L 7 AS 107/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 28 AS 188/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 107/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 94/10 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 02.03.2009 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers für das Berufungsverfahren zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob dem Kläger für den Zeitraum vom 28.03.2008 bis zum 22.04.2008 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu gewähren sind.

Der 1974 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er wurde am 26.03.2008 aus der Haft (Beginn: 19.08.2005) entlassen. Der Kläger bezog ab diesem Zeitpunkt zur Entwöhnungsbehandlung eine kostenlose Unterkunft im Projekt X e. V. L, Fachklinik für medizinische Rehabilitation. Hier wurde ihm auch kostenlose Vollverpflegung zur Verfügung gestellt. Zum 01.09.2008 verzog er nach L. Bei der Haftentlassung am 26.03.2008 wurde dem Kläger ein Betrag in Höhe von 2.126,32 Euro ausgezahlt, wobei in diesem Betrag ein Überbrückungsgeld in Höhe von 1.794,00 EUR enthalten war.

Unter dem 28.03.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II.

Mit Bescheid vom 20.05.2008 lehnte die Beklagte den Antrag zunächst mit der Begründung ab, der Kläger sei wegen des bei der Haftentlassung erhaltenen Überbrückungsgeldes nicht hilfebedürftig. Hiergegen legte der Kläger unter dem 25.05.2008 Widerspruch ein. Er habe am Tag seiner Entlassung unter Verwendung des Überbrückungsgeldes Schulden in Höhe von 1.700,00 EUR beglichen. Als Nachweis für Einzahlungen zu seinen Gunsten während des Zeitraumes der Inhaftierung legte der Kläger Belege vor.

Mit Abhilfebescheid vom 24.06.2008 hob die Beklagte den angefochtenen Bescheid auf und lehnte den Antrag vom 28.03.2008 nunmehr bis zum 22.04.2008 mit der Begründung ab, der Kläger sei für die Zeit vom 26.03.2008 bis zum 22.04.2008 nicht hilfebedürftig, da er seinen Bedarf vollständig mit dem Überbrückungsgeld bestreiten könne. Mit weiterem Bescheid vom 24.06.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 23.04.2008 bis 30.09.2008, allerdings unter Anrechnung des verbleibenden Überbrückungsgeldes als einmaliges Einkommen in Höhe von 1.430,79 EUR.

Ferner kürzte die Beklagte die dem Kläger bewilligte Regelleistung in der Zeit vom 23.04.2008 bis zum 30.09.2008 um 35 vom Hundert wegen der den Kläger zur Verfügung gestellten kostenlosen Vollverpflegung. Auch gegen diese Bescheide erhob der Kläger unter dem 17.07.2008 Widerspruch.

Mit Widerspruchsbescheid vom 07.08.2008 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück. Als monatlichen Gesamtbedarf des Klägers ermittelte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 480,60 Euro (347,00 Euro Regelleistung, 118,31 Euro Krankenversicherung und 15,29 Euro Pflegeversicherung).

Der Kläger hat am 20.08.2008 beim Sozialgericht (SG) Köln Klage erhoben mit dem Ziel, ungekürzte Leistungen zu erhalten. Entgegen der Ausführungen der Beklagten stelle das Überbrückungsgeld keine einmalige Einnahme oder Einkommen dar, weil das Überbrückungsgeld/Arbeitsentgelt bereits vor seiner Antragstellung auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zugeflossen sei. Es handele sich um geschütztes Vermögen. Zudem habe er vor Beantragung der Leistungen am 28.03.2008 das ihm ausgezahlte Überbrückungsgeld seinem Bruder zur Begleichung der während der 2 Jahre und 8 Monate andauernden Haftzeit von diesem verauslagten Gelder für Tabakwaren, Lebensmittel, Hygieneartikel etc. in Höhe von 1.730,00 Euro zurückgezahlt. Außerdem habe er sich notwendige Kleidungsstücke angeschafft. Außerdem sei die Anrechnung der in der Therapieeinrichtung bereitgestellten Vollverpflegung als Einkommen in Höhe von 35 % der maßgeblichen Regelleistung als Einkommen unzulässig.

Unter dem 24.09.2008 hat die Beklagte einen Änderungsbescheid erlassen und dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 23.04.2008 bis 31.08.2008 ohne Anrechnung des Überbrückungsgeldes bewilligt. Für die Vollverpflegung ging sie von einem sonstigen Einkommen in Höhe von 121,45 Euro (35 % von 347,00 Euro) aus. Nach Abzug eines Pauschbetrages für die Beiträge zu privaten Versicherungen in Höhe von 30,00 Euro rechnete sie als zu berücksichtigendes Einkommen 91,45 Euro an.

In der mündlichen Verhandlung vom 02.03.2009 hat die Beklagte den Klageanspruch sodann insoweit teilweise anerkannt, als sie sich verpflichtet hat, dem Kläger Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 23.04.2008 bis zum 31.08.2008 ohne Berücksichtigung der den Kläger bereitgestellten Vollverpflegung zu bewilligen. Dieses Teilanerkenntnis hat der Kläger angenommen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.05.2008 in der Fassung des Ablehnungsbescheides vom 24.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende für die Zeit vom 28.03.2008 bis zum 22.04.2008 ohne Anrechnung von Einkommen zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass das Überbrückungsgeld für die ersten vier Wochen nach der Haftentlassung als vorrangige Leistungen zu sehen sei, die ein Anspruch auf die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II ausschließe.

Mit Urteil vom 02.03.2009 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.05.2006 (richtig: 20.05.2008) in der Fassung des Ablehnungsbescheides vom 24.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.08.2008 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende in der Zeit vom 28.03.2008 bis zum 22.04.2008 ohne Einkommensanrechnung zu bewilligen und der Beklagten die außergerichtlichen Kosten auferlegt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei dem dem Kläger gewährten Überbrückungsgeld nicht um Einkommen nach § 11 SGB II, sondern um Vermögen gemäß § 12 SGB II handele, weil es ihm vor der Antragstellung ausgehändigt worden sei. Unter Berücksichtigung eines Grundfreibetrages in Höhe von mindestens 3.100 Euro verbleibe kein anzurechnendes Vermögen. Die Regelungen des SGB II über die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen gelten auch für den Personenkreis, der nach § 51 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) Überbrückungsgeld erhält.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten vom 08.04.2009 gegen das ihr am 12.03.2009 zugestellte Urteil des SG hat der Senat mit Beschluss vom 22.09.2009 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das dem Kläger gemäß § 51 Abs. 1 StVollzG ausgezahlte Überbrückungsgeld den Lebensunterhalt für die ersten vier Wochen nach seiner Haftentlassung sichern soll und dementsprechend für die Zeit vom 28.03.2008 bis 22.04.2008 kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestanden habe. Eine Mittellosigkeit des Klägers bei Antragstellung werde bestritten. Bei einer Bewilligung von Leistungen für den streitigen Zeitraum würde sie keinen Abzug von 35 vom Hundert von der Regelleistung vornehmen. Dies entspräche der Weisungslage.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 02.03.2009 zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen, als sie verurteilt worden ist, auch für die Zeit vom 28.03.2008 bis 22.04.2008 Leistungen zu bewilligen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Ergänzend weist er darauf hin, dass er den Restbetrag, den er nach der Geldübergabe in Höhe von 1.700,00 Euro an seine Eltern noch hatte, am Folgetag vor allem für Kleidung ausgegeben habe. Er habe sich neue Kleidung besorgen müssen, weil er in der Haft 15 Kilogramm an Gewicht verloren habe.

Der Kläger hat Unterlagen zur Kontoeröffnung nach der Haftentlassung zu den Akten gereicht. Danach hat er das Konto am 09.04.2008 eröffnet; der erste Kontoauszug wurde am 01.07.2008 erstellt.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen C B (Bruder des Klägers). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 22.04.2010 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger auch für den Zeitraum vom 28.03.2008 bis zum 22.04.2008 ohne Einkommensanrechnung Leistungen zu bewilligen. Grundsätzlich ist das nach § 51 StVollzG gewährte Überbrückungsgeld als Einkommen zu berücksichtigen. Durch den vorzeitigen Verbrauch zur Schuldentilgung war der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung hilfebedürftig. Die bereitgestellte Verpflegung in der Therapieeinrichtung war auch in dem streitigen Zeitraum nicht anzurechnen.

Nach 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Der im streitigen Zeitraum 33-jährige, erwerbsfähige Kläger hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er ist auch hilfebedürftig.

Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Diese Voraussetzungen lagen im streitigen Zeitraum vor. Das dem Kläger bei Haftentlassung ausgezahlte Überbrückungsgeld in Höhe von 1.794,00 EUR, welches zur Überzeugung des Senats grundsätzlich in den ersten vier Wochen nach der Haftentlassung als zu berücksichtigendes Einkommen anzurechnen gewesen wäre, war zum Zeitpunkt der Antragstellung am 28.03. 2008 bereits verbraucht. Auch weitere Mittel standen dem Kläger nicht zur Verfügung. Den Restbetrag hat er nach der Haftentlassung vor allem für Kleidung ausgegeben. Eine Neueinkleidung war erforderlich, da er in der Haft 15 Kilogramm an Gewicht verloren hatte.

Das nach § 51 StVollzG gewährte Überbrückungsgeld stellt grundsätzlich zu berücksichtigendes Einkommen dar, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Antragstellung zugeflossen ist. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 13.05.2009, B 4 AS 49/08 R m.w.N.) Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes wäre vorliegend der dem Kläger bei der Haftentlassung ausgezahlte Betrag in Höhe von 2.126,32 Euro, mithin auch das Überbrückungsgeld in Höhe von 1.794,00 Euro, wie vom SG angenommen, als Vermögen zu bewerten und bereits unter diesem Gesichtspunkt eine Hilfebedürftigkeit zu bejahen. Dem steht jedoch entgegen, dass gemäß § 51 Abs. 1 StVollzG das Überbrückungsgeld den Lebensunterhalt des Gefangenen und seiner Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sicherstellen soll. Damit stellt das Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG eine vorrangige Leistung dar, die wiederum Leistungen nach dem SGB II für die ersten vier Wochen nach Haftentlassung ausschließt. Zum Sozialhilferecht hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Urteil vom 21.06.1990 (5 C 64/86) ausgeführt, dass das Überbrückungsgeld nach § 51 StVollzG bei der Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt in voller Höhe bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist, wobei es im Urteil offen gelassen hat, ob es sich bei dieser Leistung um Einkommen oder Vermögen handelt. Da § 51 Abs. 1 StVollzG eine ausdrückliche Zweckbestimmung enthält, indem es ausführt, dass ein Überbrückungsgeld zu bilden ist, das den notwendigen Lebensunterhalt des Gefangenen und seinen Unterhaltsberechtigten für die ersten vier Wochen nach seiner Entlassung sichern soll, steht fest, dass Zweck des Überbrückungsgeldes gerade die Sicherung des Lebensunterhaltes ist und somit Zweckidentität mit den Leistungen nach dem SGB II besteht.

Trotz grundsätzlicher Anrechnung des Überbrückungsgeldes sind dem Kläger auch für den streitigen Zeitraum Leistungen zu bewilligen. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Antragstellung bedürftig. Dem Kläger stand auch das bei der Haftentlassung gewährte Überbrückungsgeld zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr zur Verfügung. Er hat dieses Geld noch vor Antragstellung zur Begleichung seiner Schulden seinen Eltern übergeben, die den Betrag an den Zeugen B zur weiteren Aufteilung des Betrages weiter gereicht haben. Dies steht zur Überzeugung des Senats nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest. Der Zeuge B hat glaubhaft bekundet, dass der Kläger von der Familie im Strafverfahren und während der Haft unterstützt wurde. Absprachegemäß hat der Kläger nach der Haftentlassung einen Teil der Schulden, nämlich 1.700,00 Euro, von dem Betrag, den er bei Haftentlassung erhalten hat, beglichen. Zur Begleichung der Schulden hat er einen Betrag in Höhe von 1.700,00 Euro seinen Eltern, die ihn bei der Haftentlassung abgeholt haben, übergeben. An der Richtigkeit der Aussage hat der Senat keine Zweifel. Insbesondere steht der Beweiskraft des Aussage des Zeugen nicht entgegen, dass es sich um den Bruder des Klägers handelt. Seine Angaben sind in sich schlüssig und stehen im Einklang mit dem bisherigen Vorbringen des Klägers im Widerspruchs- und Klage- bzw. Berufungsverfahren und dem Inhalt der Streitakten, wonach ein Betrag in Höhe von 1.700,00 Euro zur Begleichung der Schulden verwandt worden ist. Dass der Kläger während der Haftzeit finanziell unterstützt worden ist, ergibt sich nicht nur aus dem Vorbringen des Klägers und des Zeugen, sondern lässt sich auch den von dem Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens eingereichten Belegen entnehmen. Zwar sollte nach der Aussage des Zeugen durch die frühzeitige Aushändigung des Geldbetrages nach der Haftentlassung auch verhindert werden, dass der Kläger den Betrag während der Therapie für andere Dinge ausgibt. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Betrag vor Antragstellung zur Schuldenbegleichung übergeben worden ist und der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung über keine anzurechnenden Einnahmen mehr verfügte.

Soweit in der Rechtsprechung die Ansicht vertreten wird, ein vorzeitiger Verbrauch von einmaligen Einnahmen, z.B. wegen Schuldentilgung, sei unbeachtlich (Bayerisches Landessozialgericht -LSG-, Urteil vom 13.04.2007, L 7 AS 309/06; in diese Richtung BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R), wird diese Auffassung vom erkennenden Senat nicht geteilt. Eine fiktive Anrechnung ist im Hinblick auf die Regelungen der §§ 31 Abs. 4, 34 SGB II nicht gerechtfertigt. Die Sanktionsregelung des § 31 Abs. 4 SGB II besagt, dass auch dem Verschwender gekürztes Alg II zu gewähren ist, belastet mit der Ersatzforderung nach § 34 SGB II. Mögliche Ersatzansprüche gegen den Hilfebedürftigen stehen der Annahme der Hilfebedürftigkeit nicht entgegen (so auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.11.2007, L 10 B 1845/07 AS ER und Beschluss vom 27.11.2007, L 14 B 1818/08 AS ER). Ist von einem Geldbetrag nichts mehr vorhanden, kommen öffentliche Hilfeleistungen in Betracht (Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 09.01.2008, S 2 B 483/07, S 2 B 484/07). Es bleibt der Beklagten unbenommen, zu überprüfen, ob beim Kläger die Voraussetzungen der §§ 31 Abs. 4, 34 SGB II gegeben sind.

Aufgrund seiner Hilfebedürftigkeit sind dem Kläger für den streitigen Zeitraum Leistungen zu gewähren. Eine Anrechnung wegen der bereitgestellten Verpflegung in der Therapieeinrichtung hat auch in dem streitigen Zeitraum nicht zu erfolgen. Zwar sieht die Vorschrift des § 2 Abs. 5 Alg II-VO in der Fassung vom 17.12.2007 vor, dass bereitgestellte Vollverpflegung pauschal in Höhe von 35 Prozent der nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden monatlichen Regelleistung als Einkommen zu berücksichtigen ist. Diese Regelung wird zur Überzeugung des Senats von der Verordnungsermächtigung des § 13 SGB II nicht gedeckt. Eine individuelle Bedarfsermittlung bzw. abweichende Bestimmung der Höhe der Regelleistung ist nach dem Leistungssystem des SGB II gesetzlich nicht vorgesehen. Dies gilt zu Gunsten wie auch zu Lasten des Leistungsberechtigten. Bei der Gewährung von Essen handelt es sich um einen Grundbedarf, der von der Regelleistung des § 20 Abs. 1 SGB II gedeckt werden soll. Nach dem Regelungskonzept des SGB II geht § 20 Abs. 2 SGB II davon aus, dass die in § 20 Abs. 1 SGB II genannten Bedarfe mittels der Regelleistung abschließend und pauschaliert gedeckt werden können (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14 AS 22/07 R). Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 SGB II decken die nach diesem Buch vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe ist nach § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausgeschlossen. Sowenig der Kläger mit dem Aufenthalt in der Therapieeinrichtung verbundene zusätzliche Bedarfe, z.B. Erwerb von Kleidung, bedarfserhöhend gelten machen kann, ist es dem Grundsicherungsträger verwehrt, eine abweichende (niedrigere) Bestimmung des Bedarfs vorzunehmen. Das Ergebnis entspricht auch der von der Beklagten geschilderten Weisungslage, wonach eine Anrechnung der Vollverpflegung nicht vorgenommen wird. Diese Weisungslage beruht auf § 1 Abs. 1 Nr. 11 Alg II-V in der Fassung vom 18.12.2008 (m.W.v. 01.01.2008), wonach nicht als Einkommen Verpflegung zu berücksichtigen ist, die außerhalb der in den §§ 2, 3 und 4 genannten Einkommensarten bereitgestellt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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