S 6 P 35/10 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 P 35/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegner werden im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens (Az.: S 6 P 111/10 SG Münster) die Veröffentlichung des Transparenzberichts über die Pflegeeinrichtung der Antragstellerin aufgrund der MDK-Prüfung am 19. Oktober 2009 über die Interntportale der Antragsgegner - oder in sonstiger Weise - zu unterlassen. Die Antragstellerin ist vorläufig nicht verpflichtet, den Transparenzbericht in ihrer Einrichtung auszuhängen. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Antragstellerin im Wege einer einstweiligen Anordnung die Unterlassung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts verlangen kann.

In dem gemäß § 72 des Sozialgesetzbuches - Elftes Buch - (SGB XI) durch Versorgungsvertrag zugelassenen Altenwohn- und Pflegeheim der Antragstellerin führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) im Auftrag der Antragsgegner am 19. Oktober 2009 eine Qualitätsprüfung (Regelprüfung) nach §§ 114 ff SGB XI durch.

Der auf der Grundlage des Prüfberichts erstellte, der Antragstellerin mit einem Erkennungscode zugeleitete, aber noch nicht veröffentlichte Transparenzbericht weist als Gesamtergebnis die Note "ausreichend" (4,3) aus. Der Qualitätsbereich "Pflege und medizinische Versorgung" erhielt die Gesamtnote "ausreichend" (4,4). Der Bereich "Umgang mit demenzkranken Bewohnern" wurde mit "mangelhaft" (5,0) bewertet. Im Bereich "Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung" wurde die Einrichtung mit "ausreichend" (4,1) beurteilt. Ein "gut" (2,1) gab es für den Qualitätsbereich "Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene". Als Ergebnis der Befragung der Bewohner, das nicht in das Gesamtergebnis einfließt, wurde die Note "sehr gut" (1,3) angegeben.

Mit einem ausführlichen Schreiben vom 2. Dezember 2009 wandte sich die Antragstellerin gegen die in dem Prüfbericht aufgezeigten Mängel. Die Feststellungen der Prüfer seien weitgehend unzutreffend.

Durch den Bescheid vom 10. Februar 2010 gaben die Antragsgegner sodann der Antragstellerin auf, die vom MDK vorgeschlagenen Maßnahmen zur Beseitigung von Qualitätsdefiziten - teils ab sofort, teils unter Fristsetzung - zu treffen. Die von der Antragstellerin erhobenen Einwendungen wurden unter Berufung auf eine Rücksprache mit dem MDK Westfalen-Lippe zurückgewiesen.

Gegen den Bescheid vom 10. Februar 2010 richtet sich die am 19. Februar 2010 erhobene Klage (Az.: S 6 P 33/10) und der zugleich gestellte Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz (Az.: S 6 P 34/10 ER), mit dem die Antragstellerin die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage begehrt. Ebenfalls am 19. Februar 1010 stellte die Antragstellerin den hier streitigen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit der den Antragsgegnern die Unterlassung der Veröffentlichung des Transparenzberichts aufgegeben werden soll. Eine entsprechende Unterlassungsklage (Az.: S 6 P 111/10) hat die Antragstellerin am 21. Mai 2010 erhoben. Die Antragstellerin trägt vor, der Transparenzbericht beruhe auf einem formell und materiell rechtswidrigen Maßnahmebescheid. Der ihm zugrunde liegende Prüfbericht vom 19. Oktober 2009 sei unzutreffend. Seine Feststellungen seien vielfach offensichtlich unrichtig. Nach dem Bericht über die unangemeldete Heimbegehung nach § 18 des Wohn- und Teilhabegesetzes NRW (WTG) vom 10. September 2009 seien gravierende Mängel nicht festgestellt worden. Es stelle sich die Frage, wie es zu so unterschiedlichen Bewertungen innerhalb sehr kurzer Zeit kommen konnte. Nach der Rechtsprechung der erkennenden Kammer (Beschluss vom 18. Januar 2010, Az.: S 6 P 202/09 ER) sei dem Antrag stattzugeben.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

1. den Antragsgegnern jedenfalls bis zur Entscheidung des Gerichts im Klageverfahren zu untersagen, den Transparenzbericht aufgrund der MDK-Prüfung am 19. Oktober 2009 im Internet oder auf anderem Wege zu veröffentlichen,

2. festzustellen, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet sei, den Trans- parenzbericht in ihrer Einrichtung auszuhängen.

