L 7 AS 677/10 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 32 AS 4994/10 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 677/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Hilfebedürftige, deren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 vor dem 01.01.2008 entstanden ist und die das 58. Lebensjahr vor diesem Tag vollendet haben, sind nicht nach § 12a SGB 2 verpflichtet, eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen
I. Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Oktober 2010 dahin abgeändert, dass der Antragsgegner vorläufig für die Zeit vom 01.12.2010 bis zum 28.02.2011, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch in Höhe von monatlich 678,00 EUR zu erbringen hat. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden Antragsteller) (weiterhin) leistungsberechtigt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist oder als Altersrentner von derartigen Leistungen ausgeschlossen ist.

Der am. 1947 geborene Antragsteller bezog seit geraumer Zeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden Antragsgegner). Zuletzt wurden ihm mit Bescheid vom 25.03.2010 Leistungen in Höhe von monatlich 678,00 EUR für den Zeitraum vom 01.05.2010 bis 31.10.2010 bewilligt (359,00 EUR Regelleistung und 318,78 EUR Kosten der Unterkunft).

Unter dem 13./29.06.2007 schlossen die Beteiligten eine "Eingliederungsvereinbarung zu § 65 Abs. 4 SGB II i. V. m. § 428 SGB III". U.a. ist darin niedergelegt, dass sich der Antragsteller bereit erklärt, zum frühestmöglichen Zeitraum eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen. Eine um Abschläge geminderte Rente wegen des noch nicht erreichten individuellen Rentenalters müsse also nicht beantragt werden. Mit Schreiben vom 26.08.2008 wandte sich der Antragsteller an den Antragsgegner und führte aus, er wolle die "58. Regelung" zurückgenehmen, da er einen Ein-Euro-Job haben wolle.

Mit Schreiben vom 23.06.2010 forderte der Antragsgegner anlässlich des bevorstehenden 63. Geburtstags des Antragstellers diesen gemäß § 12a SGB II auf, einen Antrag auf Altersrente bei seiner Rentenversicherung zu stellen und die Antragstellung bis zum 09.07.2010 nachzuweisen. Der Antragsteller sei nach §§ 60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verpflichtet, bei der Feststellung seines Bedarfs mitzuwirken. Nach § 66 i.V.m. § 67 SGB I könnten Sozialleistungen ohne weitere Ermittlung wegen fehlender Mitwirkung ganz oder teilweise versagt werden. Auf seinen Antrag vom 07.07.2010 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See dem Antragsteller Altersrente wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 237 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab 01.08.2010 in Höhe von 615,61 EUR monatlich. Abzüglich des Beitrags zur Krankenversicherung in Höhe von 48,63 EUR und des Beitrags zur Pflegeversicherung in Höhe von 13,54 EUR ergibt sich eine monatliche Nettorente von 553,44 EUR. Diese ist um 7,2 % auf Grund der vorzeitigen Inanspruchnahme gemindert.

Mit Bescheid vom 30.07.2010 hob der Antragsgegner die zuvor bis 31.10.2010 bewilligten Leistungen nach dem SGB II mit Wirkung vom 01.08.2010 auf.

Sowohl gegen den Rentenbescheid als auch gegen den Aufhebungsbescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 03.08.2010 nach anwaltlicher Beratung Widerspruch ein. Den Widerspruch gegen den Aufhebungsbescheid wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2010 zurück. Der Antragsteller sei als Altersrentner gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II ausgeschlossen. Auf den Antrag vom 30.08.2010 hin bewilligte das Sozialamt des Antragsgegners mit Bescheid vom 23.09.2010 darlehensweise Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in Höhe von 665,21 EUR monatlich für September 2010 und Oktober 2010. Bis zur gerichtlichen Klärung bestehe eine Notlage, die durch die Gewährung des Darlehens beseitigt werde.

