L 8 AY 379/05 ER

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Nordhausen (FST)
Aktenzeichen
S 15 AY 459/05 ER
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 8 AY 379/05 ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. Mai 2005 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag der Antragsteller, ihnen für das Beschwerdeverfahren vor dem Thüringer Landessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. W. zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren Leistungen nach § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG).

Die Antragsteller sind georgische Staatsangehörige. Sie beantragten am 2. Dezember 1998 in der Bundesrepublik Deutschland Asyl. Dabei gaben sie falsche Namen (den Familiennamen "D.") an und vertauschten Geburtsdaten. Auf eine angeblich im Jahre 1998 beantragte Namensänderung in Georgien wurde nicht hingewiesen. Ferner wurden keine Dokumente vorgelegt. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21. Dezember 1998 wurden die Asylanträge als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Der Bescheid ist bestandskräftig. Die Ausstellung von Passersatzpapieren konnte durch die Georgische Botschaft wegen der Falschangaben nicht durchgeführt werden, sodass eine Sondervorführung am 3. Dezember 2004 in der ZAB Bielefeld erforderlich wurde. Dabei konnte der Antragsteller zu 1 als Georgier identifiziert werden. Die Antragsteller machten auch in diesem Zusammenhang keine Angaben über ihre wahre Identität. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen konnten nicht durchgeführt werden, die Antragsteller wurden während dieses Zeitraumes in der Bundesrepublik Deutschland geduldet, da eine Ausreise wegen fehlender Dokumente nicht möglich war. Im Rahmen einer weiteren Vorführung in der ZAB Bielefeld im Mai 2005 teilte der Antragsteller zu 1 nunmehr seinen richtigen Familiennamen "B." mit. Die georgische Botschaft hat daraufhin Passersatzpapiere ausstellen können, die auf die richtigen Namen der Antragsteller lauten. Seit dem 1. Januar 2004 bezogen die Antragsteller Leistungen nach § 1 a AsylbLG von dem Antragsgegner.

Am 14. März 2005 beantragten die Antragsteller die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG. Mit Bescheid vom 23. Mai 2005 lehnte der Antragsgegner dies ab, weil die Antragsteller ihren Aufenthalt im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich beeinflusst hätten, indem sie bewusst und gezielt falsche Angaben zu ihrer Identität gemacht hätten.

Gegen diesen Bescheid haben die Antragsteller Widerspruch eingelegt.

Am 29. März 2005 haben sie beim Sozialgericht Nordhausen beantragt, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihnen vorläufig bis zur Entscheidung über den Widerspruch vom 11. März 2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren und den Antragstellern für das Eilverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts B. W. zu bewilligen.

Mit Beschluss vom 24. Mai 2005 hat das Sozialgericht den Eilantrag abgelehnt. Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG setzten voraus, dass der Leistungsberechtigte die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Diese Voraussetzung läge nicht vor, weil die Antragsteller ausweislich der vorliegenden Verwaltungsakte falsche Angaben hinsichtlich ihrer Identität getätigt hätten. Die Asylanträge sowie auch die Anträge zur Passbeschaffung seien unter falschen Namen und unter Vertauschung von Geburtsdaten vorgenommen worden. Auf Grund dieser Angaben habe keine Passersatzbeschaffung durchgeführt werden können. Eine Ausreise sei nicht möglich gewesen. Dadurch hätten die Antragsteller den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zweifelsfrei rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Die Begründung aus dem Jahre 2005, wonach die Antragsteller schon in Georgien eine Namensänderung beantragt hätten und die Vertauschung der Geburtsdaten irrtümlich geschehen sei, halte das Gericht für unglaubhaft, weil die Antragsteller diese Begründung bereits vorher hätten vortragen können.

