L 19 AS 1930/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 596/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1930/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 11.10.2010 geändert und der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X bewilligt.

Gründe:

Die Klägerin, der die Beklagte Grundsicherungsleistungen für Erwerbsfähige nach dem SGB II gewährt, mietete am 21.09.2009 zum 01.01.2010 eine neue Wohnung an, nachdem ihr früheres Mietverhältniss durch den Vermieter wegen Eigenbedarfs zum 30.06. 2010 gekündigt worden war. Am 29.09.2009 sprach sie wegen der Gewährung von Umzugskosten bei der Beklagten vor. Deren Übernahme lehnte die Beklagte ab, weil die Erteilung einer Zusicherung als Voraussetzung entsprechender Leistungen nach Vertragsschluss über das neue Mietverhältnis nicht mehr in Betracht komme. Eine nachträgliche Genehmigung scheide in derartigen Fällen ebenfalls aus, weil es sich insoweit um eine Ermessensentscheidung handele (Bescheid vom 29.10.2009, Widerspruchsbescheid vom 11.01.2010).

Für die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 11.10.2010 Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil der Umzug in eine nicht angemessene Wohnung erfolgt sei.

Die dagegen gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet.

Entgegen der Auffassung des SG bietet die Klage hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne der §§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG, 114 ZPO und erscheint nicht mutwillig.

Der streitige Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten richtet sich nach § 22 Abs. 3 SGB II. Danach können Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug zuständigen kommunalen Träger übernommen werden (§ 22 Abs. 3 S. 1 SGB II). Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Die Zusicherung ist danach Anspruchsvoraussetzung (h.M., vgl. BSG Urt. v. 06.05.2010 - B 14 AS 7/09 R = www.juris.de Rn 13; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn. 82; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 22 Rn. 106; Piepenstock in JurisPK-SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn.119 ff.; Lauterbach in Gagel, SGB II und III, § 22 SGB II Rn. 89 f; a.A. OVG Bremen Beschl. v. 16.03.2006 - S 1 B 85/06 - unter fehlerhafter Bezugnahme auf Berlit a.a.O., 1. Aufl., § 22 Rn. 58). Die Verweigerung der Zusicherung allein aufgrund des Zeitpunkts der Antragstellung nach Abschluss des neuen Mietvertrages , wie sie hier durch den Widerspruchsbescheid, dessen Gestalt den Klagegegenstand bestimmt (§ 95 SGG), erfolgt ist, erscheint jedoch rechtsfehlerhaft. Auch wenn man dem Rechtsstandpunkt der Beklagten folgt, dass die Zusicherung vor dem Zeitpunkt eingeholt werden muss, zu dem die ersetzbaren Kosten entstanden sind bzw. in rechtlich relevanter Weise begründet werden (vgl Berlit a.a.O., § 22 Rn 105; Krauß in Hauck/Noftz, SBG II, § 22 Rn. 130; Piepenstock a.a.O., § 22 Rn 121), ist die Antragtellung hier nicht verspätet gewesen. Allein mit dem Abschluss des Mietvertrages sind Umzugskosten noch nicht begründet worden. Angesichts der Zeit-spanne zwischen Antragstellung und Beginn des Mietverhältnisses war es auch nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin einem Hinweis auf die fehlende Zusicherungsfähigkeit Rechnung getragen hätte, so dass jedenfalls die Warnfunktion des Zusicherungsver-fahrens noch zum Tragen kommen konnte.

Allerdings erscheint es fraglich, ob der Umzug zusicherungsfähig nach § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II gewesen ist. Notwendig ist dieser nämlich regelmäßig nur dann, wenn nicht nur der Auszug aus der bisherigen Wohnung erforderlich geworden ist, sondern auch der Bezug einer neuen angemessenen Wohnung erfolgt (Urteil d. Senats v. 22.11.2010 - L 19 AS 29/09; Berlit a.a.O., § 22 Rn 107; einschränkend Lauterbach a.a.O., § 22 SGB II Rn 90). Dies liegt auf der Hand, wenn der Umzug auf einer Aufforderung des Leistungsträgers zwecks Mietkostensenkung auf ein angemessenes Niveau beruht (vgl. BSG a.a.O. Rn 15; LSG NW Beschl. v. 28.06.2007 - L 20 B 129/07 AS ER = www.juris.de). Aber auch wenn wie hier der Umzug aus anderen Gründen erforderlich wird, dürfte nichts anderes gelten. Anderenfalls müßte der Leistungsträger die Umzugskosten tragen, gleichzeitig den Leistungsempfänger aber wegen der Unangemessenheit der neuen Unterkunft zu einem erneuten Umzug auffordern. Auch dessen Kosten wären dann gemäß § 22 Abs.3 S. 2 SGB II zu übernehmen, so dass die öffentliche Hand doppelt in Anspruch genommen werden könnte.

Da nach Aktenlage alles dafür spricht, dass die neue Unterkunft der Klägerin nicht angemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II ist und zumutbarer angemessener Wohnraum zur Verfügung stand, erscheint nach der hier erforderlichen summarischen Prüfung ein Anspruch nach § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II ausgeschlossen.

In diesem Fall verbleibt jedoch ein Anspruch aus dem Auffangtatbestand des § 22 Abs. 3 S. 1 SGB II auf eine ermessensgerechte Neubescheidung (vgl. BSG a.a. O. Rn 18). Da dieser von dem Klagebegehren mitumfasst ist und die Beklagte eine solche Ermessens-entscheidung nicht getroffen hat, weil sie sich insoweit nur zu einer nachträglichen Genehmigung des Umzugs verhalten hat, bietet die Klage im Sinne eines Anfechtungs- und Verpflichtungsanspruchs (§ 54 Abs. 1, 2 SGG) hinreichende Erfolgsaussicht.

Da die Klägerin aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise zu tragen, ist ihr ratenfreie Prozesskostenhilfe zu bewilligen (§ 73a Abs. 1 S.1 SGG i. V. m. § 115 ZPO).

Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved