S 9 EG 3918/09

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Freiburg (BWB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 9 EG 3918/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Für die Berechnung des Einkommens im Bezugszeitraum nach § 2 Abs. 3 S. 1 BEEG gilt auch bei Freiberuflern und Selbständigen das Zuflussprinzip (entgegen SG München, Urt. v. 15.01.2009, Az.: S 30 EG 37/08)
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes.

Der Kläger, geboren am XXX, ist bei der XXX beschäftigt und bezieht Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit als XXX Sachverständiger. Er und seine Ehefrau beantragten am 18.8.2008 Elterngeld für ihr viertes gemeinsames Kind XXX, geboren am XXX. Von der Ehefrau wurde Elterngeld für 12 Monate ab Geburt beantragt, vom Kläger für den 4. Lebensmonat des Kindes (XXX). Der Ehefrau wurde Elterngeld für den beantragten Zeitraum mit gesondertem Bescheid bewilligt, der nicht Verfahrensge-genstand ist.

Mit Bescheid vom 4.6.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger Elterngeld für den beantragten Zeitraum in Höhe von 375 EUR (Mindestbetrag zzgl. Geschwisterbonus). Maßgeblich hierfür waren ein festgestelltes durchschnittliches monatliches Einkommen vor der Geburt in Höhe von 4011,28 EUR - hiervon zu berücksichtigen 2700 EUR (Höchstbetrag gem. § 2 Abs. 3 Satz 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG)) - sowie Einkünfte nach Steuern aus der selbstständigen Tätigkeit während der Elternzeit in Höhe von 2846,34 EUR. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5.6.2009 Widerspruch. Zur Begründung brachte er vor, er habe tatsächlich während der Elternzeit weder im Angestelltenverhältnis noch freiberuflich gearbeitet und dadurch erhebliche Einkommenseinbußen gehabt. Die Anrechnung vor der Elternzeit erarbeiteten Einkommens nach dem Zuflussprinzip konterkariere die Intention des BEEG, den Verdienstausfall auszugleichen, der durch den Verzicht auf Einkommen während der Elternzeit real entstehe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.7.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Be-gründung führte sie unter anderem aus, dass sich nach § 2 Abs. 3 BEEG das Elterngeld in den Lebensmonaten, in denen die berechtigte Person Erwerbseinkommen erziele, aus der Differenz des durchschnittlichen Einkommens vor der Geburt (höchstens aber 2700 EUR) und nach der Geburt des Kindes berechne. Beim Kläger errechne sich für den 4. Lebensmonat des Kindes ein negativer monatlicher Elterngeldanspruch. Ihm komme daher der Mindestbetrag von 300 EUR monatlich gem. § 2 Abs. 5 BEEG zugute, weiter der Geschwisterbonus gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 BEEG in Höhe von 75 EUR.

Am 5.8.2009 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg.

Der Kläger bringt vor, im fraglichen Zeitraum vom 4.8.2008 bis 3.9.2008 habe er lediglich am 7.8.2008 einen Gerichtstermin als Gutachter wahrgenommen und hierfür 180 EUR zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung gestellt. Die in diesem Monat eingegangenen Zahlungen hätten ausschließlich auf Leistungen zwischen dem 20.6.2008 und 31.7.2008, also außerhalb der Elternzeit, beruht. Ein Teilbetrag von 1506,58 EUR netto sei dabei nicht für mündliche Gutachten vor Gericht gezahlt worden, sondern es handele sich um eine monatliche Zahlung des Instituts XXX für die Mitwirkung an Gutachten außerhalb der regulären Arbeitszeit, hier um den entsprechenden Betrag für Juni/Juli 2008. Das wissenschaftliche Personal des Instituts XXX erbringe außerhalb der Dienstzeit Leistungen, die vom Institutsleiter privat liquidiert werden. Dabei handelt es sich teils um schriftliche Gutachten, z.B. für Gerichte, teils z. B. um Analysenaufträge, etwa im Zusammenhang mit XXX. Die Einnahmen aus diesen Privatliquidationen gingen in einen Pool und würden monatlich nach einem bestimmten Schlüssel auf die Mitarbeiter verteilt, die daran beteiligt waren. Die hier maßgebliche Zahlung sei am 18.8.2008 eingegangen, beziehe sich aber auf Dienstleistungen, die im Juni und Juli erbracht worden seien. Während der Elternzeit im August habe der Kläger solche Dienstleistungen nicht erbringen können und deswegen in den Folgemonaten keine bzw. geringere derartige Einnahmen gehabt. Der Betrag sei daher mit einem verspätet ein-gegangenen Gehalt zu vergleichen. Der Kläger regt an, dass die Beklagte vergleichsweise zumindest diese monatliche Zahlung nicht als Einkommen in Monat der Elternzeit anrechnet. Der Kläger hat im Termin vom 23.2.2010 eine Aufstellung über die monatlichen Zahlungen durch Prof. XXX vom Institut XXX im Zeitraum von Juli 2007 bis August 2008 sowie Kontoauszüge, aus denen diese Zahlungen hervorgehen, vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 4.6.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.7.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Elterngeld für den 4. Lebensmonat seiner Tochter XXX, geboren am XXX, zu bewilligen und dabei mit Ausnahme des Honorars für den Gerichtstermin vom 7.8.2008 kein Einkommen im Monat der Elternzeit anzurechnen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, aus § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 7 bis 9 BEEG ergebe sich die Anknüpfung des Einkommensbegriff nach dem BEEG an steuerrechtliche Grundsätze. Dort gelte das Zuflussprinzip (§ 11 Einkommensteuergesetz (EStG)). Die mit dieser Regelung verbundene Pauschalierung könne im Einzelfall Vorteile, aber auch Nachteile bringen, sei aber hinzunehmen.

Die den verfahrensgegenständlichen Antrag betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die genannte Verwaltungsakte sowie die Akte des Gerichts, Az. S 9 EL 3918/09, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG statthaft.

Die Klage ist aber nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die gesamten während der Elternzeit zugeflossenen Einnahmen des Klägers mit anspruchsmindernder Wirkung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 BEEG berücksichtigt. Nach dieser Vorschrift wird für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das nach Absatz 1 a. a. O. berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, Elterngeld in Höhe des nach Absatz 1 oder 2 a. a. O. maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt. Als nachgeburtliches Einkommen in die Differenzrechnung einzustellen ist also jedes Einkommen aus Erwerbstätigkeit, das im betreffenden Zeitraum erzielt wird. Erzielt ist Einkommen in einem bestimmten, gesetzlich definierten Zeitraum, wenn es in dieser Zeit tatsächlich zugeflossen ist. Für die Einkommenserzielung ist dagegen nicht maßgeblich, wann der Anspruch auf Auszahlung des Einkommens erarbeitet wurde. Dies ergibt sich zwar nicht zwingend aus dem Gesetzeswortlaut, denn der Begriff "Erzielen" enthält sowohl Elemente des Erlangens als auch des Erwirtschaftens, ohne eine Aussage zu treffen, zu welchem Zeitpunkt dies erfolgt sein muss. Für das Zuflussprinzip sprechen aber sowohl gesetzessystematische Erwägungen als auch die Entstehungsgeschichte des BEEG (so mit aus-führlicher Begründung, der das Gericht folgt, LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.8.2009, Az.: L 13 EG 24/09, veröff. in (juris). Diese Entscheidung bezieht sich zwar auf die Ermittlung des vorgeburtlichen Einkommens gemäß § 2 Abs. 1, 7-9 BEEG; für die Auslegung des Merkmals "Erzielen" in Abs. 3 Satz 1 gelten aber dieselben Erwägungen, zumal die unterschiedliche Auslegung desselben Rechtsbegriffs in ein und derselben Vorschrift zusätzlich systemwidrig wäre).

