksichtigt, stehe er schlechter als ein Hauseigentümer, da die tatsächliche Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen deswegen nicht zu einer entsprechenden Kostenübernahme durch die Beklagte führen würde, weil diese Kosten von der Wohneigentumsgemeinschaft getragen werden würden. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 09.09.2008 die Berufung zugelassen.

Zur Begründung der Berufung wiederholt die Beklagte im Wesentlichen ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 14.04.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, im Gegensatz zu Hauseigentümern seien Wohnungseigentümer gesetzlich dazu verpflichtet, eine angemessene Rücklage zu bilden. Ein einzelner Eigentümer habe unter keinen Umständen Zugriff auf diese gebildete Rücklage. Eine private Vermögensbildung aus Steuermitteln sei also nicht möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und die Leistungsakten der Beklagten (2 Bände) verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Senat zugelassene Berufung der Beklagten (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Recht verpflichtet, dem Kläger zusätzlich zu den bisher gewährten Kosten der Unterkunft auch die von ihm an die Wohnungseigentümergemeinschaft zu zahlende Instandhaltungsrücklage zu zahlen.

Der von einem Wohnungseigentümer laut Beschluss der Wohnungseigentümergemeinschaft regelmäßig zu zahlende Anteil an der Instandhaltungsrücklage gehört dem Grunde nach zu den angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft i. S. d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Für Grundsicherungsempfänger, die in einer Mietwohnung leben, gehören zu diesen tatsächlichen Aufwendungen auch diejenigen Nebenkosten, die mietvertraglich unausweichlich sind und denen nicht das Element der Freiwilligkeit innewohnt (vgl. BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 48/08 R – Rn. 18). Dazu gehören insbesondere Nebenkosten, die unter § 2 der Betriebskostenverordnung fallen und daher vom Vermieter auf den Mieter umgelegt werden können, so dass eine mietvertragliche Verpflichtung zur Zahlung besteht. Denn nur die Aufwendungen, die mit der Unterkunft rechtlich und tatsächlich verknüpft sind, sind auch als Leistungen nach § 22 SGB II zu erbringen (vgl. BSG, a. a. O., Rn. 19 m. w. N.).

Eine entsprechende rechtliche und tatsächliche Verknüpfung mit der Unterkunft besteht auch bei der vom Kläger zu zahlenden Instandhaltungsrücklage. Denn gemäß § 16 Abs. 2 des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht – Wohnungseigentumsgesetz – (WEG) ist jeder Wohnungseigentümer den anderen Wohnungseigentümern gegenüber verpflichtet, die Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums sowie die Kosten der Instandhaltung, Instandsetzung, sonstigen Verwaltung und eines gemeinschaftlichen Gebrauchs des gemeinschaftlichen Eigentums nach dem Verhältnis seines Anteils zu tragen. Eine davon abweichende Regelung kann nur unter den Voraussetzungen des Absatzes 4 jener Vorschrift getroffen werden. Danach können die Wohnungseigentümer nur im Einzelfall (u. a.) zur Instandhaltung oder Instandsetzung im Sinne des § 21 Abs. 5 Nr. 2 WEG durch Beschluss die Kostenverteilung anders regeln, wenn der abweichende Maßstab dem Gebrauch oder der Möglichkeit des Gebrauchs durch die Wohnungseigentümer Rechnung trägt; der Beschluss zur Regelung einer derartigen Kostenverteilung bedarf einer Mehrheit von drei Viertel aller stimmberechtigten Wohnungseigentümer und mehr als der Hälfte aller Miteigentumsanteile. Zu einer ordnungsmäßigen, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer entsprechenden Verwaltung (durch einen Verwalter oder durch die Wohnungseigentümer selbst) gehört zudem gemäß § 21 Abs. 5 WEG insbesondere die ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums (Nr. 2) und die Ansammlung einer angemessenen Instandhaltungsrückstellung (Nr. 4). Aufgrund dieser gesetzlichen Regelungen besteht für den einzelnen Wohnungseigentümer keine Möglichkeit, den Anfall oder auch nur seinen Beitrag zur Instandhaltungsrückstellung zu verhindern oder sonst zu vermeiden.

Im Unterschied zu Hauseigentümern hat ein Wohnungseigentümer – hier: monatlich – tatsächliche Aufwendungen in der seinem Anteil am Gemeinschaftseigentum entsprechenden Höhe, ohne dass damit ein aktueller Instandhaltungs- oder Instandsetzungsaufwand verbunden ist. Anders als bei einem Wohnungseigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft besteht für private Eigentümer eines Eigenheims keine rechtliche Verpflichtung zur Rücklagenbildung. Hingegen können bei einem selbstgenutzten Hausgrundstück die während des Leistungsbezuges tatsächlich getätigten Aufwendungen für eine Instandsetzung und Instandhaltung – soweit diese nicht zu einer Verbesserung des Standards führen und angemessen sind – als Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 03.03.2009 – B 4 AS 38/08 R – Rn. 17, Juris).

Diese tatsächlichen und rechtlichen Unterschiede bei der Bewertung einer vom Wohnungseigentümer mit dem Hausgeld zu entrichtenden Instandhaltungsrücklage einerseits und einer im Wesentlichen freiwilligen Instandhaltungspauschale privater Eigenheimbesitzer andererseits können die Grundsicherungsträger bei der Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 SGB II nicht außer Acht lassen. Allerdings ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Instandhaltungsrücklage für die von einem Leistungsempfänger bewohnte Eigentumswohnung auch der Höhe nach angemessen ist.

Vorliegend hat die Beklagte nicht geltend gemacht, dass die vom Kläger monatlich, also auch im Dezember 2007, zu entrichtende Rücklage unangemessen hoch wäre. Dies ist auch für den Senat sonst nicht ersichtlich, so dass die Berufung der Beklagten keinen Erfolg hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine Zulassungsgründe i. S. d. § 160 Abs. 2 SGG vorliegen. Insbesondere ergibt sich die Beantwortung der hier noch streitigen Rechtsfrage auch ohne explizite Entscheidung des Bundessozialgerichts aus der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung.
Rechtskraft
Aus
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