L 34 AS 1936/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 78 AS 32099/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 1936/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2009 wird aufgehoben. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den Antragstellerinnen ein Darlehen in Höhe von 2396,00 Euro zur Tilgung der entstandenen Mietschulden durch Überweisung unmittelbar an den Vermieter zu gewähren. Der Antragsgegner hat den Antragstellerinnen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die statthafte und fristgerecht erhobene Beschwerde (vgl. § 172 Abs. 1 und § 173 SGG) der Antragstellerinnen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2009 ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine dahingehende Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) In Verbindung mit § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Anspruchsgrundlage für die Gewährung eines Darlehens ist § 22 Abs. 5 SGB II in der ab dem 1. April 2006 geltenden Fassung (BGBl. I S. 558). Hiernach können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Schulden sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (Satz 4). Die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Insbesondere ist Hilfe zur Sicherung der Unterkunft erforderlich. Denn die Vermieterin hat zwar nach Aktenlage bereits im Dezember 2009 Räumungsklage erhoben. Nach fernmündlicher Auskunft ist sie aber bereit, das Mietverhältnis unter der Voraussetzung fortzusetzen, dass die Mietschulden getilgt werden.

Darüber hinaus ist Voraussetzung für eine vom Antragsgegner zu treffenden Ermessensentscheidung bzw. ein nach § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II regelmäßig auszuübendes gebundenes Ermessen, dass die Hilfe zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage "gerechtfertigt ist". Bei der Voraussetzung der Rechtfertigung einer Schuldenübernahme handelt sich um ein Tatbestandsmerkmal der Vorschrift, das als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 25. September 1996 – 4 L 4040/95 – Juris Rdnr. 24; Schmidt in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, Stand: März 2009, § 22 SGB II Rdnr. 146; Dauber in: Mergler/Zink, SGB XII, Stand: August 2008, § 34 Rdnr. 11).

Bei der Prüfung der Frage, ob die Leistung gerechtfertigt ist, ist u.a. von Bedeutung, wie es zur Notlage gekommen ist. Die Übernahme der Schulden ist regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten o.ä.) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können. Nicht gerechtfertigt ist die Übernahme von Schulden, wenn z. B. Miete oder Energiekostenabschläge im Vertrauen darauf nicht gezahlt werden, dass der Leistungsträger die Miet- und/oder Energieschulden später übernehmen werde (BT-Drs. 13/2440 S. 19 zur Vorläuferregelung des § 15a des Bundessozialhilfegesetzes) oder Mietschulden dadurch entstanden sind, dass der Hilfesuchende trotz Belehrung durch den Träger in einer unangemessen teuren Wohnung verblieben ist und die Differenz zwischen angemessenen und tatsächlichen Kosten nicht aufgebracht hat (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. März 1999 – 4 M 756/99 – Juris Rdnr. 23). Auch soll durch eine Übernahme der Schulden nicht nachträglich verantwortungsloses Verhalten der Leistungsberechtigten honoriert und hierdurch eine fehlende Eigenverantwortlichkeit weiter gestärkt werden (vgl. Dauber, a.a.O., Rdnr. 11).

Im vorliegenden Fall ist zunächst von Bedeutung, dass die Mietschulden nach Aktenlage aus von ihnen zu vertretenden Gründen entstanden sind. Die ihnen gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II enthielten jeweils einen Anteil für die Kosten der Unterkunft, so dass es den Antragstellerinnen oblegen hätte, die monatliche Mietzahlungen an die Vermieterin zu entrichten. Demgegenüber haben die Antragstellerinnen ausweislich des Schreibens der Berliner Stadtmission vom 19. Oktober 2009 mit diesen Leistungen "eine Geldstrafe zur Abwendung einer drohenden Inhaftierung bezahlt".

Diese zweckwidrige Verwendung der Leistungen für die Unterkunft und die Heizung kann nicht dazu führen, dass der Antragsgegner diese Kosten nunmehr quasi ein zweites mal im Wege der Darlehensgewährung nach § 22 Abs. 5 SGB II zu übernehmen hat. Denn § 22 Abs. 5 SGB II begründet, wie auch aus der tatbestandlichen Voraussetzung der Rechtfertigung für die Schuldenübernahme folgt, vielmehr einen Ausnahmetatbestand, der bei der grundsätzlich nicht durch das SGB II beabsichtigten Aufgabe der privaten Schuldentilgung insbesondere dem gesetzgeberischen Ziel, Obdachlosigkeit zu vermeiden, Rechnung trägt.

Im vorliegenden Einzellfall sind aber die folgenden Besonderheiten zu berücksichtigen. Die Wohnung der Antragstellerinnen ist ihnen nach Aktenlage bereits im "Rahmen des geschützten Marktsegments" vermittelt worden. Nach fernmündlicher Auskunft des die Antragstellerin zu 1) unterstützenden Sozialarbeiters der Stadtmission ist anzunehmen, dass die Antragstellerinnen bei Verlust ihrer Wohnung auf längere Dauer wohnungslos werden. Da sich die Antragstellerin zu 2) derzeit in Ausbildung zur Mediengestalterin befindet, ist zu befürchten, dass diese Ausbildung nicht erfolgreich beendet werden kann. Zudem sind beide Antragstellerinnen nach Aktenlage psychisch erkrankt. Die Antragstellerin zu 1) befindet sich deshalb in regelmäßiger ärztlicher Behandlung. Die Antragstellerin zu 1) wurde deshalb bereits in der Vergangenheit stationär behandelt. Schließlich erhält die Antragstellerin zu 1) Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch. Diese Hilfen werden erbracht, wenn Personen diese Schwierigkeiten nicht aus eigener Kraft überwinden können. Der insoweit vorgenannte Sozialarbeiter hat die Situation der Antragstellerinnen in seinem Schreiben vom 11. Dezember 2009 geschildert und fernmündlich bestätigt, dass die Antragstellerin zu 1) die Hilfe in Anspruch nimmt. So finden nunmehr regelmäßig 1 x wöchentlich Besprechungen und Hausbesuche statt, in dem die Probleme erörtert und Lösungen gesucht werden. Der Sozialarbeiter hat insoweit eine positive Prognose gestellt.

Vor diesem Hintergrund war der Beklagte im vorliegenden Einzelfall zur Gewährung eines Darlehens zu verpflichten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war kein Raum. Im Hinblick auf den in diesem Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch des Antragstellers für das einstweilige Rechtschutzverfahren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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