L 10 KR 59/08

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 17 KR 81/07
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 KR 59/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen die Urteile des Sozialgerichts Halle vom 29. September 2008 – S 17 KR 81/07 und S 17 KR 162/08 – wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostentragungspflicht der Beklagten für mehrere Feuerwehreinsätze im Zusammenhang mit Krankentransporten des Klägers.

Der 1940 geborene Kläger ist bei der Beklagten als Rentner krankenversichert. Er leidet an Adipositas permagna (Gewicht zwischen 150 und 160 kg bei einer Körpergröße von 1,55), einer hypertensiven Herzkrankheit, chronischem Vorhofflimmern, Arteriosklerose der Extremitätenarterien und einer Harninkontinenz. Weiterhin liegt bei ihm ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus mit Zustand nach Amputation des rechten Fußes vor. Auf Grund dieser Erkrankungen ist der Kläger bettlägerig, so dass er für Fahrten zu Ärzten und Krankenhäusern auf Krankentransportleistungen der Beklagten angewiesen ist. Neben der Altersrente erhält der Kläger Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach Pflegestufe III; von der Zuzahlungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist er befreit.

Vom 7. bis 12. Juli 2006 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im S.-Klinikum in N ... Für Hin- und Rücktransport waren Rettungs- bzw Krankentransport ärztlich verordnet worden. Die im ersten Stock gelegene Wohnung des Klägers kann nur über eine steile und enge Treppe erreicht werden. Für den Transport in das Krankenhaus beförderte die vom Rettungsdienst des Burgenlandkreises alarmierte Freiwillige Feuerwehr (FF) der Stadt N. den Kläger zunächst mittels einer Schleifkorbtrage aus seiner Wohnung über das Treppenhaus auf die Straße; von dort wurde der Kläger zum Krankenhaus gefahren. Ob der Rückweg am 12. Juli 2006 durch den Rettungsdienst des Burgenlandkreises mittels Krankentransportwagen (KTW) erfolgte (dessen Kosten die Beklagte übernahm), ist unklar. Von der Straße in seine Wohnung gelangte der Kläger jedenfalls wiederum mit Hilfe der von der Leitstelle des Rettungsdienstes verständigten FF (neun Mann), wobei er in der Schleifkorbtrage über eine Drehleiter durch ein zur Straße gelegenes Fenster im ersten Stock in sein Wohnzimmer gehoben wurde.

Die Stadt N. stellte für den Einsatz der FF beim Transport in das Krankenhaus am 6. Juli 2006 keine Rechnung. Ihrer Auffassung nach handelte es sich dabei um einen nach dem Brandschutz- und Hilfeleistungsgesetz Sachsen Anhalt (BrSchG) iVm der Feuerwehrsatzung der Stadt N. kostenfreien Rettungseinsatz. Für den Rücktransport am 12. Juli 2006 stellte die Stadt dem Kläger dagegen mit Kostenbescheid vom 27. September 2006 einen Betrag in Höhe von 324,00 EUR in Rechnung. Dieser Bescheid ist nach Zurückweisung eines Widerspruchs des Klägers bestandskräftig; seine Vollstreckung ist ausgesetzt.

Der Kläger reichte den Kostenbescheid der Stadt N. vom 27. September 2006 bei der Beklagten zur Begleichung ein. Mit Bescheid vom 9. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2007 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Der Einsatz eines Lastensystems der FF stelle keine Beförderungsleistung im Sinne des § 60 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) dar, sondern sei dem Bereich der Gefahrenabwehr zuzuordnen.

Mit seiner am 16. März 2007 beim Sozialgericht erhobenen Klage (S 17 KR 81/07) verfolgt der Kläger den Anspruch auf Freistellung von den Kosten weiter. Er hat geltend gemacht, dass der Einsatz der FF eine Krankentransportleistung im Sinne des § 60 SGB V darstelle, da der Rettungsdienst nicht in der Lage gewesen sei, ihn in seine Wohnung zu verbringen.

Am 23. Februar 2008 wies der Notarzt den Kläger wegen Problemen mit dem Blasenkatheter zur stationären Behandlung in das S. -Klinikum ein, wo eine Notfallbehandlung erfolgte (Katheterwechsel und Wundversorgung). Die noch am selben Tag durchgeführten und ärztlich verordneten Hin- und Rücktransporte übernahm der Rettungsdienst mittels KTW und rechnete dies bei der Beklagten ab. Die Beförderung aus der Wohnung zum KTW und umgekehrt führte auf Anforderung der Rettungsdienstleitstelle erneut die FF (sieben Mann) durch, wobei sie den Kläger jeweils mittels der Schleifkorbtrage über das Treppenhaus transportierte; die bereit gestellte Drehleiter fand keine Verwendung. Für die Einsätze am 23. Februar 2008 stellte die Stadt N. dem Kläger mit Bescheid vom 17. März 2008 insgesamt 565,00 EUR in Rechnung, wobei Kosten für die Drehleiter nicht in Ansatz gebracht wurden.

Einen Antrag des Klägers vom 20. März 2008 auf Übernahme dieser Kosten wies die Beklagte mit Bescheid vom 21. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 mit der Begründung zurück, dass es sich nicht um Fahrkosten im Sinne von § 60 SGB V handele.

Mit seiner am 9. Juli 2008 beim Sozialgericht eingegangenen Klage (S 17 KR 162/08) verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und verweist auch hier darauf, dass die Besatzung des Krankentransportwagens nicht in der Lage gewesen sei, ihn in seine Wohnung zu verbringen. Er selbst habe die FF in keinem Fall beauftragt.

Das Sozialgericht hat nach Vernehmung des Zeugen C S zum Einsatz der FF am 12. Juli 2006 in der Sache S 17 KR 81/07 und des Zeugen R G zum Einsatz am 23. Februar 2008 in der Sache S 17 KR 162/08 mit den Urteilen vom 19. September 2008 jeweils antragsgemäß

die Beklagte unter Aufhebung der entgegen stehenden Bescheide verurteilt, den Kläger von den jeweiligen Kostenbescheiden der Stadt N. zuzüglich Nebenforderungen in Form von Säumniszuschlägen, Mahnkosten und Vollstreckungskosten freizustellen.

Die Freistellungspflicht folge aus § 13 Abs 3 SGB V. Die Transportleistung sei jeweils unaufschiebbar gewesen. Die Kosten hierfür habe die Beklagte gemäß § 60 SGB V zu tragen (nach stationärer Krankenhausbehandlung am 12. Juli 2006 gemäß Abs 2 Nr 1 der Norm, nach der Behandlung am 23. Februar 2008 als Rettungsfahrt gemäß Abs 2 Nr 2). Die Sachleistungspflicht der Beklagten umfasse im konkreten Falle den Transport vom eigenen Bett und dorthin zurück. Der Einsatz der FF sei – wie die Beweisaufnahme ergeben habe – auf Grund des Gewichts des Klägers und der räumlichen Verhältnisse (enge und steile Treppe) notwendig gewesen. Auch der Einsatz der letztlich nicht erforderlichen Drehleiter am 12. Juli 2006 habe sich im Ermessensspielraum des Einsatzleiters der FF gehalten. Die Beförderung mit einer Schleifkorbtrage stelle unter den gegebenen Umständen das einzig mögliche Transportmittel für den Transport zwischen Wohnung und Straße dar. Unerheblich sei, dass die FF nicht als Leistungserbringerin der Beklagten im Sinne von § 133 SGB V, sondern im Rahmen des BrSchG Sachsen-Anhalt tätig geworden sei. Die Stadt N. hätte die Beklagte gemäß § 22 Abs 4 Nr 3 BrSchG auch unmittelbar in Anspruch nehmen können. Dass ein Dritter den grundsätzlich von der Beklagten als Sachleistung geschuldeten Transport durchgeführt habe, könne die Beklagte nicht entlasten. Hätte es sich dabei um ein privates Unternehmen gehandelt, wäre eine Abrechnung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag möglich gewesen. Es könne nichts anderes gelten, wenn anstelle eines Privatunternehmens die FF gehandelt habe und hierfür satzungsgemäße Kosten entstanden seien. Da ein zugelassener Leistungsträ-ger nicht erreichbar war, müsse die Beklagte für die entstandenen Kosten einstehen. Dies gelte auch für die Nebenforderungen, da diese aus der Weigerung der Beklagten resultierten.

Das Sozialgericht hat in beiden Verfahren die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Gegen die der Beklagten am 29. Oktober 2008 zugestellten Urteile hat diese jeweils am 28. November 2008 Berufung eingelegt. Die Beteiligten wiederholen und vertiefen im Berufungsrechtszug ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Senat hat beide Rechtsstreite zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 113 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbunden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 19. September 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Klagen zu Recht stattgegeben. Die Bescheide der Beklagten vom 9. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2007 sowie vom 21. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008 sind rechtswidrig. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger antragsgemäß von den Kosten der Einsätze der FF am 12. Juli 2006 (Kostenbescheid der Stadt N. vom 27. September 2006 über 324,00 EUR) und am 23. Februar 2006 (Kostenbescheid der Stadt N. vom 17. März 2008 über 565,00 EUR) jeweils zuzüglich Nebenforderungen freizustellen.

1. Der Anspruch richtete sich ursprünglich auf Freistellung von einer Verbindlichkeit. Der Kläger hat die Gebühren und Nebenforderungen aus den Kostenbescheiden der Stadt N. bislang nicht beglichen. Sofern die Beklagte im Verlaufe des Rechtsstreits die vorgenannten Kosten und Nebenforderungen zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an die Stadt N. gezahlt haben sollte, was sie ausweislich der Verwaltungsakte im Zusammenhang mit einem Antrag des Klägers auf Erlass einer einstwei-ligen Anordnung angekündigt hatte, wäre dies im Verhältnis zu der Stadt N. mit endgültiger Erfüllungswirkung erfolgt. Im Rechtsstreit ginge es danach nur noch um die Kostentragungspflicht im Verhältnis zwischen den Beteiligten. Im Verhältnis zum Kläger wäre diese (im Rechtsstreit bezifferte) Leistung vorläufig, dh die Beklagte könnte bei rechtskräftigem Obsiegen von ihm gemäß § 198 Abs 1 SGG iVm § 945 Zivilprozessordnung (ZPO) Erstattung des Zahlbetrages verlangen. Die prozessuale Lage entspräche derjenigen eines Erstattungsrechtsstreits, in dessen Verlauf die Beklagte zur Abwehr der Zwangsvollstreckung vorläufig geleistet hätte. Die Frage der Kostentragung bleibt daher im Verhältnis zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits zu entscheiden.

2. Der Anspruch beruht auf § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V. Bei ihren Einsätzen erbrachte die FF jeweils Leistungen, welche die Beklagte gemäß § 60 Abs 1 Satz 1 Nrn 1 und 2 SGB V dem Kläger als Sachleistung der GKV schuldete, aber nicht rechtzeitig erbringen konnte.

Gemäß § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V ist die Krankenkasse (abweichend von dem Grundsatz der Sachleistung in § 2 Abs 2 Satz 1 SGB V) zur Kostenerstattung verpflichtet, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Systemversagen) und dem Versicherten dadurch für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Weitere Voraussetzung ist, dass die Leistung notwendig war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Leistung, hier also die Einsätze der FF bei dem Transport des Klägers aus der Wohnung und zurück, zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSG 24. September 1996 – 1 RK 33/95, BSGE 79, 125; BSG 2. November 2007 – B 1 KR 4/07 R, SozR 4-2500 § 60 Nr 2 Rdnr 11 mwN). Der Erstattungsanspruch kann auch die Kosten für einen nicht zugelassenen Leistungserbringer umfassen, wenn dessen Inanspruchnahme durch das Systemversagen wesentlich mitverursacht wird. Das ist bei nicht rechtzeitiger Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung stets der Fall, denn die Krankenkasse ist nur dann zur rechtzeitigen Sachleistung außerstande, wenn kein anderer als ein nicht zugelassener Leistungserbringer zur Verfügung steht (BSG 16.12.1993 – 4 RK 5/92, BSGE 73, 271). Der Anspruch auf Erstattung umfasst auch die Freistellung von einer noch offenen Verbindlichkeit, die aus der Selbstbeschaffung der Leistung iSv § 13 Abs 3 SGB V resultiert (BSG 10. Februar 2000 – B 3 KR 26/99 R, SozR 3-2500 § 33 Nr 37).

