L 14 B 48/05 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 1607/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 B 48/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2005 wird geändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern zu 3) und 4) für den Zeitraum vom 21. März 2005 bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 21. September 2005, jeweils 249,50 Euro monatlich zu zahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu tragen. Den Antragstellern wird für das Verfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe bewilligt und der Rechtsanwalt T. S., , beigeordnet. Raten oder Beträge aus dem Vermögen sind nicht zu zahlen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Die Antragsteller zu 1) bis 4) leben in einem gemeinsamen Haushalt. Die Antragsteller zu 3) und 4) sind minderjährige Kinder der Antragstellerin zu 2), die am 28. Januar 2005 den Antragsteller zu 1) geheiratet hat. Zum Haushalt gehören noch eine volljährige Tochter der Antragstellerin zu 2) und eine weitere, von den Antragstellern als Untermieter bezeichnete Person.

Der Antragsteller zu 1) beantragte am 4. Februar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II). Er gab an, selbst Arbeitseinkommen zu erzielen, und legte eine Gehaltsabrechnung für Dezember 2004 vor, wonach von einem Bruttogehalt von 2.716,42 Euro 1.434,34 Euro netto ausgezahlt wurden. Abgezogen wurden neben Steuer, Sozialversicherung und Jobticket ein als "Pfändung" bezeichneter Betrag von 190,- Euro. Weiter gab der Antragsteller zu 1) an, dass Anspruch auf Kindergeld in Höhe von 462,- Euro bestehe. Die Antragstellerin zu 2) habe kein Einkommen, sie sei "ausgesteuert". Auch die Antragsteller zu 3) und 4) seien ohne Einkünfte und besuchten eine Schule. Ihr Vater zahle keinen Unterhalt. Die Antragsteller zu 2) bis 4) hätten bis Dezember 2004 Leistungen der Sozialhilfe erhalten. Die Kosten für Unterkunft und Heizung würden 765,- Euro monatlich betragen. Ein Antrag auf Wohngeld sei vom Bezirksamt mit Bescheid vom 22. Dezember 2003 abgelehnt worden.

Durch Bescheid vom 8. Februar 2005 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Der Antragsteller zu 1) sei nicht hilfebedürftig. Die aus den Antragstellern zu 1) bis 4) bestehende Bedarfsgemeinschaft habe in den rechnerisch für den Antragsmonat zu berücksichtigenden 26 Tagen einen Gesamtbedarf von 1.459,46 Euro gehabt. Diesem stehe ein Gesamteinkommen von 1.590,29 Euro gegenüber, das sich aus dem für denselben Zeitraum zu berücksichtigenden Erwerbseinkommen des Antragstellers zu 1) und dem Kindergeld zusammensetze.

Dagegen legte der Antragsteller zu 1) am 7. März 2005 Widerspruch ein. Es gehe um die Kinder, die nicht seine eigenen seien und für die er nicht zahlen werde. Er selbst wolle keine Leistungen. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 12. April 2005). Die Antragsteller zu 1) bis 4) gehörten einer Bedarfsgemeinschaft an. Es sei davon auszugehen, dass die Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft zusammen wirtschafteten und füreinander einstünden. Deswegen würden Einkommen und Hilfebedarf für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gemeinsam ermittelt. Danach sei die Entscheidung nicht zu beanstanden.