Den am 30.08.2010 beim SG gestellten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz hat das SG mit Beschluss vom 05.10.2010 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, hinsichtlich des Zeitraums bis zum 31.10.2010 habe der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. einer noch zu erhebenden Anfechtungsklage gegen den Aufhebungsbescheid vom 30.07.2010 keine Aussicht auf Erfolg, weil nicht innerhalb der Klagefrist gegen den Widerspruchsbescheid vom 24.08.2010, zugestellt am 26.08.2010, Klage erhoben worden sei. Hinsichtlich der begehrten vorläufigen Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.11.2010 sei der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unbegründet, weil der Lebensunterhalt des Antragstellers gegenwärtig auf Grund des SGB-XII-Darlehens des Antragsgegners gesichert sei. Es sei auch nicht ausgeschlossen, dass der Antragsgegner diese Leistungen nach § 38 SGB XII über den 31.10.2010 hinaus erbringen werde. Insoweit sei der Antragsteller zunächst auf einen entsprechenden Antrag zu verweisen, sodass gegenwärtig eine besondere Eilbedürftigkeit nicht ersichtlich sei. Im Übrigen sei der Antragsteller zunächst darauf zu verweisen, sich die bewilligte Rente vorläufig auszahlen zu lassen. Erst bei einer endgültigen Weigerung des Rentenversicherungsträgers komme ein Anordnungsgrund in Betracht.

Gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 07.10.2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 18.10.2010 beim SG Beschwerde eingelegt, welche nach Weiterleitung am 21.10.2010 beim Sächsischen Landessozialgericht einging. Im Rahmen der Begründung der Beschwerde hat er ausgeführt, er sei weder verpflichtet noch freiwillig bereit, vorzeitig bzw. mit Abschlägen in Altersrente zu gehen. Er wolle bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, Arbeitsgelegenheiten wahrnehmen und erst dann in Rente gehen, wenn dies ohne Abschläge möglich sei. Auf Grund der Eingliederungsvereinbarung vom 13./29.06.2007 sei er auch nicht verpflichtet, vor Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze bzw. unter Hinnahme von Abschlägen Altersrente zu beantragen. Auch sein Schreiben vom 26.03.2008 ändere hieran nichts. Der Inhalt dieses Schreibens lasse klar erkennen, dass er gerade wünsche, so lange wie möglich in Arbeitsmaßnahmen vermittelt zu werden und somit erst mit Erreichen des 65. Lebensjahres in Altersrente zu gehen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.10.2010 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache monatliche Leistungen nach dem SGB II in gesetzlichem Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsteller sei als Altersrentner gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Eingliederungsvereinbarung vom 13./29.06.2007 gelte nicht mehr, der Antragsteller habe diese mit Schreiben vom 26.03.2008 gekündigt. Soweit er freiwillig auf Leistungen der Rentenversicherung verzichte, bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis. Weil der Aufhebungsbescheid bestandskräftig sei, könne der Antrag insoweit schon deshalb keinen Erfolg haben.

Auf telefonische Rückfrage durch das Gericht hat die Rentenversicherung des Antragstellers mitgeteilt, die bewilligte Rente werde seit ihrer Bewilligung laufend und auch aktuell ausgezahlt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenvorgänge des Antragsgegners.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 SGG statthafte und zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Ast. nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 – L 9 B 192/08 KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-SGG, 2. Aufl., § 86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können und wenn sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05).Letzteres bestätigend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25.02.2009 – 1 BvR 120/09 weiter ausgeführt, dass das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso weniger zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind. Art 19 Abs. 4 Grundgesetz verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers – unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter – unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, a.a.O., § 86b RdNr. 27a).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HessLSG, Beschluss vom 29.09.2005 – L 7 AS 1/05 ER; Keller, a.a.O., § 86b RdNrn. 27 und 29 m.w.N). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.

Gemessen hieran hat der Antragsteller sowohl einen Anordnungsanspruch als auch – ab 01.12.2010 – einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

§ 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II steht dem Anspruch, dessen übrige Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 SGB II vorliegen, nicht entgegen. Der Antragsteller kann nicht auf den Bezug der mit Bescheid vom 26.07.2010 bewilligten Rente verwiesen werden. Mit § 65 Abs. 4 SGB II hat der Gesetzgeber für ältere Leistungsempfänger, bei denen die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 01.01.2008 liegen, Vertrauensschutz geschaffen (vgl. Berlit in LPK SGB II, 3. Auflage, § 65 Rdnr. 7). Satz 3 dieser Vorschrift verweist ergänzend auf § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Bezüglich der in dieser Vorschrift vorgesehenen Möglichkeit der Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung bestimmt § 428 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB III, dass die Aufforderung zur Rentenantragstellung nicht für solche Altersrenten ergehen soll, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Rentenalter in Anspruch genommen werden können. Hierdurch soll deutlich gemacht werden, dass der Versicherte nur aufgefordert werden soll, wenn er eine Altersrente ohne Rentenminderung beziehen kann (vgl. Brand in Niesel, SGB III, 4. Auflage, § 428 RdNr. 9). Auf Grund der Verweisung in § 65 Abs. 4 Satz 3 SGB II wird allgemein angenommen, dass auch die Leistungsempfänger nach dem SGB II nur eine ungeminderte Altersrente beantragen müssen, wenn sie die Leistungen unter der entsprechenden Beschränkung ihrer Arbeitsbereitschaft bezogen haben (vgl. Berlit, a.a.O., Rdnr. 9, Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 65 RdNr. 29 ff., Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 12a RdNr. 29, Hünecke in Gagel, SGB II und III, § 65 SGB II RdNr. 30, Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 01.02.2010, L 19 B 371/09 AS ER). So liegt der Fall hier. Der Antragsteller hat das 58. Lebensjahr 2005 und damit vor dem 01.01.2008 vollendet. Ebenfalls ist der Anspruch vor dem 01.01.2008 entstanden.

Auch aus der durch das Siebte SGB-III-Änderungsgesetz vom 08.04.2008 (Bundes- gesetzblatt I S. 681) mit Wirkung vom 01.01.2008 eingeführten Regelung des § 12a Satz 2 SGB II, wonach Hilfebedürftige bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres nicht verpflichtet sind, eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch zu nehmen, ergibt sich nichts anderes, sondern vielmehr die Bekräftigung des in § 65 Abs. 4 SGB II geregelten Vertrauensschutzes für ältere Arbeitslose. Der Gesetzgeber wollte einheitlich für alle Hilfebedürftigen eine Altersfestlegung, ab der sie eine vorzeitige Altersrente (auch) mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen haben (BT-Drucksache 16/7460, S. 12 zu Nr. 3), regeln. Von dieser Verpflichtung, eine geminderte Altersrente zu beantragen, wie sie auch der Antragsteller nur beanspruchen könnte (Altersrente für langjährig Versicherte gemäß § 36 SGB VI, Minderungsumfang gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2a SGB VI maximal 7,2 % für zwei Jahre), besteht neben den in der Verordnung zur Vermeidung unbilliger Härten durch Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente (Unbilligkeitsverordnung) vom 14.04.2008 (Bundesgesetzblatt 1, S. 734) geregelten Sonderfällen, die bei dem Antragsteller offensichtlich und unstreitig nicht vorliegen, eine Ausnahme für die Leistungsempfänger, die die Regelvoraussetzungen des Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II allein deshalb nicht erfüllen, weil sie nicht bereit sind und nicht alle Möglichkeiten nutzen und nutzen wollen, ihre Hilfebedürftigkeit durch Aufnahme einer Arbeit zu beenden, wenn die Vollendung des 58. Lebensjahres und die Entstehung des Leistungsanspruchs vor dem 01.01.2008 liegen. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 12a SGB II (BT-Drucksache 16/7460, S. 12 zu Nr. 3) schränkt Satz 2 der Vorschrift die in Satz 1 geregelte Verpflichtung für den Fall der Altersrente ein. Als vorrangige Leistung ist sie aber lediglich vorbehaltlich der in § 65 Abs. 4 SGB II geregelten Fälle grundsätzlich ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt in Anspruch zu nehmen. Selbst die Durchführungshinweise der Bundesagentur für Arbeit (www.bundesagentur.de) zu § 12a SGB II gehen von Bestandsschutz in Fällen der Übergangsregelung in § 65 Abs. 4 SGB II i. V. m. § 428 SGB III aus: "Personen, deren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II vor dem 01.01.2008 entstanden ist und die das 58. Lebensjahr vor diesem Tag vollendet haben, konnten gemäß § 65 Abs. 4 SGB II Leistungen unter entsprechender Anwendung des § 428 SGB III erhalten. In diesen Fällen ist der Hilfebedürftige generell nur dann aufzufordern, einen Rentenantrag zu stellen, wenn die Voraussetzungen für eine ungeminderte Rente vorliegen."

