S 18 (23) AS 69/08

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 (23) AS 69/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung im Rahmen der Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem SGB II als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann sowie der gemeinsamen Tochter. Mit Antrag vom 10.01.2008 beantragte die Klägerin die Fortzahlung der Leistungen nach dem SGB II bei der Beklagten. Dem Fortzahlungsantrag war ein als Erstantrag auf Gewährung von Krankenkostzulage nach § 21 Abs. 5 SGB II überschriebenes Formular beigefügt. Ausweislich der auf dem Formular abgegebenen ärztlichen Stellungnahme von Dr. U aus S bedarf die Klägerin einer mit Mehrkosten verbundenen Krankenkost wegen Diabetes mellitus Typ II. Mit Bewilligungsbescheid vom 25.01.2008 bewilligte die Beklagte der Klägerin sowie deren Ehemann und der gemeinsamen Tochter Leistungen nach dem SGB II für den Bewilligungszeitraum vom 01.02.2008 - 31.07.2008. Die Beklagte berücksichtigte hierbei für die Klägerin die gesetzliche Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes von 312,- EUR sowie den Anteil der Klägerin an den Kosten der Unterkunft und Heizung von 71,11 EUR. Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde nicht erhoben. Mit Bescheid vom 11.02.2008 lehnte die Beklagte dann die Gewährung eines Mehrbedarfs für krankheitsbedingte kostenaufwändige Ernährung bei der Klägerin ab, nachdem laut amtsärztlicher Stellungnahme die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht vorlägen. Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin am 04.03.2008 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 01.04.2008 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die Entscheidung im Widerspruchsbescheid wurde damit begründet, dass bei der Klägerin keine spezielle Ernährung aufgrund der Diabeteserkrankung erforderlich sei, sie benötige lediglich eine ausgewogene Mischkost. Diese sei mit in der Bemessung der Regelleistung enthalten.

Mit Schreiben vom 29.04.2008, welches bei Gericht am 05.05.2008 einging, hat die Klägerin Klage erhoben.

Sie ist der Auffassung, sie benötige für eine Diabeteskost einen Mehrbedarf. Hierzu verweist sie auf den Beschluss des Landessozialgerichts Hessen vom 15.02.2007 (Az. L 7 AS 241/06 ER).

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.02.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.04.2008 zu verpflichten, ihr einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Klägerin benötige keinen Mehrbedarf, da ihr durch eine Ernährung mit Mischkost keine Mehrkosten entstünden. Hierzu verweist sie insbesondere auf den Begutachtungsleitfaden für Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

Das Gericht hat ein Gutachten aus einem Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund (Az.: S 31 AS 20/07) von der Sachverständigen Frau N sowie ein Gutachten aus einem Verfahren vor dem Sozialgericht Aachen (Az.: S 9 AS 34/06) von der Sachverständigen Frau Dr. I in dieses Verfahren eingeführt. Die Gutachten wurden den Beteiligten im Rahmen des Erörterungstermins am 17.06.2009 zur Kenntnisnahme überreicht. Ausweislich des Gutachtens von Frau Dr. I führt eine Diabeteserkrankung zu keinem finanziellen Mehraufwand bei den Nahrungsmittelkosten. Ausweislich des Gutachtens benötigen Diabetiker prinzipiell keine andere Ernährung als gesunde Erwachsene. Insbesondere benötigen sie keine speziellen, in der Regel teuren Diabetikerprodukte. Ausweislich des Gutachtens von Frau N sind bei einer Diabetes mellitus keine besonderen Lebensmittel erforderlich. Zur Ernährung bei Diabetes ist eine ausgewogene vollwertige Kost empfohlen, Diätprodukte gehören nicht zu einer diabetesadaptierten Kost. Im Rahmen einer diabetesorientierten Ernährung entsteht kein Mehrbedarf.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die Akten lagen vor und waren Gegenstand der gerichtlichen Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte im Einverständnis mit den Beteiligten gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert gem. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte hat es zurecht abgelehnt, im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II bei der Klägerin einen Mehrbedarf wegen krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung zu berücksichtigen.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist lediglich die Frage, ob die Klägerin für den Zeitraum vom 01.02.2008 - 31.07.2008 einen Anspruch gegen die Beklagte darauf hat, dass diese bei der Gewährung der Leistungen nach dem SGB II einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zu berücksichtigen hat und insoweit höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren sind. Grundsätzlich handelt es sich bei der Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung nicht um eine abtrennbare Verfügung, die einen abgrenzbaren Streitgegenstand darstellt. Sondern der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II stellt vielmehr ein Berechnungselement der Leistungen des Sicherung des Lebensunterhaltes im Rahmen des SGB II dar (Landessozialgericht NRW, Beschluss vom 14.01.2009, L 9 B 165/08 AS NZB; a.A. Landessozialgericht NRW, Urteil vom 12.03.2009, L 7 AS 102/08 sowie Landessozialgericht NRW, Urteil vom 12.03.2008, L 12 AS 43/06). Nachdem die Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 25.01.2008 bereits Leistungen ausgehend von der Regelleistung sowie der anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung für die Klägerin für den Zeitraum vom 01.02.2008 bis 31.07.2008 bewilligt hat, ist der Bescheid vom 11.02.2008 als Ablehnung der Abänderung des ursprünglichen Bewilligungsbescheides unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für krankheitsbedingte kostenaufwändige Ernährung nach § 40 Abs. 1 SGB II, § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III), § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu werten (so auch SG Detmold, Urteil vom 31.03.2009, S 11 AS 178/07). Nachdem der ursprüngliche Bewilligungsbescheid bestandskräftig geworden ist, da gegen ihn kein Widerspruch erhoben wurde und auch seitens der Beteiligten nur über die Frage der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II gestritten wurde, ist Gegenstand des Klageverfahrens lediglich die Frage, ob die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid zurecht entschieden hat, dass der Klägerin lediglich die mit Bescheid vom 25.01.2008 gewährten Leistungen für die Monate Februar bis Juli 2008 ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs zustehen.

Die angefochtene Entscheidung der Beklagten, mit der sie die Berücksichtigung eines Mehrbedarfs zu Gunsten der Klägerin abgelehnt hat, erweist sich als rechtmäßig, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs aufgrund einer krankheitsbedingten kostenaufwändigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II. Die Voraussetzungen für einen entsprechenden Mehrbedarf liegen in der Person der Klägerin nicht vor. Für die Gewährung eines Mehrbedarfs für eine kostenaufwändige Ernährung ist erforderlich, dass aus medizinischen Gründen eine besondere Ernährungsform erforderlich ist sowie, dass diese Ernährungsform kostenaufwändiger ist als eine normale Ernährung. Die bei der Klägerin vorliegende Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II erfordert keine besondere Ernährung, die zusätzliche Kosten erfordert. Ausweislich der Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulage in der Sozialhilfe (Stand: 01.10.2008) erfordert eine Diabeteserkrankung die Ernährung mit normaler Vollkost. Die Kosten für eine normale Vollkost sind jedoch bereits im Regelsatz enthalten. Eine Vollkost ist eine Kost, die den Bedarf an notwendigen Nährstoffen deckt, in ihrem Energiegehalt den Energiebedarf der Person berücksichtigt, die Erkenntnisse der Ernährungsmedizin berücksichtigt und in ihrer Zusammensetzung den üblichen Ernährungsgewohnheiten angepasst ist (Kluthe u.a., Das Rationalisierungsschema 2004, Aktuel ErnährMed 2004, Seite 245 ff.). Diese "normale Ernährung" ist durch den Regelsatz abgedeckt (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2008, L 25 B 1731/08 AS ER; LSG NRW, Urteil vom 28.07.2008, L 20 SO 13/08). Da bei der Erkrankung an Diabetes mellitus Typ II eine Ernährung mit normaler Vollkost erforderlich ist, verursacht dies auch keinen krankheitsbedingten Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung (LSG Hessen, Beschluss vom 22.12.2008, L 7 SO 7/08 B ER; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.03.2009, L 8 AS 68/08; LSG NRW, Beschluss vom 29.05.2009, L 19 B 79/09 AS). Das Gericht konnte seiner Entscheidung auch die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankheitskostzulagen vom 01.10.2008 zugrunde legen, da diesen auch für Zeiträume vor ihrer Veröffentlichung die Rechtsnatur eines antizipierten Sachverständigengutachtens zukommt (LSG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.02.2009, L 9 B 339/08 AS). Ungeachtet dessen sind die neuen Empfehlungen des Deutschen Vereins jedenfalls als Orientierungshilfe zu verwenden, von denen eine Abweichung nur bei konkreten nachgewiesenen Anhaltspunkten im Einzelfall geboten ist (LSG Hessen, Beschluss vom 22.12.2008, L 7 SO 7/08 B ER). An solchen Anhaltspunkten fehlt es im vorliegenden Fall. Denn ausweislich der ärztlichen Stellungnahme von Dr. U liegt bei der Klägerin lediglich eine Diabetes mellitus Typ II vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin aufgrund ihrer Diabeteserkrankung medizinisch bedingt einen vom Normalbedarf abweichenden kostenaufwändigen Nahrungsmittelbedarf hat ergeben sich weder aus der Verwaltungsakte noch aus dem klägerischem Vorbringen. Dieses Ergebnis wird auch durch die beiden in dieses Verfahren eingeführten Gutachten von Frau N sowie von Frau Dr. I gestützt. Diese kommen in ihren Gutachten jeweils beide übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass bei Vorliegen einer Diabetes grundsätzlich keine von der normalen Ernährung abweichende Ernährungsweise erforderlich ist, die einen finanziellen Mehrbedarf auslösen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe dafür nach § 144 Abs. 2 SGG die Berufung zuzulassen, liegen nicht vor. Die Berufung ist zulassungsbedürftig, da ausgehend vom Streitgegenstand, nämlich der Gewährung eines Mehrbedarfs für die Zeit von Februar bis Juli 2008, der Berufungsstreitwert von 750,- EUR nicht erreicht wird. Gründe für die Zulassung der Berufung liegen jedoch nicht vor. Denn die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab und beruht auf dieser Abweichung. Insbesondere ist die Berufung nicht gem. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG wegen Divergenz zuzulassen. Zwar weicht die Entscheidung von der Rechtsprechung des 7. und 12. Senates des Landessozialgerichts NRW zur Frage des eigenständigen Streitgegenstands im Hinblick auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II ab. Jedoch beruht das Urteil nicht auf dieser Abweichung. Entscheidungserheblichkeit im Sinn von § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nur vor, wenn die Entscheidung unter Zugrundelegung der abweichenden Auffassung anders hätte ausfallen müssen (Meyer-Ladewig, Leiterer, SGG, § 160 Rn. 15). Hieran fehlt es vorliegend, da unabhängig von der Frage, ob ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II ein eigenständiger Streitgegenstand ist die Klage aus den zuvor genannten materiell-rechtlichen Gründen keinen Erfolg hatte.
Rechtskraft
Aus
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