L 5 B 161/05 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 54 AS 405/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 161/05 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Juni 2005 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des An-tragstellers vom 18. Mai 2005 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2005 wird angeordnet. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfah-rens.

Gründe:

I.

Die statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 2. Juni 2005, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antrag des Antragstellers abgelehnt.

1. Nach § 123 SGG, der auch im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gilt (Meyer-Ladewig, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 123 Rn. 2), ist das Gericht bei seiner Entscheidung nicht an die Fassung des Antrags gebunden. Erforderlichenfalls ist das Rechtsschutzbegehren durch Auslegung des Antrags zu ermitteln. Im Zweifel wird der Rechtsschutzsuchende den Antrag stellen wollen, der ihm am besten zum Ziel verhilft (Meyer-Ladewig, a.a.O., § 123 Rn. 3). Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 18. Mai 2005 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. Mai 2005, mit dem diese unter teilweiser Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung die Absenkung des Arbeitslo-sengeldes II für den Zeitraum von Juni bis August 2005 verfügt hat, zu verstehen.

2. Der Antrag ist statthaft. Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsa-che auf Antrag in den Fällen, in denen der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, die aufschiebende Wirkung anordnen. Der Widerspruch vom 18. Mai 2005 hat nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) keine auf-schiebende Wirkung, weil der angegriffene Absenkungsbescheid vom 10. Mai 2005 ein Verwaltungsakt ist, der über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entschei-det (vgl. Berlit, in: LPK-SGB II, § 31 Rn. 123).

3. Der Antrag ist auch begründet. Bei der nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG zu treffenden Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist eine Abwägung des Aussetzungs- und des Vollzugsinteresses vorzunehmen. Maßgebliches Kriterium bei die-ser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs. Soweit sich der angegriffene Verwaltungsakt bei der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung als rechtswidrig erweist, ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzu-ordnen. So liegt es hier. Der Bescheid vom 10. Mai 2005 erweist sich bei summarischer Prüfung als rechtswidrig.

Nach § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 von Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfä-hige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, zumutbare Arbeit nach § 16 Abs. 3 S. 2 auszuführen. Nach § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II gilt das nicht, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige einen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Hier kann dahinstehen, ob der Antragsteller einen wichtigen Grund für sein Verhalten glaubhaft machen konnte. Der Sanktionsmechanismus des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. d SGB II setzt nämlich voraus, dass dem Hilfebedürftigen eine hinreichend bestimmt bezeichnete Arbeit angeboten wurde (Berlit, a.a.O., § 31 Rn. 46; Gröschel-Gundermann, in: Lin-hardt/Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II, § 31 Rn. 14; Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 31 Rn. 19 i.V.m. § 10 Rn. 31). Daran fehlt es.

Das Bestimmtheitsgebot gilt unabhängig davon, ob das Arbeitsangebot nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II als Verwaltungsakt im Sinne von § 31 S. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zu qualifizieren ist. Für die entsprechende Vorschrift des § 19 Abs. 2 Bundesso-zialhilfegesetz (BSHG) wurde allgemein angenommen, dass das Arbeitsangebot ein Ver-waltungsakt sei (BVerwG, Urt. v. 13 Oktober 1983 - 5 C 66.82 -, BVerwGE 68, S. 97, 99; Krahmer, in: LPK-BSHG, 6. Aufl., § 19 Rn. 7). Dem folgend, wird auch hinsichtlich § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II vielfach vertreten, das Arbeitsangebot sei als Verwaltungsakt anzuse-hen (Niewaldt, in: LPK-SGB II, § 16 Rn. 25; Voelzke, in Hauck/Noftz, SGB II, § 16 Rn. 75; Valgolio, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 31 Rn. 32; Gröschel-Gundermann, in: Lin-hardt/Adolph/Gröschel-Gundermann, SGB II, § 16 Rn. 18 f.). Das ist aber nicht unbestrit-ten geblieben (vgl. Rixen, a.a.O., § 10 Rn. 29; differenzierend Eicher, in: Ei-cher/Spellbrink, § 16 Rn. 233); im Übrigen hat jüngst das Bundessozialgericht hinsichtlich des Beschäftigungsangebots nach § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) entschieden, dass dieses kein Verwaltungsakt sei (BSG, Urt. v. 19. Januar 2005 - B 11a/11 AL 39/04 R -, juris), so dass sich die Frage stellt, ob diese Rechtsprechung auf das Arbeitsangebot nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II übertragen werden kann (so SG Ham-burg, Beschl. v. 7.6.2005 - S 62 AS 434/05 ER -; a.A. SG Hamburg, Beschl. v. 28.6.2005 -S 51 AS 525/05 ER -). Das kann aber offen bleiben, da das Bestimmtheitsgebot in jedem Falle gilt. Wird das Ar-beitsangebot als Verwaltungsakt angesehen, so ergibt sich das Bestimmtheitserfordernis ohne weiteres bereits aus § 33 Abs. 1 SGB X. Doch auch wenn es sich bei dem Arbeits-angebot nach § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II nicht um einen Verwaltungsakt handeln sollte, muss es hinreichend bestimmt sein. Nur ein solches Angebot ermöglicht es dem Hilfebe-dürftigen zu prüfen, ob die angebotene Tätigkeit den Voraussetzungen des § 16 Abs. 3 S. 2 SGB II entspricht, insbesondere zumutbar ist, oder ob zulässige Ablehnungsgründe vorliegen (vgl. Voelzke, a.a.O., § 16 Rn. 76; BVerwG, Urt. v. 13. Oktober 1983, a.a.O., S. 99 f.; Urt. v. 4. Juni 1992 - 5 C 35.88 -, info also 1992, S. 199, 200; Beschl. v. 12. De-zember 1996 - 5 B 192/95 -, juris). Entsprechend ist in der Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts zu § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB III anerkannt, dass das Beschäftigungsan-gebot nach dieser Vorschrift ebenfalls hinreichend bestimmt sein muss (BSG, Urt. v. 13. März 1997 - 11 RAr 25/96 -, SozR 3-4100 § 119 Nr. 11).

Das Bestimmtheitsgebot erfordert danach insbesondere, dass die Art der Tätigkeit, ihr zeitlicher Umfang und die zeitliche Verteilung im Arbeitsangebot bezeichnet werden (Voelzke, a.a.O., § 16 Rn. 76; Niewaldt, a.a.O., § 16 Rn. 25; Gröschel-Gundermann, a.a.O., § 16 Rn. 18; BVerwG, Urt. v. 13. Oktober 1983, a.a.O., S. 100; Urt. v. 4. Juni 1992, a.a.O., S. 200). Denn diese Angaben sind erforderlich, um den Hilfebedürftigen in die La-ge zu versetzen, das Angebot überprüfen zu können. Es genügt daher nicht, den erwerbs-fähigen Hilfebedürftigen einer Einrichtung oder einem Arbeitgeber zuzuweisen und die Auswahl der konkreten Tätigkeit der Leitung der Einrichtung oder dem Arbeitgeber zu überlassen (Voelzke, a.a.O., § 16 Rn. 76; Gröschel-Gundermann, a.a.O., § 16 Rn. 18; BVerwG, Urt. v. 13. Oktober 1983, a.a.O., S. 99; Urt. v. 4. Juni 1992, a.a.O., S. 201). Die Verantwortung für die Korrektheit des Arbeitsangebots liegt insbesonders im Hinblick auf die Sanktionsfolgen allein beim Leistungsträger. Nach diesen Maßgaben erweist sich das Arbeitsangebot an den Antragsteller vom 22. März 2005 als inhaltlich ungenügend bestimmt. Es enthält keine Angaben zur Art der Tätigkeit, sondern führt lediglich an, es handele sich um eine Maßnahme nach § 16 Abs. 3 SGB II. Es enthält weiter keine Angaben zur Arbeitszeit; die Angabe "Vollzeit" lässt die konkrete Anzahl der Arbeitsstunden und ihre Verteilung in der Arbeitswoche nicht er-kennen. Das wird auch durch die dem Angebot beigefügte Anlage nicht geklärt, dort wird insoweit nur über die zulässige Höchststundenzahl von 30 Wochenstunden informiert. Letztlich weist die Antragsgegnerin den Antragsteller der Einrichtung "I. V. e.V." zu und überlässt dieser die Auswahl der konkreten Tätigkeit. Das ist – wie bereits ausgeführt – nicht zulässig.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Unanfechtbarkeit der Entscheidung folgt aus § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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