L 13 AS 2819/10 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
13
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 836/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 AS 2819/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG erfasst schon von seinem Wortlaut her nicht Beschwerden gegen einen die Bewilligung von PKH aufhebenden Beschluss nach § 124 Nr. 2 ZPO.
2. Eine im Verfahren erteilte Prozessvollmacht erstreckt sich jedenfalls dann auch auf das Überprüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO, wenn aus der Vollmachtsurkunde deutlich wird, dass die Bevollmächtigung nicht mit dem Hauptsacheverfahren endet und der Bevollmächtigte auch das PKH-Verfahren durchgeführt hat.
3. Ist die Prozessvollmacht auch im Überprüfungsverfahren zu beachten, sind die Aufforderung zur Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO und auch ein Beschluss nach § 124 Nr. 2 ZPO an den Prozessbevollmächtigten zu richten.
Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 3. März 2010 aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz (SG) vom 3. März 2010 hat Erfolg; sie ist zulässig und begründet.

1. Der Beschwerde ist statthaft; ein gesetzlicher Ausschlusstatbestand greift nicht ein. Gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht (LSG) statt, soweit im SGG nicht etwas anderes bestimmt ist. Eine andere Bestimmung in diesem Sinne liegt hier nicht vor. Insbesondere findet § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444), wonach die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) ausgeschlossen ist, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint, keine Anwendung. Beschwerden gegen die Aufhebung von PKH werden zunächst vom Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG nicht erfasst. Der Senat folgt darüber hinaus auch der wohl einhelligen Meinung in der Rechtsprechung, dass eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung dieses Ausschlusstatbestands auf Fallgestaltungen, in denen die Bewilligung von PKH aufgehoben worden ist, nicht in Betracht kommt (so LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14. Januar 2010 - L 1 AL 137/09 B m.w.N.; ebenso: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.10.2009 - L 11 R 898/09 PKH-B - beide veröffentlicht in Juris). Es liegt weder eine planwidrige Regelungslücke vor, noch sind gleichartige Sachverhalte gegeben. Die Ablehnung eines Antrags auf PKH ist mit der Aufhebung einer bereits bewilligten PKH, durch die dem Antragsteller eine Rechtsposition wieder entzogen wird, nicht vergleichbar. Der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 820/07, S. 29, zu Nr. 29 Buchst. b) ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Ausschluss der Beschwerde auf die Aufhebung von PKH erstrecken wollte (LSG Rheinland-Pfalz a.a.O.). 2. Die Beschwerde ist darüber hinaus form- und fristgerecht eingelegt worden (vgl. dazu §§ 172 Abs. 1 und 173 SGG). Die sich aus § 173 Satz 1 SGG ergebende Monatsfrist wäre - unter Zugrundelegung des sich aus der Zustellungsurkunde ergebenden Tags der Zustellung des Beschlusses vom 3. März 2010 (8. März 2010) bei der Klägerin zu 1. zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerdeschrift beim SG am 10. Juni 2010 zwar bereits abgelaufen gewesen. Die Frist begann hier jedoch schon nicht zu laufen, da der Beschluss vom 3. März 2010 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Die Klägerin zu 2. betreffend ergibt sich dies bereits aus dem Umstand, dass diese zum Zeitpunkt der Zustellung - Ermittlungen zum aktuellen Wohnort wurden seitens des SG offenbar nur hinsichtlich der Klägerin zu 1. durchgeführt - nicht mehr zur Bedarfsgemeinschaft gehört hat. Im Übrigen hätte der Beschluss vom 3. März 2010 gemäß § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG dem Bevollmächtigten der Kläger zugestellt werden müssen. Ausweislich der im Verlauf des Hauptsacheverfahrens vorgelegten Vollmachtsurkunde erstreckte sich die Vollmacht neben der Befugnis zur "Prozessführung (u. a. nach §§ 81 ff. ZPO)" die Vertretung vor Sozialbehörden und -gerichten sowie alle Neben- und Folgeverfahren (Nr. 13 der Vollmachtsurkunde). Gerade letztere Bestimmung macht deutlich, dass die Bevollmächtigung nicht mit der Erledigung des Hauptsacheverfahrens (hier durch Vergleich vom 17. April 2008) enden sollte. Darüber hinaus hatte der Bevollmächtigte auch den Antrag auf PKH für die Kläger gestellt und das Bewilligungsverfahren für diese betrieben. Jedenfalls in einer solchen Konstellation erstreckt sich die nach § 73 SGG erteilte Prozessvollmacht auch auf das Verfahren der nachträglichen Überprüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 120 Abs. 4 ZPO (so für den Fall der Prozessvollmacht nach § 81 ZPO zuletzt Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28. Dezember 2010 - XII ZB 38/09 - m.w ...N.; ebenso Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 19. Juli 2006 - 3 AZB 18/06; Landesarbeitsgericht [LAG] Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 5. Juli 2010 - 1 Ta 121/10; a. A. die vom SG zitierte Entscheidung des Thüringer LSG, Beschluss vom 8. Mai 2006 - L 6 B 10/06 SF m.w.N., alle veröffentlicht in Juris).