Hiergegen haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt. Zwar seien zweifelsfrei unrichtige Angaben gemacht worden, dies alleine reiche jedoch nicht für einen Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 1 AsylbLG aus. Falls man überhaupt von einem rechtsmissbräuchlichen Verhalten der Antragsteller zu 1 und 2 ausgehen müsse, wäre dieses aber auf einen historisch abgegrenzten Zeitraum zu beschränken, der nicht aktuell sei. Der sich auf Grund einer möglichen Rechtsmissbräuchlichkeit ergebende Zeitraum wäre ein solcher, der allenfalls dem in § 2 Abs. 1 AsylbLG genannten Zeitraum von 36 Monate noch hinzusetzen wäre. Unter Berücksichtigung der Gesamtdauer des Aufenthalts der Antragsteller verbliebe kein Restzeitraum mehr, das heiße, dass sich die Antragsteller nach Abzug des durch die mögliche Rechtswidrigkeit ergebenden Zeitraumes mindestens 36 Monate rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hätten, so dass jedenfalls jetzt die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung gegeben seien. Im Übrigen haben sich die Antragsteller auf einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen vom 18. Mai 2005 bezogen, wonach die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet wird, gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde zu erklären, dass vorläufig von Abschiebemaßnahmen gegenüber der Antragstellerin zu 2 in den Zielstaat abgesehen wird. Das Verwaltungsgericht hat den Beschluss im wesentlich damit begründet, dass es bei einer Rückkehr der Antragstellerin zu 2 in ihre Heimat sehr wahrscheinlich zu einer konkreten erheblichen und lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes komme.

Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. Mai 2005 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch vom 11. März 2005 Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die erstinstanzliche Entscheidung zutreffend sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die die Antragsteller betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners lag vor und ist Gegenstand der Entscheidung gewesen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag, wenn – wie hier – ein Fall von § 86 b Abs. 1 SGG (vorläufiger Rechtsschutz in Anfechtungssachen) nicht vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Die §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939 und 945 der Zivilprozessordnung (ZPO) gelten dann entsprechend (Satz 4). Das Gericht entscheidet durch Beschluss (§ 86 b Abs. 4 SGG), gegen den nach § 172 SGG die Beschwerde zulässig ist.

Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) einen Anordnungsanspruch (gesetzlicher Anknüpfungspunkt bei der Sicherungsanordnung: "Recht des Antragstellers", bei der Regelungsanordnung: "Streitiges Rechtsverhältnis") und einen Anordnungsgrund (einerseits: "Gefahr für die Verwirklichung des Rechts", andererseits: "Notwendigkeit zur Regelung eines Zustands") bejahen kann. Dabei bedeutet die Möglichkeit der Glaubhaftmachung von Tatsachen zunächst nur, dass sich das Gericht nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen der beweiserheblichen Tatsachen machen muss, sondern ein geringerer Grad der Überzeugung genügt (Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 8. Auflage 2005, § 103 Rdnr. 6 a).

Vorliegend fehlt es an einem Anordnungsanspruch. Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Leistungen nach § 2 AsylbLG.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das Zwölfte Buch Sozialgesetzbuch auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Dieser Ausschlusstatbestand liegt vor, denn die Antragsteller haben die Dauer des Aufenthalts durch die falschen Identitätsangaben rechtsmissbräuchlich verlängert und damit selbst beeinflusst. Ob die rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer durch die Antragsteller zu 1 und 2 den Antragsteller zu 3 bis 5 zu zurechnen ist, bedarf keiner Erörterung.

Denn als minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern, den Antragsteller zu 1 und 2, in einer Haushaltsgemeinschaft leben, können sie nur dann Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG erhalten, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft selbst entsprechende Leistungen erhält, was aber gerade nicht der Fall ist (vgl. § 2 Abs. 3 AsylbLG.

Was unter Rechtsmissbräuchlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu verstehen ist, wird weder in der Vorschrift selbst noch an anderer Stelle des AsylbLG definiert. In der Gesetzesbegründung (vgl. BT Drucksache 15/420, S. 121) werden Beispiele für die rechtsmissbräuchliche Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer genannt; danach sind unter anderem die Vernichtung des Passes sowie die Angabe einer falschen Identität in diesem Sinne rechtsmissbräuchlich. Die Antragsteller haben im Rahmen des Asylverfahrens Namen angegeben, unter denen sie in ihrem Heimatland nicht geführt wurden, und darüber hinaus die Geburtsdaten vertauscht. Identitätspapiere wurden nicht vorgelegt. Dadurch wurde die Feststellung der Identität verhindert und eine Passersatzbeschaffung war bis Juni 2005 nicht möglich. Die abgegebene Erklärung der beantragten Namensänderung im Jahre 2005 hätte bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgen können. Die Antragsteller wussten, dass sie unter den angegebenen Namen nicht zu identifizieren sind. Es wäre daher ohne weiteres möglich gewesen, den richtigen Namen im Rahmen des Asylverfahrens früher mitzuteilen. Durch die Vorführung im Dezember 2004 konnte der Antragsteller zu 1 nur als georgischer Staatsbürger identifiziert werden. Erst im Rahmen der Vorführung im Mai 2005 hat er dann den richtigen Namen angegeben. Dieses Verhalten kann nur so gewertet werden, dass die Antragsteller ihre wahre Identität vorsätzlich möglichst lange verschleiern wollten, um dadurch möglichst lange in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben zu können. Die von den Antragstellern abgegebene Begründung der beantragten Namensänderung ist im Übrigen nicht glaubhaft.