Bereits am 21. März 2005 haben die Antragsteller zu 1) bis 4) bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der die Antragsgegnerin verpflichtet werden sollte, den Antragstellern zu 2) bis 4) laufende Leistungen zum Lebensunterhalt zu gewähren. Das Einkommen des Antragstellers zu 1) dürfe nicht dazu führen, die Bedürftigkeit der Antragsteller zu 2) bis 4) zu mindern. Die Antragsteller zu 3) und 4) seien Kinder aus einer vorherigen Ehe der Antragstellerin zu 2). Noch im Dezember 2004 seien an die Antragsteller zu 2) bis 4) Sozialhilfeleistungen in einer Gesamthöhe von 901,25 Euro gezahlt worden. Der Antragsteller zu 1) habe erhebliche Kreditverbindlichkeiten, zu deren Tilgung monatlich 355,- Euro von seinem Arbeitseinkommen abgeführt würden. Er sei auch Vater eines im Juli 1990 geborenen Sohnes, für dessen Unterhalt er bis März 2005 monatlich 324,- Euro gezahlt habe. Das danach zur Verfügung stehende Einkommen reiche nicht aus, um die im Haushalt anfallenden Ausgaben zu bestreiten, zumal auch die volljährige Tochter der Antragstellerin zu 2) unterstützt werden müsse. Das SGB II sehe keine Unterhaltspflicht für Stiefkinder vor. Dies habe bereits das Sozialgericht (SG) Aurich (Hinweis auf Beschluss vom 8. Februar 2005 – S 25 AS 2/05 ER - ) und früher für das Sozialhilferecht das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden (Hinweis auf Urteil vom 26. November 1998 – 5 C 37/97 - ). Der Antragsteller zu 1) hat eine Verdienstbescheinigung für den Monat Februar 2005 vorgelegt, wonach ihm von einem Gesamtbruttoeinkommen von 2.751,38 Euro nach Abzug von Steuern (191,50 Euro), Sozialversicherungsbeiträgen (564,25 Euro), Kosten für Jobticket (45,33 Euro) und Pfändung (355,00 Euro) noch 1.595,30 Euro verblieben.

Das Sozialgericht hat durch Beschluss vom 11. Mai 2005 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zu Recht habe die Antragsgegnerin das Einkommen des Antragstellers zu 1) in die Bedarfs- und Einkommensberechnung mit einbezogen. Das SGB II regele in Abkehr von der Rechtsprechung des BVerwG, dass Einkommen an alle Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft weitergegeben werden müsse. Bedarfslücken würden regelmäßig durch einen Kinderzuschlag nach § 6 a des Bundeskindergeldgesetzes oder Wohngeld ausgeglichen. Wenn im Einzelfall trotz bestehenden Bedarfs kein Anspruch aus diesen Transfersystemen bestehe, müsse der Gesetzgeber nachbessern.

Mit der am 1. Juni 2005 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangenen Beschwerde begehren die Antragsteller, die am 28. April 2005 in der Hauptsache Klage erhoben haben, weiterhin die Gewährung von Leistungen an die Antragsteller zu 2) bis 4). Das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft rechtfertige nicht die uneingeschränkte wechselseitige Anrechung der Einkommen. Diese sei nur im Rahmen des § 9 Abs 2 SGB II möglich und für das Einkommen von Stiefeltern gerade nicht vorgesehen. Soweit § 2 Abs 2 SGB II eine Einsatzpflicht für alle in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Mitglieder normiere, liege ein Redaktionsversehen vor. Gemeint seien nur unterhaltsberechtigte Angehörige. Im Übrigen hätten auch das SG Dortmund und das SG Oldenburg mittlerweile im Sinne der Antragsteller entschieden (Hinweis auf Beschlüsse vom 5. April 2005 - S 25 AS 22/05 ER - und vom 24. März 2005 – S 45 AS 100/05 ER -).

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2005 zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern zu 2) bis 4) laufende Leistungen zur Sicherstellung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren.

ferner,

ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Durch die Einbeziehung des Stiefvaters in die Bedarfsgemeinschaft habe der Gesetzgeber auch die Anrechnung seines Einkommens gefordert.

Für die Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Die Antragsgegnerin ist nach § 70 Nr 2 SGG beteiligtenfähig, da das JobCenter Treptow-Köpenick als Arbeitsgemeinschaft der Bundesagentur für Arbeit und des Landes Berlin entsprechend der Rahmenvereinbarung vom 26. August 2004 (Amtsblatt von Berlin Nr 61 vom 31. Dezember 2004, S 4908ff) gegründet wurde und die Arbeitsgemeinschaft folglich als eine mit eigenen Rechten ausgestattete Vereinigung von Personen des öffentlichen Rechts anzusehen ist (hierzu im einzelnen LSG Berlin, Beschluss vom 14. Juni 2005 – L 10 B 44/05 AS ER - ).

Die Beschwerde ist auch im Wesentlichen begründet, weil das Sozialgericht zu Unrecht den Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abgelehnt hat. Gemäß § 86 b Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Ein Anordnungsanspruch zugunsten der Antragsteller zu 3) und 4) ergibt sich aus § 19 Abs 1 Nr 1 SGB II. Nach dieser Vorschrift erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Zu den Anspruchsvoraussetzungen bestimmt § 7 SGB II, dass Personen Leistungen erhalten, welche das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die Antragsteller zu 3) und 4) sind 16 und 15 Jahre alt und haben ihren Wohnsitz im Inland. Sie sind erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II, weil sie nicht durch Krankheit gehindert sind, mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Die Antragsteller zu 3) und 4) sind auch hilfebedürftig. Hilfebedürftigkeit liegt nach § 9 SGB II vor, wenn der Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere weder durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit noch aus dem Einkommen oder Vermögen gesichert werden kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen geleistet wird. Da sich die Antragsteller zu 3) und 4) noch in der Ausbildung an allgemeinbildenden Schulen befinden, liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 10 Abs 1 Nr 5 SGB II vor, welcher der Aufnahme einer Arbeit entgegensteht. Eigenes Einkommen oder Vermögen ist nach den Angaben des Antragstellers zu 1) mit Ausnahme des Kindergeldes in Höhe von jeweils 154,- Euro nicht vorhanden. Das Kindergeld ist nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II als Einkommen der Antragsteller zu 3) und 4) anzusehen. Dem steht ein allgemeiner Bedarf von 276,- Euro gegenüber, der sich aus dem Umfang der nach § 20 Abs 3 Satz 2 SGB II zu gewährenden Regelleistung ergibt. Hinzu kommen entsprechend § 22 SGB II die anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung. Insgesamt entstehen für die Wohnung Aufwendungen in Höhe von 765,- Euro monatlich. Das ergibt sich aus den durch die Vorlage entsprechender Vertragskopien belegten Angaben des Antragstellers zu 1). Da die Wohnung von 6 Personen benutzt wird, entfallen – wie bereits von der Antragsgegnerin errechnet - auf die Antragsteller zu 3) und 4) anteilige Kosten von 127,50 Euro monatlich. Einem Bedarf von 403,50 Euro stehen dann Einnahmen von 154,- Euro gegenüber, so dass ein ungedeckter Betrag von 249,50 Euro verbleibt.

Die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller zu 3) und 4) ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil sie mit den Antragstellern zu 1) und 2) in einem Haushalt leben. Allerdings besteht zwischen den Antragstellern zu 1) bis 4) eine Bedarfsgemeinschaft. Zu der jeweils nach den Antragstellern zu 3) und 4) zu bildenden Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs 3 Nr 1 SGB II zunächst sie selbst und weiter nach § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II die Antragstellerin zu 2), die als Mutter der Antragsteller zu 3) und 4) mit ihren Kindern in einem Haushalt zusammenlebt. Der Antragsteller zu 1) ist als Ehegatte der Antragstellerin zu 2) Partner im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 2 SGB II und zählt demnach ebenfalls zur Bedarfsgemeinschaft. "Partner" ist nicht ausschließlich der nichteheliche Lebenspartner, wie sich aus der Aufzählung in § 7 Abs 3 SGB II ergibt. Das jeweils andere Geschwister gehört nach § 9 Abs 4 SGB II als dem Haushalt angehörendes minderjähriges unverheiratetes Kind des im Haushalt lebenden Elternteils ebenfalls zu der von den Antragstellern zu 3) oder 4) ausgehenden Bedarfsgemeinschaft. Die Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft unterscheidet sich demnach nicht danach, ob sie von den Antragstellern zu 3) oder zu 4) oder, wie die Antragsgegnerin gemeint hat, von dem Antragsteller zu 1) abgeleitet wird.

