L 5 AS 179/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 4 AS 90315/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 179/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. April 2010 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an die Antragstellerin vorläufig weitere Leistungen i.H.v. 215,16 EUR/Monat für die Monate März bis Juni 2010 zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat die der Antragstellerin entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin wendet sich in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine seitens der Antragsgegnerin vorgenommenen Kürzung der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) im Rahmen der Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).

Die Antragsgegnerin gewährte der Antragstellerin erstmals mit Bescheid vom 26. Juni 2009 i.d.F. des Änderungsbescheides vom 11. August 2009 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 10. Juni bis 31. Dezember 2009 (für Juni 2009: 574,18 EUR, für die Zeit vom 1. Juni bis 31. Dezember 2009 i.H.v. 829,16 EUR, davon 470,16 EUR/Monat für die KdU). Sie wies gleichzeitig darauf hin, dass die KdU unangemessen hoch seien. Sie forderte die Antragstellerin auf, diese Kosten innerhalb von sechs Monaten auf das angemessene Maß zu senken. Nach Ablauf der Frist würden nur noch die angemessenen Aufwendungen übernommen, d.h. 205,00 EUR Grundmiete, Betriebskosten i.H.v. 1,00 EUR/qm sowie Heizkosten i.H.v. 1,20 EUR/qm unter Abzug der Warmwasserpauschale. Bei einem Umzug, welcher einer vorherigen Zustimmung durch die Antragsgegnerin bedürfe, seien drei Kostenvoranschläge von drei verschiedenen Vermietern beizubringen. Entstehende Mietschulden würden nicht übernommen. Die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft der Antragstellerin belaufen sich auf eine Grundmiete i.H.v. 416,00 EUR monatlich für eine 60 qm große Wohnung. Zusätzlich hatte sie für das Jahr 2009 75,93 EUR Abfallgebühren sowie zweimonatlich 134,00 EUR für die Wasserver- und die Abwasserentsorgung zu zahlen. Die Wohnung beheizt sie mit selbst beschafftem Heizöl. Sie erhält seit 1. Januar 2010 Pflegegeld von der DAK i.H.v. 255,00 EUR/Monat nach der Pflegestufe 1. In der Zeit vom 26. Oktober 2009 bis einschließlich 31. März 2010 war sie arbeitsunfähig erkrankt.

Mit Bescheid vom 2. Dezember 2009 bewilligte die Antragsgegnerin der Antragstellerin für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2010 Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 614,00 EUR/Monat, wobei sie für die Kosten der Unterkunft 255,00 EUR berücksichtigte. In einem gegen diesen Bescheid unter dem 7. Dezember 2009 eingelegten Widerspruch führte die Antragstellerin aus, sie sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen, sich um eine neue Wohnung zu kümmern. So habe sie sich vom 19. August bis 21. Oktober 2009 in der Rehabilitationsklinik G. und vom 11. bis 20. November 2009 in der Fachklinik U. aufgehalten. Nach der ärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Anästhesieologie Dr. med. O. vom 8. Dezember 2009 sei sie derzeit aus gesundheitlichen Gründen den Belastungen eines Umzuges nicht gewachsen. Ihre Wohnung sei nicht zu groß. Ca. 20 qm gingen durch Dachschrägen und einen treppenaufgangsabhängigen größeren Flurbereich verloren.

Mit Änderungsbescheid vom 14. Dezember 2009 kürzte die Antragsgegnerin die KdU erst vom 1. März bis 30. Juni 2010. Gegen diesen Bescheid legte der Antragstellerin Widerspruch ein. Diesen wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2010 als unbegründet zurück. Die Unterkunftskosten i.H.v. 470,10 EUR/Monat seien unangemessen hoch. Sie verwies auf die seit dem 1. Dezember 2007 gültigen Richtlinien des Landkreises S. als Träger der KdU. Unter Würdigung der Gesamtumstände sei dieser Betrag nicht unmittelbar nach Ablauf von sechs Monaten ab dem 1. Januar 2010, sondern erst ab dem 1. März 2010 berücksichtigt worden.