Die von den Antragstellern aufgeworfene Frage, ob die mit der rechtsmissbräuchlichen Verlängerung verbundene Ablehnung von Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII zeitlich begrenzt oder von Dauer ist, kann im Ergebnis dahingestellt bleiben. Es spricht allerdings einiges dafür, dass Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII nur für die Zeit versagt werden können, für die der Leistungsberechtigte die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hat. Denn der Ausländer, der seinen Aufenthalt auf diese Art beeinflusst, soll nicht gegenüber dem Ausländer privilegiert werden, der sich korrekt verhält. Dies könnte es rechtfertigen, von einem Leistungsausschluss von dem Zeitpunkt an abzusehen, ab dem der Rechtsmissbrauch entfällt. Da aber auch andere Asylbewerber für eine Dauer von insgesamt 36 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben müssen, um die leistungsrechtliche Besserstellung nach § 2 AsylbLG in Anspruch nehmen zu können, wäre § 2 Abs. 1 AsylbLG, wollte man die Auffassung der Antragsteller teilen, jedenfalls so auszulegen, dass neben der Zeit der rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthalts der Ausländer weitere 36 Monate von den Leistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII ausgeschlossen ist, weil die Privilegierung nur dann greift, wenn in den 36 Monaten die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst wurde, was im Falle des Antragsteller zu 1 und 2 in der Vergangenheit gerade nicht der Fall war. Eine solche Auslegung ergibt sich schon aus der Verknüpfung der 36-Monatsfrist und dem Nichtvorliegen der missbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes durch das Wort "und" im Gesetzeswortlaut. (vgl. auch Hohm, aaO, S. 391 für die Fälle, in denen das von § 2 Abs. 1 AsylbLG sanktionierte rechtsmissbräuchliche Verhalten durch danach eintretende Umstände keinen Fortbestand mehr hat, im übrigen die an § 2 Abs. 1 AsylbLG geknüpfte Rechtsfolge grundsätzlich irreversibel sei). Dies bedeutet, dass die in § 2 AsylbLG normierte "Frist" von 36 Monaten nicht während der Zeit laufen kann, in der ein Missbrauchstatbestand im Sinne des § 2 AsylbLG vorliegt.

Danach wäre selbst dann, wenn man die Auffassung vertreten wollte, dass das rechtsmissbräuchliche Verhalten keinen dauerhaften Ausschluss von Leistungen nach dem SGB XII rechtfertigen würde, ein Anspruch der Antragsteller nicht gegeben. Denn der Antragsteller zu 1 hat erst im Mai 2005 im Rahmen einer Vorführung in der ZAB Bielefeld seinen Familiennamen "B." preisgegeben, während er noch bei der Sondervorführung am 3. Dezember 2004 keine Angaben zu seiner Identität machte. Erst die Mitteilung seines korrekten Familiennamens ermöglichte es, über die georgische Botschaft Passersatzpapiere zu beschaffen. Erst von diesem Zeitpunkt an kann daher von der Beendigung der Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes gesprochen werden, so dass sich hieran jedenfalls eine Dauer von insgesamt 36 Monaten bis Mai 2008 anschließen würde (in der die Dauer des Aufenthaltes durch den Leistungsberechtigten nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst werden darf), bevor die Voraussetzungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG vorliegen und die dort normierte Privilegierung geltend gemacht werden könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. W. war abzulehnen, da die Erfolgsaussichten fehlen.

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Abs. 1 der ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Rechtsverfolgung der Antragsteller hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg; es wird auf die oben genannte Begründung Bezug genommen.

Der Beschluss ist unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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