S 17 AY 13/05 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
17
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 AY 13/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 1) Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetzt vorläufig ab dem 27.06.2005 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung gegen den Bescheid vom 30.05.2005 gerichteten Widerspruch vom 24.06.2005 zu bewilligen. Der Antrag der Antragstellerin zu 2) wird abgelehnt. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu 1). Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetzt (AsylbLG).

Die Antragsteller sind Albaner und stammen aus dem Kosovo in der Gegen von Nord-Mitrovica. Nachdem die Antragsteller im Juni 2001 nach rechtskräftiger Ablehnung ihre Asylanträge in den Kosovo zurückgekehrt waren, kehrten sie im März 2002 wieder nach Deutschland zurück und stellten am 18.03.2002 Asylfolgeanträge. Diese sind zwischenzeitlich bestandskräftig abgelehnt. Die Antragsteller sind vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Seit dem 20.03.2002 erhielten die Antragsteller Grundleistungen nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz. Am 08.03.2005 beantragten sie Leistungen gemäß § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes in der Fassung ab 01.01.2005. Dies lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 30.05.2005 ab. Zur Begründung führte er aus, dass Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz nur demjenigen zustünden, der die Dauer seines Aufenthalts nicht rechtsmißbräuchlich verlängern würde. Dies sei jedoch bei den Antragstellern der Fall, weil ihre freiwillige Ausreise nicht erfolge, obwohl sie für sie zumutbar sei. Mit dem gegen den Ablehnungsbecheid fristgerecht erhobenen Widerspruch vom 24.06.2005 machen die Antragsteller geltend, dass eine rechtsmißbräuchliche Aufenthaltsverlängerung nicht vorliege. Eine freiwillige Ausreise sei ihnen nicht zumutbar. Eine Rückkehr nach Nord-Mitrovica sei angesichts der dortigen für Albaner nach wie vor schwierigen Sicherheitslage nicht zumutbar. Dort befinde sich aber ihr Haus. Es sei ihnen bei ihrer Ausreise im Jahre 2001 nicht gelungen, außerhalb von Nord-Mitrovica Fuss zu fassen, und ihren Lebensunterhalt zu sichern. Wegen dieser wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien sie wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurück gekehrt. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den Inhalt des Widerspruchsschreibens vom 24.06.2005 Bezug genommen. Die Antragsteller vertreten die Auffassung, dass es nicht als rechtsmißbräuchlich angesehen werden könne, wenn sie sich schlicht weigerten angesichts der unzumutbaren Verhältnisse in ihrem Heimatland freiwillig auszureisen.

Die Antragsteller beantragen nach dem erkennbaren Inhalt ihres Begehrens,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz ab dem 20.03.2005 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz nicht vorliegen, weil die Antragsteller die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmißbräuchllich selbst beeinflußten. Es bestehe eine zumutbare Ausreisemöglichkeit in das Heimatland. Darüber hinaus sei ein Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Anordnung angesichts der geringen Differenz zwischen den Leistungen gemäß § 2 Asylbewerberleistungsgesetz und § 3 Asylbewerberleistungsgesetz nicht ersichtlich. Der Lebensunterhalt der Antragsteller sei aufgrund der Leistungsgewährung gemäß § 3 Asylbewerberleistungsgesetz gesichert. Ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache sei ihnen deshalb zumutbar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie den Inhalt der die Antragsteller betreffenden Verwaltungsakten des Antraggegners verwiesen.

II.

Der gemäß § 86 b II des Sozialgerichtsgesetzes ( SGG ) zulässige Antrag der Antragstellerin zu 2) ist nicht begründet.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Gemäß § 86 b II 4 SGG i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden.

Da nach Wesen und Zweck des einstweiligen Rechtsschutzes eine vorläufige Regelung grundsätzlich nicht die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen darf, kann eine Verpflichtung zur Erbringung von Geldleistungen - wie sie im vorliegenden Fall begehrt wird - in diesem Verfahren nur ausgesprochen werden, wenn der Antragsteller weiterhin glaubhaft macht, dass ihm andernfalls schwerwiegende Nachteile im Sinne einer existentiellen Notlage drohen und zudem bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass er in der Hauptsache obsiegt.

Die Antragstellerin zu 2) hat einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Es ist nicht ersichtlich, dass ihr ohne die begehrte Entscheidung schwerwiegende Nachteile im Sinne einer existentiellen Notlage drohen.

Die Antragstellerin zu 2 kann ihren notwendigen Lebensunterhalt in Höhe des ihr nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch ( SGB XII ) zustehenden Regelsatzes durch ihre Ausbildungsvergütung bestreiten. Inwieweit sich ihr Mietanteil bei Leistungsgewährung nach dem SGB XII in einem den Erlass einer Einstweiligen Anordnung rechtfertigenden Umfang günstiger gestalten würde, hat die Antragstellerin zu 2) auch auf entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht glaubhaft gemacht.

Demgegenüber ist der Antrag des Antragstellers zu 1) begründet.

Er hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht und ein Anordnungsgrund besteht auch.

Der Antragsteller hat einen Anordnunganspruch glaubhaft gemacht. Nach § 2 Absatz 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf Leistungsberechtigte entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Da der Antragsteller seit dem 20.03.05 Leistungen nach §§ 1 und 3 AsylbLG bezieht und insoweit unstreitig die zeitlichen Voraussetzungen nach § 2 AsylbLG erfüllt, ist zwischen den Beteiligten alleine streitig, ob er die Dauer seines Aufenthalts in Deutschland rechtmissbräuchlich im Sinne von § 2 AsylbLG beeinflusst.

Dies ist - entgegen der Auffassung des Antragsgegners – nicht der Fall. § 2 Abs 1 AsylbLG kann nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass er auch Fälle umfasst, in denen Personen lediglich der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nicht nachkommen. Nach der Gesetzesbegründung zur Neufassung von §2 AsylbLG (Bundestagsdrucksache 15/420 (121) - Gesetzentwurf - Zuwanderungsgesetz zu Nr. 3) soll zwischen denjenigen Ausländern unterschieden werden, die unverschuldet nicht ausreisen können und denjenigen, die ihre Ausreisepflicht rechtsmissbräuchlich nicht nachkommen. Darüber hinaus enthält die Gesetzesbegründung Hinweise auf Beispiele, in denen ein solcher Rechtsmissbrauch anzunehmen ist: Vernichtung des Passes, Angabe einer falschen Identität. Schließlich findet sich noch der Hinweis, dass die Bestimmung über die Folgen rechtsmissbräuchlichen Verhaltens an den Entwurf einer Richtlinie des Rates der Europäischen Union zur Festlegung zur Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern anknüpft. Insoweit werden in Artikel 16 des Entwurfes Formen negativen Verhaltens zusammengefasst, die auf nationaler Ebene eine Einschränkung von Leistungen erlauben. In diesem Zusammenhang geht es insbesondere um Einschränkungen bei Verletzung von Meldepflichten und Auflagen zum Aufenthaltsort sowie das Verschweigen von finanziellen Mitteln.

Aus der Gesamtschau dieser Vorschriften ergibt sich, dass eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts durch den Antragsteller in jedem Fall dann anzunehmen ist, wenn er seinen Pass vernichtet, Angaben einer falschen Identität macht, eine der in Artikel 16 der Richtlinie genannte Verhaltensweise aufweist oder eine den vorgenannten Verhaltensweisen vergleichbare Handlung vornimmt, die entsprechend missbräuchlich ist. Vorliegend wird dem Antragsteller derartiges aber nicht vorgeworfen. Der Antragsgegner legt dem Antragsteller allein zur Last, dass er rechtsmissbräuchlich nicht von der Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr in sein Heimatland Gebrauch macht und insofern seiner Ausreisepflicht nicht nachkomme.

Wohl ist der Antragsgegnerin darin Recht zu geben, dass dem Antragsteller weder Abschiebungshindernisse zur Seite stehen und auch seine freiwillige Ausreise möglich ist.

Seit dem 01.01.2005 hat sich jedoch die maßgebliche Vorschrift geändert. Seither kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, ob eine freiwillige Ausreise möglich ist oder ob Abschiebungshindernisse bestehen. Grundsätzlich steht nunmehr allen unter das Asylbewerberleistungsgesetz fallenden Ausländer nach Erfüllung der Wartezeit von 36 Monaten ein Anspruch auf erhöhte Leistungen zu. Dies ist vom Gesetzgeber so beabsichtigt (vgl. BT-Drucks. 14/7387, S. 112, Zu Art. 8 - Nr. 3). Nach dem Gesetz ist nun nur noch dann ausnahmsweise ein Anspruch auf Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem SGB XII ausgeschlossen, wenn jemand die Dauer seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, dass der Antragsteller die Dauer seines Aufenthaltes in Deutschland beeinflusst, indem er - obwohl er es könnte - nicht freiwillig ausreist. Der Antragsteller kommt nach alledem seiner Ausreisepflicht schuldhaft nicht nach. Der Gesetzgeber wollte mit der Neufassung der Vorschrift des § 2 Abs. 1 AsylbLG zwar auch zwischen denjenigen Ausländer unterscheiden, die unverschuldet nicht ausreisen können (dafür liegen bei dem Antragsteller keine Anhaltspunkte vor) und denjenigen, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen (vgl. BT-Drucks. 14/7387, S. 112). Weil aber der Gesetzgeber und dann auch das beschlossene und verkündete Gesetz nicht nur darauf abstellen, dass Ausländer ihre Ausreisepflicht schuldhaft verletzen, sondern als weitere Voraussetzung das Merkmal der Rechtsmissbräuchlichkeit hinzugekommen ist, ist nunmehr der Kreis der nach § 2 Abs. 1 AsylbLG Anspruchsberechtigten gegenüber der bis zum 31.12.2004 geltenden Rechtslage deutlich erweitert. Viele Ausländer, denen, weil zumindest eine freiwillige Ausreise möglich war, nach den bis Ende Dezember geltenden Bestimmungen lediglich Leistungen nach den §§ 3 ff. AsylbLG zustanden, kommen nun in den Genuss erhöhter Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG n. F. Denn ein Rechtsmissbrauch kann nicht schon dann angenommen werden, wenn Ausländer lediglich ihrer bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkommen. Der Staat kann dem mit Abschiebungsmaßnahmen hinreichend begegnen. Der Antragsteller kommt - wenn auch schuldhaft - nur schlicht seiner Ausreisepflicht nicht nach, ohne ein irgendwie geartetes Recht zum Aufenthalt missbräuchlich in Anspruch zu nehmen oder rechtlich zulässige Abschiebemaßnahmen zu verhindern. Der Antragsgegner hat es in der Hand, Abschiebemaßnahmen einzuleiten. Wenn er dies aus welchen Gründen auch immer, nicht tut, kann dies nicht dem Antragsteller angelastet werden und ihm deshalb Rechtsmissbrauch vorgeworfen werden.

Schließlich nutzt der Antragsteller in dieser Konstellation lediglich eine für ihn günstige vom Antragsgegner zugelassene Situation (derzeitiges Absehen von Abschiebungsmaßnahmen ) aus, welche der Antragsgegner selbst beenden könnte, wenn er wollte.

Der Antragsteller zu 1) hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Dem Antragsteller ist ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten, da die derzeit bewilligten Leistungen nach §§ 1 und 3 ff. AsylbLG deutlich geringer sind als die Leistungen nach §2 AsylbLG in Verbindung mit dem SGB Xll. Soweit der Antragsgegner darauf hinweist, dass der Antragsteller aufgrund des Mittelbezuges nach §§1 und 3ff. AsylbLG nicht völlig mittellos und insoweit ein Abwarten auf die Entscheidung in der Hauptsache nicht unzumutbar sei, folgt das Gericht dieser Argumentation nicht. Nach Auffassung des Gerichts ist in diesem Zusammenhang insbesondere zu berücksichtigen, dass der ausweislich der Gesetzesbegründung zum Asylbewerberleistungsgesetz für den Personenkreis des §1 Abs. 1 AsylbLG a. F. vorgesehene deutlich abgesenkte Leistungsumfang, der ein Leben ermögliche, dass durch Sicherung des Mindestunterhalts dem Grundsatz der Menschenwürde gerecht werde, nur für eine vorübergehende Zeit als zumutbar abgesehen werden kann (Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Stand Dez. 2004, §2, Rdnr. 16 m. w. N.). Aus der Begründung zum Gesetzentwurf ergibt sich weiterhin, dass bei längerem (über 36 Monate andauernden) Aufenthalt in der Bundesrepublik nicht mehr auf einen geringeren Bedarf abgestellt werden kann, der bei einem kurzen vorübergehenden Aufenthalt besteht. Insoweit seien auch Bedürfnisse anzunehmen, die auf bessere soziale Integration ausgerichtet seien (Gemeinschaftskommentar zum AsylbLG, Stand Dez. 2004, §2, Rdnr. 16 m.w.N.). Das bedeutet, dass die Beschränkung auf die deutlich geringeren Leistungen nur insoweit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wie die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach §2 AsylbLG nicht vorliegen. Bei ausreichend langer Aufenthaltsdauer in Deutschland widerspricht es jedoch dem Integrationsgedanken des AsylbLG, den Antragstellern Leistungen vorzuenthalten, die ihnen glaubhaft zustehen. Daher ist die Verweisung auf die Entscheidung in der Hauptsache für den Antragsteller insoweit unzumutbar. Zudem ist zu berücksichtigen, dass bei Streitigkeiten über die Anwendung des Asylbewerberleistungsgesetzes mit einer zeitnahen Hauptsacheentscheidung typischerweise nicht gerechnet werden kann. In einem Verfahren auf Bewilligung von Leistungen nach §2 AsylbLG könnten die Antragsteller aufgrund der zwischenzeitlichen Gewährung von Sachleistungen selbst dann keinen Rechtsschutz erlangen, wenn der geltend gemachte Anspruch auf Geldleistungen nach §2 AsylbLG berechtigt ist. Dies würde im Ergebnis dann zu einer Situation führen, in der den Beteiligten ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz vorenthalten bleibt, was mit Artikel 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbar sein dürfte

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das Verhältnis des teilweisen Obsiegens / Unterliegens des Antragsgegners.
Rechtskraft
Aus
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