S 8 AS 302/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 302/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 08.09.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2009 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung des Arbeitslosengeldes II um zehn Prozent der für ihn maßgebenden Regelleistung im Zeitraum vom 01.10.2009 bis 31.12.2009.

Der am 00.00.1971 geborene Kläger beantragte am 18.06.2009 die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), die die Beklagte mit Bewilligungsbescheid vom 01.07.2009 für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis 30.11.2009 auch bewilligte.

Mit Bescheid vom 08.09.2009 senkte die Beklagte das dem Kläger gewährte Arbeitslosengeld II sodann um zehn Prozent der für ihn maßgebenden Regelleistung für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis 31.12.2009 ab. Die Bewilligungsentscheidung vom 01.07.2009 hob sie insoweit auf. Zur Begründung führte sie aus, dass der Kläger trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen zu einem Meldetermin am 27.08.2009 ohne wichtigen Grund nicht erschienen sei.

Hiergegen legte der Kläger am 17.09.2009 Widerspruch ein. Er habe den Termin tatsächlich versäumt. Versehentlich habe er sich den 28.08.2009 in den Kalender eingetragen. Als er dann am 28.08.2009 noch einmal auf das Einladungsschreiben geschaut habe, sei ihm die Verwechslung aufgefallen. Er habe sich auch am Vormittag gleich bei der Beklagten gemeldet und entschuldigt. Ein erstmaliges und einmaliges Nichterscheinen zum Termin rechtfertige keine Sanktion. Des Weiteren sei zu berücksichtigen, dass der Kläger unter ADS leide. Charakteristisch hierfür sei eine Vergesslichkeit sowie Hibbeligkeit und Schusseligkeit. Die Falscheintragung im Kalender sei krankheitsbedingt erfolgt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen zum Termin sei nicht erkennbar. Das falsche Notieren im Kalender stelle keinen wichtigen Grund dar, sondern liege allein im Verantwortungsbereich des Klägers. Auch die Erkrankung stelle keinen wichtigen Grund dar.

Hiergegen hat der Kläger am 27.11.2009 Klage erhoben. Er wiederholt sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und reicht ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie M vom 06.12.2009 aus einem Betreuungsverfahren zu den Akten, dass dieser im Rahmen des amtsgerichtlichen Verfahrens erstellt hat. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen. Des Weiteren teilt er mit, dass zwischenzeitlich ein gesetzlicher Betreuer mit den Wirkungskreisen Gesundheitsfürsorge und Vermögenssorge einschließlich der Ämter- und Behördenangelegenheiten und Wohnungsangelegenheiten bestellt worden sei. Mit dessen Hilfe habe er sich zwischenzeitlich in Therapie begeben und arbeite beständig an der Verbesserung seiner gesundheitlichen Situation.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf Bescheid und Widerspruchsbescheid und führt ergänzend aus: Ausweislich des vorgelegten Gutachtens sei der Kläger voll geschäftsfähig. Eine die freie Willensbildung einschränkende Störung krankhafter Geistestätigkeit liege nicht vor. Dem Gutachten lasse sich nicht entnehmen, dass der Kläger aufgrund der vorliegenden Erkrankungen nicht in der Lage gewesen sei, den Meldetermin wahrzunehmen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes die Beklagte um Vorlage der an den Kläger versandten Meldeaufforderung gebeten. Diese hat ein Muster einer Meldeaufforderung übersandt und mitgeteilt, dass das Original nicht mehr vorliege, aber dieses Muster den stets versandten Aufforderungen entspreche. Der Kläger hat mitgeteilt, dass er über das Original der Meldeaufforderung nicht mehr verfüge. Ob der Text des Musters dem Text seiner Meldeaufforderung entspräche, könne er nicht mehr sagen.

Wegen der weiteren Einzelheiten das Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid vom 08.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2009 im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 1 SGG beschwert, da der Bescheid, mit dem die Beklagte das dem Kläger gewährte Arbeitslosengeld II um zehn Prozent der für den Kläger maßgebenden Regelleistung für den Zeitraum vom 01.10.2009 bis 31.12.2009 abgesenkt und den Bewilligungsbescheid vom 01.07.2009 aufgehoben hat, rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt.

Die von der Beklagten getroffene Regelung findet für die Monate Oktober und November 2009, für die bereits mit Bescheid vom 01.07.2009 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende bewilligt waren, ihre Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 S. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 31 Abs. 2 S. 1 SGB II. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche Änderung der Verhältnisse stellt die Verwirklichung eines Sanktionstatbestandes des § 31 SGB II dar. Für den Monat Dezember 2009, für den Grundsicherungsleistungen bei Erteilung des Sanktionsbescheides nicht bereits bewilligt waren, ist Rechtsgrundlage für die von der Beklagten getroffene Regelung § 31 Abs. 2 S. 1 SGB II direkt. Gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschalgs nach § 24 SGB II in einer ersten Stufe um 10 Prozent der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihr zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommt und keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist.

Im genannten Fall konnte sich die Kammer nicht davon überzeugen, dass die Voraussetzungen der genannten Vorschriften erfüllt sind. Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der Kläger den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 2 S. 1 SGB II verwirklicht hat. Entsprechend konnte auch eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht festgestellt werden. Zunächst einmal kann die Kammer bereits nicht feststellen, dass dem Kläger eine ordnungsgemäße Meldeaufforderung mit einem konkret benannten zulässigen Meldezweck im Sinne des § 309 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) und einer den Anforderungen des § 31 SGB II entsprechenden Rechtsfolgenbelehrung übermittelt wurde. Zwar bestreitet der Kläger nicht, eine Terminseinladung erhalten zu haben. Es kann jedoch durch die Kammer nicht mehr geprüft werden, ob diese ordnungsgemäß und unter Beifügung einer richtigen Rechtsfolgenbelehrung erfolgte. Der Kläger verfügt über die ihm übersandte Einladung nicht mehr. Und auch die Beklagte kann das dem Kläger übersandte Einladungsschreiben nicht mehr vorlegen. Eine Kopie der dem Kläger übersandten Einladung oder eine Mehrausfertigung wurde von der Beklagten nicht gefertigt und zur Akte genommen. Auch ist die Einladung nicht mehr in der EDV gespeichert, so dass sie nicht mehr reproduziert werden kann, wobei auch zweifelhaft ist, ob durch einen späteren Nachdruck des Einladungsschreibens der Nachweis einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung erbracht werden kann (vgl. hierzu SG LIP, Urteil vom 10.02.2010, Az.: S 18 (22) AS 21/09). Die Vorlage einer Mustereinladung genügt der Kammer zum Nachweis einer ordnungsgemäßen Meldeaufforderung mit ordnungsgemäßer Rechtsfolgenbelehrung nicht. Im Hinblick auf den schwerwiegenden Eingriff, den eine Sanktion für den Betroffenen darstellt, stellt die Kammer an den Nachweis der Voraussetzungen strenge Anforderungen. Letztlich kann durch das vorgelegte Muster nicht der Nachweis erbracht werden, dass eine Meldeaufforderung mit genau diesem Text dem Kläger zugegangen ist. Weder kann ausgeschlossen werden, dass in dem dem Kläger übersandten Schreiben ein anderer Meldezweck genannt war, noch kann ausgeschlossen werden, dass eine andere Rechtsfolgenbelehrung enthalten war. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 24.08.2010 erklärt, dass er nicht mehr sagen könne, ob die ihm übersandte Einladung genau diesen Text enthalten habe. Da die Beklagte die Rechtsfolge der Absenkung der Regelleistung geltend macht, trägt sie die objektive Beweislast für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen (so auch SG LG, Urteil vom 22.07.2008, Az.: S 30 AS 538/05; SG LIP, Beschluss vom 09.04.2010, Az.: S 18 AS 473/10 ER und SG LIP, Urteil vom 10.02.2010, Az.: S 18 (22) AS 21/09).

Darüber hinaus liegt nach Auffassung der Kammer auch ein wichtiger Grund für das Nichterscheinen des Klägers zum Meldetermin vor. Der Kläger war nach Auffassung der Kammer aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, den Meldetermin wahrzunehmen. Wichtiger Grund sind alle Umstände des Einzelfalles, die unter Berücksichtigung der normativ oder tatsächlich berechtigten Interessen des Einzelnen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (Berlit in: LPK/SGB II, § 31 RdNr. 60, m. w. N.). Der Kläger leidet ausweislich des Gutachtens des Facharztes für Psychiatrie M an einem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom; darüber hinaus besteht der Verdacht auf eine Anpassungsstörung mit länger dauernder Depression. Zwar hält der Sachverständige, wie die Beklagte ausführt, den Kläger für geschäftsfähig. Jedoch führt der Sachverständige auch aus, dass der Kläger Schwierigkeiten habe, sich ausreichend zu konzentrieren und krankheitsbedingt Defizite beim Durchhaltevermögen zeige. Der Sachverständige hält die Erkrankungen auf psychischem Gebiet für derartig gravierend, dass er die Einrichtung einer Betreuung empfiehlt, die Ämter- und Behördenangelegenheiten einschließt. Eine entsprechende Anordnung ist durch das Amtsgericht zwischenzeitlich erfolgt. Die Kammer hält aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen für nachvollziehbar, dass das falsche Notieren des Termins nicht lediglich auf eine durch entsprechende Willensanstrengung zu überwindende Gedankenlosigkeit, sondern tatsächlich auf die Erkrankung des Klägers zurückzuführen ist, die er zur Zeit nicht unter Kontrolle hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen. Sie ist gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR nicht übersteigt. Die Rechtssache hat jedoch weder grundsätzliche Bedeutung noch weicht die Entscheidung von obergerichtlicher Rechtsprechung ab.
Rechtskraft
Aus
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