Nach § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ist bei den Antragstellern zu 3) und 4) aber nur das Einkommen und Vermögen des mit ihnen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Elternteils zu berücksichtigen. Unter Eltern sind die leiblichen Eltern oder Adoptiveltern zu verstehen. Es gibt keinen Hinweis dafür, dass das SGB II bezüglich der die Verwandtschaft kennzeichnenden Begriffe von dem durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) vorgegebenen Sprachgebrauch abweichen wollte. Das BGB beschränkt Elternschaft jedoch auf die leibliche Mutter (§ 1591 BGB) und den Mann, der im Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist, die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist (§ 1592 BGB). Gleichgestellt wird in § 1754 BGB lediglich die Annahme als Kind (Adoption). Stiefvater ist ein gebräuchlicher Begriff, er bezeichnet jedoch nicht den Tatbestand einer rechtlich erheblichen Elternschaft. Elternteil im Sinne des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ist danach ausschließlich die Antragstellerin zu 2). Der Antragsteller zu 1) ist mit den Antragstellern zu 3) und 4) nach § 1590 BGB lediglich verschwägert, da sie Verwandte seiner Ehefrau sind.

Das Einkommen und Vermögen der Antragstellerin zu 2) reicht indessen nicht aus, um den Bedarf der Antragsteller zu 3) und 4) zu decken. Als Einkommen der Antragstellerin zu 2) ist zunächst das für ihre volljährige Tochter gezahlte Kindergeld anzurechnen. Kindergeld wird nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II lediglich bei minderjährigen Kindern als Einkommen der Kinder bewertet. Als weiteres Einkommen kommt noch der von dem Antragsteller zu 1) gewährte Unterhalt in Betracht. Im Übrigen ist die Antragstellerin zu 2) nach den Angaben des Antragstellers zu 1) "ausgesteuert", demnach liegt offenbar krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Krankengeld vor. Nach den §§ 1360, 1360 a BGB erfasst die aus der Ehe herrührende Unterhaltsverpflichtung aber nur den Ehegatten und die gemeinsamen Kinder. Da der Antragsteller zu 1) vorträgt, dass sein Einkommen nicht die Bestreitung der notwendigen Ausgaben ermöglicht, gibt es auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass er tatsächlich der Antragstellerin zu 2) so viele Barmittel überlässt, dass sie daraus den Bedarf der Antragsteller zu 3) und 4) decken könnte. Ebenso wenig gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Antragstellerin zu 2) Vermögen hat, aus dem sie die Antragsteller zu 3) und 4) unterhalten könnte.

Für eine - über den Wortlaut des § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II hinausgehende - Anrechnung des Einkommens des Antragstellers zu 1) auf den Hilfebedarf der Antragsteller zu 3) und 4) fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zwischen den Antragstellern bedeutet nicht, dass alle Einnahmen untereinander zu verrechnen sind. Über Hilfsbedürftigkeit und Leistungsansprüche der Bedarfsgemeinschaft ist nicht als ganzes zu entscheiden. Das SGB II enthält Anrechnungsregelungen nur für einzelne natürliche Personen (Leistungsberechtigte), auch wenn diese innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft leben. Das zeigt sich an den §§ 7 Abs 2 , 9 Abs 2 Satz 3 oder 38 SGB II. Nach § 7 Abs 2 SGB II erhalten Personen Leistungen und nicht die Bedarfsgemeinschaft, in der sie leben. § 9 Abs 2 Satz 3 Halbsatz 2 SGB II fingiert nur eine Hilfebedürftigkeit der Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft. § 38 SGB II enthält die Vermutung einer Vertretungsmacht für die einzelnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Da das SGB II die Bedarfsgemeinschaft gerade nicht als Rechtssubjekt ausgestaltet hat, muss dies auch für die Frage der Hilfebedürftigkeit gelten. Sie ist folglich bezogen auf die einzelnen Angehörigen der Gemeinschaft – Leistungsberechtigten - zu beantworten und ermöglicht so unterschiedliche Ansprüche innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 9 Abs 2 Satz 3 Halbsatz 1 SGB II. In dieser Vorschrift ist zwar von einer Bedarfsgemeinschaft, dem gesamten Bedarf und seiner Deckung aus eigenen Kräften und Mitteln die Rede. Die Vorschrift bezieht deswegen den Bedarf und seine Deckung aber nicht auf die Bedarfsgemeinschaft als solche. § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II regelt nicht die Ermittlung eines Gesamtbedarfs der Bedarfsgemeinschaft, sondern die Verteilung der Leistungen auf die in der Gemeinschaft lebenden bedürftigen Personen.

