L 19 B 88/05 AS ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 22 AS 113/05 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 B 88/05 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.10.2005 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Entscheidung vom 17.10.2005), ist nicht begründet.

Auch zur Überzeugung des Senats sind die Voraussetzungen für die begehrte vorläufige Entscheidung - die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Kosten für die Unterkunft gemäß § 22 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) in ungekürzter Höhe zu übernehmen - nicht erfüllt.

Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass es sich bei dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 10.06.2005 nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) handelt. Denn durch dieses Schreiben hat die Antragsgegnerin keine potentiell verbindliche Rechtsfolge gesetzt, d.h. sie hat durch dieses Schreiben nicht ohne weiteren Umsetzungsakt Rechte begründet, geändert, aufgehoben oder verbindlich festgestellt (zu den Einzelheiten s. Engelmann in von Wulffen/Wiesner, SGB X, 5. Aufl. 2005, § 31 Rdnr. 24). Denn die Antragsgegnerin hat in diesem Schreiben lediglich angekündigt, sofern der Antragsteller nicht bereit sei, seine Unterkunftskosten zu verringern bzw. seine Bemühungen glaubwürdig zu belegen, ab dem 01.12.2005 nur noch die von ihr als angemessen ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung zu übernehmen. Die Feststellung in dem Schreiben, die vom Antragsteller angemietete Wohnung sei als nicht angemessen i.S. des § 22 SGB II anzusehen, stellt lediglich eine rechtliche Feststellung dar. Damit liegt keine Regelung im Sinne der Legaldefinition des § 31 Satz 1 SGB X und demzufolge kein Verwaltungsakt vor. Folglich scheidet § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Rechtsgrundlage für eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz aus.

Im Interesse effektiven Rechtsschutzes ist für die Zulässigkeit einer einstweiligen Anordnung aber die Existenz eines belastenden Verwaltungsaktes nicht erforderlich. In Betracht kommt insofern vorliegend der Erlass einer sogenannten Regelungsanordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG. Danach sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. In diesem Zusammenhang kann nicht außer Betracht bleiben, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren nach dem dort gestellten Antrag und seinem Vorbringen eine reine Untätigkeitsklage, gerichtet auf Bescheidung des gegen den vermeintlichen Bescheid vom 10.06.2005 eingelegten Widerspruchs, erhoben hat. Soweit er sich nach seinem Vorbringen gegen die Feststellung der Antragsgegnerin wendet, die von ihm bewohnte Wohnung sei unangemessen, scheidet eine Feststellungsklage aus. Denn eine Feststellungsklage wegen einzelner Elemente, sogenannte Elementenfeststellungsklage, ist nicht zulässig (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 8. Aufl. 2005, § 55 Rdnr. 9 ff). Durch die Elementenfeststellungsklage würde der Streit der Beteiligten nicht im Ganzen bereinigt, weswegen hier auch nicht der einzige Ausnahmefall vorliegt, in dem ein einzelnes Element eines Rechtsverhältnisses ausnahmsweise Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann. Denn die nach dem Gesetz möglichen Konsequenzen nicht angemessener Unterkunftskosten hängen nicht nur von der Angemessenheitsbeurteilung bezogen auf den Kaltmietzins zuzüglich der Nebenkosten ab. Vielmehr sind Zumutbarkeitsbetrachtungen bezüglich der nachzuweisenden Kostensenkungsbemühungen anzustellen (Berlit in Lehr- und Praxiskommentar SGB II (LKP-SGB II), § 22 Rdnrn 23 und 44ff).

Wie aus der Beschwerdebegründung insbesondere deutlich wird, wendet sich der Antragsteller vor allem gegen seine Verpflichtung, die Kosten der Unterkunft zu reduzieren. Er bezieht sich damit auf die Passage: "Da Ihre tatsächlichen Kosten den von mir ermittelten angemessenen Betrag erheblich übersteigen, fordere ich Sie hiermit auf, bis zum 30.11.2005 nach Möglichkeiten zur Verringerung der monatlichen Mietkosten zu suchen. Dabei kommt insbesondere ein Umzug in eine günstigere Wohnung in Betracht. Ihre Bemühungen sind mir durch geeignete Unterlagen nachzuweisen (z.B ...). Sofern sie nicht bereit sind, Ihre Unterkunftskosten zu verringern bzw. mir Ihre Bemühungen glaubwürdig zu belegen, weise ich schon jetzt darauf hin, dass ab dem 01.12.2005 nur noch die von mir ermittelten Kosten für Unterkunft und Heizung übernommen werden können." Richtige Klageart im Hauptsacheverfahren wäre insofern eine vorbeugende Unterlassungsklage, gerichtet auf das Unterlassen einer drohenden hoheitlichen Handlung (s. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, a.a.0., § 54 Rdnr. 42ff und vor 51 Rdnr. 17a). Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage gehört (BSG, Urteil vom 15.11.1995 - 6 RKa 17/95 - SozSich 1997, 239 und BSG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 RU 8/92, jeweils mit weiteren Nachweisen) ein sogenanntes qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis. Es setzt voraus, dass der Betroffene ein gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse darlegt, das regelmäßig nicht gegeben ist, solange er auf den nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann. Maßgebliches Kriterium für ein besonderes Rechtsschutzbedürfnis ist, dass ein als widerrechtlich beurteiltes Verhalten der Gegenseite ernstlich zu befürchten ist.

Unter Berücksichtigung dieser Kriterien ist das geforderte qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers hier nicht gegeben. Denn die Angemessenheitsbeurteilung der Antragsgegnerin basiert auf dem Mietspiegel und damit, soweit im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dies zu prüfen ist, auf einer grundsätzlich zulässigen Erkenntnisquelle. Die ebenfalls geforderte Zumutbarkeitsbeurteilung durch die Antragsgegnerin steht noch aus. Insbesondere hat sich die Antragsgegnerin noch in keinster Weise zur Relevanz der von dem Antragsteller vorgebrachten Notwendigkeit einer behindertengerechten Wohnung geäußert. Eine vorbeugende Unterlassungsklage wäre somit zum gegenwärtigen Zeitpunkt unzulässig.

Damit sind aber auch die Voraussetzungen für eine Regelungsanordnung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht erfüllt. Wegen der vorab im Einzelnen dargelegten Unzulässigkeit sowohl einer Feststellungsklage als auch einer vorbeugenden Unterlassungsklage ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden. Der Antrag auf Erlass einstweiligen Rechtsschutzes ist, unabhängig von der Beantwortung der Frage ob ein sogenannter Anordnungsgrund gegeben ist, abzulehnen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, a.a.0., § 86b Rdnr. 29 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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