Die Antragsgegner beantragen,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie tragen vor, es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Die Antragsgegner seien nach § 115 Abs. 1 a SGB XI zur Veröffentlichung von Transparenzberichten verpflichtet. Für sie sei eine Fehlerhaftigkeit des MDK-Prüfberichts nicht nachvollziehbar. Auch fehle es an einem Anordnungsgrund. Es sei nicht zu erwarten, dass aufgrund einer Veröffentlichung des Transparenzberichts eine Existenzgefährdung bei der Antragstellerin eintrete. Eine Rufschädigung oder ein wesentlicher Wettbewerbsnachteil stehe nicht zu befürchten, weil die Darstellung des Transparenzberichts im Internet durch einen Kommentar des Einrichtungsträgers ergänzt werden könne. Das Wohlergehen der Bewohner, der Schutz von Leib und Leben sei ein hohes Gut, das der Hinausschiebung der Veröffentlichung von Pflegenoten vorgehe. Aus § 115 SGB XI ergebe sich nicht, dass alle Unstimmigkeiten zwischen den Beteiligten geklärt werden müssten, bevor Pflegenoten veröffentlicht würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, die Verwaltungsakten sowie auf die Streitakten der Verfahren S 6 P 33/10, S 6 P 34/10 ER und S 6 P 111/10 verwiesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Ziel des Begehrens der Antragstellerin ist die Verhinderung der Veröffentlichung eines Transparenzberichts. Deshalb ist die Sicherungsanordnung gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der statthafte Rechtsbehelf. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Dabei genügt es nach der gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 920 der Zivilprozessordnung (ZPO), dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, d.h. überwiegend wahrscheinlich gemacht sind. Ein Anordnungsanspruch liegt bei der hier begehrten Sicherungsanordnung vor, wenn der Antragsteller das Bestehen einer zu sichernden Rechtsposition glaubhaft macht. Ein Anordnungsgrund ist gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass die unmittelbar bevorstehende Gefahr einer Rechtsvereitelung oder Erschwerung der Rechtsverwirklichung durch eine Veränderung des bestehenden Zustands droht. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System. So vermindern sich etwa die Anforderungen an den Anordnungsgrund, wenn der Anordnungsanspruch offensichtlich begründet ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage 2008, § 86 b Rdnrn. 25 a, 27 a, 29).

Ein Anordnungsanspruch ist nach Auffassung der Kammer gegeben. Der Antragstellerin steht ein aus der Abwehrfunktion der Grundrechte abzuleitender öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Eine Veröffentlichung des Transparenzberichts würde das Grundrecht der Antragstellerin auf Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 des Grundgesetzes - GG -) verletzen.

Nach der gesetzlichen Regelung (§ 115 Abs. 1 a, Satz 1 SGB XI) stellen die Landesverbände der Pflegekassen sicher, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität, insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität, für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen verständlich, übersichtlich und vergleichbar sowohl im Internet als auch in anderer geeigneter Form kostenfrei veröffentlicht werden. Hierbei sind die Ergebnisse der Qualitätsprüfungen des MDK zugrunde zu legen (§ 115 Abs. 1 a Satz 2 SGB XI). Konkretisiert wird § 115 Abs. 1 a SGB XI durch die auf der Grundlage des § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vom Spitzenverband Bund der Pflegekassen, der Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erlassene Pflege-Transparenzvereinbarung stationär (PTVS) vom 17. Dezember 2008. Diese beinhaltet die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen. Die Qualitätsprüfung bildet die Grundlage der Transparenzberichte.

Die erkennende Kammer ist in ihrem Beschluss vom 18. Januar 2010 (Az.: S 6 P 202/09 ER) bei der Prüfung der Frage, ob die auf der Basis der PTVS erstellten Transparenzberichte den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Anforderungen genügen, von den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in seiner Glykol-Entscheidung vom 26. Juni 2002 (Az.: 1 BvR 558/912, BVerfGE 105, 252 ff.) ausgegangen. Darin hat das BVerfG zum Problem der Verbreitung marktbezogener Informationen des Staates - um das es auch vorliegend geht - dargelegt, dass die Veröffentlichung solcher Informationen den grundrechtlichen Gewährleistungsanspruch von betroffenen Wettbewerbern aus Art. 12 GG nur dann nicht beeinträchtigt, wenn bei Vorliegen einer staatlichen Aufgabe insbesondere die Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit der Informationen beachtet würden. Blieben - so das BVerfG - selbst nach sorgsamer Aufklärung des Sachverhalts im Rahmen des Möglichen Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, könnte eine Verbreitung der - unsicheren - Informationen zulässig sein, wenn sie im öffentlichen Interesse läge und die Marktteilnehmer auf die verbliebenen Unsicherheiten hingewiesen würden (BverfG aaO S. 272).

Die Kammer hat aus dieser Entscheidung abgeleitet, dass bei einer - verfassungskonformen - Auslegung des § 115 Abs. 1 a SGB XI die vom Gesetz vorgesehene Veröffentlichung von Berichten über Qualitätsprüfungen grundsätzlich nur auf der Grundlage zutreffender Tatsachenfeststellungen erfolgen dürfe. Sofern aufgrund substantiellen Vorbringens gegen die Feststellungen im Prüfbericht erhebliche Zweifel an der Richtigkeit eines Prüfergebnisses bestünden, hätten die Antragsgegner die Pflicht, diesen Zweifeln vor der Veröffentlichung nachzugehen. Die gesetzliche Bestimmung des § 115 Abs. 1 a SGB XI erlaube nicht die Veröffentlichung zweifelhafter Berichte. Sei der Sachverhalt noch nicht - wie es das BVerfG verlange - sorgsam aufgeklärt, müsse solange die Veröffentlichung unterbleiben. Unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/7439, S. 217) hat die Kammer hervorgehoben, dass dem Verbraucherinteresse und dem Ziel der Qualitätsentwicklung in der Pflege nur "verlässliche Informationen" dienen könnten.