3. Sämtliche vorgenannten Voraussetzungen sind erfüllt.

a. Über die grundsätzliche Leistungspflicht der Beklagten für die Krankenfahrten besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Der Krankentransport stellt nach § 60 SGB V grundsätzlich eine Naturalleistung der GKV dar (stRspr, vgl BSG vom 25. Juli 2008 – B 1 KR 27/07 R, Juris mwN). Die gemäß § 2 KrTRL erforderlichen ärztlichen Verordnungen der Krankenfahrten lagen vor.

Anspruchsgrundlage für den Rücktransport von der stationären Krankenhausbehand-lung am 12. Juli 2006 in die Wohnung des Klägers ist § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V. Als Grund für den Krankentransport am 23. Februar 2008 hatte der Notarzt ebenfalls stationäre Krankenbehandlung iSv Nr 1 angegeben. Dass es dazu möglicherweise nicht kam, weil der Kläger nach einer Notfallbehandlung noch am selben Tag entlassen wurde, ist unschädlich. Sollte eine stationäre Aufnahme nicht erfolgt sein (vgl dazu BSG 04.03.2004 – B 3 KR 4/03 R, BSGE 92, 223), dürfte eine Rettungsfahrt zum Krankenhaus iSv § 60 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB V vorgelegen haben (vgl dazu KassKomm/Höfler § 60 SGB V Rn 18). Sollte auch dies nicht der Fall gewesen sein, handelte es sich jedenfalls um eine von der GKV zu erbringende Krankenfahrt zu einer ambulanten Behandlung gemäß § 60 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 8 Abs 3 Krankentransportrichtlinie (KrTRL), da der Kläger Leistungen der Pflegestufe III erhält. Der für solche Fahrten grundsätzlich erforderlichen vorherigen Genehmigung bedurfte es hier ausnahmsweise nicht, weil der Kläger gemäß der ärztlichen Verordnung von einer – genehmigungsfreien – stationären Aufnahme ausgehen musste; auch sein Rücktransport bedurfte danach unter den gegebenen Umständen nicht der Genehmigung. Schließlich war in beiden Fällen die Beförderung des Klägers auf Hin- und Rückweg notwendig. Über all dies besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit.

b. Die Leistungspflicht der Beklagten erstreckte sich entgegen ihrer Auffassung dem Umfang nach auch auf den von der FF durchgeführten Teil des Transports aus der Wohnung auf die Straße und zurück. Die ärztliche Verordnung verhielt sich ausdrücklich über den Liegendtransport von den Wohnung zum Krankenhaus und zurück. Einer ärztlichen Verordnung von Schleifkorbtrage, Drehleiter oä bedurfte es demgegenüber nach der Anlage 1 zur KrTRL nicht; sie wäre auch nicht leistbar, da der Arzt die örtlichen Verhältnisse nicht kennt.

aa. Der von der Beklagten geschuldete Krankentransport umfasst grundsätzlich auch die Trageleistungen von der Wohnung auf die Straße und umgekehrt.

"Fahrkosten” iSv § 60 SGB V sind alle reinen Beförderungskosten, gleichgültig ob der Transport zu Lande, zu Wasser oder in der Luft erfolgt und welches Beförderungsmittel benutzt wird (KassKomm/Höfler, § 60 SGB V Rn 5; RegE-Gesundheitsreformgesetz (GRG) S 186 Begr zu § 68 Abs 1; AusschussBer-GRG S 56 Begr zu § 68 Abs 2; vgl zur Kostentragung der Krankenkasse bei einer Notfallrettung durch ein Boot der Bundesmarine SG Hannover vom 5. Dezember 2008 – S 19 KR 672/08). Ausdrücklich schließt die Vorschrift die "Transporte nach § 133" mit ein. Dabei handelt es sich gemäß § 133 Abs 1 SGB V um "Leistungen des Rettungsdienstes und andere Krankentransporte". Welches Beförderungsmittel benutzt werden kann, richtet sich gemäß § 60 Abs 1 Satz 2 SGB V nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Uner-heblich ist, ob es in § 60 SGB V oder der KrTRL aufgeführt ist.

Zur Beförderungsleistung gehört auch die reine Trageleistung als Annex zu den von den Krankenkassen zu erbringenden Krankentransporten bzw "Fahrten". Dies folgt aus dem Zweck der Leistung als akzessorische Nebenleistung zur Krankenbehandlung als Hauptleistung (vgl hierzu Gerlach in Hauck/Haines § 60 SGB V Rn 7). Anderenfalls wäre bspw bei Bewusstlosigkeit oder bei Gehunfähigkeit des Versicherten (wie im Fall des Klägers) der Krankentransport und damit die Krankenbehandlung nicht durchführbar. In den genannten Fällen beginnt die Transportleistung der GKV daher grundsätzlich dort, wo der Versicherte sich aufhält, idR also in der Wohnung bzw am Bett, und endet bei fortbestehender Gehunfähigkeit auch dort. Die KrTRL führt demgemäß in der Anlage 1 unter Ziff 5 als Zielort nicht die Haustür, sondern die Wohnung des Versicher-ten und in Ziff 8 die Trageleistung auf.

bb. Die besonderen Umstände, die es dem Rettungsdienst unmöglich machten, den Kläger aus der Wohnung auf die Straße und zurück zu transportieren, lassen im vorliegenden Fall die Leistungspflicht der Beklagten für diesen Teil des Krankentransportes nicht entfallen.

(1) Der Anspruch entfällt zunächst nicht etwa deshalb (teilweise), weil der Kläger aus dem Gesichtspunkt der Eigenverantwortung (§ 2 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGB V) gehalten gewesen wäre, sich spätestens nach dem ersten Einsatz der FF im Juli 2006 eine für Krankentransporte geeignete Wohnung zu nehmen oder in ein Pflegeheim zu begeben. Eine solche Obliegenheit besteht nicht. In der Wahl seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes und seiner Wohnung ist ein Versicherter frei. Daraus folgt keine Leistungs-begrenzung im Rahmen der GKV. Die Krankenkasse kann demgemäß bei Versicher-ten, die auf dem Lande wohnen, auch keine Beteiligung an den dadurch bedingten höheren Kosten für Krankenfahrten verlangen. Ist die Krankenkasse nach Maßgabe des § 60 SGB V leistungspflichtig, fällt es vielmehr in ihren Risikobereich, ob der Aufwand im Einzelfall höher oder niedriger ausfällt.

(2) Allerdings trifft es zu, dass die GKV nicht für jeden Rettungseinsatz insgesamt leistungspflichtig ist, sobald dieser in eine Rettungsfahrt zu einer erforderlichen Krankenbehandlung mündet. Beim Brand eines Hauses, der Bergung aus einem verunfallten und unzugänglichen Kfz oder aus Bergnot usw beginnt die Leistungspflicht der GKV erst nach der Bergung, idR am KTW bzw RTW (ebenso Gerlach in Hauck/Haines § 60 SGB V Rn 15). Vorher besteht ausschließlich die Leistungspflicht der zur Gefahrenabwehr berufenen Gemeinden und Landkreise, in Sachsen-Anhalt für Hilfeleistungen bei Unglücksfällen gemäß § 1 BrSchG.

Doch sind die von der Beklagten angeführten Abgrenzungskriterien der Leistungspflicht von GKV und anderen Pflichtigen nach Auffassung des Senats ungeeignet. Dies gilt zunächst für die vorgeschlagene Unterscheidung nach dem Beförderungsmittel (keine Leistungspflicht bei Einsatz von Schleifkorbtrage, Drehleiter, Lastensystem der Feuerwehr). Das insoweit allein maßgebliche Gesetz enthält keinen abgeschlossenen Katalog. Das wird schon daraus ersichtlich, dass die Krankentrage dort nicht erwähnt ist, obwohl sie, wie oben ausgeführt, zum Leistungsumfang gehört (und die Trageleistung zu Recht in der KrTRL erwähnt ist). Es wäre zudem nicht sachgerecht, bei der denkbaren Beförderung des Klägers aus seinem Wohnzimmerfenster mit Hilfe eines Hubschraubers eine Leistungspflicht der GKV deshalb anzunehmen, weil in der KrTRL die Luftrettung erwähnt wird, sie bei Einsatz einer Schleifkorbtrage etc aber mangels Erwähnung abzulehnen. Eine Abgrenzung nach dem Leistungsvermögen der Leis-tungserbringer scheidet ebenfalls aus. Die Leistungspflichten der GKV sind gemäß § 2 Abs 1 SGB V im Dritten Kapitel des SGB V geregelt und stehen nicht – je nach den vertraglichen Vereinbarungen mit den Leistungserbringern – zur Disposition der Krankenkassen.

Schließlich lässt sich die Unterscheidung entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht danach vornehmen, ob es sich im Einzelfall um Gefahrenabwehr oder um krankenversicherungsrechtlichen Krankentransport handelt. Denn diese Pflichtenkreise überschneiden sich teilweise. Das wird bei den von der GKV zu erbringenden Ret-tungsfahrten deutlich. Diese erfordern, dass sich der Versicherte infolge von Verletzung oder Krankheit in unmittelbarer Lebensgefahr befindet oder sein Gesundheitszustand in kurzer Zeit eine lebensbedrohende Verschlechterung erwarten lässt (vgl Gerlach in Hauck/Haines § 60 SGB V Rn 15 unter Hinweis auf eine Klarstellung im Ausschussbericht, BT-Drucks 11/3480 zu § 68 der GRG-Entwurfs). Dabei handelt es sich um eine Aufgabe der Gefahrenabwehr (die zudem regelmäßig hoheitlich ausges-taltet ist, selbst wenn sie auf private Leistungserbringer übertragen wurde, vgl BGH 17. Dezember 2009 – III ZB 47/09, Juris Rn 10 ff zum Hessischen RettDG). Die Einordnung als (hoheitliche) Gefahrenabwehr steht daher der Leistungspflicht der Beklagten nicht stets entgegen.

Maßgebliche Abgrenzungsmerkmale sind demgegenüber einerseits der in § 60 SGB V geregelte Krankentransport und andererseits der in § 1 BrSchG Sachsen-Anhalt geregelte Unglücksfall. Soweit die Leistung auf Beförderung des Versicherten zur Krankenbehandlung gerichtet ist, geht es um die Leistungspflicht der GKV. Dies gilt auch dann, wenn der Transport zur Abwendung von Lebensgefahr erforderlich ist. Soweit es dagegen um die Rettung aus einer Gefahrensituation geht, der Einsatz also auch ohne (anschließende) Beförderung zur Krankenbehandlung erforderlich ist (etwa bei der Rettung aus Gefahrensituationen wie Brand, Eingeschlossensein nach Verkehrsunfall oder Bergnot etc), handelt es sich um Hilfe in einem Unglücksfall. Wäre der Kläger bspw beim Transport im engen Treppenhaus oder im Fenster stecken geblie-ben und hätte sich nicht mehr befreien können, läge in Bezug auf seine Befreiung aus dieser Notlage ein Unglücksfall iSv § 1 BrSchG vor; desgleichen, wenn der RTW auf der Fahrt verunglückt wäre und der Kläger aus dem karamboulierten Fahrzeug hätte befreit werden müssen. Die Befreiung aus solchen Notlagen fällt nicht in den Leistungsbereich der Beklagten.

Auf den Fall übertragen führt dies zur Leistungspflicht der Beklagten für den Transport des Klägers aus seiner Wohnung auf die Straße und umgekehrt. Die Einsätze der FF dienten nicht der Rettung des Klägers aus einer Notlage, sondern allein der Beförderung zur Krankenbehandlung und zurück. Ohne letztere hätte für die Einsätze in keinem Fall Anlass bestand. Der Kläger musste dabei auch nicht aus einer außergewöhnlichen Behausung geborgen werden, was möglicherweise der Befreiung aus einer Notlage gleichkäme (Baumhaus; Erdloch); trotz der Steilheit und Enge des Treppenhauses handelt es sich bei seiner Wohnung um eine normale, baulich zugelassene Unterkunft, in die er demgemäß im Anschluss an die Behandlung auch wieder zurückgebracht wurde. Dass für die Krankenbehandlungen ihrerseits eine Notfallindikation bestanden haben mag und insoweit möglicherweise Lebensgefahr bestand, ist – wie oben bereits dargelegt – unschädlich. Entscheidend ist, dass die Einsätze der FF ausschließlich dem Zweck dienten, dem Kläger diese Behandlungen zu ermöglichen.

c. Die vom Kläger in Anspruch genommene Leistung der FF war "unaufschiebbar" iSv § 13 Abs 3 SGB V. Unaufschiebbarkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn eine Leistungserbringung im Zeitpunkt ihrer tatsächlichen Durchführung so dringlich ist, dass keine Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubs bis zur Entscheidung der Krankenkasse mehr besteht (BSG vom 18. Juni 2006 – B 1 KR 24/05 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 9). Dem Versicherten muss das Abwarten bis zu einer Entscheidung der Krankenkasse im konkreten Fall nicht zugemutet werden können, weil wesentliche Nachteile drohen. Dabei darf es dem Versicherten nicht möglich oder nicht zuzumuten gewesen sein, sich vor der Leistungsbeschaffung mit der Kasse in Verbindung zu setzen (BSG vom 25. September 2000 – B 1 KR 5/99 R, Juris).

Dem Kläger war es sowohl am 12. Juli 2006 als auch am 23. Februar 2008 nicht möglich und zumutbar, bei der Beklagten einen vorherigen Antrag auf die Leistungserbringung zu stellen. Die Leistung war jeweils sofort fällig. Am 23. Februar 2008 war eine Notfallbehandlung im Krankenhaus (Katheterwechsel und Wundversorgung) erforderlich. Für die jeweiligen Rücktransporte am 12. Juli 2006 und am 23. Februar 2008 bedurfte es ebenfalls einer sofortigen Leistungserbringung, da dem Kläger nicht zuzumuten war, auf der Straße liegend eine Antragsbescheidung der Beklagten abzuwarten. Ob bei dem Rücktransport am 12. Juli 2006 eine vorherige Antragstellung deshalb theoretisch möglich war, weil das Ende des Krankenhausaufenthaltes abseh-bar war, kann dahinstehen. Selbst wenn das der Fall gewesen wäre, konnte dem Kläger in seiner konkreten Situation während des Krankenhausaufenthaltes nicht zugemutet werden, einen solchen Antrag an die Beklagte zu richten. Zudem dürfte er sich über die Frage der Leistungspflicht der Beklagten in Bezug seine Beförderung nach Hause kaum Gedanken gemacht haben und von einem Krankentransport durch den Rettungsdienst ausgegangen sein, der keines Antrages bedurfte. Dies steht damit in Einklang, dass der Kläger die FF nicht persönlich angefordert hat. Auch hätte eine vorherige Antragstellung in der Lage, in der sich der Kläger befand, am Ablauf der Ereignisse nichts ändern können.

d. Damit steht zugleich fest, dass die Beklagten die fragliche Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte. Dies macht sie auch nicht geltend, sondern lehnt gerade jede Verpflichtung dazu unter Hinweis auf deren Artfremdheit sowie darauf ab, dass die FF nicht ihr Leistungserbringer sei. Der Kläger hat sich demgemäß die hier fragliche Leistung anderweitig selbst beschaffen müssen. Damit ist es grundsätzlich unschädlich, dass die Leistung von einem nicht zugelassenen Leistungserbringer erbracht wurde (BSG 16.12.1993 – 4 RK 5/92, BSGE 73, 271).

Sollten die Einsätze demgegenüber nicht dem Kläger, sondern dem Rettungsdienst zuzurechnen, der als regulärer Leistungserbringer der Beklagten für die Krankentransporte angegangen worden war und die FF dann als eine Art "Subunternehmer" eingeschaltet hätte (vgl zur Zusammenarbeit von Rettungsdienst und Feuerwehr § 2 Abs 1 Satz 3 Rettungsdienstgesetz Sachsen-Anhalt (RettDG)), wäre die Beklagte im Verhältnis zu ihrem gleichwohl in Anspruch genommenen Versicherten schon unmittelbar aus § 60 SGB V zur Kostentragung verpflichtet, sofern es sich um ihre Sachleistung handelte. Inwieweit sie das Risiko derartiger Zusatzaufwendungen in ihren Vereinbarungen mit dem Träger des Rettungsdienstes möglicherweise auf diesen übertragen hat, kann hier dahinstehen.

e. Die in den bestandskräftigen Kostenbescheiden der Stadt N. festgesetzten Gebühren wie auch die aus den Bescheiden resultierenden Nebenforderungen stellen notwendige Kosten iSv § 13 Abs 3 Satz 1 aE SGB V dar, weil der Rettungsdienst als Leistungserbringer der Beklagten zur Durchführung dieses Teils des Transportes nicht in der Lage war. Notwendig war damit sowohl der Einsatz der FF überhaupt als auch der von ihr getätigte konkrete Aufwand (Drehleiter und neun Mann am 12. Juli 2006, sieben Mann am 23. Februar 2008, jeweils gemäß Ausrücke-Ordnung der Stadt N. ). Die Kostenbescheide waren nicht offensichtlich rechtswidrig; der Kläger brauchte sich nicht über seine bereits getätigten Bemühungen hinaus (Beauftragung eines Rechtsanwalts und Widerspruch gegen den Bescheid vom 27. September 2006) weiter gegen sie zur Wehr zu setzen. Die Kosten für den Einsatz von neun Feuerwehrleuten am 12. Juli 2006 betrugen dabei 117,00 EUR. Bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung, also der Einschätzung des Einsatzleiters im Zeitpunkt des Einsatzes, erscheint die Verhältnismäßigkeit der eingesetzten Mittel gewahrt. Die Kostenbescheide richten sich gemäß § 5 der Verwaltungskostensatzung der Stadt N. zutreffend gegen den Kläger als Gesamtschuldner, da die Leistung in seinem Interesse erbracht wurde. Im Übrigen wird auf die Feststellungen und Ausführungen des Sozial-gerichts verwiesen. Auch die Beklagte hat sie nicht angegriffen. Die Nebenforderungen der Stadt N. beruhen schließlich, wie das Sozialgericht ebenfalls zutreffend erkannt hat, auf der Weigerung der Beklagten, den Kläger von den Verbindlichkeiten aus den Kostenbescheiden freizustellen. Dies hatte der Kläger rechtzeitig verlangt.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Der Leistungsumfang der GKV in Bezug auf Krankentransporte sowie die Abgrenzung zwischen solchen Transporten und sonstiger Rettung in Notfällen im Rahmen der Gefahrenabwehr ist in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts noch nicht vollständig geklärt.
Rechtskraft
Aus
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