Zwar bleibt es dem Hilfebedürftigen unbenommen, freiwillig einen Rentenantrag zu stellen. Eine freiwillige Rentenantragstellung liegt jedoch nicht vor. Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Senats nur wegen der Aufforderung des Antragsgegners und aus Sorge um seinen Lebensunterhalt gegen seine Überzeugung den Rentenantrag gestellt, was er auch dadurch dokumentiert hat, dass er gegen die Rentenbewilligung Widerspruch eingelegt hat. Weil die Rentenbewilligung auf Grund der Widerspruchseinlegung noch nicht bestandskräftig ist, kann der Rentenantrag, wie grundsätzlich jeder andere Antrag in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren auch, bis zur Unanfechtbarkeit des auf Grund des Antrags erlassenen Verwaltungsaktes zurückgenommen werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 09.08.1995, 13 RJ 43/94, Urteil vom 19.01.1989, 4/11a RA 74/87; Bundes- verwaltungsgericht, Urteil vom 03.04.1987, 4 C 30.85, Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 18 SGB X Rdnr. 8, JURIS Praxiskommentar, SGB I, § 46 Rdnr. 24, Giese/Krahmer, Kommentar, Sozialgesetzbuch I und X, § 46 SGB I Rdnr. 4.4). Selbst wenn man in der Widerspruchseinlegung oder Rücknahme des Rentenantrags einen Verzicht im Sinne des § 46 SGB I sähe, wäre dieser nicht nach § 46 Abs. 2 SGB I unwirksam. Denn die mit diesem Verzicht verbundene Belastung eines anderen Leistungsträgers, hier des Antragsgegners, ist unbeachtlich, weil dadurch lediglich der (rechtmäßige) Zustand gemäß § 65 Abs. 4 SGB II wiederhergestellt wird, der durch die (rechtswidrige) Aufforderung des Antragsgegners an den Antragsteller, Altersrente zu beantragen, hervorgerufen wurde. Auch eine Umgehung von Rechtsvorschriften, die den Verzicht im Sinne des § 46 Abs. 2 SGB I unwirksam erscheinen lassen würde, liegt nicht vor. Vielmehr wird der Rechtsvorschrift des § 65 Abs. 4 SGB II und damit der gesetzgeberischen Grundentscheidung, älteren Arbeitslosen Vertrauensschutz zu gewähren, Geltung verschafft.

Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller schon deshalb nicht verpflichtet ist, vorzeitig in Rente zu gehen, weil sich die Beteiligten darüber in der als Eingliederungsvereinbarung bezeichneten Vereinbarung vom 13./29.06.2007 geeinigt haben und ob diese Vereinbarung durch Kündigung beendet worden ist. Denn dass er dazu nicht verpflichtet ist, ergibt sich, wie oben dargelegt, bereits aus der gesetzlichen Regelung des § 65 Abs. 4 SGB II. Die als Eingliederungsvereinbarung bezeichnete Vereinbarung gibt insoweit auch nur die gesetzliche Regelung wieder.

Die vom Antragsgegner vorgetragene Bestandskraft des Aufhebungsbescheids steht dem Anspruch des Antragstellers jedenfalls im tenorierten Zeitraum nicht entgegen, weil der Aufhebungsbescheid lediglich Leistungen bis zum 31.10.2010 regelt. Soweit gleichzeitig die gewährten Leistungen ab dem 01.08.2010 eingestellt wurden, kann dies nur den Zeitraum bis 31.10.2010 betreffen, darüber hinaus wurden keine Leistungen gewährt. Für den Zeitraum ab 01.11.2010, für den der Antragsteller ebenfalls Leistungen begehrt und hinsichtlich dessen das Sozialgericht auch entschieden hat, ist keine bestandskräftige Ablehnung ersichtlich.

Des Weiteren ist ein Anordnungsgrund für den Zeitraum ab 01.12.2010 glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller stehen keine anderen bereiten Mittel zur Verfügung, auf die Auszahlung der bewilligten Rente als bereites Mittel kann er, wie oben dargelegt, nicht verwiesen werden. Zudem wäre die Rente mit 553,44 EUR (netto) nicht bedarfsdeckend. Der Senat hat in diesem Fall von seinem ihm gemäß § 86 b Abs. 2 SGG eingeräumten Ermessen dahingehend Gebrauch gemacht, die Verpflichtung des Antragsgegners ab 01.12.2010 einstweilen anzuordnen, weil für die davor liegenden Zeiträume kein Nachholbedarf glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich ist. In diesen vergangenen Monaten stand dem Antragsteller zwar mit der Rente in Höhe von 553,44 EUR weniger als der Bedarf von 678,00 EUR zur Verfügung, zudem ist aber zu berücksichtigen, dass ihm auch das Darlehen des Sozialamts in Höhe von zwei mal 665,21 EUR zur Verfügung stand, sodass eine wesentliche Lücke, die einen Nachholbedarf begründen könnte, nicht ersichtlich ist.

Der Senat hat ebenfalls erwogen, den Antragsgegner zu verpflichten, ergänzend zur Rente Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII oder Wohngeld zu erbringen, hat sich aber zu der tenorierten Anordnung entschieden, um der dargestellten gesetzgeberischen Grundentscheidung Geltung zu verschaffen. Des Weiteren ist zu befürchten, dass sonst unumkehrbare Nachteile für den Antragsteller entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Würde man den Antragsteller einstweilen als Altersrentner behandeln, wäre er nicht nur von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch von den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Ausschluss wäre für den Antragsteller unumkehrbar, wenn nicht die Hauptsacheentscheidung vor dem Erreichen seines gesetzlichen Rentenalters ergeht. Damit ist angesichts dessen, dass er das gesetzliche Rentenalter in weniger als zwei Jahren erreicht, nicht zu rechnen.

Hinsichtlich der Höhe der tenorierten Leistungen hat sich der Senat an den mit dem letzten Bewilligungsbescheid vom 25.03.2010 bewilligten Leistungen in Höhe von monatlich 678,00 EUR orientiert, weil wesentliche Änderungen der Einkommens-/Bedarfslage weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind.

Der tenorierte Zeitraum soll dem Antragsteller Rechtssicherheit und dem Antragsgegner Gelegenheit geben, die Leistungsbewilligung wieder auf eine reguläre Bewilligung umzustellen. Dabei geht das Gericht davon aus, dass der Antragsteller den Rentenantrag umgehend zurücknimmt und ihm damit im Dezember 2010 keine Rente mehr zur Verfügung steht. Sollte dies nicht geschehen, wäre die einstweilige Anordnung zu ändern.

Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die Anspruchsberechtigung des Antragstellers nach dem SGB II dem Grunde nach nicht am 28.02.2011 endet, sondern – nach derzeitiger Rechtslage – bis zum Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze nach dem SGB VI besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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