Allerdings legt § 2 Abs 2 Satz 2 SGB II nahe – worauf das Sozialgericht hingewiesen hat -, dass der Gesetzgeber des SGB II den Grundsatz aufstellen wollte, dass ein Erwerbstätiger seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebenden Personen einsetzen muss. Das gleiche gilt für § 9 Abs 1 SGB II. Indessen regelt § 9 Abs 2 Satz 2 SGB II ausdrücklich, unter welchen Voraussetzungen bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben, fremdes Einkommen und Vermögen zu berücksichtigen ist. Ein (verschwägerter) Stiefvater ist in diesen Personenkreis gerade nicht einbezogen worden. Damit verbietet sich, über allgemeine Grundsätze gleichwohl eine Anrechnung vorzunehmen. Vielmehr ist die Frage, inwieweit Einkommen und Vermögen innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft eingesetzt werden muss, ausschließlich und abschließend in § 9 Abs 2 Satz 1 und 2 SGB II geregelt (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. April 2005 – L 9 B 4/05 SO ER - ; Brühl in Lehr- und Praxiskommentar zum SGB II, § 9 RdNr 32).

Im Übrigen würde das SGB II mit einer Anrechnung des Stiefvatereinkommens auf den Unterhaltsbedarf der Kinder über die zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche hinausgehen. § 1601 BGB kennt eine Unterhaltspflicht nur zwischen Verwandten. Eine Erweiterung auf die Kinder der Ehegatten ist nicht vorgesehen. Daraus könnten sich Wertungswidersprüche ergeben, wie gerade der vorliegende Sachverhalt zeigt: Gegen die Unterhaltsansprüche seines leiblichen Sohns vermag der Antragsteller zu 1) nämlich nicht einzuwenden, dass er die mit ihm in einem Haushalt zusammenlebenden Kinder seiner Ehefrau unterhalten muss. Wenn das Zivilrecht keine entsprechenden Unterhaltsansprüche kennt, kann die Leistungsfähigkeit des Antragstellers zu 1) durch sie auch nicht gemindert werden. Ähnliches gilt für die Pfändungsfreigrenzen. Das Arbeitseinkommen des Antragstellers zu 1) steht diesem (und der Bedarfsgemeinschaft) nur eingeschränkt zur Verfügung, da Ansprüche Dritter bedient werden müssen. Der pfändbare Teil des Einkommens bestimmt sich dabei gemäß § 850 c ZPO insbesondere nach der Zahl der unterhaltsberechtigten Personen. In diesem Zusammenhang kommt es wegen § 400 BGB nicht darauf an, ob die Abführung auf einer Pfändung oder – wie der Bevollmächtigte der Antragsteller vorträgt – auf einer Abtretung beruht. Die Antragsteller zu 3) und 4) vermindern den beim Antragsteller zu 1) pfändbaren Betrag deswegen nicht, weil sie keine eigenen zivilrechtlichen Unterhaltsansprüche haben. Der Antragsteller zu 1) ist demnach seinem eigenen Kind verpflichtet und unterliegt dem Zugriff seiner Gläubiger, ohne dass er wegen eines Unterhaltsbedarfs der Antragsteller zu 3) und 4) entlastet würde. Aber auch gegen eine ihn nach dem SGB II treffende Unterhaltsobliegenheit für die Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft könnte der Antragsteller zu 1) nicht einwenden, dass seine Leistungsfähigkeit hinter dem rechnerischen Nettobetrag seines Arbeitseinkommens zurückbleibt. Denn § 11 Abs 2 SGB II sieht nicht vor, dass vom einzusetzenden Einkommen Beträge abzuziehen sind, welche als Unterhalt geschuldet sind oder der Pfändung unterliegen. Dies würde dazu führen, dass die Leistungsfähigkeit durch das SGB II höher angesetzt wird als sie tatsächlich ist. Die Annahme, dass der Bedarf aus eigenen Mitteln gedeckt werden kann, widerspräche dann der Realität. Es bedarf keiner weiteren Begründung, dass einer Auslegung des Gesetzes der Vorzug zu geben ist, welche dieses Ergebnis vermeidet.

Der Bedarf der Antragsteller zu 3) und 4) ist auch nicht deswegen als gedeckt anzusehen, weil nach § 9 Abs 5 SGB II zu vermuten wäre, dass trotz Fehlens einer rechtlichen Verpflichtung tatsächlich Leistungen erbracht werden. Eine entsprechende Vermutung setzte nämlich voraus, dass nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Verschwägerten Leistungen zu erwarten sind. Daran fehlt es hier aber. Der Antragsteller zu 1) hat nicht nur Unterhaltspflichten gegenüber seiner (einkommenslosen) Ehefrau und seinem Sohn, sondern auch Verbindlichkeiten aus Bankgeschäften. Nach der in Kopie vorgelegten Aufstellung der Citibank vom 13. Februar 2004 macht diese gegen ihn Forderungen aus mehreren Geschäften in einer Gesamthöhe von 36.752,96 Euro geltend. Der Antragsteller zu 1) zahlt auf diese Verbindlichkeiten die in seinen Gehaltsabrechnungen als "Pfändung" bezeichneten Beträge. Schon der Vergleich des Betrags von 355,- Euro aus der Gehaltsbescheinigung für Februar 2005 mit der monatlichen Rückzahlungsverpflichtung von 526,- Euro, die so am 2. Mai 2002 in einem Kreditvertrag eingegangen wurde und lediglich einen Teil der Verbindlichkeiten ausmacht, zeigt aber, dass das laufende Einkommen nicht ausreicht, um die eingegangenen Verpflichtungen vollständig zu erfüllen. Sind demnach keine freien Mittel vorhanden, kann vom Antragsteller zu 1) nicht erwartetet werden, dass er ohne rechtliche Verpflichtung (weiteren) Unterhalt leistet.

Zugunsten der Antragsteller zu 3) und 4) besteht auch ein Anordnungsgrund. Effektiver Rechtsschutz kann in den Fällen, in denen die Sicherung des laufenden Lebensbedarfs in Frage steht, nur im Wege eines Eilverfahrens gewährleistet werden (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 - ). Den Antragstellern zu 3) und 4) stehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu, die Antragsgegnerin war folglich schon im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zur Leistung zu verpflichten. Der Leistungsbeginn war auf den Tag des Antragseingangs beim Sozialgericht festzusetzen. In Anlehnung an § 41 Abs 1 Satz 3 SGB II war die Verpflichtung auf einen Zeitraum von 6 Monaten zu befristen, zumal nicht auszuschließen ist, dass sich die Einkommensverhältnisse der Antragstellerin zu 2) verändern.

Unbegründet ist die Beschwerde, soweit Leistungen an die Antragstellerin zu 2) begehrt werden. Denn nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II muss sie sich auf ihren Hilfebedarf das insoweit ausreichende Einkommen des Antragstellers zu 1) anrechnen lassen.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG. Da die Antragsteller mit ihrem Begehren aus wirtschaftlicher Sicht insgesamt Erfolg gehabt haben, entspricht eine volle Kostenerstattung der Billigkeit.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved