S 128 AS 5210/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
128
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 128 AS 5210/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
:
1. Die Bescheide vom 29. September 2008 in der Fassung der Bescheide vom 4. Dezember 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2009 werden abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin zu 1. für den Zeitraum vom 1. November 2008 bis zum 31. Januar 2009 über die bereits bewilligten Leistungen hinaus weitere 0,84 EUR monatlich zu gewähren. Die Bescheide vom 2. Februar 2009 in der Fassung der Bescheide vom 3. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2009 werden aufgehoben, soweit mit ihnen die Leistungsbewilligung mit Bescheiden vom 4. Dezember 2008 für den Zeitraum vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 teilweise aufgehoben wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Der Beklagte hat den Klägern deren außergerichtliche Kosten zur Hälfte zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1958 geborene Klägerin zu 1. lebt zusammen mit ihrem ebenfalls 1958 geborenen Ehemann, dem Kläger zu 2., der von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bezieht, die ab dem 1. Juli 2008 845,50 EUR monatlich beträgt (Zahlbetrag). Die monatliche Miete belief sich für die Kläger warm auf 425,- EUR bis 31. Oktober 2008, 448,73 EUR ab dem 1. November 2008 und 489,90 EUR ab dem 1. Februar 2009. Der Kläger zu 2. wendet für eine KfZ-Haftpflichtversicherung monatlich 62,88 EUR auf.

Auf Antrag bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. mit Bescheiden vom 8. August 2008 monatliche Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 267,29 EUR (Bewilligungsabschnitte 1. September 2008 bis 28. Februar 2009 sowie 1. März 2009 bis 31. August 2009). Die Bewilligungshöhe ergab sich aus dem Regelsatz von monatlich 316,- EUR sowie Unterkunfts- und Heizkosten von 206,52 EUR, wobei in Bezug auf letztere nur die Hälfte der tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten bewilligt wurde, weil der Kläger zu 2. kopfteilig berücksichtigt wurde. Auf den Bedarf der Klägerin zu 1. rechnete der Beklagte das Einkommen des Klägers zu 2. im Umfang von 255,23 EUR an. Dabei zog er vom Zahlbetrag der Rente von monatlich 845,50 EUR den mit 522,52 EUR errechneten Bedarf sowie die Versicherungspauschale von 30,- EUR und Aufwendungen für eine KfZ-Versicherung in Höhe von 37,75 EUR ab.

Am 28. August 2008 beantragte die Klägerin zu 1. beim Beklagten die Übernahme der Betriebskostennachzahlung für 2007 in Höhe von 470,09 EUR. Mit Schreiben vom 29. September 2008 teilte der Beklagte der Klägerin zu 1. mit, die Nachzahlung werde in Höhe von 235,05 EUR auf deren Konto überwiesen. Hiergegen legte die Klägerin zu 1. Widerspruch ein. Diesen Widerspruch wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2009 zurück (W .../08). Hiergegen hat die Klägerin zu 1. Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben; das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen S 176 AS. 2./09 anhängig.

Mit Änderungsbescheiden vom 29. September 2008 berücksichtigte der Beklagte höhere Aufwendungen der Kläger für Unterkunft und Heizung ab dem 1. November 2008 bis zum 31. August 2009 und bewilligte der Klägerin zu 1. monatliche Leistungen von 279,16 EUR. Hiergegen legte der Kläger zu 2. Widerspruch ein. Er könne nicht nachvollziehen, welches Einkommen berücksichtigt werde. Es könne nicht sein, dass ihm nur 0,- EUR zustünden. Die Klägerin zu 1. legte ebenfalls Widerspruch ein. Sie bitte um die volle Übernahme der Betriebskosten.

Mit weiteren Änderungsbescheiden vom 4. Dezember 2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. für September 2008 292,42 EUR, für Oktober 2008 459,64 EUR, für den Zeitraum 1. November 2008 bis 31. Januar 2009 monatlich 316,16 EUR und für die Zeit danach bis zum 31. August 2009 monatlich 392,34 EUR.

Mit Bescheid vom 2. Februar 2009 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. für Oktober 2008 522,52 EUR. Mit noch einem Bescheid vom 2. Februar 2009 bewilligte der Beklagte für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 monatlich 387,34 EUR.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2009 hob der Beklagte die Entscheidung vom 4. Dezember 2008 ab dem 1. März 2008 (gemeint ist der 1. März 2009) im Umfang von 35,- EUR monatlich auf. "Der Bescheid vom 02.02.2009" sei als gegenstandslos zu betrachten. Näheres sei einem beigefügten Änderungsbescheid zu entnehmen. In diesem Bescheid vom 3. Februar 2009 wurden der Klägerin zu 1. für die Zeit vom 1. März 2009 bis zum 31. August 2009 Leistungen in Höhe von monatlich 357,34 EUR bewilligt.

Die Bewilligungshöhe errechnete der Beklagte wie folgt:

Für die Monate November 2008 bis Januar 2009 ging der Beklagte neben dem Regelsatz von Gesamtaufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 436,78 EUR aus, von denen er bei der Klägerin zu 1. 218,39 EUR berücksichtigte. Aufgrund des auch für den Kläger zu 2. gestiegenen Eigenbedarfs rechnete der Beklagte Einkommen nur noch in Höhe von 218,23 EUR an.

Ab Februar 2009 lag dem Bewilligungsbescheid vom 4. Dezember 2008 folgende Berechnung zugrunde. Von den Unterkunfts- und Heizkosten von 477,96 EUR bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. die Hälfte, 238,98 EUR. Auf den Bedarf von 554,98 EUR rechnete der Beklagte nur noch Einkommen des Klägers zu 2. im Umfang von 162,64 EUR an. Dabei berücksichtigte er neben den Unterkunfts- und Heizkosten von 238,98 EUR sowie der Versicherungspauschale und der KfZ-Versicherung in Höhe von insgesamt 92,88 EUR den Regelsatz für Alleinstehende in Höhe von 351,- EUR und kam so zu einem höheren Bedarf des Klägers zu 2. und einer entsprechend geringeren Anrechnung seines Einkommens auf den Bedarf der Klägerin zu 1. Ausweislich eines Aktenvermerks erkannte der Beklagte den erhöhten Ansatz des Regelsatzes als Fehler und reduzierte mit Bescheid vom 2. Februar 2009 die Leistungen ab März 2009, indem er im Rahmen der Bedarfsberechnung des Klägers zu 2. nur noch einen Regelsatz von 316,- EUR berücksichtigte und Einkommen des Klägers zu 2. auf den Bedarf der Klägerin zu 1. in Höhe von 197,64 EUR anrechnete. Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2009 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen haben die Kläger am 21. Februar 2009 Klage erhoben. Sie wenden sich gegen die Anrechnung der Rente des Klägers zu 2. auf den Bedarf der Klägerin zu 1. Auch habe der Beklagte nicht im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bewilligte Leistungen nachträglich reduzieren dürfen. Sie rügen die Verletzung von Verfassungs- und Europarecht.

Die Kläger beantragen,

die Bescheide vom 29. September 2008 in der Fassung der Bescheide vom 4. Dezember 2008 in der Fassung der Bescheide vom 2. Februar 2009 und in der Fassung der Bescheide vom 3. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2009 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, ihnen für die Zeit vom 1. November 2008 bis zum 31. August 2009 höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

Der Beklagte beantragt schriftlich,

die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf die Ausführungen in seinem Widerspruchsbescheid.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die Bescheide vom 29. September 2008 in der Fassung der Bescheide vom 4. Dezember 2008 in der Fassung der Bescheide vom 2. Februar 2009 und in der Fassung der Bescheide vom 3. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2009 sind teilweise rechtswidrig und verletzen die Klägerin zu 1. insoweit in ihren Rechten.

Gegenstand der Klage ist nur der Zeitraum vom 1. November 2008 bis zum 31. August 2009. Denn die Kläger haben sich nur gegen die Änderungsbescheide vom 29. September 2008 gewendet, die nur diesen Zeitraum behandeln. Die nachfolgenden Änderungsbescheide konnten dementsprechend auch nur insoweit Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nach § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden, als sie diesen Zeitraum betreffen. Daher hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2009 auch nur über diesen Zeitraum entschieden.

Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Betriebskostennachzahlung für 2007. Ein Nachzahlungsverlangen gehört zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 - B 14 AS 36/08 R), der hier nicht Streitgegenstand ist.

Dem Kläger zu 2. stehen keine, der Klägerin zu 1. teilweise höhere Leistungen nach dem SGB II zu. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Dem Anspruch des Klägers zu 2. auf Leistungen steht § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 entgegen, weil er nicht erwerbsfähig ist. Erwerbsfähig ist nach § 8 Abs. 1 SGB II, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Der Kläger zu 2. bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer, weil er weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Ihm steht auch kein Sozialgeld nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu, denn er hat einen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, weil er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer bezieht (vgl. Birk in LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 28, Rn. 12 f.).

Der Klägerin zu 1. stehen für die Zeit von November 2008 bis Januar 2009 in geringem Umfang höhere als die ihr bewilligten Leistungen zu. Der maßgebliche Bedarf ist anhand der gesetzlich vorgesehenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff. SGB II) zu bestimmen. Nach § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Der Regelsatz beträgt für die Klägerin zu 1. vorliegend bis zum 30. Juni 2009 316,- EUR und ab dem 1. Juli 2009 323,- EUR. Die Unterkunfts- und Heizkosten belaufen sich auf 448,73 EUR ab dem 1. November 2008 und 489,90 EUR ab dem 1. Februar 2009. Von diesem Bedarf für Unterkunft und Heizung steht der Klägerin zu 1. "kopfteilig" die Hälfte, hier 224,37 EUR ab dem 1. November 2008 und 244,95 EUR ab dem 1. Februar 2009 zu. Abzuziehen sind Aufwendungen für Warmwasserbereitung bis zum 30. Juni 2009 in Höhe von 5,70 EUR und ab dem 1. Juli 2009 in Höhe von 5,82 EUR monatlich (vgl. auch Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 11. Januar 2010 – IIb6 – 29101/1). Der Bedarf beträgt demnach für Unterkunft und Heizung vom 1. November 2008 bis zum 31. Januar 2009 218,67 EUR, vom 1. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2009 239,13 EUR und ab dem 1. Juli 2009 239,01 EUR. Zuzüglich dem Regelsatz ergibt sich ein Bedarf vom 1. November 2008 bis zum 31. Januar 2009 in Höhe von 534,67 EUR, vom 1. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2009 555,13 EUR und ab dem 1. Juli 2009 562,01 EUR.

Auf diesen Bedarf ist das Einkommen der Kläger anzurechnen, namentlich die Rente wegen voller Erwerbsminderung des Klägers zu 2. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Dazu gehören auch Rentenzahlbeträge, ohne dass eine Privilegierung nach § 11 Abs. 3 SGB II oder nach § 1 Abs. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V) eingreift (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2007 - B 11b AS 27/06 R). Vom Renteneinkommen von 845,50 EUR sind die Versicherungspauschale und die KfZ-Versicherung im Umfang von insgesamt 92,88 EUR abzuziehen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. September 2009 - L 32 AS 412/08). Das berücksichtigungsfähige Einkommen von 752,62 EUR ist weiter zu mindern um den fiktiven Eigenbedarf des Klägers zu 2., hier also für die Zeit vom 1. November 2008 bis zum 31. Januar 2009 in Höhe von 534,67 EUR, vom 1. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2009 555,13 EUR und ab dem 1. Juli 2009 562,01 EUR. Als anzurechnendes Einkommen verbleibt vom 1. November 2008 bis zum 31. Januar 2009 217,95 EUR, vom 1. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2009 197,49 EUR und ab dem 1. Juli 2009 190,61 EUR.

Weniger als das errechnete Einkommen ist auf den Bedarf der Klägerin zu 1. nicht anzurechnen. Nicht maßgeblich für die Bestimmung des Bedarfs des Klägers zu 2. ist sein unterhaltsrechtlicher Selbstbehalt. Die Regelungen des SGB II folgen – wie das BSG in seiner den Klägern offenbar unbekannten Rechtsprechung entschieden hat - nicht den Kriterien des Unterhaltsrechts (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 14/06 R - SozR 4-4200 § 20 Nr. 1). Der Gesetzgeber darf typisierend davon ausgehen, dass innerhalb familienhafter Beziehungen die Verteilung der für das Existenzminimum der einzelnen Personen notwendigen Leistungen entsprechend den individuellen Bedarfen erfolgt. Dabei darf er auch einen gegenseitigen Willen, füreinander einzustehen, voraussetzen, der über bestehende Unterhaltspflichten hinausgeht. Aus dem das SGB II bestimmenden Grundsatz der Subsidiarität, § 3 Abs. 3 SGB II, folgt der Grundsatz, dass zur Überwindung einer Notlage zunächst der Partner einer ehelichen oder vergleichbaren Lebensgemeinschaft in Anspruch genommen wird, bevor staatliche Hilfe gewährt wird. Daraus rechtfertigt sich auch, dass für den Partner nur das in seinem Fall existenziell Notwendige als sein Bedarf anzusetzen ist.

Der ohne Nennung von Normen und Rechtsprechung vorgebrachte verfassungs- und europarechtliche Einwand greift nicht durch. Die Frage, ob das Nichtbelassen des unterhaltsrechtlichen Selbstbehaltes verfassungsgemäß ist und namentlich, ob ein Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 und Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vorliegt, war bereits im Recht nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und dem Recht der Arbeitslosenhilfe umstritten (vgl. die vorzügliche Darstellung des Meinungsstandes im Urteil des OVG Brandenburg vom 27. November 2003 - 4 A 220/03 – juris). Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 17. November 1992 (1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234 ff.) entschieden, die in § 138 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 9 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) vorgeschriebene Einkommensanrechnung unter nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten sei wegen Verstoßes gegen Artikel 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Artikel 6 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Die Besonderheiten des Sozialhilferechts lassen indes eine Übertragung der in dieser Entscheidung getroffenen Aussagen auf die Einkommensanrechnung nach dem BSHG nicht ohne weiteres zu. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar eine durch die Anrechnungsregelung des AFG verursachte Missachtung des Lebensstandardprinzips als gleichheitswidrig beurteilt. Die Anrechnungsregelung des BSHG trifft dies aber bereits deshalb nicht, weil das Sozialhilferecht dieses Prinzip nicht kennt. Sozialhilferechtliche Ansprüche sind vielmehr - ohne dass dies verfassungsrechtlich zu beanstanden wäre - von vornherein und generell auf die Sicherung des Existenzminimums beschränkt (vgl. § 1 BSGH). Entsprechendes gilt demnach auch für das Recht nach dem SGB II, denn dieses knüpft an das vormalige Recht der Sozialhilfe an. Dementsprechend hat auch das Bundessozialgericht auf die Andersartigkeit des SGB II als existenzsichernde Leistung im Vergleich zur bisherigen Arbeitslosenhilfe Bezug genommen und etwaige Schlechterstellungen der Bedürftigen durch das Recht des SGB II im Verhältnis zum Recht der Arbeitslosenhilfe nicht beanstandet (vgl. BSG, Urteil vom 6. Dezember 2007 - B 14/7b AS 22/06 R – juris).

Allerdings könnte der vom Bundesverfassungsgericht im genannten Urteil gegenüber der Einkommensanrechnung im AFG erhobene Einwand, dass die durch die Art des Vollzuges des § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG durch die Arbeitsverwaltung entstehenden Unterschiede zwischen dauernd getrennt lebenden und nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten bei der Berücksichtigung des Einkommens ein Ausmaß erreiche, dass nicht mehr sachlich gerechtfertigt sei und im Widerspruch zu Artikel 6 Abs. 1 GG stehe, da es sogar Ehepaare zum Getrenntleben veranlassen könne, auch die Einkommensanrechnung nach § 11 SGB II treffen. Allerdings ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die in der genannten Entscheidung festgestellten erheblichen Unterschiede sich aufgrund des Vollzugs eines und desselben Gesetzes ergaben. Vorliegend ergeben sich die feststellbaren Unterschiede in der Anrechnung des Einkommens der mit einem Hilfebedürftigen in einem gemeinsam Haushalt lebenden Ehegatten gegenüber der Heranziehung eines von ihm getrennt lebenden, "nur" im Rahmen bestehender zivilrechtlicher Unterhaltsansprüche heranzuziehenden Ehegatten daraus, dass es sich um unterschiedliche, einerseits im Rahmen des Rechts der Grundsicherung für Arbeitsuchende und andererseits des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrechts erfolgende Maßnahmen handelt. Beide Rechtsgebiete unterscheiden sich nach Funktion und Regelungskonzept aber so wesentlich, dass "Grundsätze und Bestimmungen des auf Erwägungen der öffentlichen Fürsorge beruhenden Sozialhilferechts ... zur Lösung privatrechtlicher Unterhaltsprobleme grundsätzlich nicht herangezogen werden" können (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1995 - XII ZR 80/94 - NJW 1995, 1486 ff.) und umgekehrt. In der Zusammenfassung der Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft zu einer Bedarfs- oder Einstandsgemeinschaft drückt sich die Erfahrung des täglichen Lebens aus, dass die eng miteinander Lebenden "aus einem Topf" wirtschaften, so dass es geboten ist, auch in gewissem Umfang die Mittel zusammenzufassen, die den einzelnen Mitgliedern der Wirtschafts- und Lebensgemeinschaft zufließen. Die Einkommens- und Vermögensberücksichtigung knüpft nicht an bürgerlich-rechtliche Unterhaltsregelungen und insbesondere nicht an das Bestehen einer Unterhaltsverpflichtung und deren Umfang an, sondern stellt eine - widerlegbare - öffentlich-rechtliche Bedarfsdeckungs- oder Leistungserwartung dar. Maßgeblich für einen Anspruch auf Sozialhilfe und dementsprechend auch für den Anspruch nach dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist allein, ob tatsächlich Hilfsbedürftigkeit vorliegt. Die dem Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende – wie auch schon dem Recht nach dem BSHG - zugrunde liegende Vermutung, dass in einem gemeinsamen Haushalt zusammen lebende Ehegatten sich derart füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, stellt einen hinreichenden, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden sachlichen Grund für die getroffene Anrechnungsregelung dar (vgl. zum Ganzen OVG Brandenburg, Urteil vom 27. November 2003 – a. a. O.).

Die Nachteile, die sich für mit ihren Ehegatten in einem Haushalt zusammen lebende Unterhaltspflichtige durch die Anrechnungsregelung des § 11 SGB II ergeben, sind auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere ist auch ohne die Berücksichtigung eines dem bürgerlich-rechtlichen Selbstbehalt entsprechenden Bedarfs zugunsten des mit Hilfebedürftigen zusammenlebenden Unterhaltspflichtigen nicht feststellbar, dass sie etwa so weit gehen, dass Ehepaare zum Getrenntleben veranlasst werden könnten. Denn die stärkere Heranziehung des Einkommens eines mit dem Hilfebedürftigen in einem Haushalt lebenden Ehegatten ist jedenfalls insoweit gerechtfertigt, als ihr Einsparungen gegenüberstehen, die zusammenlebende Haushaltsangehörige infolge des Wirtschaftens aus einem Topf gegenüber getrennt lebenden Unterhaltspflichtigen erwirtschaften können (vgl. BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 - 1 BvL 8/87 -, a. a. O.). Dies schließt einen Rückgriff auf den bürgerlich-rechtlichen Selbstbehalt im Rahmen des § 11 SGB II aus.

Liegt demnach kein Verstoß gegen das GG vor, so ist ein Verstoß gegen Europarecht überhaupt nicht erkennbar.

Der Anspruch der Klägerin zu 1. beträgt also vom 1. November 2008 bis zum 31. Januar 2009 316,72 EUR, vom 1. Februar 2009 bis zum 30. Juni 2009 357,64 EUR und ab dem 1. Juli 2009 371,40 EUR.

Mit weiteren Änderungsbescheiden vom 4. Dezember 2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin zu 1. für den Zeitraum 1. November 2008 bis 31. Januar 2009 316,16 und für die Zeit danach bis zum 31. August 2009 392,34 EUR.

Das bedeutet, dass der Klägerin für den Zeitraum vom 1. November 2008 bis 31. Januar 2009 wegen § 41 Abs. 2 SGB II 317,- EUR monatlich zuzusprechen sind. Für die Monate Februar bis August 2009 sind ihr hingegen höhere Leistungen bewilligt worden als ihr zustehen. Hierdurch ist die Klägerin zu 1. nicht beschwert. Sie kann aber jedenfalls keine höheren Leistungen beanspruchen.

Diese Bescheide vom 2. und 3. Februar 2009, soweit mit ihnen Leistungen für den Zeitraum 1. März 2009 bis 31. August 2009 im geringeren Umfang bewilligt worden sind als mit Bescheid vom 4. Dezember 2008, sind aufzuheben. Der Sache nach handelt es sich bei den Bescheiden vom 2. und 3. Februar 2009 um (Teil)Aufhebungsbescheide, die Leistungen für die Zukunft teilweise aufheben. Grundlage für die Aufhebung kann nur § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Verbindung mit den §§ 45, 48 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) sein, wobei wegen § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 2 und 3 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) Ermessen nicht auszuüben wäre, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X oder des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X vorlägen.

Die Bescheide vom 2. Februar und 3. Februar 2009 sind rechtswidrig, verletzen die Klägerin zu 1. in ihren Rechten und sind aufzuheben. Sie können nicht auf § 48 SGB X gestützt werden, weil eine Änderung in den Verhältnissen nach Erlass des Bescheides vom 4. Dezember 2008 nicht ersichtlich ist. Vielmehr waren die Bescheide vom 4. Dezember 2008 von Anfang an rechtswidrig. Insoweit hätten im Ansatz keine Bedenken bestanden, die Leistungsbewilligung für die Zukunft aufzuheben. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Im Grundsatz ist § 45 SGB X also eine Vorschrift, die die Ausübung von Ermessen erfordert. Dies gilt sowohl für Aufhebungen für die Vergangenheit als auch für die Zukunft (vgl. SG Mainz, Urteil vom 6. August 2008 – S 3 AS 214/06; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2006 - L 29 B 1104/05 AS ER). Nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X gilt wegen § 330 Abs. 2 SGB III, dass Ermessen nicht auszuüben ist. Dessen Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. In Betracht kommt allenfalls, dass die Klägerin zu 1. grob fahrlässig im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X gewesen ist. Grobe Fahrlässigkeit ist immer dann zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, das heißt seine Urteilsfähigkeit und sein Einsichtsvermögen, im Übrigen auch sein Verhalten (vgl. Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 25. Februar 2005 - L 1 AL 84/03). Dies ist hier fernliegend. Die Klägerin zu 1. konnte bei der Vielzahl der Änderungsbescheide, die offensichtlich auch den Beklagten in arge Probleme gebracht haben, nicht erkennen, dass und gegebenenfalls in welchem Umfang die Bescheide vom 4. Dezember 2008 rechtswidrig gewesen sind. Dies hat sich auch in der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2010 nach dem persönlichen Eindruck der Kammer von der Klägerin zu 1. bestätigt.

Ermessen hat der Beklagte nicht ausgeübt. Hiervon dürfte er nicht absehen. Die Voraussetzungen für eine so genannte Ermessensreduzierung auf Null dahingehend, dass nur eine Kürzung des Anspruchs der Klägerin zu 1. rechtsfehlerfrei ist, liegen nicht vor. Die Ermessensreduzierung auf Null stellt einen seltenen Ausnahmefall dar. Sie setzt voraus, dass es nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine anderweitige - den Betroffenen in der Regel ganz oder teilweise begünstigende - Entscheidungsfindung rechtsfehlerfrei zuließen (vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2002 - B 3 P 8/01 R). Dies ist in aller Regel - auch hier - nicht der Fall (BSGE 55, 250, 254; BSGE 60, 239, 240; BSGE 64, 36, 38).

Im Ergebnis erhält die Klägerin zu 1. demnach für die Monate November 2008 bis Januar 2009 geringfügig höhere Leistungen. Für den Zeitraum Februar 2009 bis August 2009 bleiben ihr die rechtswidrig zu hoch mit Bescheid vom 4. Dezember 2008 zuerkannten Leistungen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Für den Beklagten ist die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht zulässig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt für ihn nicht 750,- EUR. Die Berufung ist insoweit nicht zuzulassen, denn Zulassungsgründe nach § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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