L 7 AS 53/10 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 18 AS 4086/09 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 53/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Leistungsausschluss bei Urlaubssemester

Im Rahmen des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II kommt es nicht auf den Besuch einer Ausbildungsstätte, sondern
nur auf die abstrakte Förderungsfähigkeit einer Ausbildung nach BAföG an. Die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts zum BSHG erging zu einer anderen Sach- und Rechtslage und ist daher nicht auf
den Leistungsausschluss nach dem SGB II übertragbar.
I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 14. Dezember 2009 geändert. Der Antrag vom 26. November 2009 wird insgesamt abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 26.11.2009 bis 31.03.2010.

Die 1979 geborene Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragstellerin) studiert seit dem Wintersemester 1999/2000, damals an der Universität R. Seit dem 13.10.2003 ist sie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst L (HGB) im Studiengang Medienkunst eingeschrieben und war laut Immatrikulationsbescheinigung der HGB im Sommersemester 2009 beurlaubt (15 Hochschulsemester, davon 11 Fachsemester; 1 Urlaubssemester). Seit 01.04.2009 bewohnt sie ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft, für das sie nach ihren Angaben monatlich 247,38 EUR in bar entrichte.

Am 11.08.2009 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragsgegnerin) Leistungen nach dem SGB II. Zur Begründung gab sie an, sie habe in Vorbereitung auf ihren Diplomabschluss in Absprache mit ihrem Professor das Sommersemester 2009 und das Wintersemester 2009/2010 als Urlaubssemester genehmigt bekommen, um in Form eines Praktikums ihren Abschluss vorzubereiten und zu sichern. Sie werde das Studium im Sommersemester 2010 weiterführen und voraussichtlich im Wintersemester 2011 beenden. Bis 31.07.2009 habe sie einen Tutorenvertrag an ihrer Hochschule gehabt, da ihr Praktikum bis dahin nur drei Tage die Woche betragen habe. Danach sei sie auf politischer Bildungsreise in Russland gewesen und absolviere nun seit 13.08.2009 bis 30.10.2009 ihr Praktikum fünf Tage die Woche. Außerdem habe sie 500,00 EUR Übungsleiterpauschale erhalten, Geld bei Freunden geliehen, das sie zurückzahlen müsse, und den Dispokredit von 1.000,00 EUR ausgereizt. Sie übergab Bestätigungen der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst e.V. (NGBK) über eine ehrenamtliche Tätigkeit von 01.06.2009 bis 30.08.2009, für die sie 500,00 EUR erhalten habe, sowie für ein Praktikum von 01.04.2009 bis 30.10.2009 und für die Weiterführung des Praktikums vom 15.11.2009 bis 15.02.2010. Am 15.10.2009 legte die Antragstellerin eine Immatrikulationsbescheinigung der HGB vom 13.10.2009 vor, wonach sie seit dem 13.10.2003 eingeschrieben und im Wintersemester 2009/2010 beurlaubt war. Die Regelstudienzeit für den Diplomstudiengang Medienkunst betrage zehn Semester.

Mit Bescheid vom 16.10.2009 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 5 und Abs. 6 SGB II ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch vom 23.10.2009 wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2009 als unbegründet zurück.

Am 26.11.2009 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Leipzig dagegen Klage erhoben (S 18 AS 4100/09) und gleichzeitig die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beantragt.

Im gerichtlichen Verfahren hat die Antragstellerin den Bescheid der HGB vom 05.08.2009 vorgelegt, mit dem sie für das Wintersemester 2009/2010 vom Studium beurlaubt wurde. Die Entscheidung ergehe unter der Auflage, einen Nachweis über die studienbegleitende praktische Tätigkeit bis spätestens 15.09.2009 nachzureichen. Nach § 19 Abs. 1 Nr. 3 Immatrikulationsordnung der HGB könne ein Student auf Antrag insbesondere für eine dem Studienziel dienende praktische Tätigkeit beurlaubt werden. Eine Bestätigung, wonach sie das Pflichtpraktikum gemäß Studienordnung bereits absolviert habe, liege vor. Die Antragstellerin hat ferner eidesstattlich versichert, dass sie bisher ihr Studium durch Unterhaltsleistungen und Erwerbstätigkeit finanziert habe. Das Praktikum habe sie bereits am 01.04.2009 begonnen. Während des Sommersemesters habe sie noch eine Tutorentätigkeit an der Uni ausgeübt. Das Praktikum sei so ausgestaltet gewesen, dass sie flexible Arbeitszeiten ohne feste Anwesenheitszeiten gehabt habe. Da sie momentan weder Anspruch auf Unterhaltsleistungen habe noch Sozialleistungen beziehe, sei sie zur Sicherung des Lebensunterhalts dringend auf die beantragte Leistung nach dem SGB II angewiesen. Ihre Eltern unterstützten sie lediglich mit 150,00 EUR monatlich. Darüber hinaus seien Darlehen oder finanzielle Unterstützung durch Dritte nicht möglich.

Laut Vermerk der Vorsitzenden der 18. Kammer des Sozialgerichts über ein Telefonat mit der Sachbearbeiterin für Studienangelegenheiten der HGB vom 01.12.2009 ist es schon vor der geplanten Anpassung der Immatrikulationsordnung der HGB so gehandhabt worden, dass während der Beurlaubung Vorlesungen besucht und einzelne Prüfungen abgelegt werden konnten. Die Immatrikulationsordnung in der Fassung vom 30.11.2008 ist beigezogen worden. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Antragstellerin eidesstattlich erklärt, dass sie während des laufenden Wintersemesters 2009/2010 weder Studien- noch Prüfungsleistungen erbracht habe. Seit November 2009 absolviere sie ein weiteres Praktikum in Berlin, für das sie keine Vergütung erhalte. Sie könne nun zum 16.12.2009 ihren Krankenversicherungsbeitrag nicht mehr entrichten, so dass sie den Versicherungsschutz verlieren werde.

Laut Telefonvermerk vom 10.12.2009 hat die Antragstellerin sich im August 2009 beim Jobcenter B F -K. gemeldet. Mangels gewöhnlichen Aufenthalts in Berlin sei der Antrag abgelehnt worden. Ausweislich einer dort vorgelegten Meldebescheinigung habe sie ihren Wohnsitz inzwischen nach Berlin verlegt. Im Erörterungstermin am 14.12.2009 hat die Antragstellerin angegeben, dass sie in Leipzig mit Nebenwohnsitz gemeldet sei; seit Mitte November 2009 habe sie ein Zimmer in Berlin. Das Praktikum bei der NGBK habe sie am 04.11.2009 fortgesetzt und werde es bis Mitte Februar 2010 weiter führen. Parallel dazu absolviere sie ebenfalls in Berlin ein Praktikum bei einer Agentur, die Fotografien im Internet verkaufe. Das Studium in Leipzig wolle sie zum 01.04.2010 fortsetzen und sie benötige dann noch maximal drei Semester um es abzuschließen. Sie müsse noch Scheine und ihre Diplomarbeit sowie deren Verteidigung ablegen. Für in Leipzig im August 2009 gezahlte Miete hat sie eine Quittung über 201,00 EUR vorgelegt.

Mit Beschluss vom 14.12.2009 hat das Sozialgericht die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig ab 26.11.2009 längstens bis zum 31.03.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach Maßgabe des SGB II in Höhe von 454,62 EUR monatlich zu gewähren. Im Übrigen ist der Antrag abgelehnt worden. Das Sozialgericht Leipzig sei örtlich zuständig, weil trotz der Ummeldung nach Berlin von einem Wohnsitz der Antragstellerin in Leipzig auszugehen sei, da die Ummeldung nach Berlin nur vorübergehend erfolgt sei und voraussichtlich zum 31.03.2010 ende. Von einer gefestigten Wohnsituation in Berlin könne nicht ausgegangen werden, eine vorübergehende räumliche Trennung vom Wohnort stehe der Beibehaltung eines Wohnsitzes nicht entgegen. Ein Anordnungsanspruch sei für die Zeit vom 26.11.2009 bis 31.03.2010 glaubhaft gemacht, weil mehr dafür als dagegen spreche, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Leistungen in Höhe von 454,62 EUR monatlich zustehe. Die Antragstellerin sei nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II erfasst. Sie betreibe seit ihrer Beurlaubung keine Ausbildung, die dem Grunde nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) förderfähig sei. Auf den Grund der Beurlaubung könne es dabei nicht ankommen; es sei auf den hochschulrechtlichen Status abzustellen, der Beurlaubungsbescheid habe Tatbestandswirkung. Auch von einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II sei nicht auszugehen, da die Antragstellerin glaubhaft vorgetragen habe, dass sie ihre Erreichbarkeit herzustellen vermöge.

Gegen den ihr am 15.12.2009 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 14.01.2010 beim Sozialgericht Beschwerde eingelegt und beantragt,

den Beschluss vom 14.12.2009 des Sozialgerichts Leipzig S 18 AS 4086/09 ER aufzuheben und den Antrag vom 26.11.2009 abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie sei leistungsberechtigt, insbesondere nicht gemäß § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen, weil mangels Besuchs einer Ausbildungsstätte keine nach BAföG förderfähige Ausbildung vorliege. Insoweit werde auf den Beschluss des 2. Senats des Sächsischen Landessozialgerichts (SächsLSG) vom 13.01.2010 im Verfahren Az. L 2 AS 762/09 B ER verwiesen.

Mit Urteil vom 15.07.2010 hat das Sozialgericht im Hauptsacheverfahren S 18 AS 4100/09 den Bescheid vom 16.10.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.11.2009 aufgehoben und die Antragsgegnerin verurteilt, der Antragstellerin für den Zeitraum 11.08.2009 bis 31.03.2010 Leistungen in Höhe von 454,62 EUR monatlich zu gewähren. Die dagegen von der Antragsgegnerin eingelegte Berufung wird beim SächsLSG unter dem Az. L 7 AS 512/10 geführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Ast. nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08 KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-SGG, 2. Aufl., § 86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können und wenn sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Letzteres bestätigend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25.02.2009 (1 BvR 120/09) weiter ausgeführt, dass das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso weniger zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind. Art 19 Abs. 4 Grundgesetz verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre.

Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich: Krodel, NZS 2002, 234 ff). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, a.a.O., § 86b RdNr. 27a).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HessLSG, Beschluss vom 29.09.2005 - L 7 AS 1/05 ER; Keller, a.a.O., § 86b RdNrn. 27 und 29 m.w.N). Ist eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann.

Gemessen hieran hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung erfüllt sie zwar die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Sie ist auch erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II), hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist sie aber gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II als Auszubildende ausgeschlossen. Daher kann auch offen bleiben, ob die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. § 36 SGB II tatsächlich im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin hat, obwohl sie sich nach ihren Angaben wegen der Praktika in Berlin aufhielt.

Nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dem Grunde nach förderungsfähig in diesem Sinne ist eine Hochschulausbildung nach Ansicht des Senates auch dann, wenn ein an einer Hochschule Eingeschriebener (an einer Universität Immatrikulierter) ein Urlaubssemester - aus welchem Grunde auch immer - absolviert (a.A. SächsLSG, Beschluss vom 13.01.2010 - L 2 AS 762/09 B ER - nicht veröffentlicht -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.02.2008 - L 25 B 146/08 AS ER, RdNr. 7; SG Leipzig, Beschluss vom 05.11.2009 - S 9 AS 3293/09 ER, RdNr. 22, beide zitiert nach Juris). Hierbei folgt der Senat der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG), soweit dieses in seiner Entscheidung vom 01.07.2009 (Az. B 4 AS 67/08 R, RdNr. 14) in einem Verfahren, in welchem der Kläger zwar immatrikuliert war (im 32. Fach- und 29. Hochschulsemester, wobei er sich seit mehreren Semestern in der Phase des Abschlusses des Hauptstudiums befand), es nicht für maßgeblich erachtet hat, in welchem Umfang die Hochschule tatsächlich besucht wurde, sondern wegen der Immatrikulation an der Hochschule das Vorliegen einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung bejaht hat.

Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 25.08.1999 - 5 B 153/99, 5 PKH 53/99) steht dem nach Auffassung des Senates nicht entgegen. Soweit bezüglich dieser Entscheidung in der Datenbank Juris als "Orientierungssatz" formuliert ist, es fehle an der Grundvoraussetzung für eine Förderung nach dem BAföG, dem Besuch einer Ausbildungsstätte, wenn und solange der Auszubildende von der Ausbildungsstätte beurlaubt sei und deshalb stehe § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG), der fast wortgleich mit § 7 Abs. 5 SGB II gewesen sei, einem Anspruch auf Sozialhilfe nicht entgegen, betrifft dies nach den Gründen der Entscheidung eine Fallgestaltung, in welcher eine Beurlaubung wegen Pflege und Erziehung eines Kindes der dortigen Klägerin erfolgt war, weswegen eine Missbrauchsbefürchtung nicht gerechtfertigt gewesen sei (a.a.O., RdNr. 3). Hinzu kommt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerwG während der Zeit einer Beurlaubung von der Hochschule ein Betreiben des Studiums in der Regel nicht möglich war und jedenfalls Studien- und Prüfungsleistungen grundsätzlich nicht erbracht werden konnten (z.B. § 16 Abs. 3 Satz 1 Sächsisches Hochschulgesetz (SächsHG) in der Fassung vom 11.06.1999). Die Sach- und Rechtslage war somit damals eine andere, denn jedenfalls im Freistaat Sachsen sollen die Hochschulen es Studierenden nunmehr sogar ermöglichen, Studien- und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen (§ 20 Abs. 3 SächsHSG in der seit 10.12.2008 geltenden Fassung). Diese Möglichkeit wird von den Sächsischen Hochschulen auch genutzt (vgl. hierzu SächsLSG, Beschluss vom 28.06.2010 - Az. L 7 AS 337/10 B ER, RdNr. 17m.w.N.). Deshalb ist nach der heutigen Sach- und Rechtslage im Unterschied zu dem vom BVerwG entschiedenen Fall die Missbrauchsbefürchtung gerechtfertigt.

Die Förderfähigkeit einer Hochschulausbildung führt hiernach bei gegebener Immatrikulation zum Ausschluss der Leistungen nach dem SGB II, ohne dass es darauf ankäme, ob das Studium betrieben wird. Hierzu hat der erkennende Senat bereits in seinem Beschluss vom 29.06.2010 (L 7 AS 756/09 B ER; m.w.N.) Folgendes ausgeführt:

"Die Ausschlussregelung ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem BAföG auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu dient, durch Sicherstellung des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen. Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung davon befreien, eine – versteckte – Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene zu ermöglichen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 01.07.2009 – B 4 AS 67/08 R, RdNr. 13). [ ] Bei einem Hochschulstudium handelt es sich um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 6 BAföG. Allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach zieht die Folge des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nach sich. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben außer Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 – B 14/7b AS 36/06 R, RdNr. 15 ff. m.w.N.) Dies gilt auch dann, wenn die Ausbildung tatsächlich nicht betrieben wird." Hieran hält der Senat fest. Während der Zeit der Beurlaubung bleiben die Rechte und Pflichten des Studenten gemäß § 22 SächsHSG mit Ausnahme der Verpflichtung zum ordnungsgemäßen Studium unberührt; es wird Studenten gemäß § 20 Abs. 3 SächsHSG sogar ermöglicht, Studien- und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen. Somit sind die Studierenden nach den hochschulrechtlichen Bestimmungen durch eine Beurlaubung vom Studium gerade nicht daran gehindert, einzelne Studien- und Prüfungsleistungen abzulegen. Sie können also trotz Beurlaubung im Grunde ihr Studium weiter vorantreiben oder fortsetzen, ohne dass dieser Zeitraum auf die abgelegten Fachsemester angerechnet würde. Das vorliegende Verfahren zeigt, dass auch die HGB es schon 2009 praktisch so gehandhabt hat, trotz Beurlaubung den Besuch der Ausbildungsstätte zu ermöglichen. Die hochschulrechtliche Möglichkeit, den Studienablauf flexibel zu gestalten, kann umgekehrt aber nicht dazu führen, dass entgegen dem gesetzgeberischen Anliegen der Ausschlussregelung des § 7 Abs. 5 SGB II für eine an sich förderungsfähige Ausbildung an einer Hochschule Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erbracht werden, obwohl die Ausbildung auch während des genehmigten Urlaubssemesters rechtmäßig bzw. praktisch zulässig dadurch betrieben werden kann, dass einzelne Studien- und Prüfungsleistungen an der betreffenden Hochschule erbracht werden dürfen.

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 01.07.2009, a.a.O.) kommt es somit auf die abstrakte Förderfähigkeit der Ausbildung an, nicht auf die Frage, ob die Ausbildungsstätte tatsächlich besucht wird. Denn von der Antragsgegnerin kann auch nicht verlangt werden, dass sie dies im Einzelfall ermittelt, weil derartige Ermittlungen nicht mit den behördlichen Möglichkeiten und Gegebenheiten im Rahmen der Massenverwaltung zu vereinbaren sind. Hinzu kommt, dass anders als die anderen Hilfebedürftigen, die keine nach BAföG förderfähige Ausbildung verfolgen, die beurlaubten Studierenden auch nicht für die Vermittlung in ein Beschäftigungsverhältnis zur Verfügung stehen, gerade weil sie sich noch in der (Hochschul-)¬Ausbildung befinden. Dies veranschaulicht der vorliegende Fall der Antragstellerin besonders deutlich, das sie aufgrund der von ihr in Berlin absolvierten Praktika schon aus Zeitgründen nicht in der Lage gewesen wäre, ein Arbeitsangebot für eine reguläre Vollbeschäftigung in Leipzig anzunehmen.

Die vom 2. Senat des SächsLSG in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 25.08.1999 – 5 B 153/99) zu § 26 BSHG kann hier auch deshalb nicht ohne weiteres Geltung beanspruchen, da im aufeinander abgestimmten Regelungsgefüge des SGB II die Härtefallregelung des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II dazu dient, unerwünschte Ergebnisse im Einzelfall durch darlehensweise Gewährung von Leistungen abzumildern. Es liegt insoweit nahe, das erforderliche sozialstaatliche Korrektiv bei der Anwendung des § 7 Abs. 5 SGB II in dieser Regelung für besondere Härtefälle zu erblicken und als abschließend anzusehen. Damit wird zudem der Gleichklang mit den Vorschriften des BAföG deutlich, wonach Leistungen zur Ausbildungsförderung ebenfalls teilweise als Darlehen gewährt werden (vgl. § 17 Abs. 2 und Abs. 3 BAföG).

Somit hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf die Regelleistung einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie ist nicht exmatrikuliert, sondern ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung auch während des Urlaubssemesters immatrikuliert.

Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Darlehens nach § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, allerdings nur als Darlehen und nicht als Beihilfe oder Zuschuss gewährt werden. Liegt ein besonderer Härtefall vor, hat die Verwaltung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen. Im Hinblick auf das "Ob" der Leistungsgewährung wird alsdann im Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, Stand Februar 2007, § 7 RdNr. 93; so wohl auch Brühl/Schoch in Münder, SGB II, 2. Aufl. 2007, § 7 RdNr. 103).

Bei dem Begriff des "besonderen Härtefalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. zum Vorliegen einer besonderen Härte im Rahmen von § 9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 KfzHV auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R). Die Verwaltung hat keinen Beurteilungsspielraum; ihr steht auch keine Einschätzungsprärogative zu (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 30.10.2001 - B 3 P 2/01 R, BSGE 89, 44). Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 28.06.2010 und 29.06.2010, a.a.O.) kann von einem besonderen Härtefall ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen oder anderen finanziellen Mittel - sei es Elternunterhalt oder Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit - gesichert war, die nun kurz vor Abschluss der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Erkrankung. Denkbar ist auch, dass die nicht mehr nach den Vorschriften des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III geförderte Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/11b AS 36/06 R, RdNr. 21-24; BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R).

Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls sind vorliegend weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Antragstellerin befindet sich vielmehr wie viele andere Studenten auch in der Situation, dass die Regelstudienzeit von zehn Fachsemestern und damit die Förderungshöchstdauer nach dem BAföG überschritten ist, sie das Studium aber innerhalb der Regelstudienzeit noch nicht abgeschlossen hat. Dies allein rechtfertigt aber noch nicht die Annahme einer besonderen Härte, zumal Gründe für die Überschreitung der Regelstudienzeit weder vorgetragen noch sonst ersichtlich sind. Nach ihren eigenen Angaben fehlten der Antragstellerin zudem für einen erfolgreichen Studienabschluss neben der Diplomarbeit und deren Verteidigung noch Scheine, so dass sie selbst von einer weiteren Dauer von mehr als einem Jahr ausging.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist endgültig, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved