L 5 AS 1357/10 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 189 AS 34395/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1357/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
§ 21 Abs. 3 SGB II verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, soweit darin volljährige Kinder, die sich in allgemeiner Schulausbildung befinden und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht den minderjährigen Kindern gleichgestellt werden.
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010 wird zurückgewiesen. Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 22. Juli 2010 eingegangene Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 22. Juni 2010, mit dem der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht zurückgewiesen worden ist, hat keinen Erfolg.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Kläger, die als Familie zusammenleben und laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) beziehen, haben aus § 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit den §§ 114 Satz 1, 121 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, da die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht.

Mit ihrer am 9. Oktober 2009 beim Sozialgericht eingegangenen Klage möchten die Kläger für die Zeit vom 1. August 2009 bis zum 31. Dezember 2009 die Bewilligung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durchsetzen, indem sie sich dagegen wenden, dass der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. September 2009 für den genannten Zeitraum nicht einen Mehrbedarf für Alleinerziehung in Höhe von 36 Prozent der Regelleistungen der Klägerin zu 1), sondern nur in Höhe von zwölf Prozent dieser Regelleistungen berücksichtigt hat.

Auf höhere Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes in der geltend gemachten Höhe besteht jedoch kein Anspruch. Als Anspruchsgrundlage kommen nur die §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Satz 1, 21 Abs. 3 SGB II in Betracht. Die in § 21 SGB II geregelten Mehrbedarfe sind nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II Bestandteil der von der Bundesagentur für Arbeit zu erbringenden Leistungen (Bundessozialgericht, Urteil vom 2. Juli 2009, B 14 AS 54/08 R; Urteil vom 3. März 2009, B 4 AS 50/07 R; diese und die nachfolgend zitierten Entscheidungen sind bei der Datenbank Juris abrufbar), deren Bewilligung eine selbständige Verfügung darstellt (Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006, B 7b AS 8/06 R).

Gemäß § 21 Abs. 3 SGB II ist für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ein Mehrbedarf anzuerkennen, und zwar (1.) in Höhe von 36 Prozent der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter sechzehn Jahren zusammen leben, oder (2.) in Höhe von zwölf Prozent der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent der nach § 20 Abs. 2 SGB II maßgebenden Regelleistung.

Danach hat die Klägerin zu 1) für die Zeit vom 1. August 2009 bis zum 31. Dezember 2009 nur einen Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehung in Höhe von zwölf Prozent ihrer Regelleistungen. Denn nachdem ihre am 1. August 1991 geborene Tochter mit dem achtzehnten Geburtstag am 1. August 2009 die Volljährigkeit erreicht hatte (§ 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]), verblieb nur noch der am 15. Mai 2002 geborene Sohn als zu berücksichtigendes minderjähriges Kind, das im streitgegenständlichen Zeitraum bereits sieben Jahre alt war.

Der Beklagte hat die Leistungen der Bundesagentur für Arbeit zutreffend unter Berücksichtigung des streitigen Mehrbedarfes berechnet. Der Klägerin zu 1) standen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II in Verbindung mit der Bekanntmachung vom 17. Juni 2009 über die Höhe der Regelleistungen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II für die Zeit ab 1. Juli 2009 (BGBl. I S. 1342) Regelleistungen in Höhe von 359,- EUR zu. Der Mehrbedarf für Alleinerziehung in Höhe von zwölf Prozent von 359,- EUR beträgt 43,08 EUR. Zusammen ergibt sich ein monatlicher Betrag in Höhe von 402,08 EUR, der gemäß § 41 Abs. 2 SGB II auf die bewilligten 402,- EUR abzurunden war.

Gegen die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über den Mehrbedarf für Alleinerziehung kann nicht eingewandt werden, es liege ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vor, da volljährige Kinder, die sich – wie die Klägerin zu 2) – in allgemeiner Schulausbildung befänden und das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, nach der im Unterhaltsrecht geltenden Vorschrift des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB minderjährigen Kindern gleichzustellen seien.

Der Senat hält diese Rechtsauffassung nicht für vertretbar. Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz, der die Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte gebietet, ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden lässt (vgl. zum Beispiel Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. September 2007, 2 BvR 1673/03, 2 BvR 2267/03, 2 BvR 1046/04, 2 BvR 584/07, 2 BvR 585/07, 2 BvR 586/07).

Sachliche Gründe für die durch § 21 Abs. 3 SGB II vorgenommene Unterscheidung zwischen minderjährigen und volljährigen Kindern unter 21 Jahren liegen jedoch auf der Hand. Die Vorschrift knüpft mit ihrem Wortlaut ("für deren Pflege und Erziehung sorgen") an die in den §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB geregelte elterliche Personensorge an, die ausschließlich für minderjährige Kinder gilt und mit dem Eintritt der Volljährigkeit entfällt. Das deckt sich auch mit der Gesetzesbegründung. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit § 21 Abs. 3 SGB II die entsprechende Vorschrift im Bundessozialhilfegesetz fortgeschrieben werden (BT-Drucksache 15/1516, S. 57). Dort sah der Gesetzgeber den Mehrbedarfszuschlag dadurch als gerechtfertigt an, dass Alleinerziehende gerade wegen der Sorge für ihre Kinder ("Pflege und Erziehung") weniger Zeit haben, preisbewusst einzukaufen, sowie zugleich höhere Aufwendungen für Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen (BT-Drucksache 10/3079, S. 5). Solche Mehraufwendungen für Pflege und Erziehung fallen bei volljährigen Kindern nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich nicht mehr an, da diese grundsätzlich zu einer selbständigen Lebensführung in der Lage sind. Da mit dem Mehrbedarf nicht ein Bedarf des Kindes, sondern des Alleinerziehenden gedeckt werden soll, geht auch die Bezugnahme der Kläger auf die Vorschrift des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB ins Leere, die allein der Sicherung des Kindesunterhalts dient.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
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