L 9 KR 33/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 7 KR 252/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 33/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Will eine gesetzliche Krankenkasse die Versicherungspflicht eines Hilfesuchenden in der GKV nach § 5 Abs. 5a SGB V zu Lasten einer privaten Krankenkasse ablehnen, muss sie die private Krankenkasse an dem bei ihr geführten Verwaltungsverfahren unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) beteiligen und ihr ihre Entscheidung bekannt geben, weil diese wegen der Ausschließlichkeit des Bestehens privaten oder gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes für die private Krankenkasse rechtsgestaltende Wirkung hat. In den sozialgerichtlichen Klageverfahren wie in den Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist dieser Rechtslage durch die Beiladung des privaten Krankenversicherungsunternehmens nach § 75 Abs. 2 SGG Rechnung zu tragen.
2.) Unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert ist nur, wer am Tag vor dem Beginn der Leistungsgewährung privat krankenversichert war.
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Dezember 2009 geändert. Es wird im Wege einstweiliger Anordnung festgestellt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, bis über den Leistungsanspruch des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin unter Beteiligung der Beigeladenen in einem einheitlichen Verwaltungsverfahren bestandskräftig entschieden worden ist.

Gründe:

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe: I. Der 1959 geborene ungelernte Antragsteller war zwischen März 1996 und Dezember 2006 als Kfz-Aufbereiter (Pflege und Aufarbeitung von Fahrzeugen) selbständig tätig und von Mai 1998 bis Februar 2000 bei der Beigeladenen, einem privaten Krankenversicherungsunternehmen, gegen Krankheit versichert. In der Zeit vom 5. Februar 2009 bis zum 31. August 2009 erhielt er Arbeitslosengeld II (Alg II). Zwischen dem 1. April 2009 und dem 3. April 2009 arbeitete er als Helfer in einem Kfz-Meisterbetrieb aufgrund eines am 1. April 2009 abgeschlossenen Arbeitsvertrages. Danach sollte er wöchentlich 12 Stunden gegen ein Arbeitsentgelt von 410 EUR beschäftigt werden. Vom 6. April bis zum 15. April 2009 wurde er stationär wegen eines am 26. März 2009 bei ihm diagnostizierten Rektum-Carzinoms behandelt; wegen dieser Erkrankung ist er dauerhaft arbeitsunfähig, was ihm seine behandelnden Ärzte seit dem 20. April 2009 bescheinigt haben. Bis zum 18. Mai 2009 erhielt er von seinem Arbeitgeber Fortzahlung des vereinbarten Arbeitsentgeltes.

Auf seine Anträge/Meldungen bei der Antragsgegnerin, einer gesetzlichen Krankenkasse, stellte diese mit Bescheid vom 27. Februar 2009 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) ausschließlich ihm gegenüber zunächst fest, dass er auf Grund des Bezuges von Alg II bei ihr nicht krankenversichert sei. Denn er sei unmittelbar vor dem Bezug von Alg II weder gesetzlich noch privat krankenversichert gewesen; seit dem 1. Januar 2009 sei deshalb für seinen Krankenversicherungsschutz die private Krankenversicherung zuständig, die ihm einen Basistarif anbieten müsse; er sei weiterhin privat versichert. Mit Bescheid vom 28. September 2009, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 16. Februar 2010, stellte die Antragsgegnerin weiterhin, insoweit bestandskräftig, fest, dass der Antragsteller seit dem 1. April 2009 nicht versicherungspflichtig zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung sei, weil er keine ausreichenden Nachweise über das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erbracht habe. Der Antragsteller hat beim Sozialgericht Potsdam vorläufigen Rechtsschutz mit dem Begehren nachgesucht, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufigen Krankenversicherungsschutz zu gewähren. Seinen Antrag auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 28. Dezember 2009 mit der Begründung abgelehnt, dass der Antragsteller hierfür weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe. Denn er sei auf Grund eines am 27. März 2009 bei der Beigeladenen gestellten Antrages bei dieser seit dem Beginn des Bezuges von Alg II im Februar 2009 privat krankenversichert. Die Beigeladene sei im Hinblick auf die private Krankenversicherung des Antragstellers bis Februar 2000 verpflichtet, ihm eine private Krankheitskostenversicherung im Basistarif zu gewähren, weil er im Anschluss an diese Versicherung keinerlei Krankenversicherungsschutz mehr gehabt habe. Im Hinblick darauf könne dahinstehen, ob das ab dem 1. April 2009 bestehende Arbeitsverhältnis Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründet habe, woran allerdings erhebliche Zweifel bestünden.

Gegen diesen Beschluss hat die Beigeladene, die mit dem Antragsteller bisher keinen Versicherungsvertrag abgeschlossen hat, Beschwerde eingelegt; der Antragsteller hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt; einen weitergehenden Antrag hat er nicht gestellt. Die Antragsgegnerin ist dem Vorbringen der Beigeladenen entgegengetreten.

II.

A. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 28. Dezember 2009 ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm vorläufigen Krankenversicherungsschutz zu gewähren, zu Unrecht in vollem Umfang abgelehnt; denn die Antragsgegnerin ist verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, bis über den Leistungsanspruch des Antragstellers gegen sie unter Beteiligung der Beigeladenen in einem einheitlichen Verwaltungsverfahren bestandskräftig entschieden worden ist.

1.) Die Beschwerde der Beigeladenen ist gemäß § 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Denn sie ist durch das Sozialgericht rechtsfehlerfrei zu dem Verfahren beigeladen worden und durch die Entscheidung des Sozialgerichts materiell beschwert.

a) Das Sozialgericht hat die Beigeladene zu dem vorläufigen Rechtsschutzverfahren des Antragstellers gemäß § 75 Abs. 2 SGG zu Recht (notwendig) beigeladen. Nach § 193 Abs. 3 Satz 1 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz - VVG-) ist jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet, bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassenen Versicherungsunternehmen für sich selbst und für die von ihr gesetzlich vertretenen Personen, soweit diese nicht selbst Verträge abschließen können, eine Krankheitskostenversicherung, die mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst und bei der die für tariflich vorgesehene Leistungen vereinbarten absoluten und prozentualen Selbstbehalte für ambulante und stationäre Heilbehandlung für jede zu versichernde Person auf eine betragsmäßige Auswirkung von kalenderjährlich 5.000 Euro begrenzt ist, abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Diese Pflicht besteht nicht für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert oder versicherungspflichtig sind (§ 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VVG). § 193 Abs. 3 VVG normiert deshalb nicht nur eine Krankenversicherungspflicht für alle in Deutschland wohnenden Personen; der Vorschrift lässt sich auch ein gesetzliches Alternativitätsverhältnis zwischen der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit einem grundsätzlichen Vorrang der Versicherungspflicht in der GKV entnehmen. Hiervon abweichend bestimmt § 5 Abs. 5a Sozialgesetzbuch /Fünftes Buch (SGB V) für die Bezieher von Alg II nach dem Sozialgesetzbuch/Zweites Buch (SGB II) einen Vorrang der privaten Krankenversicherung, wenn die Empfänger von Alg II unmittelbar vor dem Bezug dieser Leistung privat krankenversichert oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert waren und zu den in § 5 Absatz 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten.

b) Aus diesen Vorschriften ergeben sich für Fälle wie den vorliegenden für ein vor einer gesetzlichen Krankenkasse durchzuführendes Verwaltungsverfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht einer Person in der GKV sowie für ein sich anschließendes gerichtliches Verfahren verfahrensrechtliche Auswirkungen: Will eine gesetzliche Krankenkasse die Versicherungspflicht eines Hilfesuchenden in der GKV nach § 5 Abs. 5 a SGB V zu Lasten einer privaten Krankenkasse ablehnen, muss sie die private Krankenkasse an dem bei ihr geführten Verwaltungsverfahren unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) beteiligen und ihr ihre Entscheidung bekannt geben, weil ihre Entscheidung wegen der Ausschließlichkeit des Bestehens privaten oder gesetzlichen Krankenversicherungsschutzes für die private Krankenkasse rechtsgestaltende Wirkung hat. Denn das Bestehen der Versicherungspflicht in der GKV hängt nicht nur von den hierfür im SGB V bestimmten Tatbeständen, sondern auch von den hierzu zwischen einer gesetzlichen Krankenkasse und einem Krankenversicherungsschutz bedürftigen Bürgers ergangenen Verwaltungsakten nach § 31 SGB X ab, weil letztere nach § 77 SGG mit Eintritt der Unanfechtbarkeit in der Sache bindend werden. In den sozialgerichtlichen Klageverfahren wie in den Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist der dargestellten Rechtslage in Fällen wie dem vorliegenden durch die Beiladung des privaten Krankenversicherungsunternehmens Rechnung zu tragen, weil eine Entscheidung über die Versicherungspflicht aus den dargelegten Gründen nur einheitlich zwischen den gesetzlichen und privaten Krankenkassen und dem rechtsschutzsuchenden Bürger ergehen kann. Denn § 193 VVG wie § 5 Abs. 5a SGB V sollen nur eine gleichmäßige wirtschaftliche Belastung der privaten und gesetzlichen Krankenkassen herstellen (vgl. BT-Drs. 16/3100 S. 94f.); die Entscheidungen der Krankenkassen und der Gerichte sollen jedoch nicht dazu führen, dass die komplizierten Bestimmungen über den Vorrang des gesetzlichen oder des privaten Krankenversicherungsschutzes zu Lasten des hiervon betroffenen Bürgers gehen. Dieser soll vielmehr auf jeden Fall, entweder von der GKV oder einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung Krankenversicherungsschutz erhalten.

c) Die Beigeladene ist durch den angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts auch materiell beschwert. Dem Tenor der sozialgerichtlichen Entscheidung ist zwar nur die Ablehnung des vom Antragsteller beantragten vorläufigen Rechtsschutzes zu entnehmen. Aus den bei einer ablehnenden gerichtlichen Entscheidung aber zur Bestimmung des Streitgegenstandes und des Umfangs der Rechtskraft der Entscheidung ergänzend heranzuziehenden Gründen ergibt sich, dass das Sozialgericht nicht nur davon ausgegangen ist, dass der Antragsteller einen Anspruch auf Abschluss eines Krankheitskostenversicherungsvertrages mit der Beigeladenen hat, sondern bei dieser bereits seit dem Bezug von Alg II (privat) krankenversichert ist. Diese Entscheidung bindet die Beigeladene im Rahmen ihrer Rechtskraft auch zivilrechtlich; so lange der sozialgerichtliche Beschluss wirksam ist, ist sie zur Versicherung des Antragstellers gegen Krankheitsrisiken nach Maßgabe des § 193 VVG, § 12 Abs. 1a -1d des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG -) verpflichtet und im Falle der Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung deshalb auch in ihren Rechten verletzt und damit antrags- und beschwerdebefugt.

d) Ihre Beschwerde ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts selbst keine Beschwerde eingelegt hat und dieser ihm gegenüber deshalb rechtskräftig geworden ist. Zwar kann der Beigeladene nach § 75 Abs. 4 Satz 1 SGG nur innerhalb der Anträge der anderen (Haupt-)Beteiligten selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Verfahrenshandlungen wirksam vornehmen. Abweichende Sachanträge (und damit auch eine Beschwerde nach § 172 SGG) kann er aber dann stellen, wenn eine Beiladung nach Absatz 2 vorliegt, was hier der Fall ist.

Auch die Tatsache, dass die Antragsgegnerin durch den bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 28. September 2009 entschieden hat, dass der Antragsteller nicht versicherungspflichtig zu allen Zweigen der Sozialversicherung sei, weil er zum 1. April 2009 kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet habe, steht der Beschwerdebefugnis der Beigeladenen nicht entgegen. Denn die Antragsgegnerin hatte unabhängig von dieser Entscheidung, die nur im Hinblick auf die Ablehnung einer Krankenversicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V - Versicherungspflicht auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses - Bestandskraft entfaltet, mit dem Bescheid vom 27. Februar 2009 Krankenversicherungsschutz für den Antragsteller mit der Begründung verneint, die private Krankenversicherung sei für ihn zuständig und sein privates Krankenversicherungsverhältnis mit der Beigeladenen dauere fort. Dieser Verwaltungsakt verletzt im Falle der Rechtwidrigkeit Rechte der Beigeladenen, wie der Senat bereits dargelegt hat. Sie hätte an dem Verwaltungsverfahren des Antragstellers nicht nur - wie bereits ausgeführt - nach § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB X beteiligt, sondern der Bescheid vom 27. Februar 2009 ihr auch gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X bekannt gegeben werden müssen, da sie von ihm betroffen wird. Erst mit der Bekanntgabe wird er ihr gegenüber wirksam und kann sie - im Falle des Eintritts der Bestandskraft - zur Versicherung des Antragstellers nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG (endgültig) verpflichten. Das aufgrund der Gewährung von Alg II bei der Antragsgegnerin begonnene Verwaltungsverfahren zur Feststellung der Versicherungspflicht des Antragstellers nach §§ 5 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist deshalb mit der Bekanntgabe des Bescheides vom 27. Februar 2009 an die Beigeladene fortzusetzen und sodann über den Widerspruch des Antragstellers in diesem Verwaltungsverfahren unter Beteiligung der Beigeladenen zu entscheiden, den der Antragsteller durch seinen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beim Sozialgericht am 8. Oktober 2009 konkludent erhoben hat; denn dieser Widerspruch war gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG rechtzeitig, weil der Bescheid vom 27. Februar 2009 keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt und damit innerhalb der Jahresfrist bis zum 27. Februar 2010 angefochten werden konnte. Erst mit dem Abschluss dieses Verwaltungsverfahrens steht zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen (endgültig) fest, wer für die Krankenversicherung des Antragstellers zuständig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt ist diese Frage deshalb auf die Beschwerde der Beigeladenen in dem vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu regeln.

Allerdings war die Entscheidung des Senats auf die Feststellung der Pflicht der Antragsgegnerin zu beschränken, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren, bis über seinen Leistungsanspruch gegen die Antragsgegnerin unter Beteiligung der Beigeladenen in einem einheitlichen Verwaltungsverfahren bestandskräftig entschieden worden ist. Nur auf diese Weise kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass der Antragsteller bis zum 7. Februar 2010 keine Beschwerde gegen den ihm am 7. Januar 2010 zugestellten sozialgerichtlichen Beschluss eingelegt hat und der Beschluss ihm gegenüber deshalb rechtskräftig geworden ist (vgl. § 173 Satz 1 SGG). Ohne eine (rechtzeitige) Beschwerde des Antragstellers gegen diesen Beschluss durfte der Senat eine vorläufige (vollstreckungsfähige) Verpflichtung des Antragsgegners zur Erbringung von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aussprechen.

2.) Gleichwohl ist die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu erbringen; die Beschwerde der Beigeladenen ist deshalb auch begründet.

a) Ein Anordnungsanspruch für die vom Senat nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG vorgenommene Feststellung ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 2a, Abs. 1 Nr. 13, Abs. 5a SGB V i.V.m. § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VVG; die Antragsgegnerin ist die nach § 173 SGB V gewählte Krankenkasse.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V sind in der GKV versicherungspflichtig Personen in der Zeit, für die sie Alg II nach dem SGB II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 des Zweiten Buches bezogen werden; dies gilt auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist. Diese Voraussetzung erfüllte der Antragsteller jedenfalls in der Zeit vom 5. September bis zum 31. August 2009, weil er nicht nur darlehensweise Alg II nach dem SGB II erhielt. Seine in dieser Zeit deshalb nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V bestehende Versicherungspflicht zur GKV war nicht nach § 5 Abs. 5a SGB V ausgeschlossen. Danach ist nach § 5 Absatz 1 Nr. 2a SGB V nicht versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Alg II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in § 5 Absatz 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehört oder bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

(1) Der Ausschluss der ersten Alternative greift schon deswegen nicht ein, weil der Antragsteller nicht unmittelbar vor dem Bezug von Alg II privat krankenversichert war. Seine private Krankenversicherung bestand lediglich bis Februar 2000; danach verfügte er über keinen Krankenversicherungsschutz. Für die Erfüllung der ersten Alternative kommt es jedoch darauf an, dass der Hilfebedürftige unmittelbar, d.h. am Tag vor dem Bezug von Alg II, privat krankenversichert war (so mit überzeugender ausführlicher Begründung: SG Berlin, Beschluss vom 1. März 2010, S 36 KR 182/10 ER, m.w.N., bestätigt durch den Beschluss des Senats vom 6. Mai 2010, - L 9 KR 102/10 B ER -). Selbst wenn aber aus der Formulierung "unmittelbar" nicht der Schluss zu ziehen sein sollte, dass der Hilfebedürftige am Tage vor dem Bezug von Alg II privat krankenversichert gewesen sein musste, sondern auch noch ein (geringfügig) längerer Zeitraum zwischen privater Krankenversicherung und Leistungsbezug nach dem SGB II die Zuständigkeit der privaten Krankenversicherung begründen könnte, zerstört jedenfalls ein Zeitraum von mehr als neun Jahren zwischen dem Ende der privaten Versicherung und dem Leistungsbezug nach dem Alg II wie im vorliegenden Fall offensichtlich den Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen privater Krankenversicherung und Leistungsbezug nach dem SGB II.

(2) Auch die Voraussetzungen der zweiten Alternative des Ausschlusstatbestandes liegen nicht vor. Zwar war der Antragsteller unmittelbar vor dem Bezug von Alg II weder privat noch gesetzlich krankenversichert, er gehörte jedoch nicht zu den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten, versicherungsfreien Personen. Er war zu diesem Zeitpunkt auch nicht mehr im Sinne von § 5 Abs. 5 SGB V hauptberuflich selbständig erwerbstätig, weil er sein Gewerbe bereits zum 6. Dezember 2006 abgemeldet und nach eigenen Angaben die selbständige Tätigkeit sogar bereits im Jahr 2005 aufgegeben hatte. Damit war er in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts des Alg II- Bezuges nicht (mehr) hauptberuflich selbständig tätig.

(3) Der Anordnungsanspruch ist auch nicht dadurch entfallen, dass der Antragsteller zum 1. April 2009 eine Arbeit bei einem Kfz-Betrieb aufgenommen hat bzw. durch seine Erkrankung möglicherweise erwerbsunfähig geworden sein könnte. Selbst wenn im Hinblick auf das dem Antragsteller für seine Arbeit gezahlte Entgelt bzw. die Entgeltfortzahlung nach Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit oder aus einem anderen Grund die Leistungen nach dem SGB II eingestellt worden sein sollten und damit auch seine Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V entfallen wäre, müsste die Antragsgegnerin in diesem Falle krankenversicherungsrechtliche Leistungen aufgrund einer Mitgliedschaft des Antragstellers bei ihr nach § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V erbringen. Nach dieser Vorschrift sind Personen, die keinen anderweitigen Anspruch

auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt gesetzlich krankenversichert waren, pflichtversicherte Mitglieder in der GKV bei der Krankenkasse, bei der sie zuletzt versichert waren (§ 174 Abs. 5 SGB V). Diese Voraussetzungen waren hier in jedem Fall gegeben, weil der Antragsteller bei der Antragsgegnerin jedenfalls vom 5. Februar bis zum 1. April 2009 pflichtversichert war und im Hinblick darauf kein Versicherungsanspruch gegen die Beigeladene nach § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1VVG bestand. Es kann deshalb offenbleiben, ob die Aufnahme der Arbeit in dem Kfz-Betrieb für den Kläger Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V begründete und welche Bedeutung dem bestandskräftigen Bescheid vom 28. September 2009 zukommt: Würde diese Beschäftigung dem Antragsteller Krankenversicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V vermitteln, läge hierin ein weiterer Grund für die Leistungspflicht der Antragsgegnerin; anderenfalls ergäbe sich der Rechtsgrund für ihre Leistungen aus § 5 Abs. 1 Nr. 2a und ggf. aus § 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V.

b) Das eilige Sicherungsinteresse und damit der Anordnungsgrund werden durch die schwere Erkrankung des Antragstellers und seinen unabweisbaren und sofortigen Bedarf an medizinischer Versorgung begründet. Andere bereite Mittel, auf die er bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen werden könnte, sind nicht ersichtlich. Der Anspruch ist zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache auf die Feststellung zu beschränken, dass die Antragsgegnerin zur vorläufigen Erbringung krankenversicherungsrechtlicher Leistungen verpflichtet ist. Eine auch nur vorläufige Entscheidung über den Status als Mitglied ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren aus diesem Grund ausgeschlossen. Aus demselben Grund war die Entscheidung auch bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die Mitgliedschaft des Antragstellers bei der Antragsgegnerin zu befristen.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), weil Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin nicht zu dem durch § 183 SGG privilegierten Personenkreis gehören und - nur - sie abweichend von der ersten Instanz (in dem der hauptbeteiligte Antragsteller nach § 183 SGG privilegiert war) die Anwendbarkeit von § 193 bzw. § 197a SGG bestimmen.

Als unterliegender Beteiligter trägt die Antragsgegnerin die vollen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Kosten des sozialgerichtlichen Verfahrens hat sie nicht zu erstatten; denn der Antragsteller hat gegen den sozialgerichtlichen Beschluss keine Beschwerde eingelegt, die Beigeladene vor dem Sozialgericht keine Anträge gestellt. Deshalb ist die Kostenentscheidung des Sozialgerichts nicht zu korrigieren.

C. Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz.

D. Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen, war abzulehnen. Denn der Antragsteller bedarf gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung der Prozesskostenhilfe nicht, weil ihm auf Grund der durch den Senat für das Beschwerdeverfahren getroffenen Kostenentscheidung gegen die Antragsgegnerin ein Anspruch auf vollständige Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten für das Beschwerdeverfahren zusteht.

E. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an des Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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