L 10 AS 216/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 175 AS 37038/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AS 216/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Keine isolierte Feststellung der Erfordlichkeit des Auszugs im Rahmen eines (einstweiligen) Zusicherungsverfahrens nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Dezember 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Berlin ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Eilrechtsantrag als unzulässig erachtet.

Die 1979 geborene Antragstellerin zu 1 ist die Mutter der 2009 geborenen, nicht prozessfähigen (vgl § 71 Abs 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm §§ 104ff Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) Antragstellerin zu 2, mit der sie eine Bedarfsgemeinschaft iS von § 7 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 3 Nr. 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bildet. Da der Antragstellerin zu 1 das alleinige Sorgerecht für die Antragstellerin zu 2 zusteht, ist sie auch alleinvertretungsbefugt (§ 1629 Abs. 1 Satz 3 BGB). Die Antragstellerinnen verfolgen mit ihrer Beschwerde ihr erstinstanzliches Begehren weiter, im Wege einer Regelungsanordnung (§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG) die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihnen einstweilen zuzusichern (bzw. zu erklären), dass der Auszug aus ihrer bisherigen Wohnung erforderlich ist, nachdem die Antragsgegnerin mit (i.S. von § 77 SGG) noch nicht bindend gewordenem Bescheid vom 21. August 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2009 den am 11. August 2009 gestellten Antrag abgelehnt hatte, den Umzug in eine (nicht benannte) 2,5 oder 3 Zimmerwohnung zu genehmigen, der damit begründet worden war, dass die derzeit innegehabte 47 qm große Wohnung nach der Geburt der Antragstellerin zu 2 zu klein geworden sei.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Ein Anordnungsanspruch – die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist – sowie der Anordnungsgrund – die Eilbedürftigkeit der sofortigen Regelung – sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).

Bei dem Erlass einer Regelungsanordnung ist das Gericht an die Entscheidungsmöglichkeiten im Hauptsacheverfahren gebunden. Dementsprechend kann eine Regelungsanordnung nur auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet sein, der auch im Rahmen einer Klage erreicht werden könnte. Daran fehlt es hier.

Das Verpflichtungsbegehren wäre nämlich mangels Klagebefugnis (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG) unzulässig, weil schon die Möglichkeit eines solchen Anspruchs auf Elemententeilvorabentscheidung nicht besteht (vgl. Bundessozialgericht (BSG) SozR 3-2600 § 149 Nr 6; vgl auch Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. April 2009 – L 28 B 2179/08 AS ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de, S. 2).

Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in der hier anwendbaren Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706) soll der erwerbsfähige Hilfebedürftige vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist nur zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen (§ 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II).

Für eine isolierte Entscheidung über die Erforderlichkeit eines Auszugs aus der bisher innegehabten Wohnung ohne Nennung einer Zielwohnung fehlt es im Rahmen des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II an einer speziellen Anspruchsgrundlage. Ein Anspruch auf Erlass eines Bescheides, mit dem die Erforderlichkeit eines Auszugs bindend festgestellt wird, stünde im Widerspruch zum Wortlaut und zum Sinn und Zweck der Vorschrift des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II.

Die Erteilung einer Zusicherung i.S. dieser Norm setzt bereits nach dem Wortlaut die Vorlage eines konkreten Mietvertragangebots über eine bestimmte Wohnung mit einem bezifferten Mietzins voraus. Nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II betrifft die Abgabe der Zusicherung zu den laufenden künftigen Aufwendungen ausdrücklich "die" neue Unterkunft und hängt inhaltlich davon ab, dass der Umzug in diese Unterkunft notwendig ist und die Aufwendungen für "die" neue Unterkunft angemessen sind (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Juni 2009 – L 13 AS 3036/07, juris RdNr 25; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02. April 2009 – L 28 B 2179/08 AS ER, aaO, S 2 und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Januar 2009 – L 5 B 2097/08 AS ER, juris RdNr 18)

Der Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II besteht in der Schaffung von Rechtssicherheit. Für den Hilfebedürftigen soll das Entstehen einer (erneuten) Notlage in Folge einer nur teilweisen Übernahme der Unterkunftskosten vermieden werden. Auch der kommunale Träger muss an einer Entscheidung über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor einem Umzug interessiert sein, um für den Fall der Unangemessenheit der neuen Wohnung das Entstehen weiterer Kosten durch einen dann erforderlichen zweiten Umzug zu verhindern (Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, Stand: November 2009, RdNr 102 zu K § 22).

Dies gilt auch und insbesondere vor dem Hintergrund, dass auch die begehrte Zusicherung immer nur situativ Gültigkeit beanspruchen kann. Treten nach Abgabe einer allein den Auszug betreffenden Zusicherung, aber vor Bezug einer neuen Wohnung Änderungen im personellen Umfang der Bedarfsgemeinschaft ein, beispielsweise durch Hinzutreten einer weiteren Person, hätte eine erteilte abstrakte Zusicherung der Art, wie sie von den Antragstellerinnen begehrt wird, für diese keinen praktischen Nutzen mehr (vgl. LSG Baden-Württemberg, aaO, juris RdNr 27).

Es ist gerichtsbekannt, das eine ständige Verwaltungspraxis der Antragsgegnerin nicht existiert, über eine dem formulierten Verpflichtungsbegehren "entsprechende Zusicherung" auf Antrag zu entscheiden. Deshalb kann dahin stehen, ob eine solche ständige Verwaltungsübung im Hinblick auf Art. 3 Grundgesetz (GG) dazu führen könnte, einen solchen Zusicherungsanspruch für möglich zu erachten oder ob eine entsprechende Verwaltungspraxis rechtswidrig wäre und sich daher ein entsprechender Anspruch mit Rücksicht auf die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht (Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG) verböte, weil die Rechtsordnung einen "Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht" bzw. einen "Anspruch auf Fehlerwiederholung" nicht kennt (vgl. nur Bundesverfassungsgericht E 50, 142, 166).

Auch wäre den Antragstellerinnen nicht mit einer Auslegung ihres Antrages als einstweiliges Feststellungsbegehren geholfen. Denn der beabsichtigte rechtliche Erfolg wäre ebenfalls nicht im Rahmen einer Feststellungsklage erreichbar.

Denn eine Feststellungsklage gegen die Antragsgegnerin mit dem Ziel die Erforderlichkeit des Auszugs i.S. von § 22 Abs. 2 SGB II festzustellen, wäre ebenfalls unzulässig. Eine solche Klage wäre schon nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gerichtet. Aber auch soweit vereinzelt - jedoch bisher ohne abschließende Entscheidung über die grundsätzliche Statthaftigkeit - in der Rechtsprechung eine sog Elementenfeststellungsklage ausnahmsweise für möglich gehalten wird, wäre eine solche hier nicht zulässig. Eine solche Klage wird nur für statthaft erachtet, falls der Streit zwischen den Beteiligten durch die gerichtliche Feststellung über ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses vollständig ausgeräumt werden kann (BSG SozR 3-2600 § 58 Nr 9 S 58 mwN). Diese Voraussetzung wäre hier nicht gegeben, weil selbst im Falle einer rechtskräftigen Feststellung der Auszugsnotwendigkeit ein weiterer Streit der Beteiligten darüber, ob die Aufwendungen für eine neue Unterkunft angemessen sind, nicht auszuschließen ist. Soweit diese Voraussetzung in Fällen, in denen die Antragsgegnerin bereits die Umzugs- bzw Auszugsnotwendigkeit bestreitet, mit Rücksicht auf die Rechtsschutzgarantie bzw auf Praktikabilitätserwägungen für entbehrlich erachtet worden ist (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2006 – L 5 B 1147/06 AS ER, juris RdNr 6), kann der Senat dieser Auffassung nicht beitreten. Es ist aus seiner Sicht kein Grund ersichtlich, warum in den Fällen, in denen eine Zusicherung i.S. von § 22 Abs. 2 SGB II abgelehnt wird, es unzumutbar sein soll, um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen, selbst wenn die Gefahr besteht, dass während eines solchen Eilverfahrens Erledigung eintritt, weil die in Aussicht genommenen Zielwohnung anderweitig vermietet wird. Dieses Risiko ist nämlich unausweichliche Folge der Konstruktion des Zusicherungsanspruchs i.S. des § 22 Abs. 2 SGB II und daher von den Hilfebedürftigen hinzunehmen.

Weil nicht auszuschließen ist, dass der Streit zwischen den Beteiligten nicht endgültig bereinigt werden kann, stünde im Übrigen auch der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen bzw ihren Sonderformen (den Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen) der Statthaftigkeit einer Elementenfeststellungsklage entgegen. Obwohl § 55 SGG, anders als § 43 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung und § 41 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung, ein Nachrangverhältnis zwischen den Klagearten nicht ausdrücklich festlegt, ist auch für das sozialgerichtliche Verfahren anerkannt, dass ein Kläger eine gerichtliche Feststellung nicht verlangen kann, soweit er die Möglichkeit hat, seine Rechte mit einer Gestaltungs- oder Leistungsklage zu verfolgen. Ein Feststellungsinteresse ist regelmäßig zu verneinen, wenn bereits im Rahmen der genannten anderen Klagearten, hier der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, mit der ein Zusicherungsanspruch iS von § 22 Abs. 2 SGB II gerichtlich durchgesetzt werden kann, über die Sach- und Rechtsfragen zu entscheiden ist, die der begehrten Feststellung zugrunde liegen(st Rspr.; vgl. nur BSG SozR 4 -2700 § 136 Nr 3 RdNr 21 mwN)Obwohl der Subsidiaritätsgrundsatz allerdings nicht bei Feststellungsklagen gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts gilt, weil angenommen werden kann, dass diese die Leistungsberechtigten angesichts ihrer in der Verfassung verankerten Bindung an Gesetz und Recht auch ohne Leistungsurteil mit Vollstreckungsdruck befriedigen werden (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 – B 1 KR 4/09 R, juris RdNr 17 mwN), gilt diese Ausnahme auch nur dann, wenn zu erwarten ist, dass der Streitfall mit der gerichtlichen Feststellung endgültig geklärt wird, die Gerichte also nicht noch einmal mit der Sache befasst werden müssen, um über weitere streitige Punkte zu entscheiden, die von der begehrten Feststellung nicht erfasst werden (BSG SozR 3-3300 § 38 Nr. 2 Seite 13 mwN). Dies ist aber aus den bereits dargelegten Erwägungen gerade nicht der Fall.

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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