L 5 KR 159/09 B ER

Land
Rheinland-Pfalz
Sozialgericht
LSG Rheinland-Pfalz
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Speyer (RPF)
Aktenzeichen
S 7 KR 202/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Rheinland-Pfalz
Aktenzeichen
L 5 KR 159/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Widerspruch und Klage gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen haben keine aufschiebende Wirkung (§ 86 a Abs. 2 Nr. 1 SGG).
2. Zum Vorliegen einer "unverschuldeten" Unterlassung der Anzeige einer Pflichtversicherung i.S.d. § 186 Abs. 11 Satz 4 SGB V.
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 3.7.2009 (Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) abgeändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, über eine Stundung der Beitragsforderung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden. Vor dieser Entscheidung hat die Antragsgegnerin Vollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen. Sofern die Antragsgegnerin eine Stundung ablehnen sollte, hat die Antragstellerin die Möglichkeit der Ratenzahlung mit monatlicher Ratenhöhe von 25, EUR. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen den Beschluss vom 3.7.2009 (Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes) zurückgewiesen.

2. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 3.7.2009 (Ablehnung der Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren) aufgehoben. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren und das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin Dr B gewährt.

3. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin 2/3 der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz wegen Beitragsbescheiden, mit denen die Antragsgegnerin Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung für die Zeit vom 1.4.2007 bis zum 2.11.2008 festgesetzt hat. Außerdem beantragt die Antragstellerin vorläufigen Rechtsschutz wegen der Festsetzung von Säumniszuschlägen. Die Beschwerde richtet sich ferner gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das erstinstanzliche Verfahren; außerdem begehrt die Antragstellerin PKH für das Beschwerdeverfahren.

Die 1983 geborene Antragstellerin, die 1993 aus K in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen ist, bezog bis zum 7.9.2006 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und war in dieser Zeit bei der Antragsgegnerin im Wege der Familienversicherung gesetzlich krankenversichert. Im Anschluss hieran bis zum 2.11.2008 war sie nicht erwerbstätig und bezog keine Leistungen nach dem SGB II mehr. Seit dem 3.11.2008 ist sie Schülerin einer Berufsfachschule und bezieht Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).

Am 12.11.2008 legte die Antragstellerin der Antragsgegnerin einen ausgefüllten Fragebogen zur Feststellung der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) vor. Durch Bescheide vom 4.2.2009 setzte die Antragsgegnerin den monatlichen Beitrag zur Kranken und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 1.4.2007 bis zum 31.12.2007 auf 134,34 EUR (Krankenversicherung 118,42 EUR; Pflegeversicherung 15,92 EUR) und für die Zeit vom 1.1.2008 bis 2.11.2008 auf 136,26 EUR (Krankenversicherung 120,10 EUR; Pflegeversicherung 16,16 EUR) fest. Sie legte hierbei unter Berücksichtigung der Mindestbemessungsgrundlage (§ 240 Abs 4 Satz 1 SGB V iVm § 57 Abs 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch SGB XI ) beitragspflichtige Einnahmen von 816,67 EUR für die Zeit vom 1.4.2007 bis zum 31.12.2007 und 828,33 EUR für die Zeit ab dem 1.1.2008 zugrunde. Zur Begründung ihres Widerspruchs gegen die Beitragsfestsetzung machte die Antragstellerin geltend, der rückständige Beitragsanspruch sei verwirkt, zumal eine zeitnahe Beratung nicht erfolgt sei. Unter dem 30.4.2009 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, der rückständige Beitrag belaufe sich auf 2.589,11 EUR zuzüglich Säumniszuschlägen von 1.349, EUR und einer Mahngebühr von 1, EUR. Mit Bescheid vom 25.6.2009 stellte die Antragsgegnerin fest, wegen Nichtzahlung der Beiträge ruhe der Leistungsanspruch der Antragstellerin ab dem 2.7.2009 nach § 16 Abs 3a Satz 2 SGB V iVm § 16 Abs 2 Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG); die Antragstellerin möge sich bei ihr, der Antragsgegnerin melden, wenn Leistungen zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich seien oder sie Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten benötige. Auch gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Widerspruch ein.

Am 3.6.2009 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) "Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung" ihrer Widersprüche gegen die Bescheide vom 4.2.2009 gestellt und für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Durch Beschluss vom 3.7.2009 (den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin zugestellt am 8.7.2009) hat das SG den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Der Antrag habe keinen Erfolg, weil die angefochtenen Bescheide offensichtlich rechtmäßig seien. Die Antragstellerin sei vom 1.4.2007 bis zum 2.11.2008 nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V pflichtversichert in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen. Nach § 240 Abs 4 SGB V sei als beitragspflichtige Einnahme mindestens der neunzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße heranzuziehen. Die Beitragspflicht sei auch nicht nach § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V entfallen. Diese Vorschrift lasse ein Absehen, eine Ermäßigung oder eine Stundung der Beitragsforderung nur bei unverschuldeter Nichtanzeige der Versicherungspflicht zu. An einer solchen fehle es. Wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen reiche Unkenntnis des Gesetzes für eine unverschuldete Nichtanzeige nicht aus. Im Hinblick auf die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung sei die Antragstellerin auch in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Die Festsetzung der Säumniszuschläge durch die Antragsgegnerin sei ebenfalls rechtmäßig. Für eine unbillige Härte, welche die Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertige, ergäben sich im Übrigen keine Anhaltspunkte. Durch Beschluss vom 3.7.2009 (zugestellt am 10.7.2009) hat das SG auch den Antrag der Antragstellerin auf Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt, da der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz keine Erfolgsaussicht habe.

Zur Begründung ihrer am 4.8.2009 eingelegten Beschwerden trägt die Antragstellerin vor: Sachverhalte wie den vorliegenden, bei denen der nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V Versicherungspflichtige keinerlei Leistungen der Krankenkasse in Anspruch genommen habe, habe der Gesetzgeber bei Schaffung des § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V ausweislich der Gesetzesbegründung im Blick gehabt. Zudem seien die Bescheide der Antragsgegnerin auch deshalb rechtswidrig, weil diese nicht befugt gewesen sei, Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung festzusetzen. Die Antragstellerin hat eine Vollstreckungsankündigung der Antragsgegnerin vorgelegt, wonach diese die Vollstreckung durch das Hauptzollamt wegen der Beitragsforderung für die Zeit vom 1.4.2007 bis zum 2.11.2008 sowie der Säumniszuschläge eingeleitet habe.

Im Juli 2009 hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine Zahlungsvereinbarung über eine ratenweise Begleichung der Forderung in Höhe von monatlich 200, EUR angeboten; dieses Angebot hat die Antragstellerin nicht angenommen. Die Antragsgegnerin hat die Widersprüche gegen die Bescheide vom 4.2.2009 durch Widerspruchsbescheid vom 19.8.2009 zurückgewiesen. In diesem heißt es ua, eine Aussetzung der Vollziehung werde abgelehnt; der Antragstellerin werde aber eine angemessene Ratenzahlung angeboten. Die Antragstellerin hat mittlerweile gegen den Widerspruchsbescheid vom 19.8.2009 Klage erhoben.

II.

Die nach §§ 172, 173 SGG zulässigen Beschwerden gegen die Beschlüsse des SG vom 3.7.2009 sind in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

1. Widerspruch und Klage gegen die vorliegend streitbefangenen Bescheide vom 4.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.8.2009 haben keine aufschiebende Wirkung (§ 86a Abs 2 Nr 1 SGG). § 86a Abs 2 Nr 1 SGG findet auch hinsichtlich der Festsetzung von Säumniszuschlägen nach § 24 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) die betreffenden Bescheide sind nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden Anwendung (LSG Berlin-Brandenburg 19.3.2009 L 1 KR 45/09 B ER; Zeihe, SGG, § 86a Rn 13; aA Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86a Rn 13a; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 86a Rn 30). Säumniszuschläge sind Nebenkosten zu Beiträgen iSd § 86a Abs 2 Nr 1 SGG. Ihnen kommt nicht lediglich Druckfunktion zu. Vielmehr trägt der Säumniszuschlag auch dem Umstand Rechnung, dass der Gläubiger einen Ausgleich für die Nachteile verspäteter Zahlungen erhalten muss (BSG 26.2.1991 10 RAr 4/90, SozR 3 2400 § 24 Nr 1; Udsching in Hauck/Noftz, SGB IV, K § 24 Rn 1; aA LSG Bremen 23.5.1985 L 5 Ar 22/81, Breithaupt 1987, 407). Dafür spricht die Gesetzesbegründung zum SGB IV, in welcher der Säumniszuschlag als ein Ersatz für eine Verzinsung angesehen wird (BT Drucks. 7/4122 S 34). Soweit zT zu § 80 Abs 2 Satz 1 Nr 1 VwGO die gegenteilige Auffassung vertreten wird (vgl zB Schoch in Schoch, VwGO § 80 Rn 116), beruht dies wesentlich auf einer abweichenden Gesetzesfassung.

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 4.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.8.2009 Beitragsfestsetzung hat keinen Erfolg. Dieser Antrag ist zulässig; die Antragstellerin war entsprechend § 99 Abs 3 Nr 2 SGG berechtigt, im Beschwerdeverfahren anstelle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zu beantragen (LSG Nordrhein-Westfalen 17.1.2005 L 2 B 9/03 KR ER, Breithaupt 2005, S. 437 ff). Der Antrag ist aber nicht begründet. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach den Maßstäben des § 86a Abs 3 Satz 2 SGG (Keller, aaO, § 86b Rn 12 f). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage setzt daher voraus, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel iSd § 86a Abs 3 Satz 2 SGG liegen vor, wenn der Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (Keller, aaO § 86a Rn 27a mwN). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Vielmehr ist die Festsetzung des Beitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V idF des Gesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378) iVm § 186 Abs 11 SGB V rechtmäßig. Für die Bemessung der Beiträge zur Krankenversicherung gilt § 240 SGB V entsprechend (§ 227 SGB V). Die Beitragspflicht der Antragstellerin zur sozialen Pflegeversicherung beruht auf § 57 Abs 4 Satz 1 SGB XI. Die Antragsgegnerin war zur Erhebung der Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung für die Pflegekasse befugt (§ 46 Abs 2 Satz 4 SGB XI); in dem Widerspruchsbescheid vom 19.8.2009 wurde die Antragstellerin mit hinreichender Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Beitragserhebung auch im Namen der Pflegekasse erfolgte (§ 46 Abs 2 Satz 5 SGB XI).

Im Zusammenhang mit dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 4.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.8.2009 ist nicht zu prüfen, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf Stundung, Ermäßigung oder Niederschlagung oder eines Erlasses des Beitrags nach § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V iVm § 17 Abs 6 der Satzung der Antragsgegnerin hat. Ein solches Begehren bedarf im Hauptsacheverfahren einer (zusätzlichen) Verpflichtungsklage, weshalb mit einer etwaigen rechtswidrigen Ablehnung einer Stundung, Ermäßigung oder Niederschlagung oder eines Erlasses des Beitrags die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Beitragsbescheid nicht begründet werden kann. Denn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist auf Fälle einer reinen Anfechtungsklage im Hauptsacheverfahren beschränkt.

Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 4.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.8.2009 ist auch nicht deshalb anzuordnen, weil die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Eine unbillige Härte in diesem Sinne liegt vor, wenn dem Betroffenen durch die Vollziehung Nachteile entstehen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder nur schwer wiedergutgemacht werden können (Keller, aaO, § 86a Rn 27b), zB Existenzgefährdung oder drohende Insolvenz. Dafür ist vorliegend nichts vorgetragen und auch sonst nichts ersichtlich. Das von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25.6.2009 angeordnete Ruhen der Leistungen (abgesehen ua von dem Anspruch auf Behandlung akuter Krankheiten) führt nicht zu einer unbilligen Härte. Zwar ist im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 25.6.2009 von dem Bestehen eines Beitragsanspruchs auszugehen, solange die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Beitragsbescheide vom 4.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.8.2009 nicht angeordnet ist; auch hat der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 25.6.2009 keine aufschiebende Wirkung (§ 16 Abs 3a Satz 1 SGB V iVm § 16 Abs 2 Satz 4 KSVG). Es ist aber nichts dafür ersichtlich, dass der Bescheid vom 25.6.2009 für die Antragstellerin zu unzumutbaren Nachteilen führt, etwa weil bei ihr zB chronische Krankheiten vorlägen, die einer laufenden Behandlung bedürfen.

3. Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 30.4.2009 über die Festsetzung von Säumniszuschlägen (und etwaige weitere Bescheide, in denen Säumniszuschläge festgesetzt wurden), der nach § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden ist. Insoweit ist der Erfolg der Klage nicht wahrscheinlicher als der Misserfolg. Nach § 24 Abs 2 SGB IV wären Säumniszuschläge zwar nicht zu erheben, soweit die Antragstellerin glaubhaft machen könnte, dass sie unverschuldet keine Kenntnis von ihrer Beitragszahlungspflicht hatte. Ob bei der Antragstellerin unverschuldete Unkenntnis vorliegt, ist jedoch offen (dazu unten 5.). Auch hinsichtlich der Säumniszuschläge sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Vollziehung eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

4. Der Senat verpflichtet jedoch die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung (§ 86b Abs 2 SGG), über eine Stundung der Beitragsforderung (einschließlich der Säumniszuschläge) nach pflichtgemäßem Ermessen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu entscheiden. Außerdem räumt er der Antragstellerin für den Fall einer Ablehnung der Stundung Ratenzahlung mit monatlichen Raten von 25, EUR ein. Eine weitergehende einstweilige Anordnung ist nicht zu erlassen.

Der Senat hat nicht nur über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Bescheide vom 4.2.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.8.2009 sowie gegen die Festsetzung von Säumniszuschlägen zu entscheiden, sondern auch über eine einstweilige Anordnung in dem soeben aufgeführten Sinne. Denn die Antragstellerin begehrt nach ihrem Vorbringen möglichst umfassenden einstweiligen Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Durchsetzung der von der Antragsgegnerin ihr gegenüber verfolgten Beitragsforderungen. Ob eine einstweilige Anordnung erlassen wird und bejahendenfalls welche, richtet sich nach einer Interessenabwägung (vgl Keller, aaO, § 86b Rn 29 29a).

5. Ob die Antragstellerin im Hauptsacheverfahren mit Erfolg einen Rechtsanspruch auf Ermäßigung oder wenigstens Stundung der Beitragsforderung geltend macht, ist offen. Dafür ist entscheidend, ob die Antragstellerin einen Anspruch nach § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V iVm § 17 Abs 6 der Satzung der Antragsgegnerin hat. Zeigt der Versicherte aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach dem in § 186 Abs 11 Satz 1 SGB V genannten Zeitpunkt an, hat die Krankenkasse nach § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V in ihrer Satzung vorzusehen, dass der für die Zeit seit dem Eintritt der Versicherungspflicht entstandene Beitrag angemessen ermäßigt, gestundet oder von seiner Erhebung abgesehen werden kann. In § 17 Abs 6 der Satzung der Antragsgegnerin ist hierzu bestimmt:
(6) Zeigt das Mitglied aus Gründen, die es nicht zu vertreten hat, das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nach den in § 186 Abs 11 Satz 1, 2 oder 3 SGB V genannten Zeitpunkten an, sind die nachzuzahlenden Beiträge auf Antrag
unter den Voraussetzungen des § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 1 und Satz 2 Nr 4 SGB IV zu stunden,
unter den in Satz 2 und 3 genannten Voraussetzungen auf den Betrag zu ermäßigen, der von freiwilligen Mitgliedern nach § 240 Abs 4a SGB V zu zahlen ist,
unter den Voraussetzungen des § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 2 und 3 SGB IV niederzuschlagen oder zu erlassen.
Eine Ermäßigung der Beiträge setzt voraus, dass der Nacherhebungszeitraum mehr als drei Monate umfasst und das Mitglied erklärt, während dieses Zeitraums keine Leistungen für sich und seine nach § 10 SGB V versicherten Familienangehörigen in Anspruch genommen zu haben, und auf eine Kostenübernahme oder Kostenerstattung von bereits in Anspruch genommenen Leistungen verzichtet. Eine Ermäßigung der Beiträge kommt nur für die Zeit bis zum Beginn des Monats der Anzeige über das Vorliegen der Voraussetzungen der Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V in Betracht. Die Ermäßigung der Beiträge scheidet aus, wenn zum Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht ein Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung bestand, dieses jedoch nicht ausgeübt wurde.

Eine Niederschlagung der Beitragsforderung (§ 17 Abs 6 Satz 1 Nr 3 1. Alternative der Satzung der Antragsgegnerin iVm § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB IV) kommt nicht in Betracht, weil weder feststeht, dass die Einziehung der Forderung auch in fernerer Zukunft keinen Erfolg haben wird, noch die Kosten der Einziehung außer Verhältnis zur Höhe des Anspruchs stehen. Auch ein Erlass der Forderung (§ 17 Abs 6 Satz 1 Nr 3 2. Alternative der Satzung der Antragsgegnerin iVm § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB IV) ist nicht möglich, weil die Einziehung im Hinblick auf die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers für eine Beitragspflicht der nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V versicherungspflichtigen Personen nicht unbillig ist. Eine Ermäßigung sofern eine solche nicht ohnehin nach § 17 Abs 6 Satz 4 der Satzung der Antragsgegnerin wegen eines Beitrittsrecht zur freiwilligen Krankenversicherung ausscheidet oder eine Pflicht zur Stundung nach § 17 Abs 6 Nr 1, 2 der Satzung der Antragsgegnerin setzt voraus, dass die Antragstellerin die verspätete Meldung der Versicherungspflicht nicht zu vertreten hat (§ 17 Abs 6 Satz 1 der Satzung der Beklagten; vgl auch § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V). Dies vermag der Senat zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht endgültig zu beurteilen.

Für eine "unverschuldete" iSd § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V bzw "nicht zu vertretende" (§ 17 Abs 6 Satz 1 der Satzung der Antragsgegnerin) Unterlassung der Anzeige der Pflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V genügt einfache Fahrlässigkeit. In Rechtsprechung und Schrifttum nicht eindeutig geklärt ist jedoch, welche Maßstäbe hieran anzulegen sind. In der Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom 26.3.2007 (GKV WSG, BT Drucks 16/3100 Seite 159) heißt es hierzu: "Durch Satz 4 der Neuregelung soll vermieden werden, dass diese Nachzahlungspflicht bei unverschuldet verspäteter Anzeige zu unbilligen Härten für die Betroffenen führt. Eine Ermäßigung oder Nichterhebung der nachzuentrichtenden Beiträge wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Betroffenen in der Zwischenzeit keine Leistungen oder nur Leistungen in geringem Umfang in Anspruch genommen haben." Ob, wie das SG meint, wegen des Grundsatzes der formellen Publizität von Gesetzen (vgl BSG 8.2.2007 B 7a AL 22/06 R Rn 22) bereits die bloße Unkenntnis der Meldepflicht generell jedenfalls wenn die Krankenkasse ihre Beratungspflicht nicht verletzt hat (vgl BSG aaO) ein Verschulden des Versicherungspflichtigen begründet, ist zweifelhaft. Eine dergestalt eingeschränkte Anwendung des § 186 Abs 11 Satz 4 SGB V würde der Vorschrift weitgehend ihren Anwendungsbereich nehmen. Ob ausgehend von einer Beurteilung des Verschuldens nach zusätzlichen individuellen Maßstäben (Beruf; Bildungsstand oÄ) bei der Antragstellerin von unverschuldeter Unkenntnis auszugehen wäre, lässt sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilen, sodass die Entscheidung über eine einstweilige Anordnung von einer Interessenabwägung abhängt (dazu unten 7.).

6. Die Antragsgegnerin hat es auch ausgehend von ihrer rechtlichen Beurteilung der Voraussetzungen des § 17 Abs 6 ihrer Satzung im Widerspruchsbescheid vom 19.8.2009 versäumt, eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über eine Stundung der Beitragsforderung (§ 76 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB IV) zu treffen. Im Gegensatz zu einer Stundung nach § 17 Abs 6 Satz 1 Nr 1 der Satzung der Antragsgegnerin, die nicht in deren Ermessen steht ("sind ...zu stunden"), hat diese bei einer Entscheidung über eine Stundung nach § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGG Ermessen auszuüben ("kann"). Die Antragsgegnerin hat im Widerspruchsbescheid ua ausgeführt, Gründe für eine Stundung der Beiträge lägen nicht vor. Dabei hat sie verkannt, dass sie auch wenn die Antragstellerin die fehlende rechtzeitige Anzeige der Versicherungspflicht zu vertreten haben sollte nach pflichtgemäßem Ermessen zu einer Stundung berechtigt war, da die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 76 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB IV erfüllt sind. Die sofortige Einziehung der Forderung wäre für die Antragstellerin in Anbetracht ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse und ihrer laufenden Ausbildung mit erheblichen Härten verbunden; einer drohenden Existenzgefährdung bedarf es insoweit nicht (Borrmann in Hauck/Noftz, SGB IV, K § 76 Rn 9). Dafür, dass der Anspruch der Antragsgegnerin durch die Stundung gefährdet wäre, wofür es konkreter Anhaltspunkte bedürfte (Borrmann, aaO, Rn 10), sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Bei dieser Sachlage hätte die Antragsgegnerin eine Ermessensentscheidung über die Stundung treffen müssen. Die Antragsgegnerin ist deshalb im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu einer Ermessensentscheidung über eine Stundung zu verpflichten. Die Antragsgegnerin hat Vollstreckungsmaßnahmen vor der Bescheiderteilung über die Stundung zu unterlassen, wobei sie den Ausgang eines diesbezüglichen Widerspruchsverfahrens nicht abwarten muss. Eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Stundung durch das Gericht im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes ist insbesondere im Hinblick auf die Einräumung einer Ratenzahlung (vgl unten 7.) nicht erforderlich, um den schützenswerten Interessen der Antragstellerin gerecht zu werden.

7. Für den Fall, dass die Antragsgegnerin eine Stundung ablehnen sollte, hat die Antragstellerin die Möglichkeit der Ratenzahlung in Höhe von monatlich 25, EUR. Diese Entscheidung des Senats im Wege einer einstweiligen Anordnung beruht auf einer Interessenabwägung, die in Anbetracht des offenen Ausgangs des Hauptsacheverfahrens hinsichtlich eines Anspruchs auf Ermäßigung/Stundung der Beitragsforderung erforderlich ist (vgl oben 5.). Der Senat trägt insoweit den Einkommensverhältnissen der Antragstellerin und der von ihr gegenwärtig durchgeführten Ausbildung Rechnung. Die von der Antragsgegnerin angebotene Ratenhöhe von 200, EUR monatlich ist in Anbetracht der Einkommensverhältnisse der Antragstellerin völlig unangemessen. Diese Interessenentscheidung steht nicht im Widerspruch zu der Interessenabwägung im Rahmen der Entscheidung nach § 86a Abs 3 Satz 2 SGG (vgl oben 2.). Denn die einstweilige Anordnung des Senats führt nicht dazu, dass die von der Antragsgegnerin geltend gemachte Beitragsforderung vorübergehend faktisch nicht durchsetzbar wäre, sondern schränkt lediglich vorläufig die Durchsetzung der Forderung im Hinblick auf die besonderen Umstände der vorliegenden Fallgestaltung ein.

8. Unter Aufhebung des die PKH ablehnenden Beschlusses des SG ist der Antragstellerin PKH für das erstinstanzliche Verfahren zu bewilligen. Erfolgsaussicht (§ 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung ZPO ) lag vor. Prozesskostenhilfebedürftigkeit ist ebenfalls gegeben. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist in Anbetracht der Schwierigkeit der Sach und Rechtslage notwendig (§ 73a SGG iVm § 121 Abs 2 ZPO). Bei der gegebenen Sachlage steht der Antragstellerin auch PKH für das Beschwerdeverfahren zu.

9. Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG. Kosten des Beschwerdeverfahrens hinsichtlich der Prozesskostenhilfe sind nicht zu erstatten (§ 73a Abs 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde beim Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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