L 20 SO 569/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SO 199/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 569/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgericht Duisburg vom 24.09.2010 geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Duisburg Prozesskostenhilfe ab dem 09.08.2010 (Antragstellung) bewilligt und Rechtsanwältin B, E, zu ihrer Vertretung beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung eines Mehrbedarfs für schwerbehinderte Menschen nach § 30 Abs. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bereits ab dem 21.12.2009 statt, wie mit Bescheid vom 10.03.2010 von der Beklagten bewilligt, ab dem 01.03.2010.

Die Klägerin bezieht Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Am 21.12.2009 beantragte sie bei der Stadt E u.a. die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Mit Bescheid der Stadt E vom 18.02.2010 wurde der Grad der Behinderung (GdB) der Klägerin ab dem 21.12.2009 neu mit 60 festgesetzt und das Merkzeichen "G" zuerkannt. Mit Schreiben vom 03.03.2010 beantragte die Klägerin sodann unter Vorlage des Bescheides vom 18.02.2010 beim Sozialamt der Beklagten die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 1 SGB XII.

Die Beklagte bewilligte entsprechende Mehrleistungen ab dem 01.03.2010. Den gegen den Bewilligungsbescheid vom 10.03.2010 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2010 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 25.06.2010 Klage erhoben, die sie zunächst nicht näher begründet hat. Nach einem Hinweis des Sozialgerichts auf § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII hat sie ergänzend vorgetragen, Anspruchsgrundlage für eine rückwirkende Zahlung des Mehrbedarfs ab dem 21.12.2009 sei § 30 SGB XII i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Zur weiteren Begründung hat sie auf einen von ihr eingereichten Ausdruck aus einem Diskussionsforum Teilhabe und Prävention des Instituts für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH an der Deutschen Sporthochschule L verwiesen. Auf diesen Ausdruck nimmt der Senat Bezug.

Mit Beschluss vom 24.09.2010 hat das Sozialgericht den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Es hat u.a. ausgeführt, zwar komme eine rückwirkende Gewährung des Mehrbedarfszuschlags nach § 30 Abs. 1 SGG XII in Betracht; es müsse dann jedoch der Sozialhilfeträger von der Antragstellung bei der Versorgungsverwaltung informiert worden sein. Die Klägerin habe der Beklagten jedoch nicht mitgeteilt, dass sie im September 2009 einen Antrag in ihrer Schwerbehinderungsangelegenheit gestellt habe; sie habe vielmehr erst im März 2010 den entsprechenden Bescheid vorgelegt. Eine rückwirkende Bewilligung des Mehrbedarfs scheide deshalb aus. Die Beklagte sei auch nicht verpflichtet, eine entsprechende Antragstellung zu erahnen. Die Klägerin habe es in der Hand, die Beklagte entsprechend zu informieren. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Gegen den am 29.09.2010 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 20.10.2010 Beschwerde erhoben. Sie trägt vor, der Beklagten sei es bereits im Herbst 2009 bekannt gewesen, dass sie schwerbehindert sei und einen entsprechenden Antrag stellen werde. Etwa Mitte des Jahres 2009 sei sie durch die Beklagte aufgefordert worden, ihre Wohnungskosten zu senken. Hiergegen habe sie sich mit Hinweis auf die bestehende Schwerbehinderung und die daraus resultierende Unmöglichkeit eines Umzugs gewandt. Die Beklagte habe sie daraufhin durch ihren Medizinischen Dienst (Frau G) begutachten lassen. Im Rahmen der Begutachtung habe ihre Tochter Frau G mitgeteilt, dass hinsichtlich der bestehenden Schwerbehinderung ein Verschlimmerungsantrag gestellt werde. Die Klägerin führt als Beweismittel insofern die Zeugenaussagen ihrer Tochter sowie von Frau G an.

Die Beklagte führt hierzu aus, sie habe erstmals durch ein Schreiben der Klägerin vom 01.03.2010 vom Vorliegen einer Schwerbehinderung und der Erteilung des Schwerbehindertenausweises mit dem Merkzeichen "G" Kenntnis erlangt. Im Juli 2009 sei die Klägerin aufgefordert worden, unangemessen hohe Unterkunftskosten zu senken. Hiergegen habe die Klägerin mit einem Schreiben vom 06.07.2009 Widerspruch eingelegt. Darin ist hinsichtlich des gesundheitlichen Zustandes der Klägerin folgendes ausgeführt: "Ich allein stehend, krank (ärztliche Atteste liegen bei), und 73 Jahre alt, und den Umzug nicht selbst bewerkstelligen kann und somit auf Helfer angewiesen bin, die aber für Arbeit entlohnt werden müssen." Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Widerspruchsschreiben vom 06.07.2009 Bezug genommen. Die Beklagte führt insoweit weiter aus, weder die dem Widerspruch beigefügten Atteste noch eine von der Beklagten eingeholte Stellungnahme der zuständigen Amtsärztin hätten einen Hinweis auf das Vorliegen einer Schwerbehinderung oder auch nur einen Hinweis auf die bevorstehende Beantragung der Anerkennung einer Schwerbehinderung enthalten; zur Diskussion habe lediglich eine allgemeine Erkrankung der Klägerin gestanden, welche es dieser unzumutbar gemacht habe, den Umzug selbst durchzuführen. Aus einem derartigen Vortrag der Klägerin auf das Vorliegen einer Schwerbehinderung mit Anerkennung des Merkzeichens "G" oder zumindest auf das Vorliegen einer entsprechenden Antragstellung durch die Klägerin zu schließen, sei der Beklagten weder möglich, noch sei es von ihr rechtlich zu erwarten.