Darüber hinaus hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 18. Januar 2010 die Auffassung vertreten, dass die auf der Grundlage der PTVS erstellten Transparenzberichte den gesetzlichen Anforderungen auch deshalb nicht entsprächen, weil in § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI ausdrücklich betont sei, dass die von Pflegeeinrichtungen erbrachten Leistungen und deren Qualität "insbesondere hinsichtlich der Ergebnis- und Lebensqualität" veröffentlicht werden sollten. Anhand von Beispielen hat die Kammer aufgezeigt, dass die Prüfkriterien überwiegend lediglich Dokumentationsdefizite feststellten, kaum aber die tatsächlich erreichte Ergebnis- und Lebensqualität messen könnten. Bei dieser Auffassung hat sich die Kammer auch auf die Feststellung im Vorwort der PTVS gestützt, nach der die Vertragsparteien die Vereinbarung in dem Wissen geschlossen hätten, dass es "derzeit keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung in Deutschland gibt". Es bestehe Einvernehmen, diese Vereinbarung anzupassen, sobald "pflegewissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" vorlägen. Solange jedoch "valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" überhaupt nicht vorlägen, könnte es nach Ansicht der Kammer auch keine Prüfberichte geben, die der gesetzlichen Anforderung des § 115 Abs. 1 a Satz 1 SGB XI genügten. Prüfberichte, die dem gesetzlichen Anspruch nicht entsprächen, seien rechtswidrig und verletzten das Grundrecht der Einrichtungsträger aus Art. 12 GG.

In seinem Beschluss vom 10. Mai 2010 (Az.: L 10 P 10/10 B ER) hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - LSG NRW - eine andere Auffassung vertreten. Einstweiliger Rechtsschutz durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung sei in Fällen der vorliegenden Art - grundsätzlich - nicht zu gewähren. Eine gerichtliche Überprüfung der Transparenzberichte habe sich darauf zu beschränken, ob ein faires, neutrales, objektives und sachkundiges Prüfverfahren angewandt werde. Da Prüfaussagen immer auch Werturteile darstellten, stünde dem Prüfer von Pflegeeinrichtungen ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Offensichtliche und besonders schwerwiegende formelle oder inhaltliche Mängel seien - im Falle des LSG - nicht ersichtlich. Auch fehle es an einem Anordnungsgrund, weil nicht zu erwarten sei, dass eine Existenzgefährdung der Antragstellerin als Folge der Veröffentlichung des Transparenzberichts eintreten könnte.

Dieser Rechtsprechung vermag die Kammer nicht zu folgen.

Die Sozialgerichte München (Beschluss vom 13. Januar 2010, Az.: S 19 P 6/10 ER), Nürnberg (Beschluss vom 18. Februar 2010, Az.: S 9 P 16/10 ER) und Frankfurt (Beschluss vom 23. März 2010, Az.: S 18 P 16/10 ER) haben in ihren Entscheidungen mit eingehenden Begründungen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in § 115 Abs. 1 a Satz 6 SGB XI vorgesehene Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf die Vertragspartner der PTVS erhoben. Anders als das LSG NRW teilt die Kammer diese Bedenken. Sie neigt zu der Auffassung, dass dem Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 80 Abs. 1 GG, dem Vorbehalt des Gesetzes und dem aus dem Demokratie- (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) als auch dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Wesentlichkeitsgrundsatz (BVerfG E 64, 208/214 f) allenfalls dann Genüge getan wäre, wenn zumindest die grundlegende Entscheidung, ob die Veröffentlichung von Qualitätsberichten durch ein Notensystem erfolgen soll, vom Gesetzgeber selbst getroffen worden wäre. Eine im Internet veröffentlichte, umfassende und fortwährende hoheitliche Bewertung der Leistung von Pflegeeinrichtungen durch Schulnoten berührt nämlich intensiv und nachhaltig die Berufsausübungsfreiheit der Einrichtungsträger. Die Beantwortung dieser verfassungsrechtlichen Fragen kann allerdings dahinstehen, weil die Entscheidung der Kammer nicht von der Verfassungsmäßigkeit des § 115 Abs. 1 a SGB XI abhängt. Denn der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat auch aus anderen Gründen Erfolg. Eine Vorlage gemäß Art. 100 GG an das BVerfG - die auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglich wäre, wenn die Eilentscheidung die Hauptsache (wie hier) weitgehend vorwegnimmt - kommt deshalb im Ergebnis nicht in Betracht.

Unabhängig von der Frage, ob die Vorschrift des § 115 Abs. 1 a SGB XI selbst verfassungsmäßig ist, ist nämlich - entgegen der Rechtsaufassung des LSG NRW - festzustellen, dass die Veröffentlichung eines Transparenzberichts auf der Grundlage der PTVS zu einer Grundrechtsverletzung des Einrichtungsträgers führt. Dabei geht die Kammer mit dem LSG NRW davon aus, dass die Veröffentlichung eines Transparenzberichts - ungeachtet seiner sachlichen Richtigkeit - einen unmittelbaren Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit des Trägers der Pflegeeinrichtung darstellt. Die Veröffentlichung eines Transparenzberichts ist - so auch das LSG - als grundrechtsspezifische Einwirkung auf die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Betätigungsfreiheit zu qualifizieren, die zumindest die Marktchancen der Einrichtungsträger beeinflusst. Dem LSG folgt die Kammer auch darin, dass es sich von der Eingriffsintensität her um eine Berufsausübungsregelung und damit nach der Drei-Stufen-Theorie des BVerfG dogmatisch - im Vergleich zu subjektiven und objektiven Zulassungsregelungen - um einen Eingriff auf der untersten Intensitätsstufe handelt, so dass die Anforderungen an die Rechtfertigung grundsätzlich (theoretisch) geringer sind. Aber auch Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit sind mit Art. 12 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn sie durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls getragen werden und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, wenn also das gewählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Januar 1997, Az.: 2 BvR 1915/91). Wie die erkennende Kammer in ihrem Beschluss vom 18. Januar 2010 verweist auch das LSG NRW in seinem Beschluss vom 10. Mai 2010 für den hier zu prüfenden Fall einer hoheitlichen Marktinformation durch Veröffentlichung eines Transparenzberichts auf die Vorgaben des BVerfG in seiner Glykol-Entscheidung vom 26. Juni 2002 (Az.: 1 BvR 558/91).

Das BVerfG hat in diesem Beschluss dargelegt (Rdnr. 49):

"Marktbezogene Informationen des Staates beeinträchtigen den grundrechtlichen Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber nicht, sofern der Einfluss auf wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für staatliches Informationshandeln erfolgt. Verfassungsrechtlich von Bedeutung sind das Vorliegen einer staatlichen Aufgabe und die Einhaltung der Zuständigkeitsordnung sowie die Beachtung der Anforderungen an die Richtigkeit und Sachlichkeit von Informationen." Ferner hat das BVerfG (Rdnr. 60) ausgeführt:

"Die inhaltliche Richtigkeit einer Information ist grundsätzlich Voraussetzung dafür, dass sie die Transparenz am Markt und damit dessen Funktionsfähigkeit fördert. Der Träger der Staatsgewalt kann allerdings zur Verbreitung von Informationen unter besonderen Voraussetzungen auch dann berechtigt sein, wenn ihre Richtigkeit noch nicht abschließend geklärt ist. In solchen Fällen hängt die Rechtmäßigkeit der staatlichen Informationstätigkeit davon ab, ob der Sachverhalt vor seiner Verbreitung im Rahmen des Möglichen sorgsam und unter Nutzung verfügbarer Informationsquellen, gegebenenfalls auch unter Anhörung Betroffener, sowie in dem Bemühen um die nach den Umständen erreichbare Verlässlichkeit aufgeklärt worden ist. Verbleiben dennoch Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht, ist der Staat an der Verbreitung der Informationen gleichwohl jedenfalls dann nicht gehindert, wenn es im öffentlichen Interesse liegt, dass die Marktteilnehmer über einen für ihr Verhalten wichtigen Umstand, etwa ein Verbraucherrisiko, aufgeklärt werden. In solchen Fällen wird es angezeigt sein, die Marktteilnehmer auf verbleibende Unsicherheiten über die Richtigkeit der Information hinzuweisen, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Ungewissheit umgehen wollen."

Das LSG NRW (juris, Rdnr. 37) vertritt die Ansicht, der "Gesetzgeber habe sich hinsichtlich der Veröffentlichung von Transparenzberichten an diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gehalten". Dem widerspricht die Kammer. Nach ihrer Auffassung ist die Veröffentlichung von Transparenzberichten auf der Grundlage der PTVS zur Erreichung der Normzwecke weder geeignet noch ist sie verhältnismäßig. Ferner ist den Anforderungen an eine sorgsame Sachverhaltsaufklärung nicht genüge getan. Auch von einer Information der Marktteilnehmer über verbliebene Unsicherheiten kann keine Rede sein.

Das LSG hat die Eignung der Veröffentlichung von Transparenzberichten zur Erreichung der Normzwecke (Markttransparenz, Verbesserung der Pflegequalität) materiell nicht geprüft. Es stellt apodiktisch fest, dass ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Erreichung der Zwecke nicht erkennbar sei und merkt lediglich an - durchaus zutreffend -, dass eine Veröffentlichung von durchgeführten Qualitätsprüfungen durch den Einrichtungsträger selbst ungeeignet wäre (juris, Rdnr. 35). Aus den Umstand, dass die PTVS "in detaillierter Art und Weise die Kriterien der Veröffentlichung sowie die Bewertungssystematik der Qualitätsprüfungen" regelten, schließt das LSG (juris, Rdnr. 30) auf die "Gewährleistung eines neutralen, objektiven und für alle Pflegeheime gleichen Verfahrens". Im Übrigen vertraut das Gericht dem "Sachverstand der Vereinbarungsparteien" und deren "hohe Kompetenz" (juris, Rdnr. 31). Mit der in der Öffentlichkeit und in der Pflegewissenschaft vielfach geäußerten Kritik an der Bewertungssystematik setzt sich das LSG nicht auseinander. Dabei liegt es nach Auffassung der Kammer doch auf der Hand, dass das Benotungssystem der Transparenzberichte bereits deshalb nicht geeignet sein kann, die Qualität in der Pflege zuverlässig abzubilden, weil wichtige, die Pflege unmittelbar betreffende Kriterien (etwa Dekubitusprophylaxe) genauso gewichtet werden wie unwichtige (etwa Lesbarkeit des Speiseplans). Die Bewertungssystematik der PTVS kann durchaus dazu führen, dass sehr gute Pflegeleistungen - bei gewissen Dokumentationsdefiziten - sehr schlecht benotet werden, mangelhafte Pflege beim Pflege-TÜV aber hervorragend abschneidet. So berichtet beispielsweise die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 12. Februar 2010 ("Pflegenoten sind Betrug am Verbraucher") über den Fall eines Pflegeheims, bei dem kurz nach einem von der Heimaufsicht wegen schwerwiegender Mängel verhängten Aufnahmestopp der MDK für den Transparenzbericht die Gesamtnote 1,0 ermittelte.

In der Pflegewissenschaft sind - soweit ersichtlich - keine Stellungnahmen geäußert worden, die das gegenwärtige Bewertungssystem stützen. In seiner eingehenden im Auftrag der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe e. V. erstellten gutachterlichen Stellungnahme vom 21. April 2010 (im Internet veröffentlicht) legt Bonato eine eingehende Methodenkritik dar und kommt zu dem Ergebnis, dass die notwendigen wissenschaftlichen Gütekriterien bei der Bewertungssystematik der PTVS nicht erfüllt seien. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Weibler-Villalobos, Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz, in ihrer Abhandlung "Methodische Anforderungen an einrichtungsbezogene Qualitätsberichte in der Pflege" (veröffentlicht auf der Homepage des MDK Rheinland-Pfalz).

Die Eignung des Bewertungssystems der PTVS mit seinem starren, einheitlichen Prüfkriterien muss nach Ansicht der Kammer auch deshalb in Frage gestellt werden, weil das Notensystem den sehr verschiedenen methodischen und konzeptionellen Ansätzen in der Pflege und Betreuung sowie den vielfältigen unterschiedlichen Versorgungskonzepten in der stationären Versorgung kaum gerecht werden kann (vgl. zu den zahlreichen Konzepten die Grundsatzstellungnahme "Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz in stationären Einrichtungen" des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen - MDS -, November 2009).

Wie im Beschluss der Kammer vom 18. Januar 2010 bereits ausgeführt, folgt die Ungeeignetheit der Prüfberichte zur Erreichung der gesetzlichen Zwecke im Übrigen schon daraus, dass bereits in dem Vorwort der PTVS festgehalten worden ist, dass "pflegewissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse über Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität" bislang nicht vorliegen.

Die Kammer hält die Transparenzberichte mit ihrem Notensystem auch für unverhältnismäßig. Die Zwecke der Markttransparenz und der Verbesserung der Pflegequalität können nach ihrem Dafürhalten mit milderen Mitteln, die die betroffenen Grundrechtsträger weniger belasten, besser verfolgt werden. Die auf Dauer angelegte, regelmäßige, bis ins Einzelne gehende hoheitliche Bewertung mit Noten stellt - unabhängig von dem Grad der Gewähr für ihre Richtigkeit - eine massive Beeinträchtigung der Einrichtungsträger dar. Mittelbar betroffen sind dabei aber auch die Beschäftigten der Pflegeeinrichtungen, deren Arbeitsleistung - in der Regel wohl zu Unrecht - öffentlich herabgewürdigt wird. Der Rückgriff auf Schulnoten statuiert eine Beziehung, die dem Schüler-Lehrer-Verhältnis entspricht. Nach dem Grundrechtsverständnis der Kammer ist ein derartiges, bevormundendes Verhältnis mit der Berufsausübungsfreiheit nur schwerlich vereinbar.

Ein weniger belastendes, milderes Mittel als ein Schulnotensystem wäre z. B. etwa eine beschreibende Bewertung, wie sie in der öffentlichen Diskussion vielfach vorgeschlagen worden ist. Eine solche Bewertung könnte nach Einschätzung der Kammer den Einrichtungen in ihrer Vielgestaltigkeit wohl eher gerecht werden und potentiellen Interessenten etwa durch Angaben zum Personalschlüssel und Fachkräfteanteil auch weitaus aussagekräftigere Informationen geben als kommagenaue Schulnoten.

Entgegen der Auffassung des LSG NRW kann auch nicht "im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit der Pflegebedürftigen" (juris, Rdnr. 37) ein das "wirtschaftliche Interesse der Pflegeeinrichtungen" überwiegendes öffentliches Interesse an der Kenntnis von Pflegenoten angenommen werden. Denn festgestellten Pflegedefiziten können mit den rechtlichen Mitteln der Heimaufsicht, mit einem Maßnahmebescheid gemäß § 115 Abs. 2 SGB XI oder notfalls mit einer Kündigung des Versorgungsvertrages zielgenau und wirkungsvoll entgegengetreten werden. Die Rechtssoziologie bezeichnet den Staat, soweit er nicht durch imperative Eingriffe oder Geldzuweisung sondern durch Informationen, Ermahnungen und Warnungen Einfluss ausübt, als präzeptoralen Staat (vgl. Di Fabio, Grundrechte im präzeptoralen Staat am Beispiel hoheitlicher Informationstätigkeit, JZ, 1993, 689/690). Seine neue Form der Durchsetzung politischer Ziele kann, auch wenn seine Empfehlungen und Informationen dem Bürger lediglich als unverbindliche Dienstleistungen erscheinen, durchaus für die Betroffenen nachteilige Wirkungen auslösen, die denen von Geboten oder Verboten in nichts nachstehen (so Murswiek, Staatliche Warnungen, Wertungen, Kritik als Grundrechtseingriffe, DVBl. 1997, 1021). Damit der rechtsstaatliche Schutz der Freiheitsrechte durch beeinflussende, informationelle Eingriffe nicht unterlaufen wird, dürfen an die Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch staatliches Informationshandeln keine geringeren Anforderungen gestellt werden als bei anderen belastenden hoheitlichen Maßnahmen (so Murswiek, aaO, ähnlich Di Fabio, aaO).

Aus diesem Grund dürfen auch an die in der Glykol-Entscheidung vom BVerfG betonte Voraussetzung der "sorgsamen Sachverhaltsaufklärung" keine geringen Anforderungen gestellt werden (so im Ergebnis auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. März 2010, Az.: L 27 P 14/10 B ER). An einer hinreichenden Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht fehlt es jedoch vorliegend zunächst bereits deshalb, weil die Antragsgegner den von der Antragstellerin substantiiert vorgetragenen Einwendungen gegen die tatsächlichen Grundlagen des Prüfberichts nicht nachgegangen sind.

Des Weiteren kann über die Tatsache, dass es bislang keine pflegewissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung gibt, nicht hinweggegangen werden, wie dies das LSG NRW es für zulässig hält. Trotz der "gegebenen relativen Unsicherheit" sei - so das LSG (juris, Rdnr. 38) - die Veröffentlichung nicht zu beanstanden, weil die Beurteilung von Sachverhalten immer nur im Rahmen "gegenwärtiger Erkenntnisse" erfolgen könne. Seine Behauptung, auch so ließen sich "jedenfalls vertretbare Ergebnisse" erzielen, begründet das LSG allerdings nicht.

Zur Begründung seiner Auffassung, die Richtlinien seien "trotz methodischer Bedenken" weiterhin anzuwenden, solange keine besseren Erkenntnisse verfügbar seien und keine Anpassung erfolgen könne, verweist das LSG auf die Argumentation des Sozialgerichts Köln (Beschluss vom 17. Februar 2010, Az.: S 23 P 9/10 ER). Auch das

Bundessozialgericht (Urteil vom 13. Mai 2004, Az.: B 3 P 7/03 R) habe - so das SG Köln - bei der Bemessung der Pflegebedürftigkeit von Kindern "in vergleichbarer Weise" entschieden, dass die Begutachtungsrichtlinien trotz methodischer Bedenken weiterhin anzuwenden seien, solange keine besseren Erkenntnisse verfügbar seien. Diese Argumentation geht fehl. Zwar hat das BSG in der genannten Entscheidung ausgeführt, dass es nicht zu beanstanden sei, dass die Spitzenverbände der Pflegekassen für den bei der Bemessung der Pflegebedürftigkeit von Kindern maßgebliche Hilfebedarf gesunder Kinder in den Begutachtungsrichtlinien mangels besserer Erkenntnisse Erfahrungswerte (Tabellenwerte) trotz methodischer Bedenken herangezogen hätten. Zugleich hat das BSG aber hervorgehoben, dass die fraglichen tabellarischen Werte insbesondere auch deshalb nicht verbindlich seien, weil es für sie kein wissenschaftlich fundiertes Datenmaterial gebe. Hinzu kommt, dass es bei der Entscheidung des BSG um die Überprüfung eines Leistungsanspruchs ging, während im vorliegenden Rechtsstreit die Rechtmäßigkeit eines hoheitlichen Eingriffs in ein Grundrecht streitig ist.

Das BVerfG (aaO) hat für den Fall, dass trotz sorgsamer Sachverhaltsaufklärung Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht verblieben sind, grundrechtsrelevante marktbezogene Informationen gleichwohl für zulässig erachtet, wenn sie - etwa wegen eines Verbraucherrisikos - im öffentlichen Interesse lägen. Das Gericht hat die Veröffentlichung aber davon abhängig gemacht, dass die Marktteilnehmer auf die verbliebenen Unsicherheiten über die Richtigkeit der Informationen hingewiesen werden, um sie in die Lage zu versetzen, selbst zu entscheiden, wie sie mit der Ungewissheit umgehen wollen.

Das LSG NRW vertritt die Ansicht, auch diese Vorgabe des BVerfG sei bei der Veröffentlichung der Transparenzberichte beachtet worden: "Die Vertragsparteien haben die Marktteilnehmer in dem Vorwort der PTVS ausdrücklich auf das Fehlen pflegewissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse über valide Indikatoren der Ergebnis- und Lebensqualität der pflegerischen Versorgung hingewiesen" (juris, Rdnr. 37). Diese Argumentation kann die Kammer nicht nachvollziehen. Das Eingeständnis im Vorwort der förmlich nicht veröffentlichten PTVS ist keine Information der Marktteilnehmer. Eine ausreichende Information wäre nur gewährleistet, wenn im Transparenzbericht selbst ein Hinweis auf die fehlende wissenschaftliche Grundlage gegeben würde. Enthielten die Transparenzberichte eine derartige Information, würden sie sich allerdings selbst wohl ad absurdum führen.

Die Antragstellerin kann die Unterlassung der Veröffentlichung des von ihr angegriffenen Transparenzberichts auch deshalb verlangen, weil das angegebene Gesamtergebnis und die vier Noten für die verschiedenen Qualitätsbereiche schon rechnerisch entweder falsch sind oder zumindest - je nach Auslegung der PTVS - für den Leser nicht nachvollziehbar sind.

In der Anlage 2 "Bewertungssystematik" der PDVS ist in Ziffer 2.1 bestimmt, dass jedes einzelne Kriterium eine "Einzelbewertung" anhand einer Skala von 0 - 10 erhält, wobei 0 die schlechteste und 10 die beste Bewertung ist. Die Notenzuordnung erfolgt nach einer Tabelle, die z. B. für die Skalenwerte 8,7 - 10 die Note "sehr gut" (1,0 - 1,4) vorsieht. In den Ziffern 2.2 und 2.3 der Anlage 2 ist bestimmt, dass für die einzelnen Qualitätsbereiche sowie als Gesamtbewertung "das arithmetische Mittel der Bewertungen" der Einzelkriterien ausgewiesen wird. Fraglich ist dabei, ob die Gesamtbewertung durch den Mittelwert der den Noten zugrunde liegenden Skalenwerte oder durch das arithmetische Mittel der diesen Werten zugeordneten Noten zu errechnen ist. Dies hat für das Ergebnis Bedeutung, weil die Notenzuordnungstabelle für die jeweiligen Noten unterschiedliche Intervalle vorsieht. So reicht etwa für die Note "mangelhaft" (4,5 - 5,0) der Skalenwert von 0 - 4,49.

In seinem Beschluss vom 29. März 2010 (Az.: L 27 P 14/10 B ER) hat das LSG Berlin-Brandenburg die Auffassung vertreten, dass die Notenbildung aufgrund von vorherigen Punkt-/Skalenbewertungen ausschließlich im Rahmen der Bewertung der Einzelkriterien nicht aber erneut auf der Ebene der Qualitätsbereiche oder der Gesamtbewertung erfolgen dürfe. Die entgegenstehende, in der Praxis durchgeführte Berechnungsweise habe in der Pflege-Transparenzvereinbarung keine Grundlage. Sie könne zu schweren Fehlern führen. Allein deshalb könne ein Veröffentlichungsverbot in Betracht kommen.

Das LSG NRW legt die Ziffern 2.2 und 2.3 der Anlage 2 PTVS ohne nähere Begründung anders aus. Es vertritt - wie die Antragsgegner - die Auffassung, dass auch die Gesamtnote aus dem arithmetischen Mittel der Skalenwerte und nicht aus den daraus gebildeten Noten zu errechnen sei.

Welcher Auslegung den Vorzug zu geben ist, kann die Kammer offen lassen. Denn auch wenn man mit den Antragsgegnern und dem LSG NRW die Berechnung der Noten für die vier Qualitätsbereiche und für die Gesamtnote auf der Basis der Skalenwerte für zutreffend erachten würde, müssten gleichwohl die in den Transparenzberichten mitgeteilten rechnerischen Ergebnisse als intransparent erachtet werden (so im Ergebnis auch Sozialgericht Magdeburg, Beschluss vom 15. April 2010, Az.: S 5 P 19/10 ER). Die Undurchsichtigkeit ist nach Auffassung der Kammer dabei so gravierend, dass allein dieser Umstand die Rechtswidrigkeit der Transparenzberichte begründet.

Im Falle der Antragstellerin weist der Transparenzbericht beispielsweise für den Bereich "Umgang mit demenzkranken Bewohnern" die denkbar schlechteste Note "mangelhaft" (5,0) aus. In einer Fußnote zu dem Bewertungsergebnis für diesen Qualitätsbereich heißt es, dass sich die Bereichsnote "aus den Mittelwerten der Punktebewertung der Einzelkriterien" ergebe. Diese Angabe kann die Berechnung für den Adressaten des Transparenzberichts aber weder durchsichtig noch nachvollziehbar machen. Denn die Punktebewertung für die einzelnen Kriterien wird in dem Transparenzbericht nicht mitgeteilt. Auch das Gericht und die Antragsgegner können die rechnerische Richtigkeit der Benotungen im Übrigen nicht kontrollieren, weil die Skalenwerte selbst in dem den Transparenzbericht zugrunde liegenden Prüfbericht nicht festgehalten sind. Auch wenn die Punktebewertung anhand der umfassenden Feststellungen des MDK im Prüfbericht (möglicherweise) theoretisch abgeleitet werden könnten, bleibt doch festzuhalten, dass die für die einzelnen Kriterien vergebenen Punkte nur der MDK kennt.

Geht man im Falle der Antragstellerin bei der Ermittlung der Durchschnittsnote von den allein bekannt gegebenen Einzelnoten aus, errechnet sich für den Qualitätsbereich "Umgang mit demenzkranken Bewohnern" aus den 10 Kriterien die Durchschnittsnote 4,2. Statt des ausgewiesenen "mangelhaft" entspräche dieser Wert der Note "ausreichend". Auch bei dem Gesamtergebnis ergibt sich ein beachtlicher Unterschied. Der Transparenzbericht stellt als Gesamtnote 4,3 ("ausreichend") fest. Das arithmetische Mittel aus den Einzelnoten beträgt demgegenüber nach der Berechnung der Kammer aufgerundet 3,5 ("ausreichend").

Die Antragsgegner können sich nicht darauf berufen, dass durch die den Transparenzberichten beigefügten "Erläuterungen zum Bewertungssystem" eine ausreichende Klarheit geschaffen worden sei. In dem Abschnitt "Gesamtbewertung" heißt es, als Gesamtbewertung werde "das arithmetische Mittel der Bewertungen der Kriterien 1 - 64 ausgewiesen". Diese Erläuterung kann von einem unkundigen Adressaten wohl nur so verstanden werden, dass das Mittel aus den angegebenen Einzelnoten gebildet wird. Nur auf einer anderen Seite des Transparenzberichts - Abschnitt "Erläuterungen zum Bewertungssystem" - ist demgegenüber u. a. dargelegt worden, dass die Gesamtnote aus dem Mittelwert der Punkte für die einzelnen Kriterien errechnet werde. Eingeleitet wird diese Erklärung unverständlicherweise durch die unzutreffende Angabe, dass jedes Kriterium mit Punkten von einer Skala von 1 - 10 bewertet werde. Wäre diese Angabe richtig - nach den PTVS reicht die Skala von 0 - 10 - wäre für die Einrichtung der Antragstellerin ein deutliches besseres Ergebnis zu erwarten, weil nach der Bewertungssystematik der PDVS (Ziffer 2 der Anlage 2) bei zahlreichen Kriterien, die nur eine dichotome (erfüllt/nicht erfüllt) Bewertung zulassen, auch im Falle der Antragstellerin der Skalenwert 0 vergeben worden sein muss.

Nur als Maginalie erlaubt sich die Kammer in diesem Zusammenhang abschließend den Hinweis, dass auch die - zur vergleichsweisen Einordnung der Gesamtnote - für den "Landesdurchschnitt" angegebene Note "befriedigend" (2,5) irreführend ist. Anders als für die übrigen Bundesländer ist nämlich für das Land Nordrhein-Westfalen keine einheitliche Durchschnittsnote ermittelt worden. Die im Transparenzbericht angegebene Vergleichsnote betrifft nur den Bereich Westfalen-Lippe.

Nach alledem steht der Antragstellerin ein Anordnungsanspruch zu. Aber auch ein Anordnungsgrund ist gegeben. Die drohende Veröffentlichung des Transparenzberichts mit der Gesamtnote "ausreichend" würde zu einem Reputationsschaden der Einrichtung der Anragstellerin führen und sie in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit irreversibel verletzen. Daran könnte auch die der Antragstellerin gegebene Möglichkeit nichts ändern, dem Transparenzbericht eine abweichende Kommentierung - im Umfang von 3000 Zeichen - anzufügen (anderer Ansicht, LSG NRW, juris, Rdnr. 39). Denn ein eigener Kommentar der Pflegeeinrichtung wird gegen die hoheitliche Bewertung nur eine sehr begrenzte Marktwirksamkeit erlangen können (so zutreffend LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29. März 2010, Az.: L 27 P 14/10 B ER). Nach der Auffassung des LSG NRW (juris, Rdnr. 46) ist ein Anordnungsgrund nur anzunehmen, wenn der Träger einer Pflegeeinrichtung durch die Veröffentlichung eines Transparenzberichts "konkret in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht ist". Mit dieser - nach Auffassung der Kammer überzogenen - Anforderung an einen Anordnungsgrund wird das LSG NRW dem aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebot des effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zuletzt Beschluss vom 08. April 2010, Az.: 1 BvR 2709/09, Rdnr. 22, m. w. N.) hat der Grundrechtsträger einen substantiellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle. Der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher - so das BVerfG a. a. O. - nicht nur die Aufgabe zu, jeden Akt der Exekutive, der in Rechte des Grundrechtsträgers eingreift, vollständig der richterlichen Prüfung zu unterstellen, sondern auch irreparable Entscheidungen, wie sie durch die sofortige Vollziehung einer hoheitlichen Maßnahme eintreten können, soweit als möglich auszuschließen.

Die zeitliche Dauer der vorläufigen Untersagung der Veröffentlichung des Transparenzberichts hat die Kammer nach ihrem freien Ermessen gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 938 Abs. 1 ZPO auf die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens in der Hauptsache geknüpft.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197 a SGG i. V. m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) Da der bisherige Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte bietet, war unter Berücksichtigung der Verfahrensart des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte des Auffangwertes anzusetzen.
Rechtskraft
Aus
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