L 19 AS 1006/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 5 AS 566/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1006/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 09.06.2010 wird zurückgewiesen. Kosten des Antragstellers sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt die Übernahme der Kosten eines Umzugs in die Türkei.

Der am 00.00.1962 geborene Antragssteller ist deutscher Staatsangehöriger. Er ist verwitwet und hat drei minderjährige Kinder.

Der Antragsteller bezieht seit dem 01.06.2007 zusammen mit seinen Kindern durchgehend von der Antragsgegnerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Im April 2010 beantragte der Antragsteller die Übernahme von Umzugskosten in die Türkei. Er trug vor, dass er wegen der erforderlichen Betreuung seiner Kinder daran gehindert sei, eine Vollzeittätigkeit auszuüben. Er habe ein Arbeitsangebot aus der Türkei erhalten. Die Betreuung der Kinder sei durch Familienangehörige in der Türkei gewährleistet. Ihm sei es finanziell nicht möglich, die Umzugskosten zu tragen. Nach seiner Kenntnis würden Transportkostenbeihilfen nach § 16 SGB II i.V.m. den dort genannten Normen des Sozialgesetzbuchs Drittes Buch (SGB III) für Umzüge in die Türkei von den Leistungsträgern gewährt. Durch Bescheid vom 15.04.2010 lehnt die Antragsgegnerin den Antrag unter Berufung auf § 22 Abs. 3 SGB II ab. Der Antragsteller sei in X ausreichend mit Wohnraum versorgt. Ein Umzug sei aus Kostengründen nicht erforderlich. Gründe, die einen Umzug rechtfertigten, seien nachweislich nicht vorgetragen worden.

Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Er legte einen unbefristeten Arbeitsvertrag, beginnend ab dem 01.01.2010 bei einer Firma in J, sowie drei Angebote von Umzugsunternehmen in Höhe von 6.580,00 EUR bis 8.450,00 EUR vor.

Am 21.05.2010 hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Umzugskosten in die Türkei zu bewilligen.

Er trägt vor, dass er zum 01.10.2010 eine Arbeitsstelle in der Türkei antreten werde. Seine Kinder müssten mit umziehen, da er keine Verwandten in Deutschland habe, die sich um seine Kinder kümmern könnten. Durch den Umzug wäre er nicht mehr länger von deutschen Sozialleistungen abhängig. Er verfüge über keine finanziellen Reserven, um den Umzug zu finanzieren.

Durch Beschluss vom 09.06.2010 hat das Sozialgericht Aachen den Antrag abgelehnt. Die Voraussetzungen für die Übernahme von Kosten eines Umzugs ins Ausland nach § 16 SGB II i.V.m. § 45 Abs. 2 SGB III sowie nach §16f SGB II lägen nicht vor.

Gegen den ihm am 11.06.2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 15.06.2010 Beschwerde eingelegt.

Er hat vorgetragen, dass für ihn die Entscheidung des Sozialgerichts Aachen nicht nachvollziehbar sei, da nach seiner Kenntnis Leistungsträger Beihilfen zu Umzugskosten bei Leistungsbezieher nach dem SGB II in die Türkei finanziert hätten.

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d. h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Ein im Hauptsacheverfahren durchsetzbarer Rechtsanspruch des Antragstellers ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht so wahrscheinlich, dass er den Erlass der begehrten Regelungsanordnung rechtfertigt.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II i. d. F. ab dem 01.08.2009 (n. F., Gesetz vom 02.03.2009, BGBl. I, 416) kann die Antragsgegnerin die Anbahnung oder Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit durch einen Leistungsbezieher nach dem SGB II gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB III i. d. F. ab dem 01.01.2009 (n. F., Gesetz vom 21.12.2008, BGBl. I, 2917) aus dem Vermittlungsbudget fördern, wenn dies für die berufliche Eingliederung notwendig ist. Unter die Leistungen aus dem Vermittlungsbudget nach § 45 Abs. 1 Satz 1SGB III n. F. fallen u. a. Umzugskostenbeihilfen, die im Gegensatz zu dem bis zum 31.12.2008 geltenden § 54 Abs. 6 SGB III (a. F.) nicht nur auf die Übernahme der Kosten des Transportes des Umzugsgutes beschränkt sind, sondern auch weitere Umzugskosten, wie z. B. Beförderungsauslagen, doppelte Mietaufwendungen, Reisekosten umfassen können (vgl. Bieback in Gagel, SGB II, § 45 Rn 121) und im Gegensatz zu den früheren Regelung des § 54 SGB III a. F. auch als Zuschuss gewährt werden können. Die Förderung der Arbeitsaufnahme ist nicht auf die Arbeitsaufnahme im Inland beschränkt, sondern die Antragsgegnerin kann nach § 45 Abs. 2 SGB III auch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung mit einer Arbeitszeit von mindestens 15 Stunden wöchentlich in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der Schweiz fördern. Insoweit schränkt § 45 Abs. 2 SGB III die Förderung einer Arbeitsaufnahme im Ausland aus Mitteln des Vermittlungsbudgets - im Gegensatz zu der bis zum 31.12.2008 geltenden Regelung des § 53 Abs. 3 SGB III (a.F.) - ein, wonach Mobilitätshilfen i.S.v. § 53 Abs. 2 SGB III an Bezieher von Arbeitslosengeld auch zur Aufnahme einer Beschäftigung im Ausland ohne räumliche Begrenzung erbracht werden konnten. Im Gegensatz zu § 53 Abs. 3 SGB III a. F. sind in § 45 Abs. 2 SGB III n.F. die Staaten, in denen eine Arbeitsaufnahme gefördert wird, enumerativ aufgezählt. Die Republik Türkei ist weder ein Mitgliedsstaat der Europäischen Union noch Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (hierzu gehören das Fürstentum Liechtenstein, Island, Norwegen), so dass der vom Antragsteller geplante Umzug nach Izmir zwecks Arbeitsaufnahme nicht vom Anwendungsbereich des § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F. i.V.m. § 45 SGB III n. F. erfasst wird.

