S 37 AS 7127/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 7127/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 19.12.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.2.2009 verurteilt, dem Kläger mit Wirkung ab 5.12.2008 die tatsächlichen Unterkunftskosten abzüglich evt. Haushaltsenergiepauschalen zu gewähren. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist Beginn und Höhe eines Anspruchs auf Kosten für Unterkunft und Heizung.

Der Kläger hatte vor einem Umzug nach B im November 2008 SGB II-Leistungen von der ARGE Trier erhalten. Wegen Kündigung seiner damaligen Wohnung in M zum 30.11.2008 hatte die ARGE Trier für Dezember 2008 nur noch die volle Regelleistung gezahlt.

Von der Beklagten erhielt der Kläger auf einen Alg II-Antrag vom 11.12.2008 mit Wirkung ab 1. Januar 2009 351 EUR Alg II plus 260 EUR Unterkunftskosten, obwohl er seit 5.12.2008 zur Untermiete wohnte mit einer monatlichen Miete von 245 EUR + 95 EUR Betriebs- und Heizkosten. Die Begrenzung der Unterkunftskosten auf 260 EUR begründet der Beklagte mit der fehlenden Zustimmung der ARGE Trier zu dem Umzug.

Gegen den Bewilligungsbescheid erhob der Kläger Widerspruch, mit der er geltend machte, seit 5.12.2008 Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten zu haben.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3.2.2009 zurück. Für den Monat Dezember 2008 sei die ARGE Trier zuständig.

Hiergegen richtet sich die am 9. März 2009 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage. Der Kläger trägt vor, er sei nach Trennung von seiner Ehefrau nur vorübergehend in M untergekommen. Dort habe er 285 EUR Miete zahlen müssen. Der Aufenthalt in B seit dem 14.11.2008 sei von der ARGE Trier zunächst als vorübergehende Ortsabwesenheit genehmigt worden, er habe sich dann am 1.12.2008 telefonisch endgültig nach B abgemeldet. Vom 14.11. bis 4.12.2008 habe er in einem Hostel übernachtet, nach Aussicht auf Bezug einer Wohnung im Bezirk K habe er sich am 28.11.2008 beim dortigen Job Center gemeldet und Alg II beantragt. Das Wohnungsangebot habe sich jedoch zerschlagen. Er habe nicht gewusst, dass für die neue Wohnung das Job Center Charlottenburg-Wilmersdorf zuständig war. Darum sei er erst am 11.12.2008 dort vorstellig geworden.

Die Bevollmächtigte des Klägers beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19.12.2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 3.2.2009 zu verurteilen, dem Kläger mit Wirkung ab 5.12.2008 die tatsächlichen Unterkunftskosten abzüglich evt. Haushaltsenergiepauschalen zu gewähren.

Die Beklagtenvertreterin beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogene Leistungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet. Zu Recht macht der Kläger geltend, ihm müsse ein höherer Betrag für die Miete ab Beginn des Mietverhältnisses zuerkannt werden.

Der Kläger hat mittels Schreiben des Job Centers Friedrichshain-Kreuzberg nachgewiesen, dass er dort am 28.11.2008 SGB II-Leistungen beantragt hatte. Da er sich seinerzeit nicht nur besuchsweise in Berlin aufhielt, war zunächst das Job Center Friedrichshain-Kreuzberg örtlich zuständig (§ 36 SGB II), mit Wohnsitznahme im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf wurde der Beklagte zuständig, der nach Anmietung einer Wohnung gegen Entgelt auch die – angemessenen – Unterkunftskosten zu übernehmen hat.

Ob der Kläger beim Job Center Friedrichshain-Kreuzberg erst zum 1.1.2009 Alg II beantragte oder der Antrag nur fehlerhaft so aufgenommen wurde, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn der am 28.11.2008 noch wohnungslose Kläger in der Annahme, die von der ARGE Trier weitergezahlte Regelleistung stehe ihm bis zum 31.12.2008 zu, Alg II erst ab 1.1.2009 beantragt haben sollte, schadet das nicht, da er bei verständiger Würdigung seines Vorbringens die Leistungen beantragen wollte, die ihm von Gesetzes wegen zustehen; das waren ab 28.11.2008 die Regelleistungen nach § 20 SGB II und ab 5.12.2008 die Unterkunftskosten nach § 22 SGB II.

Dass er sich erst am 11.12.2008 beim Job Center Charlottenburg-Wilmersdorf meldete, ist unerheblich, da der Alg II-Antrag vom 28.11.2008 gemäß § 16 SGB I fortwirkte.

Der Untermietzins liegt im Bereich der 1-Personen-Bedarfsgemeinschaften von den Berliner Job Centern zugestandenen Brutto-Warmmiete (360 EUR, ab März 2009 378 EUR). Es kann daher offen bleiben, ob dieser Wert die angemessenen Unterkunftskosten richtig widerspiegelt.

Auf die Miete der Wohnung in M kann der Kläger nicht verwiesen werden. Auch ohne Zustimmung des SGB II-Trägers am Wegzugsort hat der Kläger Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Wohnung am Zuzugsort, soweit diese angemessen sind. Denn unter Berücksichtigung der vorgetragenen Umstände (Verlust der früheren Wohnung wegen Trennung, bloße Übergangslösung in M) war ein Umzug nach B erforderlich i.S. von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, was eine Kappung auf die Vormiete ausschließt.

Aber selbst wenn man die Erforderlichkeit des Umzugs in Abrede stellt, kommt § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II wegen des überregionalen, nicht allein zur Optimierung von Wohnansprüchen vorgenommenen Umzugs, nicht zur Anwendung. Das Gericht folgt hier der nach Normzweck und Gesetzesbegründung richtigen Auffassung, dass eine Mietkappung nur den nicht notwendigen Wohnungswechsel unter Ausnutzung regionaler Angemessenheitsgrenzen, also innerhalb eines örtlichen Wohnungsmarktes, verhindern will (s. dazu Berlit LPK-SGB II § 22 Rdnr. 51).

Verstünde man die Vorschrift als reine Kostenschraube (so wohl LSG Berlin-Brandenburg vom 10.9.2009 - L 34 AS 1724/08), wäre infolge schwerwiegender Wertungswidersprüche das Willkürverbot nach Art. 3 GG verletzt in dem Sinne, dass der Gesetzgeber Leistungsbeschränkungen nach einem in sich stimmigen Konzept regeln muss (BVerfG vom 9.12.2008 – 2 BvL 1/07: Pendlerpauschale). Denn rein kostenorientiert wäre es im Vergleich zur Personengruppe der nicht notwendig Umziehenden, die sich bei der Wohnungssuche generell an der Vormiete orientieren müssen, nicht gerechtfertigt, einen notwendig umziehenden Hilfebedürftigen generell von der Verpflichtung zu befreien, keine höheren Unterkunftskosten entstehen zu lassen, auch wenn er am Zuzugsort ohne Mühe eine zumutbare Wohnung zur bisherigen Miete finden kann; anders gewendet: die Erforderlichkeit eines Umzugs besagt nicht, dass zum rechtzeitigen Auffinden einer angemessenen Wohnung am Zuzugsort stets eine Ausschöpfung der dortigen Angemessenheitsgrenzen notwendig ist.

Im Vergleich zur Gruppe der wegen Trennung oder verschuldetem Wohnungsverlust notwendig, also mit der Erlaubnis zur Kostensteigerung, umziehenden Personen wäre es außerdem nicht zu rechtfertigen, Umzüge aus sonstigen privat veranlassten Gründen an die Kostenschranke des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II zu binden, darunter auch den Umzug in der Hoffnung, am Zuzugsort bessere Arbeitsmarktchancen zu haben.

Bei nur fiktiv über die Verteilungsregel des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II oder wegen einer prekären Beschäftigung hilfebedürftige Personen kann die Einschränkung der Mobilität nicht mit einem schlichten Argument, sie lebten schließlich von Steuergeldern, gerechtfertigt werden. Haben sie sich mit einer bescheidenen Unterkunft begnügt oder leben sie in einer Region mit hohem Mietleerstand, entfaltet § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der Lesart des LSG Berlin-Brandenburg einen unverhältnismäßigen Eingriff, weil diese Personen wenig Chancen haben, die Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft zu überwinden.

Rein kostenorientiert wäre es überdies unsachgemäß, § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II pauschal auf alle nicht notwendigen Umzüge anzuwenden, da dies den unerwünschten Effekt auslöste, möglichst teuren Wohnraum zu beziehen, um sich die Option eines Umzugs zu erhalten.

Sinn macht die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II also nur, wenn man sie so auslegt, dass der Gesetzgeber nur Kosten steigernde, nicht notwendige Umzüge innerhalb des regionalen Wohnungsmarktes verhindern will, da Kostensteigerungen oberhalb der am Wohn- oder Zuzugsort geltenden Angemessenheitsgrenzen ohnehin vom Regelwerk des § 22 Abs. 1 SGB II verhindert werden. Eine enge, verfassungskonforme Auslegung birgt somit nicht die Gefahr unverhältnismäßiger Kostensteigerungen, im Gegenteil verbieten die ohnehin für alle Umzüge geltenden Angemessenheitsvorschriften eine gegen die Auslegungsregel des § 2 Abs. 2 SGB I getriebene Norminterpretation.

Nach § 13 des Untermietvertrages muss Strom extra gezahlt werden. Die Nebenkosten sind daher nur zu kürzen, wenn das Warmwasser zentral aufbereitet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der nach dem Streitwert von unter 750 EUR ausgeschlossenen Berufung liegen nicht vor, da es hier letztlich auf die noch ungeklärte Rechtsfrage der Auslegung von § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht ankommt.
Rechtskraft
Aus
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