Etwas anderes könnte nach dem vom Bundessozialgericht modifizierten Zuflussprinzip allenfalls dann gelten, wenn es sich bei den zu beurteilenden Zuflüssen während der Elternzeit um zunächst vorenthaltenes Entgelt gehandelt hätte, mit dessen Zahlung sich der Schuldner in Verzug befunden hat und das dem Kläger im maßgeblichen Zeitraum zur nachträglichen Erfüllung zugeflossen ist (BSG, Urt. v. 28.6.1995, Az.: 7 RAr 102/94, v. 21.3.1996, Az.: 11 RAr 101/94 u. v. 30.5.2006, Az.: B 1 KR 19/05 R; für die Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung auf § 2 BEEG vgl. SG Aachen, Urt. v. 23.9.2008, Az.: S 13 EG 10/08, alle veröff. in (juris). Dafür, dass sich der Auftraggeber mit während der Elternzeit beim Kläger eingegangenen Zahlungen in Verzug befunden haben könnte, gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt.

Dem Gericht ist schließlich das Urteil des SG München vom 15.1.2009, Az.: S 30 EG 37/08 (ebenfalls in (juris)) bekannt, wonach bei einem Selbständigen während der Elternzeit eingehende Zahlungen für Tätigkeiten, die er vor der Elternzeit erbracht hat, bei der Berechnung des Elterngeldes außer Betracht zu bleiben haben bzw. der reine Zufluss von Einkommen aus einer aktuell nicht ausgeübten Erwerbstätigkeit bei der Ermittlung des nachgeburtlichen Einkommens außer Betracht bleibt. Die Kammer vermag dieser Rechtsauffassung jedoch nicht zu folgen. Das SG München begründete sie im wesentlichen damit, dass Selbstständige und Freiberufler andernfalls für Bezugszeiträume bis zu 3 Monaten niemals Elterngeld erlangen könnten. Diese Erwägung ist bereits sachlich unzutreffend. Erstens herrscht bei diesem Personenkreis eine unübersehbare Vielfalt von Abrechnungs- und Zahlungsgepflogenheiten, die eine derart verallgemeinernde Feststellung nicht zulässt. Auch können gerade diese Personen die Zahlungsmodalitäten häufig in rechtlich zulässiger Weise in nicht unerheblichem Umfang gestalten; für die Annahme des SG München, die Beschleunigung oder Verzögerung von Zahlungseingängen durch entsprechende Rechnungsstellung würde als "unzulässige Manipulation öffentlich-rechtlicher Verfahrenshandlungen zurückgewiesen" dürfte keine rechtliche Handhabe bestehen. Zweitens ist, wie gerade die Beispiele des Klägers hier und im Verfahren des SG München zeigen, regelmäßig ein Elterngeldanspruch in Höhe des Mindestbetrages nicht ausgeschlossen, so dass - gerade bei kurzen Bezugszeiträumen - die absolut durch die Elternzeit eintretende Einkommenseinbuße wesentlich milder ausfällt als vom SG München angenommen. Vor allem aber ist dieses vom Ergebnis her gedachte Billigkeitsargument für sich genommen nicht geeignet, die systematischen, historischen und teleologischen Auslegungsgesichtspunkte zu entkräften, die für die Anwendung des Zuflussprinzips - sowohl zu Gunsten wie auch zu Lasten der Anspruchsberechtigten - sprechen. Schließlich scheint das SG München verschiedene Auslegungen des Rechtsbegriffs "erzielen" zu befürworten, je nachdem, ob es um den Elterngeldanspruch von Freiberuflern und Selbstständigen einerseits oder um den von Beschäftigten andererseits geht, was sowohl unter gesetzessystematischen als auch grundrechtlichen Erwägungen nicht zu rechtfertigen sein dürfte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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