Ebenso kann der Antragsteller keinen Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten - wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat - aus § 16 f SGB II ableiten. Danach kann die Agentur für Arbeit bis zu 10 Prozent der nach § 46 Abs. 2 SGB II auf sie entfallenden Eingliederungsmitteln für Leistungen zur Eingliederung in Arbeit einsetzen, um die Möglichkeiten der gesetzlich geregelten Eingliederungsleistungen durch freie Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu erweitern. Die freien Leistungen müssen den Zielen und Grundsätzen dieses Buches entsprechen (§ 16 f Satz 2 SGB II). Durch die Aufnahme der freien Förderung soll den Leistungsträger die Möglichkeit eingeräumt werden,einen begrenzten Teil des Haushaltsansatzes einzusetzen, um die mit den gesetzlich geregelten Eingliederungsleistungen bestehenden Eingliederungsmöglichkeiten zu erweitern. Die mit der freien Förderung verbundene weitgehend gesetzesfreie Leistungsgewährung wird durch ein Aufstockungs- und Umgehungsverbot der gesetzlichen Eingliederungsleistungen begrenzt. Grundsatzentscheidungen des Gesetzgebers zur Arbeitsmarktpolitik dürfen nicht durch Leistungen der freien Förderung unterlaufen werden. Wenn der Gesetzgeber Förderungsvoraussetzungen, Zielgruppen, Art und Umfang sowie Qualitätsanforderungen für Leistungen zur Eingliederung geregelt hat, dürfen Leistungen der freien Förderung nicht eingesetzt werden, um den Zwecken nach gleichgerichtete Eingliederungsleistungen zu erbringen (vgl. BT-Drs. 16/10810 S. 48). Da der Gesetzgeber in § 45 Abs. 2 SGB III n. F. die Voraussetzungen für die Förderung einer Arbeitsaufnahme im Ausland geregelt hat, und insbesondere die förderungsfähige Beschäftigungsaufnahme auf das Gebiet von bestimmten Staaten - im Gegensatz zu der zuvor bestehende Reglung - beschränkt hat, ist eine Förderung des Umzugs des Antragstellers in die Türkei ohne Verletzung des Umgehungsverbots nicht möglich.

Auch spricht vieles dafür, dass die Vorschrift des § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II nicht zu Gunsten des Antragstellers eingreift. Danach soll die Zusicherung zur Übernahme von Umzugskosten durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger - vorliegend die Antragsgegnerin - erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Es kann dahinstehen, ob ein Umzug, der wegen einer Arbeitsaufnahme außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des kommunalen Trägers und damit zur Eingliederung in Arbeit erfolgt, ein notwendiger Umzug i.S.v. § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II ist (so anscheinend laut Terminsbericht: Bundessozialgericht Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 3/09 R) oder ob die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II n. F. i.V.m. § 45 SGB III n.F.als lex specialis zu § 22 Abs. 3 SGB II aufzufassen ist. Denn es spricht vieles dafür, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf Umzüge innerhalb des Gebietes der Bundesrepublik begrenzt ist. Dies ergibt sich schon aus der Systematik der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II, da der Gesetzgeber in § 22 Abs. 3 SGB II bestimmt hat, welche Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten von welchem (dem vor oder nach dem Umzug zuständigen) kommunalen Träger zu übernehmen sind, er also von einem Umzug innerhalb des Gebiets des Bundesrepublik ausgeht. Des weiteren soll nach der Konzeption des SGB II durch die Leistungen des SGB II die Eingliederung des Hilfebedürftigen in den inländischen Arbeitsmarkt gefördert werden (§ 1 SGB II). Dies ergibt sich schon aus dem Sozialrecht geltenden Territorialitätsprinzip (§ 30 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -SGB I -), wonach der Gesetzgeber nur verpflichtet ist, denen eine soziale Sicherheit zu garantieren, für die er verantwortlich ist, d. h. die sich in seinem Hoheitsgebiet aufhalten (vgl. zum Territorialitätsprinzip BSG Urteil vom 27.08.2008 - B 11 AL 22/07 R - m.w.N.). Durch die geplante Verlegung des Wohnsitzes in die Türkei entfallen die persönlichen Voraussetzungen des Antragstellers für den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II - gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet -. Dem SGB II kann nicht die Zielsetzung der Förderung der Aufgabe des gewöhnlichen Wohnsitzes eines Leistungsberechtigten, also die Förderung der Auswanderung, entnommen werden. Soweit § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F. i.V.m. § 45 SGB III n. F. die Förderung einer Beschäftigung im Ausland im begrenzten Umfang vorsieht, handelt es sich um eine vom Territorialitätsprinzip abweichende Vorschrift i.S.d. § 37 SGB I.

Dem Antragsteller können die Umzugskosten auch nicht als Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II gewährt werden. Denn es handelt sich bei den Umzugskosten als Kosten der Unterkunft i.S.v. § 22 Abs. 3 SGB II oder als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nicht um einen von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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