Die Antragstellerin hat am 16. März 2010 beim Sozialgericht Stendal (nunmehr Sozialgericht Magdeburg) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorläufig KdU in voller Höhe zu erbringen. Die Kostensenkungsaufforderung seitens der Antragsgegnerin sei nicht ausreichend gewesen. Sie habe nicht mitgeteilt, welche Kosten angemessen seien. Die Antragsgegnerin habe weder die Baualtersklasse der Wohnung berücksichtigt noch die Vergleichsmieten ermittelt. Im Übrigen sei auch die Ermittlung der angemessenen Nebenkosten falsch. Für eine Pauschalierung der Nebenkosten gebe es keine Rechtsgrundlage. Aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen sei sie auch weiterhin nicht in der Lage umzuziehen.

Ebenfalls am 16. März 2010 hat die Antragstellerin gegen den Bescheid vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 14. Dezember 2009, dieser in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. März 2010 Klage erhoben (S 4 AS 351/10).

Mit Beschluss vom 15. April 2010 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, es sei nicht feststellbar, ob die Antragstellerin überhaupt hilfebedürftig sei. Sie verfüge über eine private Rentenversicherung. Auch auf ausdrückliches Nachfragen seien nur Unterlagen zum Rückkaufswert übersandt worden. Da die Angabe der Höhe der eingezahlten Beiträge fehle, sei nicht feststellbar, ob die Versicherung zu verwerten sei. Zudem ergebe sich aus den Kontoauszügen der Antragstellerin, dass sie über ein weiteres Konto/Sparbuch verfüge, auf das sie Einzahlungen von ihrem Girokonto mit der Angabe "Rücklage Heizöl" vornehme. Weder der Antragsgegnerin noch dem Gericht gegenüber habe die Antragstellerin das Vorhandensein dieses Kontos bzw. Sparbuches mitgeteilt, sodass auch keine Kenntnis über die Höhe des Guthabens bestehe. Das Gericht habe bei der Antragstellerin wegen der Rentenversicherung und des Guthabens des weiteren Kontos bzw. Sparbuches nicht nochmals nachgefragt, da es glaubhafte Angaben wegen des verschwiegenen "Rücklage Heizöl" - Kontos und der Tatsache, dass die Antragstellerin den Bezug von Leistungen der DAK weder der Antragsgegnerin noch dem Gericht gegenüber mitgeteilt habe, nicht erwartet habe. Da die Antragstellerin mithin ihre finanziellen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht habe, fehle es an einem Anordnungsgrund für den Erlass einer Regelungsanordnung.

Gegen den ihr am 20. April 2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 3. Mai 2010 Beschwerde eingelegt. Sie beziehe laufende Leistungen zum Lebensunterhalt. Die Voraussetzungen seien von der Antragsgegnerin geprüft worden. Die Hilfebedürftigkeit sei damit für das Sozialgericht bindend festgestellt. Sie begehre auch nicht die Zahlungen von Leistungen an sich, sondern die Übernahme der vollen Unterkunftskosten. Diesbezüglich habe das Gericht überhaupt keine Sachverhaltsermittlung durchgeführt. Es habe sich im Rahmen des Streitgegenstandes auf das Beantragte zu beschränken, hier die Höhe der Unterkunftskosten und die Frage der Berechtigung der Kostensenkungsaufforderung mit der damit einhergehenden Kürzung der Miete. Bei der vom Gericht zitierten Rente handele es sich um eine Riesterrente, die bereits überprüft worden sei.

Der Senat hat seine derzeitigen Ergebnisse der Ermittlungen über das Vorliegen eines schlüssigen Konzepts hinsichtlich der Bestimmung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin in das Verfahren eingeführt. Hinsichtlich der Datenerhebungen hat der Senat sich auf die Übersendung der ab 30. September 2008 erhobenen Daten beschränkt. Er hat darauf hingewiesen, dass das bisher mitgeteilte Konzept nicht schlüssig sei. Insbesondere sei die Ermittlung der Höhe der Mieten getrennt nach Wohnungsgrößen nicht feststellbar.

Auf Anforderung des Senats hat die Antragstellerin zur Vertiefung ihres Vortrages, ihr sei ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen, folgende Atteste vorgelegt:

- Attest über starke Beschwerden beider Schultergelenke vom 4. August 2010 von PD Dr. med. habil. A. M.

- Attest über das Vorliegen einer Angst- und depressiven Störung, eines chronischen Schmerzsyndroms mit Ausbildung einer somatoformen Schmerzstörung, Fibromyalgie bei Polyarthrose, eines chronischen Rückenschmerzes sowie aus psychiatrischer Sicht eine agoraphobische Symptomatik vom 7. Juli 2010 von Dr. med. B., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie

- Einen physiotherapeutischen Kurzbericht der Physiotherapeutin R., wonach im Bereich des rechten Schultergelenks keine Verbesserungen erreicht werden konnten. Die Patientin klage weiterhin über starke Schmerzen nachts in Verbindung mit motorischen Ausfallerscheinungen und sensibeln Störungen im gesamten Arm.

Die Antragstellerin beantragt nach dem schriftsätzlichen Vorbringen, unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Magdeburg vom 15. April 2010 die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr vorläufig für die Zeit vom 1. März bis 30. Juni 2010 Leistungen für die KdU i.H.v. insgesamt 470,16 EUR/Monat zu bewilligen,

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Richtlinien zur Angemessenheit der Unterkunftskosten für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

Nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Beschwerde statthaft, wenn im Hauptsacheverfahren die Berufung zulässig wäre. Dies ist der Fall, wenn der Berufungswert über 750,00 EUR liegt. Der Wert der Beschwerde liegt hier über dem Berufungswert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Antragstellerin begehrt die Übernahme der vollen Unterkunftskosten. Diese ermittelte die Antragsgegnerin zunächst mit 470,16 EUR. Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin diese Summe für die im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitgegenständlichen Monate März bis Juni 2010 begehrt. Sie hatte die Leistungsbewilligung für die Monate Juni bis Dezember 2009 nicht angegriffen und auch sonst keine Einwendungen gegen die zuvor von der Antragsgegnerin gezahlten (noch ungekürzten) KdU erhoben. Die Antragsgegnerin gewährte ihr ab März 2010 lediglich KdU i.H.v. 255,00 EUR/Monat. Die begehrte Differenz i.H.v. 860,64 EUR (470,10 EUR - 255,00 EUR x 4 Monate) liegt über dem maßgeblichen Beschwerdewert.

Die Beschwerde ist begründet.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrundes (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruches (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruches). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.
Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet.

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 86b Rn. 16b).

1.

Ein Anordnungsgrund ergibt sich vorliegend bereits aus der monatlichen Unterdeckung i.H.v. 215,16 EUR/Monat. Diese führt, da die SGB II-Leistungen der Existenzsicherung dienen, zu einer existenziellen Notlage.

Dem stehen auch nicht die finanziellen Verhältnisse der Antragstellerin entgegen. Die Rentenversicherung ist nach ihren Angaben eine staatliche geförderte Riesterrente und somit nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 SGB II vom Vermögen abzusetzen. Zwar hat die Antragstellerin im Verfahren den Versicherungsvertrag nicht zu den Akten gereicht. Der Senat sieht jedoch keine Anhaltspunkte, an der Richtigkeit dieses Vortrages zu zweifeln. Die Versicherung wurde auch der Antragsgegnerin gegenüber bei Erstantrag angegeben und nach Angaben der Antragstellerin überprüft. Diesem Vorbringen hat die Antragsgegnerin nicht widersprochen. Es kann daher dahinstehen, welchen Beitragzahlungen bis zur Beitragfreistellung erfolgt sind.

Wie hoch das Guthaben auf dem Konto ist, auf das die "Rücklage Heizöl" überwiesen worden ist, kann für die Prüfung eines Anordnungsgrundes ebenso dahinstehen. Soweit es im Bereich des Schonvermögens liegt (bei der Antragstellerin sind dies 7.350,00 EUR (150,00 EUR x 44 Jahr + 750,00 EUR)), hindert es nicht die Annahme einer Notlage. Für den Anordnungsgrund spielt vorhandenes Vermögen allenfalls dann eine Rolle, wenn der Anspruch für einen kurzen, überbrückbaren Zeitraum, bspw. für einen Sanktionszeitraum streitig ist. Vorliegend jedoch sind die KdU streitig, ein Zustand, der grundsätzlich auch über den hier streitgegenständlichen Bewilligungsabschnitt hinaus fortbesteht. In solch einem Fall wäre die Antragstellerin zur Begründung eines Anordnungsgrundes nicht verpflichtet, ihr Schonvermögen aufgebraucht zu haben. Zwar hat sie das Konto weder der Antragsgegnerin noch dem Gericht gegenüber konkret mit Kontonummer und Kontostand angegeben. Aber sie hat es entgegen der Ansicht des Sozialgerichtes auch nicht verschwiegen. Denn in den der Antragsgegnerin bei Erstantragstellung vorgelegten Kontoauszügen waren die entsprechenden Abbuchungen erkennbar und mithin für die Antragsgegnerin prüfbar.

Soweit das Guthaben das Schonvermögen übersteigen sollte, beträfe dies allenfalls den Anordnungsanspruch.

2.

Im Rahmen einer Folgenabwägung ergibt sich ein Anspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin auf vorläufige Übernahme der vollen Unterkunftskosten.

Die Antragstellerin gehört nach summarischer Prüfung zum Kreis der anspruchsberechtigten Personen (§§ 7, 8, 9 SGB II). Diese allgemeinen Leistungsvoraussetzungen sind entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch zu prüfen, wenn nur die Höhe der KdU im Streit stehen (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 70/08 R, Rn. 11).

Die Bewilligung von Pflegegeld nach der Stufe 1 sowie der Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung und die vorgelegten Atteste reichen nicht aus, um mit hinreichender Sicherheit ein dauerndes Leistungsvermögen unter drei Stunden täglich i.S. § 8 SGB II anzunehmen. Von der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin ist mithin auszugehen.

Die Antragstellerin ist nach ihren glaubhaften Angaben insbesondere hilfebedürftig i.S.v. § 9 SGB II. Sie ist nicht in der Lage, durch eigenes Einkommen oder Vermögen ihren Lebensunterhalt zu sichern. Der Senat teilt insoweit nicht die Zweifel des Sozialgerichtes. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Rücklage zur Beschaffung des Heizöls das Schonvermögen übersteigen könnte. Die Rücklage dient offensichtlich zweckgebunden der Heizölbeschaffung, sodass sich wohl kein größeres Guthaben angesammelt haben dürfte. Auch das von der Antragstellerin bezogene Pflegegeld hindert nicht die Hilfebedürftigkeit, denn es ist als zweckgebundenes Einkommen nicht anrechenbar.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Nach Satz 3 dieser Vorschrift sind auch KdU, die den angemessenen Umfang übersteigen, als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen so lange zu berücksichtigen, wie es ihm nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel längstens für sechs Monate.

Vorliegend kann dahinstehen, in welcher Höhe die KdU noch angemessen sind. Jedenfalls konnte der Senat nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass es der Antragstellerin zumutbar war, bis Juni 2010 einen Wohnungswechsel vorzunehmen. Diese hat durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ihrer behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. B. vorgetragen, ein Umzug sei ihr aufgrund der Angst- und depressiven Störungen mit agoraphobischer Symptomatik nicht möglich. Diese Einschätzung hat auch Dr. O. in der Bescheinigung vom 8. Dezember 2009 geäußert. Ob dieses tatsächlich der Fall ist, muss der Klärung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Jedenfalls kann der Senat nicht ausschließen, dass die festgestellten Erkrankungen die Antragstellerin darin hindern, sich eine neue Wohnung zu suchen und dorthin umzuziehen. Die Antragstellerin war zudem (soweit ersichtlich) in der Zeit vom 26. Oktober 2009 bis 31. März 2010 arbeitsunfähig erkrankt. Sollten die Diagnosen zutreffend sein, wäre ein Umzug im streitgegenständlichen Zeitraum für die Antragstellerin nicht zumutbar gewesen. Die bestehenden Zweifel an der Umzugsfähigkeit könnte der Senat ohne weitreichende langwierige Ermittlungen (Einholung eines Sachverständigengutachtens) in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht ausräumen. Die Antragsgegnerin wird für die Zukunft zu klären haben, ob und inwieweit die Erkrankungen weiterhin bei der Antragstellerin bestehen, und in welchem Zeitraum sie überwunden werden können. Rückschlüsse darauf könnten sich aus dem für Herbst 2010 geplanten Umzug nach H. ergeben.

Da das Bestehen eines Anordnungsanspruches aus tatsächlichen Gründen offen bleiben muss, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, 1236, 1237). Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. In solch einem Fall sind die grundrechtlichen Belange der Antragstellerin umfassend in die Abwägung einzustellen.

Die bestehenden Zweifel wirken sich hier zugunsten der Antragstellerin aus. Wenn sich in einem Hauptsacheverfahren herausstellt, dass eine Kostensenkung im streitgegenständlichen Zeitraum möglich gewesen sein sollte, so löst dies Rückzahlungsansprüche der Antragsgegnerin gegen die Antragstellerin aus. Die Gesundheit der Antragstellerin hat jedoch einen höheren Rang als das Risiko, dass sich ggf. die Rückzahlungsansprüche als nicht durchsetzbar erweisen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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