Die Beklagte legt in diesem Zusammenhang einen Vermerk vom 29.07.2009 der Frau G vor. Zum Gesundheitszustand der Klägerin ist dort ausgeführt, diese leide an chronischen internistischen Erkrankungen sowie an Erkrankungen im Bereich des Bewegungsapparates, zudem auch an nichtorganischen Erkrankungen. Für August 2009 sei eine erneute stationäre Aufnahme geplant, wobei invasive Untersuchungen zu Abklärung der notwendigen Behandlungsmaßnahmen durchgeführt werden sollten. Sowohl die körperliche als auch die seelischen Belastbarkeit der Klägerin seien demnach gemindert. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vermerk der Frau G vom 29.07.2009 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das Sozialgericht eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung i.S.v. § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) verneint.

Eine solche hinreichende Erfolgsaussicht liegt bereits vor, wenn die Klage ein Rechtsfrage aufwirft, die in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, aber klärungsbedürftig ist (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a Rn. 7b m.w.N.). Um eine solche Rechtsfrage geht es im Fall der Klägerin:

Zwar tritt der Senat bei summarischer Prüfung der Auffassung des Sozialgerichts bei, dass es sich, wenn im laufenden Leistungsbezug nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erstmals ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII entsteht, um einen Fall der Änderung der Leistung nach § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII handelt. Die Voraussetzungen für diese Änderung müssen deshalb, um einen höheren Leistungsanspruch zum Monatsersten entstehen zu lassen, dem Sozialhilfeträger "mitgeteilt" worden sein. Insofern dürfte es sich bei summarischer Prüfung um eine besondere Ausformung des Kenntnisgrundsatzes des § 18 Abs. 1 SGB XII handeln.

In diesem Zusammenhang kann für die Zwecke der Bewilligung von Prozesskostenhilfe dahinstehen, ob die von der Klägerin erstmals mit der Beschwerde vorgebrachte Behauptung der Wahrheit entspricht, ihre Tochter habe der Mitarbeiterin G des Medizinischen Dienstes der Beklagten Mitte des Jahres 2009 im Zusammenhang mit einer von der Beklagten beabsichtigten Senkung der Leistungen für Unterkunft und Heizung bereits mitgeteilt, es solle hinsichtlich einer bestehenden Schwerbehinderung ein Verschlechterungsantrag gestellt werden. Denn selbst, wenn dies nicht zutreffen sollte, ist ein Obsiegen der Klägerin schon deshalb nicht auszuschließen, weil auch der Antrag vom 21.12.2009 in der Schwerbehinderungsangelegenheit bei der für diese Angelegenheiten ebenfalls zuständigen Beklagten (Stadt E) gestellt worden ist:

Die Frage, ob eine Mitteilung im Rahmen des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII nur dann einen höheren Sozialhilfeanspruch auslösen kann, wenn sie innerhalb der Organisation einer für diverse sozialrechtliche Angelegenheiten zuständigen Körperschaft (wie z.B. der Stadt E) gerade bei der konkret für Leistungen nach dem SGB XII zuständigen Organisationseinheit (d.h. bei dem Sozialamt) vorgebracht worden ist, oder ob es bereits ausreicht, dass die zuständige Behörde (Oberbürgermeister der Stadt E) - gleichviel, bei welcher Organisationseinheit (z.B. beim Amt für Schwerbehinderungsangelegenheiten) - überhaupt Mitteilung erhalten hat, rechtfertigt als klärungsbedürftige Rechtsfrage die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Dabei berücksichtigt der Senat, dass jedenfalls im Rahmen des sog. "Kenntnisgrundsatzes" des § 18 Abs. 1 SGB XII anerkannt ist, dass im Sinne des Gesetzes als "Träger der Sozialhilfe" nicht die einzelne Dienststelle, sondern die Gesamtverwaltung zu verstehen ist (sog. Grundsatz der Einheit der Verwaltung; vgl. Hohm, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl. 2010, § 18 Rn. 8 und § 3 Rn. 10 ff.; vgl. ferner Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 18 Rn. 15).

Der Senat muss zu dieser Rechtsfrage im vorliegenden Zusammenhang nicht abschließend Stellung nehmen. Sollte das Sozialgericht sie bei seiner Auslegung des § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII dahingehend beantworten, dass eine Mitteilung im Sinne der Vorschrift allein dann vorliegt, wenn diese gegenüber der für Leistungen nach dem SGB XII zuständigen Stelle des Leistungsträgers vorgebracht wurde, so wird es ergänzend zu prüfen haben, ob der Beschwerdevortrag der Klägerin Anlass für Ermittlungen über das zwischen der Mitarbeiterin G und der Tochter der Klägerin in der Jahresmitte 2009 geführte Gespräch gibt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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