3. Auch hinsichtlich der Kläger zu 2. und 3. ist die Beschwerde zulässig. Zwar ist diesen - anders als vom SG in den Gründen des Beschlusses vom 3. März 2010 angegeben - PKH überhaupt nicht bewilligt worden (der Beschluss vom 26. Juli 2007 richtete sich allein an die Klägerin zu 1.); ein Rechtsschutzinteresse kann aber auch insoweit nicht verneint werden. Die Kläger zu 2. und 3. sind, ohne zuvor in irgendeiner Weise angehört oder auch nur von dem Überprüfungsverfahren in Kenntnis gesetzt worden zu sein, vom SG als Adressaten der Aufhebungsentscheidung in das Rubrum des Beschlusses vom 3. März 2010 aufgenommen worden. Dies verwundert um so mehr, als das SG - nach Durchführung von Ermittlungen zum Wohnsitz (nur) der Klägerin zu 1. - im Rubrum des angegriffenen Beschlusses selbst davon ausgegangen ist, nur die Klägerin zu 1. wohne in der L.str. in B. S. Nachdem die Aufhebung der PKH für den Betroffenen regelmäßig zur Folge hat, von der Staatskasse auf Erstattung der erbrachten Leistungen in Anspruch genommen zu werden, besteht - nicht zuletzt angesichts des bisherigen Verfahrensverlaufs - (auch) auf Seiten der Kläger zu 2. und 3. ein berechtigtes Interesse an der Aufhebung des mit der Beschwerde angegriffenen Beschlusses.

II.

Die Beschwerde der Kläger ist auch begründet; der Beschluss des SG vom 3. März 2010 hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Soweit sich der mit der Beschwerde angegriffene Beschluss des SG an die Kläger zu 2. und 3. richtet, ist er bereits deshalb aufzuheben, weil diesen, wie oben schon ausgeführt, PKH überhaupt nicht bewilligt worden war. Mit Beschluss vom 26. Juli 2007 hatte das SG lediglich der Klägerin zu 1. PKH bewilligt und dieser Rechtsanwalt W. beigeordnet. Dementsprechend kommt auch nur die Klägerin zu 1. als Adressatin eines die Bewilligung von PKH aufhebenden Beschlusses in Betracht.

2. Die Voraussetzungen für die Aufhebung des der Klägerin zu 1. PKH für das Klageverfahren S 4 AS 836/07 bewilligenden Beschlusses vom 26. Juli 2007 liegen aber auch im Übrigen nicht vor; zu Unrecht ist das SG davon ausgegangen, die Bewilligung von PKH sei nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 124 Nr. 2, 2. Alt. ZPO aufzuheben. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Bewilligungsentscheidung dann aufheben, wenn die Partei (hier: die Beteiligte) eine Erklärung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO nicht abgegeben hat. Nachdem, wie oben dargelegt, die für das (erledigte) Hauptsache- und das PKH-Bewilligungsverfahren erteilte Prozessvollmacht auch im PKH-Überprüfungsverfahren zu beachten war, fehlt es vorliegend bereits an einer ordnungsgemäßen Aufforderung zur Abgabe einer Erklärung im Sinne des § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO durch das Gericht. Da das SG seine Schreiben vom 12. Oktober 2009, vom 15. Dezember 2009 und vom 18. Januar 2010 ausschließlich an die Klägerin zu 1. und nicht an deren Prozessbevollmächtigten gerichtet hat, ist eine rechtswirksame Verpflichtung der Klägerin zu 1., eine Erklärung darüber abzugeben, ob sich die für die PKH maßgeblichen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben, nicht begründet worden. Für die Aufhebung der PKH fehlt dementsprechend die tatbestandlich vorausgesetzte Grundlage. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob das SG überhaupt berechtigt war, eine Aufforderung nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO ohne jeden konkreten Anlass im Rahmen einer rein routinemäßigen Überprüfung an die Klägerin zu 1. zu richten (verneinend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. August 2005 - 10 TP 1538/05 - veröffentlicht in Juris unter Hinweis auf Bork in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 120 Rdnr. 34 und die Amtliche Begründung BT-Drucks. 10/3054 S. 18). Ebenso kann offen bleiben, ob die hier tätig gewordene Kostenbeamtin für das der Beschlussfassung nach § 124 Nr. 2, 2. Alt. ZPO vorausgehende Überprüfungsverfahren nach § 120 Abs. 4 ZPO (trotz Fehlens einer dem § 20 Nr. 4 Buchst. c) Rechtspflegergesetz [RPflG] entsprechenden Kompetenznorm) funktionell überhaupt zuständig gewesen ist. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass im Rahmen des Verfahrens nach § 120 Abs. 4 Satz 2 ZPO die Vorlage einer (hier der Klägerin zu 1. im Rahmen des Überprüfungsverfahrens übersandten) Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach wohl überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. z. B. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. September 2010 - 1 Ta 16510, LAG Hamm, Beschluss vom 12. April 2010 - 14 Ta 657/09, Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 12. Oktober 2005 - 1 W 60/05 - alle veröffentlicht in Juris; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, Rdnr.842) nicht verlangt werden kann; denn der Beteiligte ist nur zur Mitteilung wesentlicher Änderungen, nicht aber zur (erneuten) umfassenden Darlegung seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

III.

Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von PKH für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, denn das PKH-Prüfungsverfahren ist - ebenso wie das Bewilligungsverfahren - kein Verfahren für das PKH bewilligt werden kann. Dieser Ausschluss erstreckt sich auch auf das Beschwerdeverfahren (vgl. dazu Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, Rdnr. 158 f. und 906 m.w.N.).

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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